Weg mit den Gentechnik-Verboten!

Nicht erst seit der Genschere CRISPR/Cas ist Gentechnik der traditionellen Pflanzenzüchtung überlegen. Im Kampf gegen den Klimawandel brauchen wir mehr Forschung anstatt Verbote.

Illustration von Pflanzen und Obst in einem Reagenzglas
Das Misstrauen gegenüber genmodifizierten Pflanzen ist weit verbreitet – aber oft unbegründet. © Michael Pleesz/Team Rottensteiner
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Auf den Punkt gebracht

  • Verbreitete Skepsis. Gentechnik ist seit Jahrzehnten in aller Munde, zumindest in Europa ist ihr Ruf aber schlecht. Die Angst vor Risiken ist weit verbreitet.
  • Innovationsschub. Tatsächlich ist die Gentechnik von heute aber Lichtjahre von der Zeit entfernt, als man Pflanzen noch mit Strahlung zur Mutation brachte.
  • Doppelmoral? Dutzende gentechnisch veränderte Organismen werden bereits legal in die EU importiert – wenn auch noch überwiegend als Futtermittel.
  • Umdenken. Gentechnik ist ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel im Kampf gegen den Klimawandel. Statt Verboten sollte die EU Raum für Forschung schaffen.

Es war in den 1980er-Jahren, als die Wende für die Pflanzenzüchtung kam. Der Molekularbiologe Jeff Schell, damals Direktor des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln, hielt im Wintersemester 1983/84 einen Vortrag im Biologischen Kolloquium der Universität Bonn: Es war der Pflanzen­züchtung zum ersten Mal gelungen, gezielt ein Gen von einem Organismus auf einen anderen zu übertragen.

Schell berichtete, wie seine Arbeitsgruppe das Bodenbakterium Agro­bac­terium tumefaciens als „Genfähre“ nutzte, um DNA in eine höhere Pflanze, in diesem Fall die Modellpflanze Tabak, zu übertragen. Erstmals war ein Gen erfolgreich in ein anderes Erbgut integriert worden.

Mit diesem sogenannten horizontalen Gentransfer war die Pflanzenbiotechnologie geboren. Ich war 1983 Postdoc am Institut für Genetik der Universität Bonn, und der Vortrag elektrisierte mich. Ich befasste mich damals mit den genetischen Grundlagen der sogenannten In-vitro-Regeneration von Pflanzen und bereitete mich auf meine Habilitation für Genetik vor. Ich wusste sofort, dass der Gentransfer mein neues Thema werden würde.

Das Bonner Genetikinstitut war Anfang 1980er-Jahre noch hauptsächlich in der Mutationsforschung aktiv. Es ging darum, die genetischen Folgen von Mutationen, die durch Bestrahlung ausgelöst wurden, besser zu verstehen. Wir arbeiteten mit Mutanten der Erbse, seit Gregor Mendel die klassische Modellpflanze. Die Mutanten waren durch Gamma- oder Röntgenstrahlung und das Erbgut verändernde Wirk­stoffe wie Ethylmethansulfonat erzeugt worden. Dieser Weg zur Erhöhung der genetischen Vielfalt war ein steiniger, und folgerichtig wurde dieser Ansatz der ungezielten Mutation seit Ende der 1970er-Jahre zunehmend kritisch hinterfragt. Die Mutationszüchtung war in einer Sackgasse, die Pflanzenbiotechnologie wies den Weg hinaus.

Die Stunde der Bt-Pflanzen

Ein klassisches Beispiel für den hori­zontalen Gentransfer ist die gezielte ­Insektenresistenz durch den Einbau eines Gens des Bakteriums Bacillus ­thuringiensis, kurz „Bt“, in das Genom einer Pflanze. Das Bakterium produziert ein Protein, das für eine bestimmte Insektenarten toxisch ist. Biobauern setzen seit den 1960er-Jahren die Sporen des Bakteriums direkt als Pestizid ein. Das Toxin zerstört das Darmepithel der Insekten, die dann absterben.

Schwarzer Mais in Mexiko
Schwarzer Mais ist eine in Mexiko heimische Pflanzensorte. Mexiko hat im Dezember 2021 den Anbau von gentechnisch verändertem Mais verboten und wird die Einfuhren in den nächsten drei Jahren schrittweise einstellen. © Getty Images

Die Pflanzen, die mit dem Gen der Bakterien genetisch verändert wurden, heißen Bt-Pflanzen und sind durch dieses resistent gegen jeweils bestimmte Insektenarten, die sich von den Pflanzen ernähren. Sogenannter Bt-Mais ist die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in der Europäischen Union angebaut werden darf. Bt-Proteine haben den Vorteil, dass sie sehr spezifisch wirken. Die Proteine produzieren To­xine, die sich gegen Zünslerlarven richten, oder solche, die gegen Mücken und Schnaken eingesetzt werden können. Für Wirbel- und Säugetiere sind Bt-Proteine harmlos.

Das Beispiel des Bt-Ansatzes macht deutlich, worin die Überlegenheit der Biotechnologie im Vergleich zum Einsatz von Pestiziden besteht: Der Gentransfer bewirkt, dass die Pflanze zwar ein bestimmtes Protein bildet, das Gift selbst aber erst im Darm des Insekts entsteht. Es werden also nur die Insekten geschädigt, die an der Pflanze fressen. Sprüht man hingegen das Gift, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Nützlinge mit dem Toxin in Kontakt geraten, zudem können die Sporen in der Luft allergische Reak­tionen auslösen. Diese Risiken gibt es bei dem gentechnischen Ansatz nicht.

Bt-modifizierte Pflanzen können dazu beitragen, den Einsatz von In­sek­tengiften drastisch zu reduzieren.

Bt-modifizierte Pflanzen können dazu beitragen, den Einsatz von In­sek­tengiften drastisch zu reduzieren – so etwa in Bangladesch beim Anbau von Auberginen, wo mit der Anbauerlaubnis eine drastische Reduktion des Insektizideinsatzes einherging. Gentechnik ist also bereits seit fast 40 Jahren in der Lage, effizient und zielgenau Zuchtziele zu erreichen, die konventionell oder mit den Methoden der klassischen Mutationszüchtung nicht oder nur mit sehr großem Zeitaufwand erreichbar sind. Seit vielen Jahren wissen wir außerdem, dass der horizontale Gentransfer, wie er bei den Bt-Pflanzen im Labor hervorgerufen wird, ein Prozess ist, der zwischen Arten sehr häufig passiert. Manche Blattlausarten erhalten ihre Farbe durch Gene, die ursprünglich von Pilzen stammen; bestimmte Pflanzen integrieren die Gene anderer Pflanzen, um ihre Photo­synthese zu verbessern.

Gentransfer ist in der Natur üblich

Auch in Kulturpflanzen findet man fremde Gene: 2015 entdeckten Forscher, dass das Genom der Süßkartoffel vier Gene just jenes Bakteriums enthält, das in der Pflanzengentechnik als Genfähre eingesetzt wird: Agrobacterium tumefaciens. Vier Gene dieses Bakteriums waren entscheidend dafür, dass die Süßkartoffel eine Nutzpflanze wurde, denn in den Wildformen fehlen diese Gene. Dies ist eine bahnbrechende Erkenntnis, nicht zuletzt, weil sie unser Verständnis der pflanzlichen Evolution erheblich verändern wird.

Heute ist die Gentechnik mit Technologien wie der Genschere CRISPR/Cas Lichtjahre von den frühen Jahren entfernt, als man Pflanzen mittels Strahlung zu mehr oder weniger unkontrollierten Mutationen brachte. Das Misstrauen gegenüber der Gentechnik ist geblieben. Während der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa ver­boten und selbst Bt-Mais nur in wenigen Ländern verbreitet ist, werden zugleich ­viele Dutzend verschiedene gentechnisch veränderte Organismen (GVO) legal nach Europa eingeführt, vor allem Futtermittel.

Die Widersprüche der EU

Warum ist die Haltung der EU gegenüber der Gentechnik so restriktiv? Nähme man die Aufforderung „auf die Wissenschaft hören“ ernst, müsste die Risikodiskussion bereits lang vorbei sein. Schon vor mittlerweile zehn Jahren kam Ann Glover, die wissenschaftliche Chefberaterin der EU-Kommission, zu dem Schluss, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass genetisch veränderte Lebensmittel ein größeres Risiko darstellen als herkömmliche.

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Zahlen & Fakten

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Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018, demzufolge alle Produkte der Züchtung, die durch Mutagenese (das sind die Mutanten, die durch Bestrahlung entstehen), durch Genome Editing wie bei CRISPR/Cas oder durch Gentransfer entstanden sind, gleichermaßen als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO) zu behandeln sind, veranlasste die EU-Kommission nun dazu, einen Prozess in Gang zu bringen, um das aus den späten 1980er-Jahren stammende EU-Gentechnikrecht an den heutigen Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen.

Es scheint ein sehr langer Prozess mit ungewissem Ausgang zu werden. Dabei haben wir keine Zeit: Wir müssen nicht nur darüber sprechen, wie wir den Klimawandel aufhalten können, wir müssen auch entscheiden, wie wir Nutzpflanzen möglichst schnell an Dürren und Überschwemmungen anpassen. Hier müssen endlich vorbehaltlos alle Optionen auf einen ideologiefreien Tisch. Genehmigungsverfahren sollten so gestaltet sein, dass die Eigenschaften eines Produkts zu bewerten sind und nicht der Weg seiner Entstehung.

Gentechnik-Protest in Berlin
Eine Anti-Gentechnik-Demonstration in Berlin, 2012. Bei einer Umfrage zur Bundestagswahl 2021 stimmten 65 Prozent der Befragten gegen eine Lockerung der Regeln für die Zulassung und Kennzeichnung von Gentechnik-Pflanzen in Deutschland. © Getty Images

Die Zeit läuft

Nicht nur wegen des Klimawandels ist ein Umdenken angezeigt: Die sehr restriktive Genehmigungspolitik hat einer unschönen Monopolisierung Vorschub geleistet, die es nur großen internationalen Konzernen ermöglicht hat, neue Pflanzensorten zu entwickeln.

Mit einer Umstellung des Genehmigungsverfahrens würde auch die öffentlich finanzierte Forschung in die Lage versetzt, sich kreativ mit Züchtungsproblemen zu befassen und so entscheidend dazu beitragen, dass für die drängenden Probleme Lösungen gefunden werden. Dies ist auch deshalb wichtig, weil es sehr viele, oft nur regional bedeutsame Kulturpflanzen gibt, die nie das Interesse großer Konzerne finden würden. Es sollten für diesen Bereich Forschungsprogramme aufgelegt werden, um den immensen Innovationsstau aufzulösen.

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Dabei darf die „klassische“ grüne Gentechnik, zu der der Gentransfer gehört, keinesfalls gegen die „neue Gentechnik“ ausgespielt werden. Der ein­fache Grund: Mit der neuen Gentechnik, dem Genome Editing (wie bei der Genschere CRISPR/Cas), lassen sich nur Gene editieren, die bereits vorhanden sind. Eine Pflanze, die durch Gentransfer verändert wurde – wie der Bt-Mais – wäre damit unmöglich. Das Bt-Protein lässt sich nicht so einfach „herbei­editieren“, es muss transferiert werden.

Auch vor dem Hintergrund der sich verschärfenden globalen Hungerkrise benötigen wir Lösungen, um nach­haltig Erträge zu steigern. Das Zauberwort lautet „nachhaltige Intensivierung“, also Pflanzenproduktion mit weniger Dünger, weniger Wasser und weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

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Conclusio

Gentechnische Verfahren stehen zu Unrecht in der Kritik, nicht natürlich oder riskant zu sein. Das Beispiel des Bt-Mais zeigt, dass bereits die klassische grüne Gentechnik, der Gentransfer, eine sichere Methode ist, um Pflanzen zu züchten, die den Einsatz von Pestiziden reduzieren. Bisher hat das Verbot von Gentechnik dazu geführt, dass vor allem Konzerne von der Biotechnologie profitiert haben. Das Anbauverbot von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sollte deshalb überdacht werden. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es notwendig, Kulturpflanzen möglichst rasch an neue Umweltbedingungen – vor allem an drohende Dürren und ­Überschwemmungen – anzupassen.