„In China denkt man flexibler“

Andere Kulturen, andere Geschäftspraktiken: Der Unternehmer Hans-Michael Jebsen arbeitet bereits seit den 1980er Jahren in China und erzählt im Interview von seinen Erfahrungen in der chinesischen Wirtschaftswelt.

Skyline von Hongkong
Hongkong ist eines der wirtschaftlichen Zentren Chinas. © Getty Images

Welche kulturellen Eigenschaften hat China? Wie unterscheidet sich Hongkong?

Hans-Michael Jebsen: China zeichnet sich durch einen starken Gemeinschaftsgeist aus, der sich aus der Familie auf die gesamte Gesellschaft projiziert. Jeder fühlt sich als selbstverständliches Glied in einer Gemeinschaft gegenseitiger Verantwortung. Der Unterschied zu Hongkong besteht insbesondere darin, dass sich in Hongkong durch die Berührung mit der westlichen Kultur und Lebensart eine größere Hinwendung zur Individualität zeigt sowie eine selbstverständliche Internationalität und Globalität des Denkens. Als Welthandelszentrum hat Hongkong in ähnlicher Form wie andere Welthandelszentren in der Welt einen hohen Anteil an gesellschaftlicher Diversität, die in dieser Form für China einmalig ist.

Auf welche Gepflogenheiten sollten Europäer in China achten?

Insbesondere der chinesische Ehrbegriff sowie Respekt gegenüber Hierarchien und Ehrfurcht vor dem Alter sind wichtige Grundvoraussetzungen zum Verständnis der chinesischen Gepflogenheiten. Es gibt ein chinesische Sprichwort, das lautet „Trinkst Du Wasser, gedenke der Quelle!“. Ein zu forsches oder gar aggressives oder sogar kontroverses Auftreten wird in China nicht geschätzt. Man tastet sich Stück für Stück an die jeweilige Position des Gegenübers heran, immer unter Wahrung von Höflichkeit und Etikette, im Bemühen, einen tauglichen Kompromiss zu erreichen, der eine innere Flexibilität enthalten muss, der auf die Veränderungen der Rahmenbedingungen Rücksicht nimmt.

Welche Aspekte der chinesischen Kultur haben Sie besonders überrascht?

Mich haben besonders überrascht die völlig selbstverständliche Bereitschaft der Ein- und Unterordnung in einem nicht nur familiären, sondern überhaupt hierarchisch vorgegebenen Rahmen. Ebenfalls beachtlich ist die Bereitschaft des Einzelnen, sich für Belange der Gemeinschaft auch freiwillig einzusetzen sowie in Generationen zu denken. Empathie in Verbindung mit Dingen, die das eigene Land betreffen, ist ausgesprochen ausgeprägt. In Notsituationen ist die Bereitschaft zu helfen legendär. Hongkong gehört so zu einem der Plätze mit der schnellsten und größten Bereitschaft, auch bei internationalen Kalamitäten wie Naturkatastrophen etc. helfend einzuspringen.

Foto von Hans Michael Jebsen
Hans Michael Jebsen ist seit 2000 Vorstandsvorsitzender der internationalen Handelsfirma Jebsen Group. Das Unternehmen wurde 1895 in Hongkong gegründet und ist einer der führenden Markenentwickler im Großraum China. © Jebsen Group

Worauf legen Chinesen besonderen Wert im Umgang mit Menschen?

Zunächst ist da der Respekt, der sich nicht nur passiv, sondern aktiv gestaltet. Der Begriff Gesicht ist die Wurzel eines respektvollen Miteinander-Umgehen-Wollens. Offene Konflikte sind zu vermeiden. Man möchte das Tischtuch nicht zerreißen, sondern jeweils eine Grundlage für einen gemeinsamen Weg auch in schwierigen Situationen erzielen.

Wie ist der Umgang mit Autoritäten und Vorgesetzten?

Entsprechend der oben festgestellten Rahmenbedingungen ist hierarchische Ein- und Unterordnung von großer Bedeutung. Autoritäten jeglicher Art sind mit dem gehörigen Respekt zu behandeln. Dies ist auch die Erwartungshaltung der staatlichen Autoritäten.

Was können wir Europäer von der chinesischen Kultur lernen?

Wir Europäer denken sehr leicht in starren Kategorien. In China ist man da flexibler und orientiert sich an den sich verändernden Realitäten. So ist der Geist von Verträgen wichtiger als der Buchstabe. Es ist eine hohe Bereitschaft zu Flexibilität, Dynamik und Entgegenkommen gefragt, die wiederum ein hohes Maß an Dialog voraussetzt, um den Status Quo des Vertragspartners gewissermaßen fortwährend zu erspüren.

Welche kulturellen Besonderheiten beeinflussen die chinesische Geschäftswelt?

Vertrauen. Vertrauen muss aufgebaut werden, kann nicht vorausgesetzt werden und ist daher stark verbunden mit einer zeitlichen Dimension. Dann ist da ein hohes Maß an Unantastbarkeit von nationalem Empfinden. Überhaupt ist chinesisches Empfinden gegenüber allen chinesischen kulturellen Werten von hoher Emotionalität geprägt. Hierauf ist in jeder Form zu jeder Zeit zu achten und Rücksicht zu nehmen. In China hat man ein langes Gedächtnis. Auch Dankbarkeit gehört dazu. Freundschaft will erarbeitet werden und bedarf der ständigen Pflege. Freunde von Freunden sind Freunde, das ist so ganz selbstverständlich. Entsprechend ist die Erwartungshaltung gegenseitiger Achtung und Behandlung.

Was macht Hongkong als Unternehmensstandort attraktiv?

Zunächst ist da die geografische Lage, das in China nur in Hongkong praktizierte Common Law und die Brückenfunktion zum chinesischen Mutterland. Hongkong hat eine selbstverständliche Internationalität im Denken sowie die größte Vielfalt des Dienstleistungsangebots innerhalb Chinas. Hierzu zählen die logistischen Zentren, die Hongkong zu einem der natürlichen Katalysatoren des Welthandels machen. Es gehört hierzu auch das große Vertrauen, das man international in die Funktionalität und die „Lieferfähigkeiten“ Hongkongs setzt. Dies hat zu tun mit dem „Mindset“ der Hongkonger Wirtschaftsteilnehmer, die international einen Ruf hoher Verlässlichkeit genießen.

Welchen Einfluss hat der Staat auf die Geschäftstätigkeit?

Der Staat ist in China die unabdingbare Grundlage der Gesellschaft und damit ein ganz zentraler Partner in allen Aspekten wirtschaftlichen Handelns.