Unkraut vergeht nicht

Grüne Parteien sind auf der Verliererstraße und flogen in Deutschland und Österreich aus der Regierung. Auch viele umweltbewusste Menschen haben den Öko-Zeigefinger satt. Endet das grüne Zeitalter?

Ein starker Baumstamm, der aus der rissigen, verwitterten Oberfläche eines Betonbodens emporragt, mit üppigen grünen Blättern und zarten herabhängenden Ranken. Das Bild illustriert einen Artikel über die Frage, ob das grüne Zeitalter vorbei ist.
Die Grünen stecken in der Krise und erlitten in Österreich und Deutschland zuletzt schwere Wahlniederlagen. Doch der Einfluss grüner Ideologie auf die öffentliche Meinungsbildung ist nach wie vor enorm groß. © Adobe Stock / generiert mit KI
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Auf den Punkt gebracht

  • Umfragehoch. Im Frühling 2021 erreichten die Grünen in Deutschland hohe Umfragewerte, stellten Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin auf.
  • Wahlniederlage. Berbocks Buch und optimierter Lebenslauf führten zu Kritik; die Grünen erreichten bei der Bundestagswahl nur 14,7 Prozent.
  • Imagewandel. Der Ukraine-Krieg ermöglichte den Grünen, ihren Pazifismus abzulegen und sich als Verteidiger europäischer Werte zu präsentieren.
  • Einfluss. Trotz schlechter Wahlergebnisse bleibt der Einfluss grüner Ideologie auf die öffentliche Meinungsbildung in vielen gesellschaftlichen Bereichen stark.

Im Frühling 2021 eilten die Grünen in Deutschland von Umfragehoch zu Umfragehoch. Es waren Monate wie im Rausch. Die Sozialdemokraten hatte man schon abgehängt. Nun näherte man sich der CDU auf der Überholspur. Anfang Mai war es dann so weit. Mit 26 Prozent lagen die Grünen drei Prozentpunkte vor der Union. Vier Monate vor der Bundestagswahl war es nur konsequent, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Alles schien möglich, ein grünes Zeitalter angebrochen. Die Wahl Annalena Baerbocks zur Kanzlerkandidatin geriet zu einer Art Inthronisation.

Doch Baerbock beging Fehler um Fehler. Ihr pünktlich zum Wahlkampf auf den Markt geschmissenes Buch erwies sich als in Teilen abgekupfert. Ihr Lebenslauf als optimiert. Am Ende landete die grüne Hoffnungsträgerin bei ernüchternden 14,7 Prozent. Die Kandidatin rettete sich als Außenministerin ins Kabinett des Überraschungskanzlers Olaf Scholz. Ihr parteiinterner Konkurrent Robert Habeck schnappte sich das Wirtschaftsministerium, das zudem Kompetenzen für das grüne Herzensanliegen Klimaschutz zugewiesen bekam. Alles schien bereit für die grüne Selbstprofilierung. Und dann kam auch noch der 24. Februar 2022.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine gab den Grünen die Gelegenheit, ihren zunehmend wirklichkeitsfremden Pazifismus über Bord zu werfen und sich als entschlossene Verteidiger europäischer Werte und Zivilisation zu inszenieren. Tatsächlich erschienen die Grünen im Frühjahr 2022 als die neue bürgerliche Volkspartei. Auf der Höhe des Zeitgeistes surfend, gesellschaftspolitisch progressiv und mit der Meinungsindustrie im Rücken.

Doch dann kam Robert Habecks Heizungsgesetz. Angesichts der Boykottmaßnahmen gegen Russland explodierten die Energiepreise. Gleichzeitig hielt der grüne Wirtschaftsminister daran fest, aus Kohle und Atomkraft auszusteigen. Die Kosten für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs stiegen. Habeck wirkte zunehmend inkompetent und überfordert. Der Sinkflug der Grünen in den Umfragen begann und hielt bis zu den jüngsten Bundestagswahlen an: magere 11,6 Prozent. Platz 4 hinter CDU, AfD und SPD.

Auch die österreichischen Grünen mussten ernüchternde Wahlergebnisse verkraften. Erreichten sie bei den Nationalratswahlen 2019 noch 13,9 Prozent, flogen sie 2024 mit 8,2 Prozent aus der Regierung. Dass 2016 mit Alexander Van der Bellen ein Grüner, wenn auch denkbar knapp, zum Bundespräsidenten gewählt wurde, erscheint heute als Kuriosum der Geschichte.

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Zahlen & Fakten

Endet das grüne Zeitalter?

Angesichts solcher Wahlergebnisse und einer zunehmenden Unbeliebtheit der Umweltschutzpartei proklamieren viele liberale und konservative Vordenker das Ende des grünen Zeitalters und der linken Deutungshoheit. Deutschland stehe vor einem politischen Paradigmenwechsel, so wird gemutmaßt. Die grüne Ideologie aus radikalem Klimaschutz, Grenzöffnungsfantasien, Postkolonialismus, nonbinärem Geschlechtsbild, Multikulturalismus und Wokeness sei an der Realität gescheitert. Zwar habe sich das grüne Milieu gegen den Widerstand in der Gesellschaft gewehrt, indem es versuchte, jede Kritik an seiner Politik als gestrig, menschenfeindlich, sexistisch oder gar faschistisch zu delegitimieren. Doch diese Einschüchterungsversuche würden zunehmend weniger funktionieren, freut man sich im gegnerischen Lager. Das Pendel schlage zurück. Die Zeit der grünen Deutungshoheit sei vorbei.

Wunschdenken!

Schön wär’s. Aber so ist es nicht. Die Vorstellung vom Ende der grünen Hegemonie beruht auf Wunschdenken und übereilten Schlussfolgerungen aus tagespolitischen Ereignissen. Doch die Tagespolitik ist wechselhaft. Aus ihr lassen sich keine langfristigen Trends herauslesen. Aus dem Scheitern der Ampelregierung und dem schlechten Wahlergebnis der Grünen bei den Bundestagswahlen ableiten zu wollen, die Dominanz der Grünen sei vorbei, ist mehr als kurzsichtig und entbehrt jeder analytischen Tiefenschärfe.

Wie voreilig die insbesondere aus dem bürgerlichen Lager kommenden Siegesmeldungen vom Niedergang des linken Zeitgeistes waren, konnte man in Deutschland in den vergangenen Wochen beobachten. Erst beugte sich CDU-Chef Friedrich Merz der SPD, dann fiel er vor den Grünen auf den Boden. Von dem vor der Wahl angekündigten Politikwechsel bleibt so viel übrig wie von der Schuldenbremse, die zu verteidigen Merz noch vor Wochen als sein wichtigstes politisches Ziel angab.

Die linken Parteien mögen eine krachende Wahlniederlage erlitten haben. Doch der Einfluss, insbesondere der Grünen, ist ungebrochen. Das liegt vor allem daran, dass es in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, die Schlüsselstellen öffentlicher Meinungsmultiplikation mit Menschen entsprechender Gesinnung und Loyalität zu besetzen. Der vorpolitische Raum in Deutschland – und nicht nur dort – ist weitgehend in Hand eines linksgrünen Sozialmilieus. Das zeigen Umfragen, soziale Studien, aber auch persönliche Gespräche mit den wenigen Dissidenten, die es in der Meinungsbranche noch gibt.

Linksgrüne Meinungsbranche

Gleichgültig ob Provinztheater, Literaturbetrieb, Kunstfestivals, Filmbranche, Kunstszene oder Medien – überall wird dem Rezipienten mehr oder minder subtil die gleiche politische Ideologie vermittelt. Ausnahmen gibt es so gut wie keine. Die Meinungsbranche erweist sich als homogene Blase, in der eine linksgrüne Agenda zu den unhinterfragten Gewissheiten gehört und mit entsprechendem Eifer unters Volk gebracht wird. Hinzu kommen Hunderte einschlägige Organisationen, Stiftungen und NGOs mit ähnlichem Meinungsprofil. Selbst die Kirchen haben sich zu Sprachrohren linksliberaler Ideologie entwickelt.

Die damit einhergehende Deutungshoheit über gesellschaftliche und politische Prozesse macht die eigentliche Stärke der Grünen und der mit ihnen verbundenen Milieus aus. Selbst wenn, wie aktuell, die Grünen nicht regieren, regieren sie auf diese Weise immer mit. Und selbst wenn die Union aus CDU und CSU morgen eine absolute Mehrheit im Bundestag bekäme, könnte sie nur unter Inkaufnahme erheblicher gesellschaftlicher und medial aufgeblasener Konflikte regieren. Denn in den komplexen Gesellschaften der Spätmoderne geht die Macht nicht mehr allein vom Parlament, einer Regierung oder anderen demokratischen Institutionen aus.

Die Deutungshoheit über gesellschaftliche und politische Prozesse macht die eigentliche Stärke der Grünen und ihrer Milieus aus.

Mindestens ebenso wichtig ist das, was im linken Politjargon fast schon zynisch die „Zivilgesellschaft“ genannt wird – also genau jene Ansammlung von Kulturinstitutionen, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen, Instituten und Medien, die darüber entscheiden, welche Ansichten und Meinungen politisch korrekt sind und welche nicht.

Dieses Vorfeld der Meinungsproduktion ist kontinuierlich gewachsen und beherrscht quasi die gesamte Republik. Schuld an dieser Misere ist auch die CDU. In den Reihen der Konservativen hielt man sich immer für besonders schlau und realpolitisch erfolgreich, wenn man sich bei Koalitionsverhandlungen mit SPD oder Grünen die „harten“ Ministerien wie Wirtschaft oder Finanzen sicherte und linken Parteien die „weichen“ Ressorts wie Frauen, Familie oder Kultur überließ. Dass gerade von diesen Ressorts gut ausgebaute Finanzkanäle geöffnet wurden, mit denen linke Vorfeldorganisation alimentiert werden, hat man dabei vollkommen übersehen.

Bürgerliche Fehleinschätzung

Hinzu kam, dass man aufseiten von CDU und FDP immer stolz auf seinen Antiintellektualismus war. Bürgerliche Parteien neigten stets dazu, sich als bodenständige Pragmatiker zu verstehen. Ihr Ideal war der Macher, der Unternehmer, der Handwerker; Menschen also, die sich nicht in Büchern und Theorien verlieren, sondern angeblich das wirkliche Leben kennen.

Dieser Antiintellektualismus war dumm: Er übersah, dass es von großer Bedeutung ist, eine Theorie von der Gesellschaft zu haben. Nicht, weil solche Theorien die Wahrheit verkünden, sondern weil sie Ideologien sind, die Menschen Sinn und Orientierung geben. Während Bürgerliche und Konservative an dem Glauben festhielten, es gebe einen unideologischen Zugang zur Welt, begriffen die Linken, dass alles Ideologie ist und dass derjenige, der die Leitthesen einer Gesellschaft produziert, in die Köpfe der Menschen eindringt.

Die Linken hatten stets eine solche Theorie, die Konservativen nicht. Und während die politische Linke die Gesellschaft verändern wollte, träumte der durchschnittliche Bürgerliche von Urlaub, Auto und Eigenheim. So erwirbt man aber keine gesellschaftliche Machtposition.

Der tatsächliche Einfluss der Grünen ist gewaltig und dauerhaft.

Aufstieg und Niedergang der Grünen messen sich nicht an Wahlergebnissen oder Umfragen. Sie messen sich in der harten Währung des tatsächlichen politischen Einflusses. Und der ist gewaltig und dauerhaft zementiert.

Dank einer entsprechenden Politik ist grüne Ideologie, sind grüne Normen und Denkmuster nicht nur im Kulturbetrieb, an Universitäten und NGOs fest implantiert, sondern auch im Erziehungssystem und in der Wirtschaft. Vom Kindergarten bis zum Abitur werden Kindern und Jugendlichen mehr oder minder subtil entsprechend eingefärbte Inhalte vermittelt. Lehrmaterialien und Schulbücher transportieren linksgrüne Weltbilder und Ideale. Die jugendliche Popkultur, in früheren Jahrzehnten subversiv, folgt dem Mainstream der Erwachsenen.

Auch der Kapitalismus ist woke

Besonders wirkmächtig war die Infiltrierung der Wirtschaft durch linksliberale Ideologie. Standen bis in die 1990er-Jahre Konzernchefs, Unternehmen und Manager der CDU oder FDP nah, so hat sich das Bild in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Der Kapitalismus ist woke geworden. Nicht zuletzt, um sich bei einer jungen und hippen Käuferklientel anzubiedern, hüllen sich zahlreiche Konzerne zum Pride Month in die Regenbogenfahne. Nahezu jede Werbekampagne wird zugleich zu einem Propagandafeldzug in Sachen Diversity, Buntheit und Achtsamkeit. Zahlreiche Unternehmen haben entsprechende Bestimmungen und Vorgaben in ihre internen Richtlinien eingearbeitet. Auch aufgrund des sanften politischen Drucks durch die EZB. Beliebte Produkte werden in vorauseilendem Gehorsam umbenannt.

Der Kapitalismus ist woke geworden.

Der woke Kapitalismus ist die vielleicht mächtigste Größe im Geflecht linksgrüner Deutungsinstitutionen geworden. Zusammen mit Medien, Kunst- und Kulturbetrieb bildet er ein ideologisches Kartell, das bei einer erheblichen Zahl von Bürgern den Eindruck entstehen lässt, linke, grüne und im weitesten Sinne woke Positionen seien die geläufige Mehrheitsmeinung.

Um dieses Konglomerat zur Generierung eines Zeitgeistes aufzubauen, bedurfte es Jahrzehnte. Es wird nicht innerhalb weniger Monate abgeschafft. Zu sehr ist die entsprechende Ideologie mit dem Lebensgefühl und der Populärkultur unserer hedonistischen, individualistischen und übersättigten Wohlstandsgesellschaft amalgamiert. Nur eine umfassende und tiefgreifende ökonomische Krise könnte die wirtschaftliche Basis dieses weltanschaulichen Überbaus zum Einbruch bringen. Das allerdings kann keiner wollen. Obwohl wir vielleicht kurz davor stehen.

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Conclusio

Einflussreich. Der politische Höhenflug der Grünen ist vorbei – ihr gesellschaftlicher Einfluss nicht. Trotz Wahlverlusten in Deutschland und Österreich bleibt die grüne Ideologie in Kultur, Medien, Bildung und Wirtschaft tief verankert.

Eingefahren. Der bürgerliche Traum vom Ende der grünen Hegemonie ist Wunschdenken. Konservative versäumten es, intellektuell gegenzuhalten – ein schwerer strategischer Fehler. Linksgrün setzte dagegen auf Medien und NGOs.

Einzementiert. Grüne Ideen sind zum Mainstream geworden – selbst die größten Kapitalisten geben sich heute woke. Ein jahrzehntelanger Marsch durch Institutionen hat Öko-Werte in Erziehung, Wirtschaft und Alltag verankert.

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