Neue Seidenstraße: mit Schulden gepflastert

Mit der Neuen Seidenstraße will China nicht bloß den weltweiten Handel ankurbeln. Es geht auch darum, autoritäre Soft-Power zu exportieren. Doch nicht alles läuft wie geplant.

Luftaufnahme von der Hafenstadt Lianyungang in Ostchina: Ein entscheidender Knotenpunkt auf dem Weg nach Europa, der die Transitzeit erheblich reduziert, im Herzen des mittleren Korridors der Belt and Road Initiative
Lianyungang in Ostchina: Brückenkopf auf dem Weg nach Europa des mittleren Korridors der Neuen Seidenstraße. Der Weg durch Zentralchina über Kasachstan und die Türkei reduziert die Transitzeit erheblich. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Netzwerk. Mit der „Neuen Seidenstraße” finanziert China Infrastruktur, die Handelswege durch Eurasien und Teile Afrikas verbessert.
  • Machtinstrument. Neben dem Geschäft dient sie als geopolitisches Werkzeug, um Entwicklungs- und Schwellenländer enger an sich zu binden.
  • Abhängigkeit. Die Projekte dürften nicht ohne Bedingungen vergeben werden – darunter wirtschaftliche sowie politische Zugeständnisse.
  • Unrentabel. Einige der Milliardenprojekte treiben Staaten in die Schuldenfalle, was eher auf schlechte Planung als auf Machtkalkül zurückzuführen ist.

Zum Hafen von Hambantota an der Südküste Sri Lankas wird man heute nicht mehr vorgelassen. Wachpersonal und ein Schranken verhindern die Zufahrt zu dem Projekt, das den Begriff der chinesischen „Schuldenfallen-Diplomatie“ prägte. Noch bevor Xi Jinping 2013 offiziell den Start der „Neuen Seidenstraße“ bekanntgegeben hatte, waren Kredite in Milliardenhöhe für den Bau eines neuen Tiefseehafens geflossen. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit für den Hafen gab es nur bedingt. Die Hauptstadt Colombo mit großen Container-Kapazitäten liegt 200 Kilometer nördlich.

Weiße Elefanten 

So war es wenig verwunderlich, dass die Profitabilität des neuen Hafens weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Die Regierung von Sri Lanka saß nun aber auf einem Schuldenberg von 1,8 Milliarden US-Dollar. Das Land geriet in Zahlungsschwierigkeiten, und 2016 „einigte“ man sich darauf, den Hafen von Hambantota für 99 Jahre an China zu verpachten.

Es wäre naiv, zu glauben, das chinesische Geld käme ohne Bedingungen.

Das Projekt wurde so zum Menetekel für die Neue Seidenstraße oder „Belt and Road Initiative“: China mache sich die Welt mit seinem Geld untertan, lautet die breite Kritik aus dem Westen. Es binde Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika über vermeintlich großzügige Kredite an sich und stürze diese in eine Schuldenabhängigkeit. 2018 warnte die australische Entwicklungsministerin Concetta Fierravanti-Wells vor „Weißen Elefanten im Pazifik“ – eine Metapher für Projekte, die viel Geld kosten, aber wenig Nutzen bringen. Barack Obama hatte schon 2015 in einem Interview mit der BBC auf Chinas Strategie hingewiesen, sich gegen Geld die Rohstoffe Afrikas zu sichern. Doch so einfach ist es nicht. 

Prestigeprojekt

So verführerisch und zutreffend das Bild vom boshaften Geldverleiher in manchen Fällen sein mag – es greift zu kurz. Für Peking ist die Neue Seidenstraße nur dann ein Erfolg, wenn sie tatsächlich für alle Beteiligten ein Gewinn ist. Denn überschuldete Staaten werden auch für Peking zum Problem, wenn die Zahlungsschwierigkeiten in Insolvenzen münden. Ein profitabler Hafen oder eine Zugstrecke, die Gewinn abwirft und Politiker und Einwohner des Landes zufrieden macht, ist wesentlich mehr wert als eine Bauruine und eine Regierung, die vor dem Bankrott steht und um Umschuldung bittet. Zudem sind unzufriedene Menschen, deren Lebensgrundlage durch chinesische Großprojekte zerstört wurde, keine guten Konsumenten chinesischer Waren.

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Zahlen & Fakten

Karte mit Informationen zur Neuen Seidenstraße. Die Karte ist Teil des Dossiers Was China wirklich will.

Naiv wäre es allerdings auch, anzunehmen, das chinesische Geld käme ohne Bedingungen und habe als alleiniges Ziel, den globalen Handel zu fördern – so wie es die chinesische Propaganda gerne in die Welt posaunt. Tatsache ist, dass sich unter den Empfängern der chinesischen Kredite auffallend viele autoritäre Regime oder zumindest fragile Demokratien befinden, die in globalen Rankings der Menschenrechte oder Pressefreiheit weit unten stehen. Es ist definitiv nicht Anliegen der Kommunistischen Partei Chinas, die Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten zu fördern. 

Gekauftes Schweigen?

Schaut man sich die UN-Vollversammlung an, fällt auf, dass die Empfängerländer entlang der Neuen Seidenstraße beständig im Sinne Chinas abstimmen. Am klarsten zeigt sich dies bei den Themen Taiwan und den Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang. Das Schweigen von Staatsführern der islamischen Welt, die sonst keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, um die moslemische Solidarität zu beschwören, wenn es der eigenen Popularität nutzt, ist auffällig.

Es lässt sich nicht beweisen, ist aber doch naheliegend, dass das Geld aus Peking eben nicht so bedingungslos kommt, wie es manche Empfänger gerne darstellen. Zudem knüpfen die Chinesen die Zusage von Krediten daran, dass die Empfänger Taiwan die diplomatische Anerkennung entziehen.

Luftaufnahme von Piräus, Athens Hafen, mit Container-Verladeterminals. Das Bild illustriert einen Beitrag über Chinas Neue Seidenstraße.
Container werden am Hafen von Piräus in Athen verladen, der seit 2016 vom chinesischen Mehrheitseigentümer Cosco betrieben wird. © Getty Images

Dass Peking mit den Projekten der Neuen Seidenstraße Staaten wirklich bewusst in eine Schuldenabhängigkeit treibt, ist aber unwahrscheinlich. Im Falle von Sri Lanka ist dies geschehen und führte zur Preisgabe von Staatseigentum. Auch in anderen Staaten wie Kenia gibt es Indizien dafür. Und doch wirken die immens hohen Kredite, die China in den vergangenen zehn Jahren global verteilte, nicht wie ein von langer Hand geplanter Versuch, andere Staaten in die Abhängigkeit zu treten.

Zutreffend ist wohl eher, dass sie mit zu wenig Sorgfalt vergeben wurden. Die zu hohen Renditeerwartungen beim Hafen in Sri Lanka oder bei der Zugstrecke in Kenia dürften vor allem das Resultat schlechter Planung sein. „Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, was wirklich die Absicht der Neuen Seidenstraße war“, sagt Jacob Gunter, Senior Analyst bei MERICS. „Ich würde aber sagen, dass Peking mehr daran interessiert ist, freundlichen Einfluss auszuüben und eine gute Investitionsrendite zu erzielen als an einer negativen Dominanz.“ 

Kater nach Baurausch

Darauf deuten auch die zahlreichen Geisterstädte und Brücken ins Nirgendwo hin, die im eigenen Land errichtet wurden. China befand sich im vergangenen Jahrzehnt in einem Baurausch, und erst jetzt beginnt sich der Kater abzuzeichnen. So gesehen sind die Milliarden für Infrastrukturprojekte an der Seidenstraße eben auch Teil der Immobilienblase im Inland. Dass große Projekte – wie zum Beispiel eine Eisenbahnstrecke ins Innere Afrikas – einfach nicht fertig gebaut werden, deutet auf eine Hypothese hin: China hat schlecht geplant und jetzt kein Geld mehr.

Die schlechte Finanzplanung vieler Großprojekte zeigt sich auch in China selbst: Im Jänner 2023 überraschte eine Meldung, wonach China Railway, der staatliche Betreiber des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes, einen Schuldenberg von 900 Milliarden US-Dollar angehäuft hat. Die gewaltige Summe entspricht fünf Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung. Natürlich hat ein Zugnetz auch positive Effekte auf eine Volkswirtschaft, die sich nicht so leicht quantifizieren lassen. Doch deutet diese absolut wie relativ absurd hohe Summe eher darauf hin, dass Peking auf der Neuen Seidenstraße wohl eher das eigene Entwicklungsmodell mit all seinen Fehlern und Schwächen exportiert, als bewusst andere Staaten in eine Schuldenfalle zu stürzen. 

Wachsende Imageprobleme

Hinzu kommen zahlreiche Fehler, schlechte Planungen und Kurzsichtigkeit auf der Mikroebene. Dass chinesische Staatsunternehmen in den Empfängerländern rabiat und ohne jedes Verantwortungsbewusstsein auftreten, mag kurzfristig die Kosten senken. Langfristig aber steigt der Preis in Form von Unzufriedenheit, Aufständen oder einfach nur einem schlechten Image chinesischer Unternehmen. 

Korruption mag kurzfristig zu Resultaten führen, langfristig aber beschädigen Zahlungen an halbseidene Politiker nur das Vertrauen der Menschen.

Auch die Korruption, die mit vielen der Projekte verbunden zu sein scheint, mag kurzfristig Türen öffnen und zu schnelleren Resultaten führen. Langfristig aber beschädigen Zahlungen an halbseidene Politiker nur das Vertrauen der Menschen in ihre eigenen und die chinesischen Machthaber. Das Projekt kann nur im Sinne Chinas funktionieren, wenn es in den Empfängerländern auf Akzeptanz stößt, statt zu Staatsbankrotten, Umweltschäden und Enteignungen zu führen. 

Am Ende entscheidet über den Erfolg der Neuen Seidenstraße nicht Peking allein. Die Kommunistische Partei hält insgesamt wenig von multilateralen Organisationen und Vereinbarungen. Konflikte wie zum Beispiel die Streitigkeiten um unbewohnte Inseln im Südchinesischen Meer will Peking stets bilateral lösen, weil die Volksrepublik dann ihr ganzes Verhandlungsgewicht einbringen kann, anstatt sich mit vielen Parteien an einen Tisch setzen zu müssen. Dieses Vorgehen zeigt sich auch bei der Schuldenproblematik. Anstatt dem „Pariser Club“ beizutreten, der wichtigsten Organisation für internationale Zahlungsprobleme, besteht Peking darauf, die Probleme in Einzelverhandlungen zu lösen. 

Club für Autoritäre

Tatsache ist eben auch, dass in vielen Teilen der Welt eine hohe Nachfrage nach Krediten und Wirtschaftswachstum herrscht, während Politiker dieser Länder mit autoritären Regierungsformen liebäugeln. Diese Bedürfnisse nutzt Peking geschickt aus. Auf der Neuen Seidenstraße wird auch autoritäre „Soft Power“ exportiert. Im vergangenen Jahr eröffnete Peking im afrikanischen Tansania eine „Schule“, in der afrikanische Politiker die Vorteile des autoritären Einparteien-Systems nach chinesischem Vorbild kennenlernen sollen. Nachahmung wäre wohl erwünscht.

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Conclusio

Mit der „Neuen Seidenstraße“ oder englisch „Belt and Road Initiative“ (BRI) finanziert und baut China vor allem Transportinfrastruktur für Handelswege durch Eurasien und Teile Afrikas. Doch es geht nicht nur ums Geschäft. Die Milliardenprojekte dienen der Kommunistischen Partei auch als geopolitisches Werkzeug, um Entwicklungs- und Schwellenländer enger an sich zu binden. Für Beobachter ist klar: Peking vergibt das Geld nicht ohne Bedingungen – seien es wirtschaftliche oder politische Zugeständnisse. Allerdings sind einige der Projekte kommerziell kein Erfolg und treiben die beteiligten Staaten mitunter in die Schuldenfalle. Das dürfte weniger an Pekings Machtkalkül liegen, vielmehr zeigt sich, dass China bei der Seidenstraße – ähnlich wie bei Projekten im eigenen Land – oft ohne kluge Finanzplanung agiert.

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