Ist Demokratie besser bei Seuchen?
Chinas Zero-Covid-Politik ist gescheitert. Demokratie hilft gegen Seuchen. Sie funktioniert zwar nicht perfekt, kommt aber besser mit Problemen zurecht. Das ist auch gut so.
Es ist vermutlich das größte medizinische Experiment, das es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat. Die Versuchsanordnung ist relativ einfach: Man nehme rund 1.4 Milliarden nur unzureichend durch lokale Impfstoffe immunisierte Chinesen und setze sie ohne besondere Schutzmaßnahmen einem Virus namens „Sars-Cov 2“, landläufig auch Corona genannt, aus. Dann wartet man ein paar Wochen und sieht, was passiert.
China versucht nach dem Ende seiner gescheiterten „Zero-Covid“-Strategie, die das ganze Riesenreich zeitweise in ein monströses Gefängnis verwandelt hatte, nun genau dieses Experiment, wenn auch nicht ganz freiwillig, sondern aus Mangel an gangbaren Alternativen. Wie es ausgehen wird, weiß naturgemäß (noch) niemand, der Londoner Economist publizierte vor Weihnachten eine Simulation, der zufolge das Virus in der näheren Zukunft mindestens eine Million Chinesen umbringen wird; vermutlich deutlich mehr.
Von wegen: Effiziente Diktatur und Pandemie
Ob wir die Wahrheit je erfahren werden, ist eher ungewiss. Diktaturen wie jene in Peking sind ja nicht für ihre Neigung zu besonders transparenter Kommunikation bekannt. Schon jetzt veröffentlicht die Regierung keine täglichen Corona-Zahlen mehr und versucht, den Begriff „Corona-Erkältung“ zu etablieren.
Ziemlich sicher gescheitert, und das ist schon bemerkenswert, ist die bisher im Westen weit verbreitete These, wonach Diktaturen besser imstande seien, eine Pandemie zu bekämpfen als die diesbezüglich vermeintlich langsamen und ineffizienten liberalen Demokratien.
China zeigt gerade, dass das zwar kurzfristig so sein kann, aber langfristig schlicht und ergreifend nicht stimmt.
Denn zwar haben sich auch die westlichen Demokratien im Kampf gegen Corona nicht gerade besonders stark mit Ruhm bekleckert, doch führten die dort üblichen Checks & Balances letztlich dazu, dass Fehler korrigiert werden und sich die politischen Systeme zumindest halbwegs anpassen konnten, sobald sich die Lage an der Seuchenfront geändert hat, etwa durch das Auftauchen des harmloseren Omikron-Virus.
Der Horror aus dem Labor
In China dagegen konnte eine evident falsche Strategie dank der autoritären Herrschaft der Kommunistischen Partei viel zu lange durchgehalten werden, nicht zuletzt um der Führung in Peking einen Gesichtsverlust zu ersparen.
Mit der Folge, dass nun, da dieser Weg aus Angst vor einer Revolution der geplagten Bevölkerung nicht mehr durchzuhalten ist, das große Experiment beginnt – und mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr, sehr vielen Chinesen das Leben kosten wird.
Demokratie wirkt
Das ist traurig für China, aber gut für das letztens eher in die Defensive geratene politische Betriebssystem „Demokratie“. In einer Art larmoyanter Lust an der Selbstzerstörung ist die Demokratie ja in der öffentlichen Erörterung des Westens und seiner Eliten eher abschätzig betrachtet worden, während die unbestreitbaren Erfolge vor allem der chinesischen Autokratie die Frage aufkommen ließ, ob sich hier nicht eine ernsthafte Alternative zum dekadenten, ineffizienten und verweichlichten Westen auftut. Jenes „Ende der Geschichte“ in Form eines weltweiten Sieges der liberalen Demokratie, wie es der US-Politologe Francis Fukuyama nach dem Kollaps des Kommunismus proklamiert hatte, schien durchaus zur Disposition zu stehen.
Von wegen. Nicht nur in China, auch bei den autokratischen Genossen in Moskau und Teheran zeigte sich im vergangenen Jahr, wie wenig sie im Grunde geeignet sind, die Probleme ihrer jeweiligen Bevölkerungen zu lösen, daraus eine gewisse politische Legitimität zu schöpfen und eine ernstzunehmende Konkurrenz zur Demokratie darstellen zu können.
Die Nachricht von meinem Tod war stark übertrieben, blödelte einst der Schriftsteller Mark Twain; die Demokratie kann das derzeit auch so für sich in Anspruch nehmen.