So stark ist Chinas Heer

China hat enorm in sein Militär investiert und besitzt bereits mehr Schlachtschiffe als die USA. Nicht nur der Konflikt um Taiwan könnte eskalieren.

Zwei chinesische Soldaten mit Laser-Tag-Gewehren laufen während einer Übung über einen Sandstreifen. Aus dem Helm des Vordermanns steigt roter Rauch auf, der ihn als ausgeschaltet markiert.
Chinas Marine und Armee übten im Vorjahr über mehre Tage den gemeinsamen Einsatz in der Provinz Fujian. Rauch steigt aus den Helmen von „getöteten“ Soldaten auf. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Gefahrenlage. China hat 14 Nachbarstaaten, davon vier mit Nuklearwaffen und zahlreiche ungeklärte Grenzstreitigkeiten.
  • Parteisoldaten. Die Volksbefreiungsarmee untersteht direkt der Kommunistischen Parteiführung und dient deren Machterhalt.
  • Marine. China hat seine Flotte stark ausgebaut und mittlerweile zahlenmäßig deutlich mehr Kriegsschiffe als die USA.
  • Blockadehaltung. China erhöht den Druck auf Taiwan, indem sich Schiffe und Kampfjets den Hoheitsgewässern und dem Luftraum nähern. 

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, wie prekär Chinas Lage ist: Die Volksrepublik ist eine Landmacht mit einem der schwierigsten geopolitischen Umfelder der Welt. An der 22.000 Kilometer langen Landgrenze befinden sich 14 Nachbarn – darunter mit Indien und Pakistan sowie Russland und der erratischen Diktatur in Nordkorea vier Nuklearwaffenstaaten. Entlang der Küstenlinie von über 18.000 Kilometern liegen weitere sechs Nachbarstaaten und die vorgelagerten Streitkräfte der USA, die in Japan und Südkorea der nuklearen Abschreckung dienen.

Die strategische Rivalität zwischen den USA und China verfestigt sich zusehends zu einem strukturellen Weltkonflikt mit einem großen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Risikopotenzial. Die Konsequenzen können dramatisch sein. 

Globale Strategie 

Chinas Geschichte war immer voller Widersprüche. Sie ist von Aufstieg und Niedergang, Krieg und Frieden, von Hunger und Reichtum, von Kapitalismus und Kommunismus geprägt. Das Reich der Mitte wurde in den letzten Jahren eine scheinbar unaufhaltsam expandierende Großmacht und aus guten Gründen immer selbstbewusster. Mittlerweile erhebt Peking nicht nur auf Taiwan und das Südchinesische Meer „historische“ Ansprüche, sondern bezeichnet sich sogar – ohne einen Funken Selbstironie – als „naher Arktisstaat“, weil es eine globale Strategie und Ressourcenpolitik verfolgt.

Xi ist auch bereit, Risiken einzugehen. Er will mittels Großmachtdiplomatie einen neuen Typ der Beziehungen mit den USA schaffen.

Unter Präsident Xi Jinping betreibt China aktivistische Außenpolitik und seine Diplomaten häufig eine aggressive „Wolfskriegerdiplomatie“ – der in China positiv konnotierte Begriff leitet sich von einem beliebten Actionfilm ab. Xi ist auch bereit, Risiken einzugehen. Er will mittels Großmachtdiplomatie einen neuen Typ der Beziehungen mit den USA schaffen. Die Strategie soll in höchstem Maße chinesischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen dienen. In scharfen nationalistischen Tönen hat der Präsident zum Aufbau eines starken China aufgerufen. Nichts könne das Land vom Wiederaufstieg in der Welt abhalten. Man sei „entschlossen, den blutigen Kampf gegen unsere Feinde zu kämpfen“. China werde in der neuen Ära unter seiner Führung den Aufbau moderner Streitkräfte „von Weltklasse“ beschleunigen. 

Hochgerüstet

Die Volksbefreiungsarmee ist mit einer Personalstärke von 2,2 Millionen und 660.000 paramilitärischen Angehörigen eine der größten Armeen der Welt. Die stärkste Truppengattung ist nach wie vor das Heer, gefolgt von Marine und Luftwaffe, die seit 2015 im Verhältnis zum Heer an Stärke gewonnen haben. 

Eine weitere Teilstreitkraft bildet die frühere „Zweite Artillerie“ des Heeres, der auch die Trägersysteme für chinesische Nuklearwaffen zugeordnet sind; die Raketentruppe wurde 2015 als eigene Teilstreitkraft neu aufgestellt. Außerdem gibt es eine Teilstreitkraft für Cyber- und Weltraumaktivitäten und ähnlich den Streitkräften der USA auch eine – noch im Aufbau befindliche – Marineinfanterie, die eine wichtige Rolle bei einer potenziellen Invasion Taiwans einnehmen dürfte.

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Zahlen & Fakten

Die Streitkräfte der Volksrepublik unterstehen entsprechend der von Mao begründeten revolutionären Tradition der Kommunistischen Partei, deren Macht die Armee zu sichern hat. Notfalls gehen sie auch gegen die eigene Bevölkerung vor, wie die gewaltsame Niederschlagung der Proteste auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ am 4. Juni 1989 zeigte. Tatsächlich stützte das Militär schon im China der Kaiserzeit die Bürokratie und die Stabilität der Zentralmacht. In der Kaiserzeit ebenso wie unter der Herrschaft von Nationalisten und Kommunisten hatte die Armee stets die Aufgabe, die Einheit des Landes zu gewährleisten. Auch heute sind in der Unruheprovinz Xinjiang mehr Truppen zur Wahrung der inneren Sicherheit stationiert als in Zeiten, in denen eine Aggression von außen durch die Sowjetunion möglich schien. 

China will sich den Traum einer „großartigen Wiedergeburt“ erfüllen, und wie einst in Berlin unter Kaiser Wilhelm heißt es in Peking unter Xi, dass die Zukunft auf dem Wasser liegt. Das kaiserliche Deutschland machte auf seinen Trockendocks in Kiel und Wilhelmshaven einen Lärm, als gelte es, interkontinentale Großoffensiven vorzubereiten. China arbeitet lieber im Stillen und Verborgenen; dennoch hat das Land den Erzrivalen USA bei Schiffstypen und Stückzahlen bereits überholt.

Weltgrößte Flotte

Anfang des 20. Jahrhunderts galten Schlachtschiffe als mächtiges Statussymbol, heute sind es Flugzeugträger: China baut gerade den zweiten selbst entwickelten Träger, weitere werden folgen. Derzeit verfügt die Volksrepublik über mehr als 350 Kriegsschiffe und damit über die größte Flotte der Welt. Es wird erwartet, dass Chinas Marine bis 2025 auf über 400 Schiffe und bis 2030 auf rund 450 Schiffe wächst. Aber noch ist die chinesische Marine – selbst bei andauernder Ausbildung und Übungsbetrieb – qualitativ nicht der US-Marine ebenbürtig.

So viele Kriegsschiffe benötigt man nicht zur nationalen Küstenverteidigung, sondern zur regionalen und globalen Machtdemonstration.

So viele Kriegsschiffe benötigt man nicht zur nationalen Küstenverteidigung, sondern zur regionalen und globalen Machtdemonstration. China strebt eine hegemoniale Großmachtrolle in Asien an, und diese hat eine entscheidende maritime Dimension. Peking will die USA als Seemacht aus dem Westpazifik verdrängen und entwickelt sich deshalb von einer Landmacht zu einer hybriden Land-See-Macht. 

Historische Zäsur

Es ist keine Übertreibung, die chinesische Expansion im pazifischen Raum als historische Zäsur zu bezeichnen. Bislang wird die Großmachtrivalität zwischen den USA und China auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene sowie im Cyber- und Informationsraum ausgetragen. Doch es gibt zu viele Krisen und Konflikte mit Eskalationspotenzial, an denen beide beteiligt sind, um eine militärische Auseinandersetzung in Zukunft auszuschließen. Das betrifft die andauernde Korea-Krise ebenso wie eine Konfrontation im Falle einer eskalierenden Taiwan-Krise oder den Streit im Ostchinesischen Meer um die unbewohnten Senkaku-Inseln, die von Japan verwaltet, aber auch von China sowie Taiwan beansprucht werden. All diese Konflikte sind maßgeblich maritim geprägt.

Das Deck des Marineschiff „Qi Jiguang“  mit Matrosen in Reih und Glied bei eienem Besuch in den Philippinen. Auf einem Banner stand: „Selbst Berge und Meere können Völker nicht entzweien, die sich Ziele und eine Vision teilen.“
Trotz territorialer Streitigkeiten besuchte im Juni das chinesische Marineschiff „Qi Jiguang“ die Philippinen. Auf einem Banner stand: „Selbst Berge und Meere können Völker nicht entzweien, die sich Ziele und eine Vision teilen.“ © Getty Images

China hat den militärischen Druck auf Taiwan stetig erhöht, indem sich Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge den Hoheitsgewässern und dem Luftraum Taiwans in den letzten Jahren immer mehr genähert haben, um die Wachsamkeit und die Reaktion der taiwanesischen Verteidigung zu testen. Chinas Streitkräfte operieren auch immer häufiger in den Gewässern vor der Ostküste der Insel. Seine zunehmende Präsenz dort signalisiert die Absicht, Seeräume zu kontrollieren, die für die Verteidigung der Insel entscheidend sein könnten, falls die USA einschreiten. 

Im Vergleich zu den beiden großen Kernwaffenmächten USA und Russland hat China ein bescheidenes nukleares Arsenal. Anders als im Falle der rapiden konventionellen Aufrüstung hat China seine Atomwaffensysteme in der Vergangenheit nur langsam und in kleinen Stückzahlen modernisiert. Dies legt die Vermutung nahe, dass Peking keine Gleichrangigkeit mit der weit größeren Nuklearwaffenkapazität Russlands oder der USA anstrebt und einen symmetrischen Rüstungswettlauf vermeiden will.

Neue Waffensysteme

Allerdings betreibt die chinesische Führung in jüngster Zeit eine ambitionierte asymmetrische Nuklearrüstung. Neben landgestützten ballistischen Langstreckenraketen mit nuklearen Mehrfachgefechtsköpfen entwickelt China Hyperschall-Waffensysteme und rüstete auch Unterseeboote mit strategischen Nuklearwaffen aus. Deren Raketen können bald auch die USA erreichen, selbst wenn sie vom Südchinesischen Meer aus gestartet werden. 

Was noch vor wenigen Jahren eine gewagte These gewesen wäre, scheint sich heute zunehmend zu bestätigen: Es herrscht Kriegsgefahr im Pazifik.

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Conclusio

Zur Verteidigung des Territoriums benötigt China – anders als die USA – große Landstreitkräfte: Umgeben von 14 teils nuklear gerüsteten Staaten unterhält die Volksrepublik an allen potenziellen Fronten Truppen und Stützpunkte. Die Volksbefreiungsarmee untersteht der Kommunistischen Partei und hat mit 2,2 Millionen Angehörigen die größte aktive Truppe der Welt. Unter der Führung von Xi Jinping begann China, sich von einer reinen Land- auch zu einer Seemacht zu entwickeln, und baute die weltgrößte Flotte auf. Chinas Marine ist viel stärker, als dies zum Schutz der eigenen Küste nötig wäre. Sie dient Peking dazu, Macht im Pazifik zu demonstrieren und Druck auf die Anrainerstaaten, vor allem Taiwan, auszuüben. Zugleich erweitert China seine nukleare Abschreckung mit Waffen, die US-Territorium erreichen können.

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