Österreicher halten sich für ärmer als sie sind

Corona, Krieg, Inflation: Die Einkommen der Österreicher haben gelitten. Die Verluste wurden heuer wieder aufgeholt. Doch die Stimmung ist schlecht geblieben. Viele Menschen halten sich für ärmer, als sie sind.

Ein junger Mann, eine ältere Dame und eine dreiköpfige Familie sitzen in einer Achterbahn, ihnen steht der Schrecken einer turbulenten Fahrt ins Gesicht geschrieben. Das Bild illustriert einen Beitrag über die Einkommen der Österreicher.
Der Schrecken einer turbulenten Fahrt wirkt nach, ähnlich wie die Krisenjahre bei den Österreichern noch in den Köpfen stecken. © Michael Pleesz
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Auf den Punkt gebracht

  • Krisenzeiten. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf sank in Österreich zwischen 2019 und 2023 mehr als in anderen EU-Ländern.
  • Unterschiede. Die Belastung durch steigende Preise traf die Menschen nicht alle gleich, das individuelle Konsumverhalten ist maßgebend.
  • Trendwende. Mit Ende 2024 dürften die Reallöhne zwischen drei und vier Prozent über dem Niveau von 2019 liegen.
  • Ausgleich. Vor allem die ärmsten zehn Prozent profitierten von einer Reihe von staatlichen Hilfspaketen, laut Umfragen fühlen sich die Österreicher dennoch ärmer.

Müsste man die letzten vier Jahre in Österreich in einem Satz beschreiben, würde Murphys Gesetz gut passen: „Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“ Die schlechten Nachrichten häuften sich in vielen Bereichen, besonders betroffen war die Wirtschaft: Es begann mit der Corona-Pandemie, die zu einer tiefen Rezession führte und ganze Branchen – etwa den Tourismus – vorübergehend in die Knie zwang. 

Kaum hatte man sich daran gewöhnt, „mit dem Virus zu leben“, überfiel Russland die Ukraine. Die Wirtschaftssanktionen gegen den Aggressor und die darauf folgenden Reaktionen ließen die Energiekosten in lichte Höhen schießen. Das versetzte wiederum der Industrie einen schweren Dämpfer, die großteils auf eine sichere und günstige Gasversorgung angewiesen ist. 

In Summe bleibt eine unerfreuliche Erkenntnis: Der Wohlstand der Österreicher ist in den vergangenen vier Jahren geschrumpft. Die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf sank zwischen 2019 und 2023 um 1,7 Prozent. So stark waren die Einbußen in keinem anderen Land der EU. 

Nachwehen der Krisen

Fast 14 Prozent der Österreicher im erwerbsfähigen Alter gaben im Vorjahr an, mit ihrem Einkommen nur schwer über die Runden zu kommen. Im Jahr 2020 hatte das nicht einmal jeder Zehnte gesagt. Die Inflation wurde als starke Belastung empfunden. Von jenen Personen, die in der Befragung über Einkommenseinbußen berichteten, gaben 45 Prozent an, dass sie sich beim Kauf von Nahrungsmitteln, Bekleidung und Dienstleistungen einschränken müssten. Knapp 30 Prozent glichen die gestiegenen Kosten durch den Rückgriff auf Ersparnisse aus, während sich neun Prozent sogar Geld leihen mussten. 

Viele haben zwar die teilweise enormen Preissteigerungen registriert, nicht aber die ebenfalls hohen Staatshilfen und das dicke Plus auf ihrem Gehaltszettel.

Das ist alles unerfreulich genug. Doch es gibt Anzeichen, dass die Krise in den Köpfen noch schlimmer wütet als in der ökonomischen Realität. Mit anderen Worten: Viele Menschen fühlen sich ärmer, als sie sind. Sie haben zwar die teilweise enormen Preissteigerungen registriert, nicht aber die ebenfalls hohen Staatshilfen und das dicke Plus auf ihrem Gehaltszettel. 

Individuelle Inflation

Wie stark eine Person tatsächlich von den Krisen betroffen ist, hängt dabei von einer Vielzahl an Faktoren ab. Eine Person, die täglich mit dem Pkw fährt, bekommt steigende Treibstoffpreise mehr zu spüren als der treue Öffi-Nutzer. So waren Menschen in ländlichen Regionen, die mehr mit dem Auto fahren, zu Beginn stärker von der Teuerung betroffen. Im Ergebnis stiegen die Preise seit Anfang 2021 besonders stark im Burgenland (wo viele Leute ein Auto haben), mit einem Höchstwert von 12,3 Prozent im Oktober 2022, während sie in Wien am wenigsten zulegten und ihren Höhepunkt mit 10,2 Prozent im Jänner 2023 erreichten.

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Zahlen & Fakten

Unterschiede in der Inflationsbelastung ergeben sich auch durch den sozialen Hintergrund der Bürger: Bildung, Erwerbsstatus oder Haushaltskonstellation beeinflussen das Konsumverhalten. Besonders hoch lag die Inflation gerade zu Beginn der Teuerungskrise bei Menschen mit Lehre. Am Höhepunkt der Inflationswelle traf es hingegen Menschen mit Pflichtschulabschluss am stärksten. Seit Jahresbeginn  sind Akademiker und Maturanten stark betroffen. Pensionisten waren wiederum besonders zu Beginn wesentlich stärker betroffen als Menschen unter 30. Doch nicht nur die Preisentwicklung spielt bei der Leistbarkeit eine Rolle. 

Einkommen der Österreicher aufgeholt

Blicken wir deshalb auch einmal auf die andere Seite des Haushaltsbuchs, zu den Einnahmen: Es gilt in Österreich als Automatismus, dass in den Lohnrunden zumindest die laufende Inflation abgegolten wird. Meist gibt es auch noch einen Extrazuschlag. So lagen die Tariflöhne nach Abzug der Teuerung im Mai 2019 durchschnittlich um 26 Prozent über dem Niveau der Gehälter 30 Jahre zuvor.

Auch während der Corona-Pandemie konnte dieser Trend, mit Ausnahme der Tourismusbranche, fortgesetzt werden. Erst die raschen Preisanstiege in den Jahren 2022 und 2023 führten zu Verlusten bei den Beschäftigten. Durch die zuletzt sehr hohen Lohnabschlüsse wurde ein großer Teil dieser Verluste mittlerweile aber wieder aufgeholt. Schon bald werden die Einbußen zur Gänze kompensiert sein. In einigen Branchen gehören sie bereits der Vergangenheit an. 

Auch aktuelle Erhebungen der Statistik Austria zeigen diese Erholung. Knapp 50 Prozent der Befragten gaben im ersten Quartal 2024 an, dass sie Einkommenszuwächse gegenüber dem Vorjahr verbuchen konnten. Wie viel Arbeitnehmer verdienen, hängt aber nicht nur von der Entwicklung der Tarifgehälter ab; diese bilden lediglich branchenspezifische Mindestlöhne ab. Tatsächlich können die Einkommen stärker oder bei vorheriger Überzahlung auch schwächer gewachsen sein. 

Nicht zuletzt spielt die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle: Je mehr Menschen einen Job haben, desto höher die durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung. Auch hier zeigt sich, dass Vollzeitbeschäftigte über die Zeit deutlich wohlhabender geworden sind: Die preisbereinigten Löhne lagen 2019 im Schnitt um zehn Prozent über jenen von 2000. Durch die starke Inflation im Jahr 2022 gab es zwar ein Minus von 1,5 Prozent gegenüber 2019. Mit Ende des laufenden Jahres dürften die Reallöhne aber zwischen drei und vier Prozent über dem Niveau von 2019 liegen. 

Einbußen im Vorjahr

Zusammenfassend zeigen die Daten, dass die hohe Inflation gerade in den Jahren 2022 und 2023 nicht durch Lohnanpassungen kompensiert werden konnte und es tatsächlich zu Reallohnverlusten kam. Bis zum Ende des laufenden Jahres dürften diese Einbußen aber wieder weitgehend wettgemacht sein. Nicht vergessen darf man in der Gesamtschau nämlich auch die Hilfspakete des Staates, die vor allem 2022 wirkten. Es gab Einmalzahlungen, Stromkostenzuschüsse sowie Entlastungsmaßnahmen für Pendler, Erwerbstätige und Pensionisten, wobei insbesondere die ärmsten zehn Prozent profitierten. Laut Analysen des Fiskalrats kam es so im Jahr 2022 durch die Kombination von Lohnerhöhungen und staatlichen Transfers zu keinen realen Einkommensverlusten. 

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Zahlen & Fakten

Etwas anders lief es im Jahr 2023. Die staatlichen Hilfen wurden deutlich reduziert, die Inflation war aber nach wie vor hoch. Das führte tatsächlich zu einem leichten Rückgang der verfügbaren Einkommen gegenüber 2019 – was sich auch in der Armutsstatistik abbildete, allerdings weit unterhalb der subjektiven Wahrnehmung. 

Pensionen wurden angepasst

Doch wie leistbar oder unleistbar ist das Leben geworden? Beginnen wir mit der Pensionistin Helga: Sie bezog 2019 eine Bruttopension von 1.500 Euro; netto blieben ihr 18.686 Euro im Jahr. Durch laufende Anpassungen liegt ihre Pension 2024 bei monatlich rund 1.855 Euro brutto oder 23.638 Euro netto im Jahr. Das entspricht einem Zuwachs von 27 Prozent zwischen 2019 und 2024. Im gleichen Zeitraum stiegen die Preise für den typischen Konsum von Pensionisten um 25 Prozent. Tatsächlich kann sich Helga sogar etwas mehr leisten als noch vor fünf Jahren. Aufgrund der Anpassungssystematik wird sich das in den kommenden Jahren weiter verbessern. 

Löhne zogen nach

Friedrich wiederum studiert und arbeitet seit 2019 nebenbei in der Gastronomie. Auch er verdiente damals 1.500 Euro brutto im Monat oder 17.116 Euro netto im Jahr. Im Jahr 2024 lag sein Lohn bei jährlich 20.556 Euro netto und damit um 21 Prozent höher. Die spezifische Teuerung lag im Zeitraum für ihn ebenfalls bei 21 Prozent. Friedrich kann sich heuer damit genauso viel leisten wie noch vor fünf Jahren. Auch für ihn gilt, dass die kommenden Lohnanpassungen wieder zu realen Einkommenszuwächsen führen werden. 

Familieneinkommen stabil

Ein Blick auf Familie Maier: Emma und Ernst mit ihren Kindern Laura und Leon. Emma arbeitet in einer Bank und verdiente 2019 monatlich 1.700 Euro brutto. Ernst ist in der Metallverarbeitungsbranche mit einem Bruttomonatslohn von 3.300 Euro beschäftigt. Für die Kinder erhalten sie diverse Familienleistungen. Zwischen 2019 und 2024 steigt ihr verfügbares Einkommen um 24 Prozent und entspricht damit der Preisentwicklung im gleichen Zeitraum. Das Leben der Maiers ist heute so leistbar wie vor fünf Jahren. 

Politiker und Vertreter von NGOs erwecken mitunter den Eindruck, dass der Alltag in Österreich selbst für Normalverdiener kaum noch leistbar sei.

Generell gibt es eine Kluft zwischen der aufgeheizten Debatte und der Realität: Politiker und Vertreter von NGOs erwecken mitunter den Eindruck, dass der Alltag in Österreich selbst für Normalverdiener kaum noch leistbar sei. Das ist schlicht nicht wahr.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Wohnen: Stark gestiegene Mieten gelten in der allgemeinen Wahrnehmung als einer der Hauptgründe für finanzielle Schwierigkeiten, und 30 Prozent der Österreicher geben an, dass die Wohnkosten für sie eine große finanzielle Belastung seien. Tatsächlich sind die Kosten fürs Wohnen in Relation zum Einkommen in den vergangenen Jahren aber nur leicht gestiegen und liegen unter dem europäischen Durchschnittswert. 

Für alle schwieriger und teurer geworden ist der Kauf einer Immobilie. Jahrelang stark gestiegene Preise in Kombination mit der Zinswende machen die eigenen vier Wände für viele Menschen unerschwinglich. Hier wird sich die nächste Regierung wohl etwas überlegen müssen.

Die Erfüllung der meisten Bedürfnisse im Alltag können wir uns aber weiterhin leisten. Das ist die gute Nachricht nach all den Krisenjahren.

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Conclusio

Wirtschaftskrise. Die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf sank in Österreich zwischen 2019 und 2023 um 1,7 Prozent. Dass weniger Güter und Dienstleistungen produziert wurden, schlug sich kaum in den Einkommen nieder.
Gegenmaßnahmen. Dank flächendeckender Lohnerhöhungen und diverser Staatshilfen wurden Einkommensverluste in der Pandemie kompensiert. Auf die Geldspritzen folgte erst 2023 eine starke Inflation samt realen Einkommensverlusten.
Wahrnehmung. Die Mehrheit der Bevölkerung hat 2024 wieder ein höheres Realeinkommen als vor der Krise. Die finanzielle Belastung wird – verstärkt durch politische Debatten – von vielen schlimmer eingeschätzt, als sie tatsächlich ist.

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