Wer will schon seine Macht abgeben?

Wenn drei Behörden das Gleiche tun und neue Regelungen zu neuer Bürokratie führen, wird wieder einmal klar: Es gibt keinen echten Willen, die Regelungssümpfe auszutrocknen.

Die Illustration zeigt Dokumente, die von verschiedenen Klammern und Tackern zusammengehalten werden. Das Bild illustriert einen Artikel darüber, dass niemand an den Abbau von Behörden denkt, da niemand gerne Personal, Budget und somit Macht abgibt.
Immer mehr Beamte, immer neue Regelungen. Kein Wunder, dass die Bürokratie blüht. © Andreas Leitner
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Auf den Punkt gebracht

  • Macht. Es gibt keinen echten Willen zur Reduktion der Bürokratie, da Entscheidungsträger ungern ihre Macht und Kontrolle abgeben.
  • Wachsende Verwaltung. Trotz politischer Versprechen steigt die Zahl der Beamten kontinuierlich, was zu einer immer größeren Verwaltung führt.
  • Doppelte Aufgaben. Viele Verwaltungsaufgaben werden von mehreren Behörden parallel erledigt, was zu ineffizienten und unnötig komplizierten Prozessen führt.
  • Föderalismus. Aufgaben werden unterschiedlich geregelt und mehrfach ausgeführt, was oft zu unnötiger Komplexität und Redundanz führt.

Wir haben wieder einen Wahlkampf lang von allen politischen Seiten dieselbe Platte gehört: „Wir müssen Bürokratie abbauen.“ Eine risikofreie Ansage, denn niemand wird die Gegenposition einnehmen und mehr Bürokratie verlangen. Aber was heißt denn das genau, „Bürokratie abbauen“? Der Ausdruck „bureaucratie“, geprägt vom französischen Ökonomen Vincent de Gournay, bedeutet eigentlich die „Herrschaft der Verwaltung“, von französisch bureau (Büro, Schreibtisch) und griechisch krateĩn (herrschen).

Abbau von Bürokratie will also die Herrschaft der Verwaltung reduzieren. Die Realität, die wir jeden Tag spüren, konfrontiert uns allerdings mit dem Gegenteil: Wir erleben beruflich und privat jedenfalls subjektiv immer mehr Verwaltung. Eine objektive Überprüfung bestätigt diese Wahrnehmung: Allein in der abgelaufenen Legislaturperiode hat die Regierung die Zahl der Planstellen im Bundesdienst um mehr als 4.700 Vollzeitpositionen erhöht. Auch in den Bundesländern steigen die Mitarbeiterzahlen in den jeweiligen Ämtern der Landesregierung. Der Anteil der öffentlich Bediensteten an der Erwerbsbevölkerung in Österreich wächst damit kontinuierlich. Unterstellt man Effizienzgewinne durch Digitalisierung von Aufgaben, beeindruckt der Personalbedarf der Bürokratie noch tiefer.

Wenn es nun an die Frage geht, welcher Teil dieser oft über Jahrzehnte gewachsenen Bürokratie verzichtbar wäre, liegen gar nicht so viele konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Klar, jemand muss die Führerscheine ausstellen, jemand die Strafbescheide versenden, die Steuerprüfungen durchführen und so weiter. Daneben gibt es jedoch viele Verwaltungsprozesse, die sich schlanker gestalten ließen, ohne dass der Bevölkerung irgendetwas fehlen würde.

Manche bürokratischen Strukturen sind einfach historisch gewachsen. Andere sind das Ergebnis von verschränkten Kompetenzbereichen. Und wieder andere sind aus echten Herrschafts- bzw. Machtüberlegungen entstanden.

Historisch gewachsen

Wir leisten uns in Österreich beispielsweise drei verschiedene Register, in denen wir die Bewohner registrieren. Es gibt nach dem Meldegesetz ein zentrales Melderegister, in dem unsere Wohnsitze verzeichnet sind. Separat davon besteht ein Personenstandsregister, wo Geburt, Familienstand, Tod und Namensänderungen notiert werden. Beide führt das Innenministerium. Und als drittes verantworten die Gemeinden als Register für die Wähler die sogenannte Wählerevidenz. Drei Register für eine gemeinsame Bevölkerung müssen von einer angemessenen Zahl an öffentlich Bediensteten gewartet werden. Der Frage, ob nicht ein Register genügt, nähert sich niemand.

Was es für die Bürgerinnen und Bürger gibt, darf auf der Seite der Unternehmen nicht fehlen: ein Register der Finanzverwaltung mit Steuernummer, ein Gewerberegister und ein Firmenbuch, wo dieselben Rechtssubjekte erfasst sind mit drei verschiedenen Nummern und jeweils einer Bürokratie dahinter.

Verschränkte Kompetenzbereiche

In der Folge werden die Prozesse kompliziert. Im Extremfall führt die Dichte an Regelungen und die Verschränkung von Behördenzuständigkeiten dazu, dass nur Kenner einer Rechtsmaterie zu ihrem Ziel kommen. Ein Musterbeispiel dafür ist die Rot-Weiß-Rot-Karte für Arbeitskräfte aus Drittstaaten. Weil hier sowohl Arbeitsmarktfragen als auch Fragen des Niederlassungsrechts zu prüfen sind, arbeiten das AMS und die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde nacheinander am selben Fall. Einmal abgesehen davon, dass ein Drittstaatsbürger keine Chance hat, diese Behördenlogik eines für ihn fremden Landes zu verstehen, ergibt sich zwingend eine längere Verfahrensdauer, wenn zwei Behörden denselben Fall bearbeiten.

Die abtretende Regierung hat das Problem erkannt und als Lösungsweg für zu komplizierte Bürokratie eine Portion zusätzliche Bürokratie gewählt: Wenn ein Unternehmen mit dem komplexen Rot-Weiß-Rot-Karte-Verfahren überfordert ist, kann es sich Unterstützung bei der Austrian Business Agency (ABA) holen, sodass also eine dritte Einheit des öffentlichen Sektors dem Unternehmen beim bürokratischen Verfahren in zwei anderen Einheiten des öffentlichen Sektors hilft. Das Verfahren bei einer Behörde zusammenzuziehen, wäre dann doch ein zu großer Schritt gewesen – schließlich hält jede Seite ihre Expertise für unverzichtbar: die Arbeitsmarktexperten des AMS und die Niederlassungsrechtler des Innenministeriums.

Bürokratie als Machtfaktor

Manchmal ist auch die Bureaucratie, diese Herrschaft der Verwaltung, in ihrem Kern eine Frage der Herrschaft. Ein schönes Beispiel dafür ist der Klimabonus. Die Abwicklung der Auszahlung des Klimabonus wurde dem grün geführten Klimaministerium (BMK) zugeschlagen, weil politisch nicht gewollt war, dass das schwarz geführte Finanzministerium (BMF) die Steuerpflichtigen mit einer Zahlung beglückt.

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Zahlen & Fakten

Diese Entscheidung führte aber notwendigerweise zu mehr Bürokratie. Denn im Gegensatz zum BMF, wo Steuereingänge und -rückzahlungen zum Tagesgeschäft gehören, war das Klimaministerium strukturell nie darauf ausgelegt, im großen Stil Zahlungsverkehr mit Bürgerinnen und Bürgern abzuwickeln. So musste das BMK für das Zusammenziehen der Kontoverbindungen und das Abwickeln der Zahlungen intern neue Strukturen schaffen, damit das grün geführte Ministerium in der Buchungszeile des Kontoauszuges aufscheint, wenn die finanziell Bedachten sich über den unverhofften Zahlungseingang wundern, und eben nicht das schwarz geführte BMF, wo derselbe Prozess mit den bestehenden Strukturen organisatorisch leichter von der Hand gegangen wäre.

Föderalismus als Bürokratieverstärker

Nicht für alle Angelegenheiten ist der Bund zuständig. Über manche Materien herrschen die neun Bundesländer. Wenn unser föderalistisches Land dieselbe Aufgabe neunmal unterschiedlich erledigt, kann das den Vorteil der Nähe haben. Die Wege sind kürzer und die regionalen Gegebenheiten bekannt.

Es kann aber auch den Nachteil bringen, dass das Einfache verkompliziert wird. So mag es zwar sinnvoll sein, dass Pflichtschulen Ländersache sind und mehrere tausend Schulen regional vor Ort betreut werden, während mittlere und höhere Schulen in die Kompetenz des Bundes fallen. Dass aber von diesen weiterführenden Schulen dann wieder das land- und forstwirtschaftliche Schulwesen mit bundesweit nur 83 Schulstandorten aus der Bundeskompetenz ausgenommen und in die Landeskompetenz fällt, hat zur Folge, dass jedes Bundesland für diese geringe Zahl an Schulen wieder eigene Mitarbeiter im Amt der Landesregierung beschäftigt.

Es greift, wie die Beispiele zeigen, viel zu kurz, sich darauf auszureden, dass uns die Europäische Union so viele Vorschriften aufbürde und die Bürokratie aus Brüssel komme. Sehr viel hätten wir in Österreich selbst in der Hand.

Aber Reformen schmerzen. Denn der Rückbau von Bürokratie, dieser „Herrschaft der Verwaltung“, bedeutet eben nicht nur einen Rückbau von Verwaltung, sondern auch der Herrschaft. Das betrifft Postenvergaben, inhaltliche Entscheidungen ebenso wie die schlichte Frage, über wie viel Personal ein Abteilungsleiter „herrscht“. Reformen schmerzen also nicht die Bürger, denen die Bürokratie dienen soll, sie schmerzen die Verantwortungsträger und Politik und Verwaltung. Diejenigen, bei denen die Entscheidung liegt, Bürokratie zu reduzieren, genießen gleichzeitig die Vorteile von mehr Bürokratie: Personalhoheit, Entscheidungsgewalt, Informationsvorsprung. Das macht den Abbau von Bürokratie zu einer Form der Selbstbeschneidung. Doch wer ist darin schon gut?

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Conclusio

Mehraufwand. Immer mehr Beamte, immer neue Regelungen. Kein Wunder, dass die Bürokratie blüht. An den Abbau von Behörden denkt niemand.
Doppelgleisigkeiten. Wenn die gleichen Aufgaben doppelt und dreifach erledigt werden, kostet das viel Zeit und Geld. Nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in den Unternehmen.
Ursachen. Das die Bürokratie so schwer einzudämmen ist, hat einen einfachen Grund: Niemand gibt gerne Personal, Budget und somit Macht ab. Sogar bei neuen öffentlichen Aufgaben werden neue Strukturen gebildet, um den politischen Einfluss zu wahren - Beispiel Klimabonus.

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