Einmal Welt retten, bitte

Am Austrian Space Weather Office in Graz wird daran geforscht, das Weltraumwetter präzise vorherzusagen. Das könnte irgendwann einen Blackout mit gravierenden Folgen verhindern.

Ein Mann hält eine Spielzeugspirale in der Hand, die einen Sonnensturm symbolisieren soll, er steht vor einer weißen Tafel.
Der Astrophysiker Christian Möstl vom Austrian Space Weather Office zeigt, wie man sich einen Sonnensturm vorstellen kann. © Elias Holzknecht

Spätestens wenn Menschen einmal zum Mars fliegen, werden sie ohne die Forschung von Christian Möstl und seinem Team nicht auskommen. Oder sogar: Nicht überleben. Aber sie hat auch heute schon einen Nutzen. Wenn man etwa wissen will, ob in Österreich ein Polarlicht zu sehen sein wird. Oder ob man noch ganz schnell zum Supermarkt laufen sollte, weil Österreich bald von einem gigantischen Sonnensturm getroffen wird, der einen Blackout verursacht.

Der 43-jährige Astrophysiker Möstl leitet das Austrian Space Weather Office, und das verlangt schon nach einer Erklärung: Ja, auch im Weltall gibt es ein Wetter, es wird geprägt von sogenannten Sonnenstürmen. „Das sind magnetische Schläuche, die aus dem Sonneninneren nach oben steigen und dann in der Sonnenatmosphäre Eruptionen verursachen“, so Möstl. (Manche Definitionen des Weltraumwetters inkludieren auch Asteroideneinschläge, die allerdings nur alle paar Millionen Jahre vorkommen und durchaus als Extremwetterereignis gelten können).

Sonnensturm sorgte für Polarlicht in Österreich

Diese Sonnenstürme sind, wenn sie die Erde treffen, unter anderem verantwortlich für das Phänomen der Polarlichter, die vor allem nahe der Pole auftreten, aber im vergangenen Jahr sogar in Österreich zu sehen waren. Das liegt daran, dass die Sonnenaktivität in Zyklen von elf Jahren verläuft und wir uns aktuell an einem Höhepunkt der Aktivität befinden. Das heißt: Starke Sonnenstürme und viel Forschungsmaterial für das Space Weather Office, wo versucht wird, „die Brücke zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung zu schlagen“, erzählt Möstl.

Wenn man etwas neu erfinden muss, ist das natürlich wahnsinnig schwer – sonst hätte es ja schon jemand gemacht.

Christian Möstl

Neben ihm sitzen dort noch acht weitere Mitarbeiter, zwei Drittel davon weiblich bei einem Durchschnittsalter von 33 Jahren. Es herrscht ein „sympathisches Space-Nerds“-Flair, Modelle von Star-Wars-Raumschiffen stehen herum, an den Wänden hängen Poster mit Slogans wie „Greetings from your first Exoplanet“.

Das 2022 gegründete Space Weather Office ist an die 2023 ins Leben gerufene Geosphere Austria angedockt, bei der Meteorologie, Geologie, Klima- und Erdbebenforschung vereint wurden. Das Ziel des Space Weather Office ist es, sowohl das Eintreffen von Sonnenstürmen auf der Erde als auch ihre Stärke zu prognostizieren. Das ist keine ganz simple Aufgabe. „Das Ding ist immer: Wenn man etwas neu erfinden muss, ist das natürlich wahnsinnig schwer – sonst hätte es ja schon jemand gemacht.“

Ein Lego-Modell eines Star-Wars-Raumschiffs
Ein Lego-Modell eines Star-Wars-Raumschiffs ziert ein Regal im Austrian Space Weather Office. © Elias Holzknecht

Kepler says no

Wenn sich ein Sonnensturm von der Sonne löst, dann passiert – erstmal gar nichts. „Wir können einen Sonnensturm derzeit nicht prognostizieren, indem wir einfach nur auf die Sonne schauen“, sagt Möstl. Das macht Prognosen schon einmal bedeutend schwieriger. Es gibt also zwei Möglichkeiten, erklärt Möstl, die eine ist: „Wir brauchen eine Raumsonde, die das misst.“

Im März 2023 etwa, schickte die Raumsonde „Solar Orbiter“ der European Space Agency (ESA) Daten eines Sonnensturms, der sie gerade getroffen hatte und auf dem Weg zur Erde war. Das klappte allerdings nur, weil Solar Orbiter, der die Sonne umkreist, damals zufällig gerade zwischen Erde und Sonne stand. Aber warum platziert man nicht einfach eine Raumsonde permanent zwischen Sonne und Erde? „Da spricht die Physik dagegen – Kepler says no“, antwortet Möstl.

Superclever, aber nicht vor 2035

Es gibt andere Überlegungen, „superclever“, sagt Möstl: „Man kann vier Raumsonden im Sonnenorbit so positionieren, dass es von der Erde so aussieht, als würden sie um die Erde herum positioniert sein.“ Möstl ist Teil eines Teams, das dieses Missionskonzept bei der Nasa eingereicht hat, aber realistisch ist das nicht vor 2035. „Die andere Möglichkeit ist, ein von uns entwickeltes Modell zu verwenden“, sagt er.

Ein Mann zeigt etwas vor einer weißen Tafel
Christian Möstl erklärt, wie man Sonnenstürme vorhersagen könnte. © Elias Holzknecht

Und das geht so: Sonnenstürme, erklärt er, müssen wir uns als Röhren vorstellen, und wenn der Anfang einer solchen Röhre auf der Erde eintrifft, „passiert noch nicht viel“ – der Sonnensturm hat noch keine Auswirkungen. Aber die Idee ist: „Wenn wir den Anfang von des Sonnensturms sehen, sollte unser Modell in der Lage sein, den Rest vorherzusagen.“ Also, wie stark der Sonnensturm ausfallen wird.  

Der Sonnensturm, der die Batterien ersetzte

Das Weltraumwetter rückt immer mehr in den Fokus der Forschung; die USA haben seit 2005 ein Space Weather Office, Großbritannien seit 2014. Und die ESA will 2031 die Raumsonde Vigil losschicken, um die Sonnenaktivität zu beobachten. „Wir arbeiten hier auch an Methoden, die dann bei dieser Mission zum Einsatz kommen sollen, da sind wir weltweit führend.“ Aber warum interessiert uns das Wetter im All plötzlich?

Die ganze Technologie, die die Menschheit aufgebaut hat, ist anfällig für die Auswirkungen der Sonnenstürme.

Christian Möstl

Aus ganz praktischen Gründen, sagt Möstl: „Die ganze Technologie, die die Menschheit in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat, ist viel anfälliger für die Auswirkungen der Sonnenstürme“. Der stärkste aufgezeichnete Sonnensturm, der die Erde traf, war das Carrington-Ereignis von 1859 – da gab es noch kein Stromnetz, vom Internet ganz zu schweigen. Aber Telegraphenmaste, und diese funktionierten damals plötzlich ohne Batterien, weil die Leitungen durch den Sonnensturm unter Strom standen.

Der Super-Worst-Case

Wie die Stromversorgung, wie die Internetinfrastruktur auf einen solchen Sonnensturm reagieren würden, kann niemand mit Sicherheit sagen. Gefährlich können Sonnenstürme auf jeden Fall werden, schon alleine, weil man weiß, dass sie GPS-Signale stören können. „Die können dann schon um einige zehn Meter falsch sein, bei selbstfahrenden Autos oder in Häfen, wenn Container via GPS platziert werden, macht das schon was aus.“ Manchmal erzählt Möstl vom „schlimmsten Fall“ – das wäre ein Blackout, bei dem die Transformatoren beschädigt werden –, um danach noch ein „im allerschlimmsten Fall“ nachzuschießen – wenn die Transformatorenhersteller auch keinen Strom mehr haben, um neue zu produzieren. „Das ist das Super-Worst-Case-Scenario.“

Ein Mann namens Christian Möstl gibt ein Interview vor einer weißen Tafel
Christian Möstl beschäftigt sich mit Super-Worst-Case-Szenarien, bleibt aber trotzdem optimistisch. © Elias Holzknecht

Panik will er aber auf keinen Fall verbreiten: „Ich persönlich bin nicht wirklich auf einen Blackout vorbereitet, die Wahrscheinlichkeit dafür ist wirklich gering.“ Alle 50 bis 100 Jahre rechnet er mit einem so starken Sonnensturm. Aber vorbereitet sollte man auch auf Ereignisse mit geringer Wahrscheinlich sein, das ist eine der Lektionen der Covid-Pandemie. Deshalb ist das Space Weather Office jetzt auch in das Austrian Multi-Hazard Impact-Based Advice Service (AMAS) eingebunden.

Wie man die Reise zum Mars überlebt

Und noch aus einem anderen Grund wird das Weltraumwetter immer bedeutender: „Wenn wirklich Menschen wieder zum Mond oder sogar zum Mars fliegen, ist es unabdingbar, dass die Vorhersage der Sonnenstürme gut funktioniert.“ Denn sie haben eine verstärkte Strahlung zur Folge, die auch auf der Erde dazu führt, dass bei starken Sonnenstürmen manchmal Flüge über die Pole umgeleitet werden müssen, um Crew und Passagiere keiner erhöhten Strahlung auszusetzen. Im All wären Astronauten dieser Strahlung schutzlos ausgeliefert; und ein Flug zum Mars und zurück dauert nicht ein paar Stunden, sondern zwei Jahre.

Deshalb müssen die Astronauten wissen, wann ein Sonnensturm ihr Raumschiff trifft, und dieses Raumschiff muss einen Bunker haben, damit sich die Astronauten in dem Fall dorthin zurückziehen können. „Sonst würden sie auf einem Trip zum Mars und zurück so viel Strahlung abkriegen, dass sie an Krebs sterben würden. Wenn wir schon zum Mars fliegen, müssen wir natürlich auch gesund zurückkommen können.“ So gesehen wird am Space Weather Office sogar an der Zukunft der Menschheit geforscht, wenn sie dann einmal auf den Mars übersiedelt.

Über diese Serie

Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir ab nun spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. In den nächsten Wochen wird der Pragmaticus unter anderem nach Klosterneuburg reisen, wo Francesco Locatello am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) sich der Frage annimmt, warum Künstliche Intelligenz ein Problem mit Kausalitäten hat. Und im Wiener Naturhistorischen Museum wird Matthias Seidel erzählten, wie die Lage der Blatthornkäfer in Österreich ist. 

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