Gentechnik: Das Schweigen der Bürger

Bisher hat die Politik die Chance, Bürger und Bürgerinnen bei der Gentechnik ernsthaft mitbestimmen zu lassen, verstreichen lassen. In Zeiten des Klimawandels muss sich das dringend ändern.

Gentechnik und Bürger: Illustration von gekreuzten Möhren, die ein Muster bilden.
Gentechnik ja oder Gentechnik nein? Viele EU-Bürger fürchten um die Vielfalt auf den Äckern. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Grüne oder rote Gentechnik. Gentechnisch verändertes Saatgut wird nach wie vor kritisch gesehen, während Gentechnik in der Medizin positiver beurteilt wird.
  • Misstrauen gegen Konzerne. Die Kritik an der Gentechnik bei Pflanzen bezieht sich meist auf die ökonomische Macht der Konzerne, weniger auf die Technik an sich.
  • Kaum Mitbestimmung. Viele wichtige Entscheidungen in Bezug auf Gentechnik in der Landwirtschaft werden ohne Beteiligung von Bürgern getroffen.
  • Zukunftsentscheidend. Welchen Weg die Landwirtschaft geht, ist eine Frage, die für die Zukunft entscheidend ist. Mehr Mitbestimmung ist notwendig.

Es ist nun exakt ein Vierteljahrhundert her, dass sich 1,2 Millionen Österreicher und Österreicherinnen in einem Volksbegehren gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ausgesprochen haben. Dieses Votum fiel in eine Phase prononcierter öffentlicher Kritik an angekündigten technologischen Revolutionen, die ohne eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger von Industrie und Politik vorangetrieben wurden.

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Zahlen & Fakten

Seither ist einiges geschehen, allerdings mitunter mit widersprüchlichen Trends: Die gezielte Kommunikation wissenschaftlicher Forschung wurde ausgebaut, während der öffentlich-mediale Wissenschaftsjournalismus zeitgleich mit immer knapperen Ressourcen zurechtkommen musste. Geeignete Ansätze zur Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen wurden entwickelt, deren methodische Grenzen aber auch kritisch zur Kenntnis genommen. Wissenschaftliche Durchbrüche wie die Entwicklung von CRISPR/Cas, der sogenannten „Genschere“, wurden bejubelt, ihr illegaler Einsatz in der Reproduktionsmedizin vor drei Jahren hingegen bestürzt registriert und sanktioniert.

Last but not least konnte sich die schon Ende der 1990er-Jahre bekannte Klimaproblematik zu einer bereits deutlich einsetzenden Klimakatastrophe zuspitzen. Waldbrände, Dürre und Bodenerosion sind damit längst ein Problem geworden, das praktisch alle Erdteile erfasst. Erneut drängen sich damit die alten Fragen auf: Können gentechnische Methoden Teil der Lösung sein? Sind sie Teil des Problems? Oder letztlich kaum relevante Begleitmusik?

Das Schweigen um die Gentechnik

Aktuell finden sich in der medialen Öffentlichkeit kaum Debatten zu dieser Frage. Es scheint still geworden zu sein um die Gentechnik. Weder wird Agrobiotechnologie als vorrangiger Lösungsweg propagiert, noch fokussiert öffentlicher Protest derzeit auf dieses Thema. In der Techniksoziologie wurde dieser Zustand bereits als „diskursive Normalisierung“ erfasst: keine weiteren ausgerufenen technologischen Revolutionen und keine Einhalt gebietenden Demonstrationszüge auf den Straßen.

Die Rede ist kaum noch von „der Biotechnologie“, stattdessen geht es um konkrete Weiterentwicklungen und punktuelle Einsatzgebiete. Im Nachhinein erweisen sich die eingeleiteten oder zumindest beförderten Veränderungen in bestimmten Sektoren weniger als Revolutionen, denn als schrittweise Transformationen. So manche große Vision ist einer gewissen Ernüchterung gewichen. Gentechnisch veränderte Sorten wie der „goldene Reis“ konnten der Mangelernährung aus unterschiedlichsten Gründen nicht wesentlich Einhalt gebieten und auch der Hunger wurde durch resistentere oder produktivere Linien nicht besiegt. In der Presse sind längst wieder andere Themen vorrangig geworden und die Gemüter erhitzen sich an anderen Problemen.

Deshalb von einer generellen Technikakzeptanz auszugehen wäre aber zu kurz gegriffen. Ein Blick in die aktuelle Umfrage zu „Kenntnissen und Einstellungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu Wissenschaft und Technologie“ (Spezial-Eurobarometer 516) bietet ein Stimmungsbild der momentan schweigenden Mehrheit: Demnach erwarten sich gegenwärtig 45 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen positive oder sehr positive Auswirkungen von Biotechnologie und Gentechnik, aber immerhin auch 39 Prozent eher negative oder sehr negative Auswirkungen. Im EU-weiten Durchschnitt sind zwar 70 Prozent positiv gestimmt, aber auch 21 Prozent kritisch. Nur zwei Prozent erwarten gar keine Auswirkungen und sieben Prozent enthalten sich mangels Wissens lieber einer Meinung.

Gentechnik polarisiert – immer noch

Wir lernen daraus: Biotechnologie gilt nach wie vor als hochwirksam und sie polarisiert auch weiterhin – zumindest, wenn explizit nachgefragt wird. Darüber hinaus wissen wir aus der Vergangenheit: Die sogenannte „grüne Gentechnik“ in der Landwirtschaft wird eher wegen ihrer Risiken für Umwelt und Gesundheit kritisiert, das Misstrauen gilt einschlägigen globalen Konzernen; die sogenannte „rote Gentechnik“ als medizinische Anwendung wird aus ethischer Perspektive diskutiert, das Misstrauen gilt den einschlägigen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. In beiden Fällen wird auch die Abwägung von Risiken und Chancen relevant, wobei hier Chancen der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung weniger positiv ins Gewicht fallen als die Chancen, Menschenleben zu retten.

Daraus ergibt sich wiederum folgender Befund: Biotechnologie wird von Bürgerinnen und Bürgern nicht bloß als angewandte Grundlagenforschung beurteilt; es wird auch der Kontext ihrer Anwendung in den Blick genommen, insbesondere die (vermuteten) zentralen Akteure und deren (vermutete) Neigung und Fähigkeit, auch bei Interessenskonflikten und komplexen Sachverhalten im Sinne des Gemeinwohls und ethischer Standards zu entscheiden. Ebenso fallen bestehende Regulierungssysteme, eingesetzte Wirtschaftsmodelle, der relative Nutzen beziehungsweise Schaden und dessen Verteilung in der Gesellschaft ins Gewicht, wenn es um das öffentliche Ansehen neuer Technologien geht.

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Zahlen & Fakten

Foto einer Demonstration gegen gentechnisch veränderte Organismen auf einem Feld in England.
Oxfordshire, Großbritannien im Juli 1999: Proteste gegen gentechnisch verändertes Saatgut. Seit 2022 darf in Großbritannien Saatgut, das durch neue Gentechnik verändert wurde, im Feld getestet werden. © Getty Images

Überwiegt die Zustimmung zur Gentechnik …

… oder doch nicht? Das Eurobarometer unterscheidet bei seinen Umfragen zum Thema nicht zwischen grüner Gentechnik in der Landwirtschaft und der roten Gentechnik in der Medizin. Die Einstellungen dazu sind aber stark unterschiedlich. Über Gentechnik in der Landwirtschaft wird zudem oft hinter verschlossenen Türen nach massivem Lobbying entschieden, kritisieren NGOs wie Corporate Europe Observatory (CEO), das untersucht, wie Entscheidungen in der EU zustande kommen.

Wie es mit der Kennzeichnung und Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgut in der EU weitergehen soll, ist derzeit Gegenstand eines Verfahrens der EU-Kommission. In Frage steht, ob Organismen, deren Erbgut mit neuen gentechnischen Verfahren wie etwa der Genschere Cripr/Cas verändert wurde, unter das derzeitige Gentechnik-Recht fallen sollen oder nicht. Derzeit müssen gentechnisch veränderte Organismen und Produkte, die aus ihnen hervorgegangen sind, also zum Beisiel Lebensmittel, als solche gekennzeichnet werden. Am 22. Juli wurde dazu eine öffentliche Konsultation abgeschlossen. Bis zum zweiten Quartal 2023 will die EU-Kommission eine Richtlinie entwickeln.

Und letztlich wissen wir, dass öffentliche Meinungsbildung konkrete Anlässe braucht. Eine Eurobarometerumfrage zum Schlagwort Biotechnologie kann nur recht abstrakte Einschätzungen abbilden. Sie erinnert uns allenfalls daran, dass mediales Schweigen zu diesem Thema nicht unbedingt mit allgemeiner Zustimmung gleichzusetzen ist.

2018 protestierten Interessensvertreter und -vertreterinnen gegen eine Gleichsetzung der neuen Genschere mit streng regulierter „konventioneller“ Biotechnologie durch den Europäischen Gerichtshof. In Großbritannien kam es umgekehrt 2021 zu einer Welle an Protesten von NGOs, als die Deregulierung von geneditierten Pflanzen nach dem Austritt aus der Europäischen Union angekündigt wurde. Bis zum 22. Juli lief eine öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zu Anpassungen der bestehenden Regulierung geneditierter Pflanzen in der Lebens- und Futtermittelproduktion. Die Einmeldungen zeigen, dass wesentliche Kritikpunkte gleich geblieben sind: Risiken für biologische Landwirtschaft, für Ökosysteme und menschliche Gesundheit stehen im Mittelpunkt. Es geht um Auskreuzung, Resistenzbildung, den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft und um Fragen der freien Konsumentscheidung.

Auch auf Seiten der Befürworter sind wesentliche Argumentationsfiguren bereits bekannt: das Pochen auf (noch) größere technische Präzision einerseits und der Verweis auf auch natürlich auftretende genetische Veränderungen andererseits. Neuigkeiten betreffen eine gewisse Ernüchterung auf beiden Seiten und technische Details (etwa Fragen der Nachweisbarkeit punktueller genetischer Veränderungen oder neue Forschungsergebnisse zu sogenannten Off-Target-Effekten, also ungeplanten Effekten jenseits der anvisierten Gensequenz) und auch der Kreis der wesentlichen Akteure ist ziemlich stabil.

Bürger sein im Klimawandel

Ob und wie sich nun öffentliche Meinung zur Anwendung von Biotechnologie im Sinne einer besseren Anpassung an den Klimawandel bildet, hängt daher von mehreren Faktoren ab. Es geht zuallererst um das mediale Wording: Sprechen wir von der eher scheel betrachteten Biotechnologie im Allgemeinen, von einzelnen, in die Kritik geratenen Biotechnologiekonzernen oder von möglichen, missionsorientierten Anwendungsszenarien? Denken wir an einen inkrementellen Klimawandel, wie das noch in den 1990er Jahren aktuell war, oder fokussieren wir auf die aktuell unmittelbar bevorstehende Klimakatastrophe, deren Auswirkungen massiv, aber im Detail nicht verlässlich vorhersagbar sind?

Dann geht es zweitens auch um einen Reality Check von Seiten geeigneter Experten und Expertinnen, was die potenzielle Rolle landwirtschaftlicher Biotechnologie in diesem Kontext sein kann: Welche Veränderungen der Ökosysteme (Hitzeereignisse, Brände, Trockenheit, Erosion durch Starkregen, Verlust an Biodiversität, Ausbreitung von Schädlingen) sind in welchem Zeithorizont zu erwarten? Ist solchen Anpassungserfordernissen im gegebenen Zeitfenster eher durch bestehende Sortenvielfalt und kleinräumige Maßnahmen oder durch einzelne neue, geneditierte Linien und industrielle Großprojekte effektiv zu begegnen? Oder gibt es, drittens, Spielraum für einen Mix aus beidem, der durch kreative neue wirtschaftliche, politische und rechtliche Modelle ermöglicht werden könnte? Nur auf dieser Basis kann die Öffentlichkeit mögliche Risiken und Chancen abwägen und das Lösungspotenzial ermessen. Andernfalls ist sie auf blindes Vertrauen beziehungsweise passive Schicksalsergebenheit zurückgeworfen.

Zeit für Mitbestimmung

Mit zunehmender Dringlichkeit der Klimaproblematik ist es allerdings höchste Zeit Bürger und Bürgerinnen nicht nur als anlassbezogene Meinungsträger und potenzielle Störfaktoren zu betrachten. Die Zeit ist zu knapp, der Einsatz zu hoch und die Problemstellung zu umfassend. Es braucht hier eine Fülle neuer Beteiligungsformate und letztlich einen neuen Geist der lösungsorientierten Zusammenarbeit, der das gemeinsame Interesse an einer guten Zukunft für alle in den Vordergrund stellt und unmittelbar umzusetzen vermag.

Mit Eurobarometer-Umfragen ist diese Form der Beteiligung nicht zu erreichen und auch das Einholen von Meinungen einzelner Experten und Expertinnen oder Stellungnahmen einzelner Interessensvertretungen greift hier noch zu kurz. Es geht vielmehr um ein wechselseitiges Wachrütteln, um Möglichkeiten, unmittelbar und fokussiert aktiv zu werden, und um den Mut zu Transformationen, die radikaler und zugleich inklusiver sind als jede bisher ausgerufene „technologische Revolution“. Unter dem Schlagwort „Reallabore“ wird derzeit mit solch unmittelbaren Beteiligungsformen experimentiert. Es wird wohl noch einiges mehr an Realitätseinbindung und etwas weniger an labor-geschulter Zurückhaltung brauchen, um die erforderlichen Wirkungsniveaus zu erreichen, aber das Konzept scheint vielversprechend.

Foto von Gentechnik-Protesten in Frankreich mit einem Plakat gegen Pestizide.
Protest gegen Gentechnik in Toulouse, Frankreich, im Mai 2022. In mehr als 80 Prozent der Fälle besteht die Gentechnik darin, Pflanzen gegen Pestizide resistent zu machen. © Getty Images

Die Bereitschaft zu einer gesamtgesellschaftlichen Wende scheint auch durchaus gegeben und Rufe in diese Richtung finden sich von allen Seiten. Zudem verdeutlichen unterschiedlichste Krisen der Gegenwart ihre Dringlichkeit. In einer durch die Akademie der Wissenschaften im letzten Jahr durchgeführten Befragung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu Chancen und Risiken der Pandemie wurden mit unerwartetem Einklang Paradigmenwechsel in Wissenschaft, Wirtschaft, Gesundheitswesen, internationaler Zusammenarbeit und Politik gefordert. Die Konturen eines solchen Paradigmenwechsels werden dabei immer klarer und sind zu wesentlichen Teilen überparteilich konsensfähig und wohl auch gesamtgesellschaftlich mehrheitsfähig. Um sie auch realisierbar zu machen, wird es allerdings die aktive und mündige Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte brauchen. Das Ringen um eine lebenswerte Zukunft ist kein Zuschauersport.

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Conclusio

Viele Entscheidungen in Bezug auf den Einsatz von grüner Gentechnik werden auf der Ebene der Europäischen Union getroffen, wobei die Mitgliedsstaaten eigene Regelungen schaffen können. Bisher werden Bürger und Bürgerinnen unzureichend etwa in Entscheidungsprozesse zum Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut oder gentechnisch veränderten Lebensmitteln eingebunden. Umfragen können informierte Mitbestimmung nicht ersetzen. Die Kritik an der grünen Gentechnik ist vielfältig. Oftmals drückt sich darin weniger eine Skepsis gegenüber der Technologie aus als vielmehr gegen die ökonomischen Strukturen. Die aktive Beteiligung möglichst aller gesellschaftlichen Gruppen an Zukunftsentscheidungen wie dem Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ist dringend notwendig.