Licht auf den Anfang des Lebens

Was an den ersten Tagen nach der Befruchtung passiert, ist immer noch ein Rätsel. Embryoide helfen nun, den Beginn des Lebens zu verstehen.

Der Genetiker Markus Hengstschläger. Er forscht derzeit an Embryoiden.
Markus Hengstschläger hat herausgefunden, dass sich ein Embryo selbst eine Membran bildet, die ihn zusammenhält. © Gregor Kuntscher

Markus Hengstschläger will nicht. Keinen Laborkittel für das Fotoshooting tragen, und auch nicht durch ein Mikroskop schauen. Mit gutem Grund: „Bei meiner Tätigkeit trage ich heute so gut wie nie einen Labormantel“, sagt er. Den ganzen Tag im Labor stehen, dort forschen und pipettieren – diese Zeiten sind für ihn lange vorbei. Hengstschläger ist mittlerweile nicht nur zum Leiter des Instituts für Medizinische Genetik aufgestiegen; er ist eines der bekanntesten Gesichter der Wissenschaft in Österreich. Er lehrt, er managt und vor allem versucht er einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen, was bei ihm am Institut alles passiert und erforscht wird.

„Ich mache das alles gerne“, sagt Hengstschläger; er hat früh erkannt, wie wichtig die Kommunikation nach außen ist: „Auch wenn es beim Gentechnik-Volksbegehren 1997 mit mehr als einer Million Unterschriften eigentlich nicht um unsere Arbeit im humanmedizinischen Bereich ging, wurde mir damals klar, dass die Wissenschaft stetig ihre Arbeit transparent erklären muss, auch um eine ethische Diskussion darüber zu ermöglichen.“ Aber loslassen wird ihn die Forschung trotzdem nie. „Sie war auch der ursprüngliche Grund, warum ich Genetik studiert habe.“ 

Vom Zellhaufen zum Menschen

Erst vor kurzem hat er eine Studie veröffentlicht, die sich damit befasst, was passiert, wenn ein Mensch entsteht. Denn über die erste Phase der Embryogenese – wenn sich also eine allererste Zelle teilt und teilt und zu einem Zellhaufen heranwächst, der irgendwann ein Mensch wird – ist kaum etwas bekannt. Wieso ist das so? „Dazu muss man wissen, dass Forschen an menschlichen Embryonen aus ethischen Gründen in vielen Ländern, wie auch Österreich, verboten ist“, erklärt Hengstschläger. „Und der zweite Faktor ist, dass man aus Tiermodellen nicht automatisch direkte Rückschlüsse ziehen kann, weil die Embryogenese zum Beispiel bei der Maus anders abläuft als beim Menschen.“ Die Kombination aus diesen beiden Faktoren hat zur Folge, dass die ersten Schritte einer Zelle auf dem Weg zum Menschen weitgehend im Dunkeln liegen.

Der Genetiker Markus Hengstschläger in einem Hörsaal.
Lehre ist nur eine der vielen Aufgaben von Markus Hengstschläger. © Gregor Kuntscher

Seit kurzem beginnt sich das zu ändern. „Seit ein paar Jahren gibt es vielleicht ungefähr zehn Labors weltweit, die aus pluripotenten Stammzellen im Labor Strukturen entwickeln, die den Ablauf früher menschlicher Embryogenese als Modell darstellen – ethisch vertretbar und rechtlich erlaubt“, sagt Hengstschläger. Sein Labor ist eines dieser wenigen, die solche Modelle mit 0,015 Zentimetern Größe und etwa 150 bis 300 Zellen herstellen können.

Eine Revolution namens Embryoid

Für die ersten neun bis zehn Tage verhält es sich genauso wie ein menschlicher Embryo – danach stoppt die Entwicklung einfach. „Man nennt diese Strukturen Embryoide“, sagt Hengstschläger. „Daraus kann sich kein Mensch entwickeln. Aber sie sind sehr gut dafür geeignet die Abläufe der Entstehung menschlichen Leben zu studieren. Es gibt jetzt quasi einen Scheinwerfer auf eine Phase des Menschen, die so noch nie im Licht war.“ 

Einen solchen Embryoiden wachsen zu lassen ist ein Knochenjob. „Das dauert in der Petrischale einige Tage – so lange, wie es auch bei einem Embryo dauert.“ All jene Prozesse, die bei einem Embryo automatisch ablaufen, müssen im Labor begleitet werden. „Man muss das Medium wechseln, bestimmte Kultivierungsbedingungen aufrechterhalten und auch laufend bestimmte Nachweise erbringen, dass es auch funktioniert hat.“ An den richtigen Schrauben zur genau richtigen Zeit drehen, egal ob das jetzt mitten in der Nacht oder am Wochenende ist.

Die Hälfte der Embryonen scheitert

Was passiert also in der Petrischale (und natürlich auch im echten Embryo)? Zunächst einmal differenzieren sich die ersten Zellen in die drei sogenannten Keimblätter: Mesoderm, Entoderm und Ektoderm. Aus diesen Zellschichten bilden sich später die 220 Zelltypen des Menschen – Hautzellen, Nervenzellen und so weiter. In dieser frühen Phase der Embryogenese muss jeder Schritt sitzen. „Man weiß erst sehr wenig darüber, aber wenn nur wenige Zellen an der falschen Stelle sind oder zur falschen Zeit beginnen, etwas zu tun, kann das wahrscheinlich zu Fehlentwicklungen führen.“ Oft sind Fehlentwicklungen in dieser ersten Phase so schwerwiegend, dass der Embryo sich nicht weiter entwickeln oder sich nicht in der Gebärmutter einnisten kann – die Schwangerschaft stoppt. Die Hälfte aller Embryonen scheitern an dieser Phase.

„Wir wollen auch verstehen, wie Erkrankungen, die in dieser frühen Phase ihren Ursprung nehmen, entstehen.“

Markus Hengstschläger

Das alles konnte bislang noch nie beobachtet werden. „Wenn die Schwangere bestimmte Medikamente oder schädigende Substanzen zu sich nimmt, kann das die Embryonalentwicklung schädigen. Embryoide können auch dazu verwendet werden, das besser zu verstehen, um es schließlich auch vermeiden zu können.“ Und: „Wir wollen auch verstehen, wie Erkrankungen, die in dieser frühen Phase ihren Ursprung nehmen, entstehen.“ Aber um zu wissen, was passiert, wenn etwas schiefläuft, muss zunächst bekannt sein, wie die Entwicklung verläuft, wenn alles passt.

Eine Membran für das Überleben

Hengstschläger und seine Co-Autorin Margit Rosner haben in ihrer Studie an Embryoiden dafür nun ein Puzzlestück geliefert: Sie haben herausgefunden, dass sich der Embryo selbst eine Membran baut, die ihn schützt und die dafür sorgt, dass alle Zellen an ihrem richtigen Platz bleiben. Ohne sie würde er einfach auseinanderfallen. „Diese Basalmembran macht den Embryo lebensfähig. Wir haben über bestimmte Verfahren herausgefunden, dass das Gen Oct4 dafür verantwortlich ist, dass sich diese Membran entwickeln kann. Wenn wir dieses Gen ausschalten, kann sich unser Embryo-Modell nicht entwickeln.“

Der Genetiker Markus Hengstschläger in einem Hörsaal.
„In Zukunft wird die Interpretation von genetischen Daten immer mehr über künstliche Intelligenz erfolgen“, sagt Markus Hengstschläger. © Gregor Kuntscher

Denn über bestimmte Verfahren ist es mittlerweile möglich, die Aktivität der Gene des Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bestimmen. „Das erlaubt wichtige neue Erkenntnisse um die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen und neue Therapien entwickeln zu können“, sagt Hengstschläger. Aber: „Gene haben oft mehrere Aufgaben und es gibt viele Prozesse im Körper, die von mehreren Genen im Zusammenspiel gesteuert werden.“

Es ist ein faszinierender Gedanke: Wie der Mensch zum Menschen wird, wie die einzelnen Gene dabei zusammenspielen – all das ist zu kompliziert, als dass es der Mensch verstehen könnte. „Deshalb beginnt man gerade, Genomdatenanalysen und künstliche Intelligenz zu kombinieren, und das Zusammenspiel der etwa 22.000 Gene des Menschen besser zu verstehen. In Zukunft wird die Interpretation von genetischen Daten immer mehr über künstliche Intelligenz erfolgen – sowohl in der Diagnostik als auch in der Forschung“, sagt Hengstschläger. Am Ende wird sie uns hoffentlich dabei helfen, zu verstehen, wie wir Menschen eigentlich funktionieren.

Über diese Serie

Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast beim „Austrian Space Weather Office“ in Graz und bei KI-Forscher Francesco Locatello im ISTA in Klosterneuburg. Demnächst erzählt Matthias Seidel im Wiener Naturhistorischen Museum, wie die Lage der Blatthornkäfer in Österreich ist; und Elisabeth Mertl vom OFI erklärt, wie ihre Forschung dabei hilft, Tierversuche zu vermeiden. 

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