Warum sich Chinas Bevölkerung halbiert


Über Jahrhunderte hatte China die größte Bevölkerung der Welt. Doch jetzt geht es bergab. Innerhalb weniger Jahrzehnte wird sich die Zahl der Einwohner halbieren – mit dramatischen Folgen.

Zwei ältere Männer mit einem Baby in Fuli, einer malerischen historischen Stadt in der Provinz Guangxi, Südchina.
Typischer Anblick in einer schrumpfenden Bevölkerung: Zwei ältere Männer sitzen mit einem Baby in Fuli, in der Provinz Guangxi, Südchina. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Dramatischer Schwund. Laut Prognosen wird sich Chinas Bevölkerung von aktuell 1,4 Milliarden bis zum Jahr 2100 mehr als halbieren.
  • Viele Faktoren. Dahinter stecken die Ein-Kind-Politik, begrenzte Zuwanderung und die zurückhaltende Familienplanung der Gesellschaft.
  • Nicht nachhaltig. Die Alterung bringt große Herausforderungen für die Altersvorsorge und die Wirtschaft.
  • Bekannter Pfad. China folgt einem ähnlichen Muster der Stagnation wie Japan mit dem Unterschied, dass der Lebensstandard auf dem Inselstaat wesentlich höher ist.

Um das Jahr 1200 lebten in China bereits über 70 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der gesamten Menschheit. Zur gleichen Zeit, also im europäischen Hochmittelalter, hatte England nur rund drei Millionen und Deutschland etwa elf Millionen Einwohner. Zugleich war China aufgrund seiner Einwohnerzahl lange Zeit auch die größte Volkswirtschaft der Welt. Dies änderte sich erst nach 1750.

Zwar begann damals in China – wie auch in Europa – eine Phase raschen Bevölkerungswachstums, aber durch die Industrielle Revolution wurden zuerst Westeuropa, dann die USA und schließlich auch Japan wohlhabender. Bis zum Jahr 2021 stieg die Zahl der Chinesen weiter an und erreichte schließlich den Rekordwert von 1,43 Milliarden. Doch das war der Wendepunkt. 

Historische Wende

Seither geht es bergab, und der Rückgang wird sich in den kommenden Jahrzehnten extrem beschleunigen. Prognosen gehen davon aus, dass es zum Ende des 21. Jahrhunderts höchstens halb so viele Chinesen geben wird wie heute. Ein derart rapider Rückgang ist in der demografischen Geschichte beispiellos und wird China vor erhebliche Probleme stellen.

Ein derart rapider Rückgang ist in der Geschichte der Demografie beispiellos.

Doch der Reihe nach. Ab dem 18. Jahrhundert wuchs Chinas Bevölkerung in zwei Schüben: zwischen 1700 und 1850 und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazwischen lag eine durch Not, Kriege und politische Umbrüche geprägte Phase, in der China seine führende Position in Asien und der Welt verlor, während die europäischen Kolonialmächte einschließlich Russland sowie Japan in China das Sagen hatten.

Erst sechs, dann eins 

Nach der Machtübernahme durch Mao Zedong und seiner Kommunistischen Partei propagierte das Regime sechs Kinder pro Familie. Mao wollte China durch die schiere Überzahl an Menschen zurück in eine geopolitisch zentrale Rolle führen. Das ging zunächst schief. Zwar bekamen die Chinesinnen im Schnitt sechs Kinder, aber während der überstürzten Industrialisierung ländlicher Räume wurde die Agrarwirtschaft vernachlässigt, und rund 30 Millionen Menschen verhungerten. Zwischen 1959 und 1961 schrumpfte die Bevölkerung. Insgesamt verdoppelte sich jedoch die Einwohnerzahl Chinas zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 1982 auf eine Milliarde.

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Zahlen & Fakten

Schon bald nach Maos Tod erfolgte der nächste radikale Schwenk. Deng Xiaoping und seine Mitstreiter machten nun das rasche Bevölkerungswachstum für Armut, Rückständigkeit und ökologische Probleme verantwortlich. Daher forderte die politische Führung die Bevölkerung ab Mitte der 1970er-Jahre auf, erst spät zu heiraten und nur zwei Kinder zu bekommen. Ab 1980 galt im Prinzip sogar ein Limit von einem Kind. Tatsächlich sank die Familiengröße bis 1990 auf unter zwei Kinder und erreichte 2022 mit 1,1 Kindern pro Frau das historisch niedrigste Niveau.

Junge Bevölkerung 

Weltweit ist die Kinderzahl pro Frau nur in Korea, Taiwan und Singapur niedriger. Tatsächlich erlebte China in dieser Zeit ein nie dagewesenes Wirtschaftswachstum. Doch kaum jemand würde heute behaupten, dass sich dieser Boom der erst 2016 offiziell beendeten Ein-Kind-Politik verdankt.

Trotz rasch sinkender Kinderzahl pro Familie wuchs Chinas Bevölkerung bis 2022 auf über 1,4 Milliarden. Verantwortlich dafür waren die vielen Geburten der 1950er-, 1960er- und frühen 1970er-Jahre. Die bewirkten, dass noch über Jahrzehnte viele junge Menschen erwachsen wurden, heirateten und ein Kind bekamen. Das ergab in Summe immer noch viele Geburten pro Jahr. Zugleich gab es aufgrund der günstigen, weil jungen Altersstruktur nur wenige Sterbefälle.


Manche Experten vermuten, dass Chinas Bevölkerung schon länger schrumpft und dies nicht öffentlich gemacht wurde

Chinas demografische Zukunft sieht radikal anders aus. Laut offiziellen Angaben schrumpfte die Bevölkerung erstmals im Jahr 2022. Manche Experten vermuten allerdings, dass dies schon länger der Fall ist und aus Propaganda-Gründen nicht öffentlich gemacht wurde. Tatsächlich würden in China heute nur 1,3 Milliarden Menschen leben. Jedenfalls ist Indien nun das bevölkerungsreichste Land der Welt. Die Schrumpfung der chinesischen Bevölkerung wird weitergehen. Bis zum Ende des Jahrhunderts dürfte sich die Einwohnerzahl halbieren. 

800 Millionen weniger

Berechnungen der UN-Bevölkerungsabteilung erwarten bis 2100 einen Rückgang auf weniger als 770 Millionen Einwohner. Eine Prognose der Akademie für Sozialwissenschaften in Schanghai rechnet für das Jahr 2100 mit nur noch 587 Millionen Chinesen – über 800 Millionen weniger als heute. Die Ursachen dafür sind vielfältig. 

Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich die niedrige Kinderzahl pro Familie wieder erhöhen könnte, auch wenn Partei und Staatsführung nun dazu aufrufen. Offiziell gelten in China seit 2016 zwei Kinder und seit 2021 sogar drei Kinder als Ziel. Das Beispiel Südkoreas (0,82 Kinder pro Frau) zeigt, dass es sogar noch weiter abwärts gehen könnte.

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Zahlen & Fakten

Ab den 1980er-Jahren wurden gezielt Schwangerschaften abgebrochen, wenn das Ungeborene ein Mädchen war. Die klare Präferenz der chinesischen Eltern für Söhne bedeutet nun einen Männerüberschuss von etwa 40 Millionen. Für etliche Männer ist es daher schon statistisch schwierig, eine Partnerin zu finden, mit der sie eigene Kinder bekommen könnten.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Frauen, die bewusst unverheiratet bleiben wollen. All dies wird zukünftig zu noch weniger Geburten führen. Die Abkehr von der strikten Ein-Kind-Politik bewirkt allerdings, dass der durch selektive Abtreibungen entstehende Knabenüberschuss kleiner wird. Die geburtenstarken Jahrgänge 1962–1990 werden alt. Nach 2040 wird die jährliche Zahl der Sterbefälle deutlich steigen und die demografische Schrumpfung beschleunigen.

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Zahlen & Fakten

China registriert seit Jahrzehnten mehr Auswanderer als Einwanderer (wobei es sich bei Letzteren überwiegend um Rückkehrer sowie um chinesischstämmige Personen aus Taiwan und Südostasien handelt). Für Nicht-Chinesen ist eine dauerhafte Niederlassung politisch und sozial unerwünscht und somit kaum möglich. Ähnlich wie Japan orientiert sich auch China am Ideal einer ethnisch homogenen Gesellschaft. Immigration aus anderen Teilen der Welt, die klassische Einwanderungsländer wie die USA, Kanada und Australien demografisch wachsen lässt und in Westeuropa zumindest als Alternative zum Arbeitskräftemangel akzeptiert ist, stellt somit für China auf absehbare Zeit keine Option dar.

Soziale Folgen 

Der Verlust von mehr als der Hälfte der eigenen Bevölkerung innerhalb von nur 75 Jahren wird für China erhebliche Konsequenzen haben: Sozialpolitisch dürfte – allem voran – die Alterssicherung Probleme machen, sobald die starken Jahrgänge der ab 1962 Geborenen in Rente gehen oder zumindest von ihren Kindern bzw. ihrem oft einzigen Kind versorgt werden wollen. 

Für die schwachen Jahrgänge der nach 1990 Geborenen bedeutet dies eine erhebliche Belastung. Da ein größerer Teil der arbeitenden ländlichen Bevölkerung sowie etwa 300 Millionen Wanderarbeiter nicht versichert sind, erhöht sich die finanzielle und organisatorische Verantwortung vieler Kinder, auch wenn diese längst nicht mehr am Wohnort ihrer alten Eltern leben.

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Zahlen & Fakten

Wirtschaftlich wird sich die schrumpfende Erwerbsbevölkerung am deutlichsten auswirken. Schon im Jahr 2050 wird es um 200 Millionen arbeitende Chinesen weniger geben als heute. Bis Ende des 21. Jahrhunderts dürfte das Minus 400 bis 500 Millionen betragen. Keine noch so ambitionierte Einwanderungspolitik könnte diese Lücke halbwegs ausgleichen. Ein China, in dem die Hälfte der Erwerbstätigen aus dem Ausland stammt, wird es wohl nicht geben. Damit reduziert sich Chinas Rolle als zukünftiger „Konjunkturmotor“ der Weltwirtschaft beträchtlich. 

Ein neues Japan

Geopolitisch wird Chinas schrumpfende Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten keinen Unterschied machen. Auch das ebenfalls rasch alternde und schrumpfende Russland, das über deutlich weniger Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl verfügt, stellt eine erhebliche Bedrohung für seine Nachbarn dar. 

Chinas Ziel, größte Volkswirtschaft der Welt zu werden und damit die USA abzulösen, wirkt angesichts der demografischen Entwicklung viel schwerer erreichbar. Denn die Nachfragekrise im Immobiliensektor, die wachsende Verschuldung sowie sinkende Geburtenzahlen erinnern eher an ein anderes asiatisches Land, das in den 1970er- und 1980er-Jahren die Ambition entwickelte, ganz vorn mit dabei zu sein – und dann doch zurückfiel. Es ist daher nicht unplausibel, wenn wir uns das China von morgen als zweites Japan vorstellen: keineswegs arm, aber in einer lang anhaltenden Stagnation.

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Conclusio

Die Bevölkerung Chinas wird sich laut Prognosen bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren – von heute 1,4 Mrd. Menschen auf nur noch 600 bis 800 Millionen. Ein derart schneller Rückgang ist in der Geschichte beispiellos und mehreren Faktoren geschuldet: den Nachwehen der Ein-Kind-Politik, der restriktiven Zuwanderungspolitik und dem mangelnden Kinderwunsch in der Bevölkerung. Die Folgen für China sind gravierend: Die Bevölkerung wird stark altern, viele Chinesen haben jedoch keinen Anspruch auf Pensionsvorsorge; traditionell sind die Kinder gefordert, ihre alten Eltern zu unterstützen. Die Wirtschaft dürfte durch den Rückgang an Erwerbstätigen ebenfalls an Dynamik einbüßen. Pekings geopolitische Machtposition dürfte indes erhalten bleiben, weil die Partei hier Ressourcen bündelt.

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