Das grüne Bürokratiemonster

Die EU leidet an chronischer Wachstumsschwäche. Defizite und Schulden galoppieren davon. Die Malaise wurzelt in Überregulierung, die mit dem Green Deal einen neuen Höhepunkt erreicht hat.

Die Illustration zeigt eine Topfpflanze in der Form eines Paragrafen. Sie wird von jemandem gegossen der die EU-Flagge als Manschettenknopf trägt. Das Bild illustriert einen Artikel über die Überregulierung innerhalb der EU, die mit dem Green Deal einen neuen Höhepunkt erreichte.
Die Bilanz des European Green Deal (EGD) ist ernüchternd: kein wirtschaftliches Wachstum, kein Klimaschutz. © Andreas Leitner
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Auf den Punkt gebracht

  • Versprechen der Kommission. Die Kommissionspräsidentin versprach 2024 Besserung, aber ob der Wille zur Reduktion der Gesetzgebung vorhanden ist, bleibt fraglich.
  • Nebenwirkungen des Green Deals. Der European Green Deal führte zu einer Flut von Rechtsnormen, die hohe Compliance-Kosten und Energiepreise verursachten.
  • Überregulierung. Die Überregulierung belastet Unternehmen und führt zu Verlagerungen ins Ausland, ohne den Klimaschutz effektiv zu fördern.
  • Fehlende Internationalisierung. Die EU scheiterte daran, den Rest der Welt in ihre Klimaschutzbemühungen einzubeziehen.

In ihren Regierungsleitlinien vom Juli 2024 gelobte die wiedergewählte Kommissionspräsidentin Besserung. Die Frage ist aber, ob der Wille für den notwendigen Rückbau der Gesetzgebung bei den Entscheidungsträgern vorhanden ist. Erst nach Auslaufen der Übergangsfristen und Erlassung der delegierten Rechtsakte, für welche weitläufig Pouvoir erteilt wurde, wird das Verpflichtungskorsett seine volle Wirksamkeit entfalten.

Wie kam es dazu? Vor fünf Jahren hat die Kommission unter dem Titel European Green Deal (EGD) das auf Hochglanz polierte Programm „Wachstum durch Klimaschutz“ präsentiert. Gewachsen ist die Masse an Rechtsnormen, nicht die Wirtschaft. Der EGD war von seiner Geburtsstunde an regulierungslastig. Informierte Kreise schreiben dem EGD hundert oder mehr Rechtakte zu, die 36.000 Seiten im EU-Amtsblatt füllen. Dichte und Tempo der Umsetzung des EGD stellen frühere Gesetzgebungen in den Schatten. Damit kommt es wie bei Arzneimitteln zu „unerwünschten Nebenwirkungen“, je größer die Dosis, desto schwerer die Nebenwirkungen. Im Beipackzettel des EGD fehlte der Hinweis. Zielsetzungen wurden nicht auf Machbarkeit geprüft, monierte der Europäische Rechnungshof in seiner Evaluierung der Wasserstoffpolitik.

Die unerwünschten Nebenwirkungen greifen mehrere Organfunktionen in Unternehmen an: Stress bei der Beschaffung (Lieferkette, Stoffverbote), Fallstricke beim Marketing (Werbeverbote), Nadelöhre bei der Finanzierung (Green Finance) und Einbußen bei der Rentabilität (Bepreisung, Compliance-Aufwand). Das Risikomanagement der Unternehmen ist mit völlig neuen Risiken konfrontiert. Für die Prozesse notwendige Stoffe fallen aus, Energiepreise springen in die Höhe, öffentlicher Druck wegen bedenklicher Lieferanten verunsichert Kunden etc.

Der Erfolg bei der Bekämpfung des Klimawandels blieb aus. CO2-Reduktionen in der EU wurden zwar realisiert, aber mit Steigerungen außerhalb der EU erkauft. Es ist wie bei einem kommunizierenden Gefäß: Minus auf der einen Seite, Plus auf der anderen, beides aufgrund der Abwanderung von Produktionsstätten. Fürs Klima ist so nichts gewonnen. Die EU27 stellt nur noch 6% der Weltemissionen. Gleichzeitig haben die Weltemissionen 2023 mit 57,1 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente p.a. einen neuen Zenit erreicht (46 Mrd 2013). Der Versuch, den „Rest der Welt“ mit den übrigen 94% der Emissionen an Bord zu holen, fand nicht statt. Die Bilanz des EGD ist ernüchternd: kein Wachstum, kein Klimaschutz.

Das fehlende Herzstück, die Internationalisierung, stempelt den EGD als Klimaschutzprogramm a priori als Mission Impossible ab. Was außen fehlt, wird im Inneren überkompensiert, durch Überregulierung aus mehreren Richtungen mit einer vorher nicht gekannten Wucht.

Bürokratie- und Regulierungskritik hat oft den Makel fehlender Spezifikation. Lamentieren bringt nichts, die Kritik muss das Übel konkret benennen. Vorweg sei eines klargestellt: Regulierung ist nicht per se schlecht, ohne Regulierung wäre ein Wirtschaften kaum möglich, Regulierung braucht es zur Wahrung legitimer individueller und öffentlicher Interessen, die im politischen Prozess als schutzwürdig erkannt werden, unbestritten ist der Klimaschutz im hohen öffentlichen Interesse. Regulierung sollte aber treffsicher, ausgewogen und verhältnismäßig sein. Die Politik hat nicht nur ein Ziel, Politik ist das Verhandeln und Entscheiden von Zielkonflikten. Es braucht Interessenausgleich. Dies wurde im EGD negiert.

Vereinfachend formuliert: Man kann sich alles wünschen, aber alles hat seinen Preis, zB einen Einbruch bei Investitionen, eine Verlagerung von Aktivitäten in Drittstaaten und Arbeitsplatzverluste, wenn finanzielle oder administrative Lasten oder rechtliche Risiken zu groß werden. Beim EGD hatte ich das Gefühl, dass seinen Architekten kein Preis zu hoch war. Auch im eigenen wohlverstandenen Interesse müssen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in das gesamte Zielsystem eingebettet werden. Und nicht jedes Problem muss mit Rechtstexten traktiert werden.

Too much, too many

Ein zentraler Nerv des Wirtschaftens ist das Geld. Unter dem Stichwort Green Finance hat man ein Regulierungsgebäude aufgetürmt, das Finanzströme in eine grüne Richtung lenken soll. Der Effekt ist eine unglaubliche Bürokratisierung der Kreditvergabe. Eine Vielzahl von Daten muss der Kreditwerber zusammentragen, er muss sie nach bestimmten Regeln erheben, Zertifikate müssen eingeholt werden.

Investitionen, die nicht als grün identifiziert werden, stehen unter Rechtfertigungsdruck. Die Bank vergibt den Kredit zwar immer noch nach der Bonität und der Ertragschance der Investition, aber zu viele nichtgrüne Finanzierungen verschlechtern die Position der Bank im Branchenranking. Sollte es nicht genügen, dass ein Projekt alle Rechtsvorschriften einhält? Warum zusätzliche, teils willkürlich anmutende Taxonomie-Kriterien. wenn doch das Umweltrecht immer anspruchsvoller, immer feiner gesponnenen wird? Zuerst sagte die Kommission, sie wolle nur verhindern, dass ein Finanzprodukt fälschlich als grün etikettiert wird. Die heutige Taxonomieverordnung geht darüber weit hinaus, sie schreckt ab, und für jene, die sich nicht abschrecken lassen, erhöht sie die Finanzierungskosten. Bürokratie frisst Marge. Für mich ein klarer Fall von „too much“.

Ein noch krasseres Beispiel gut gemeinten, weltverbessernden Regulierungseifers, der die Unternehmen überfordert, ist die Lieferkettenrichtlinie. Sie nimmt die betroffenen Unternehmungen als Weltpolizisten des Schutzes europäischer Werte in die Pflicht. Nun sind Unternehmen zuständig für die Wahrung der Menschenrechte in China, den Schutz der Kinder vor Ausbeutung im Kongo und der Bauern vor Wasserentzug in Chile. Und vieles mehr. Darüber ist Rechenschaft zu legen. Wiederum muss man über die entsprechenden Zertifikate verfügen. Die im Rechtsakt verankerten Erleichterungen für KMU gehen ins Leere, da die Kunden die Produktdaten ihrer Lieferanten unabhängig von ihrer Unternehmensgröße einfordern werden.

Neue Ämter und Bürokratiedienstleister

Das neue Lieferkettenregime erfordert eine neue unabhängige nationale Behörde, eine nationale Supply Chain Authority. Sie hat nicht die Aufgabe, Lieferanten in Drittstaaten zu monitoren, sondern die im Unionsraum ansässigen Verpflichteten zu überwachen und gegebenenfalls zu sanktionieren.

Auch die „Klimazölle“ werden von einer neuen Behörde, dem Emissionsamt, administriert. Die Regierungsvorlage des Gesetzes veranschlagte dafür und für den erweiterten Emissionshandel 60 Dienstposten. Über die Größe der Lieferkettenbehörde wissen wir noch nicht Bescheid.

Behördenwachstum erschwert die Erfüllung der Budgetziele und bindet in Zeiten von Rekrutierungsengpässen der Wirtschaft knappe Personalressourcen. Viele Menschen bevorzugen eine Beschäftigung im Staatsdienst gegenüber einem Arbeitsplatz in einem Unternehmen. Am Tisch der österreichischen Bundesregierung liegen derzeit zwei Schreiben der Kommission: eines fordert mehr Ambition beim Klimaschutz, das andere eine Reduktion der Staatsausgaben. Dass das Unionsrecht neue Behördenapparate fordert, macht die Erfüllung der Budgetziele nicht leichter.

Das System der Zertifizierung kann als Strategie gewertet werden, Dienstposten aus der staatlichen Verwaltung auszulagern. In den Unternehmen fällt doppelter Compliance-Aufwand an, im eigenen Bereich und beim „Dienstleister“. Unternehmen müssen nicht nur Behörden und Zertifizierern Rechenschaft ablegen, sie müssen selbst andere Unternehmen kontrollieren. Jeder kontrolliert jeden, mithilfe eines großen Beraterheeres.

Europa und einige Mitgliedstaaten gelten als besonders stark exportorientiert. Das hindert die EU aber nicht daran, sich sukzessive Importen zu verschließen. Beim Lieferkettenregime darf ohne vollständige Dokumentation nicht importiert werden, ebenso beim Klimazoll. Als krassestes Beispiel einer Importbarriere ist die Entwaldungsverordnung zu nennen. Die EU monitort jeden Baum dieser Erde. Ist der Baum, aus dem das Streichholz gefertigt wurde, in einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung gefällt worden? Stammt der Kautschuk für den Autoreifen aus nachhaltig geernteten Harzen? Ist das Rindfleisch für den Sugo oder der Kakao für die Schokolade entwaldungsfrei produziert worden? Unternehmen - de facto wegen des Kundendrucks auch kleine - sind für den Schutz der Umwelt nach EU-Maßstäben am gesamten Globus verantwortlich.

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Zahlen & Fakten

Auch dieses Regime ist aus den Fugen geraten, Ausgangspunkt war der Schutz der Regenwälder, geworden ist daraus eine Importschranke und eine Schranke für den Handel innerhalb des Binnenmarkts, auch wenn sich zuletzt eine Abschwächung der Auflagen abgezeichnet hat. Jeder Mitgliedstaat muss eine weisungsfreie Behörde zur Überwachung einrichten. Das ist nun schon die dritte Behörde, die der EGD verursacht hat. Jede natürliche und juristische Person, also auch jeder Umwelt- und Sozialverband, kann die Verletzung von Verpflichtungen bei der Behörde und anschließend bei einem Verwaltungsgericht geltend machen. Die Sanktionen umfassen Geldstrafen bis zu 4% des Jahresumsatzes, das Verbot der Beteiligung an öffentlichen Auftragsvergaben und den Marktausschluss.

Bisher konnten Unternehmen darüber entscheiden, ob sie ein Umweltmanagementsystem einrichten, die Industrie-Emissions-Verordnung macht dies nun zur Pflicht. Das Umschlagen vom Können zum Müssen ist ein weiterer Dammbruch. Unternehmen werden auch hier unter Kuratel gestellt. Im gleichen Rechtsakt schreibt der Gesetzgeber den Unternehmen vor, einen Klimaplan bis 2050 auszuarbeiten. Bei näherer Betrachtung ist das eine unlösbare Aufgabe. Die Unternehmen können nicht wissen, ob die Politik Ökostrom, grünen Wasserstoff, grüne Wasserstoffderivate, Lagerstätten und Pipelines für CO2 zur Verfügung stellen wird. Sie können daher auch nicht wissen, wie lange und für welche Bereiche sie Standorte in Europa aufrechterhalten werden. „Masterpläne“, zu denen die Politik Zuflucht nimmt, können das nicht kaschieren, sie geben null Sicherheit.

Übergriffige Verbote

Als Beispiel für übergriffige Reglementierung im Wirtschaftsbereich ist die Umweltwerbung anzuführen. Bisher galt: Jeder darf werben, wie er will, solange er die Konsumenten nicht täuscht. Dazu gibt es jahrzehntelange Praxis und Rechtsprechung. Warum sich der EU-Gesetzgeber damit nicht zufrieden gab, kann ich nicht nachvollziehen. Er will Werbung mit Umweltschutzargumenten verbieten, wenn entsprechende Zertifikate vorliegen. Dieser Eingriff in die Werbefreiheit ist unverhältnismäßig, weil gar nicht erforderlich. Juristische Berater werden mit diesem Regime viel Freude haben.

Wie die Entwaldungsverordnung und die Lieferkettenrichtlinie erschwert auch der Klimazoll Importe. Wer künftig eine Schraube aus Serbien importiert, muss für den CO2-Fußabdruck der Schraube einen Klimazoll zahlen. Der muss aber erstmal ermittelt werden. Wieviel CO2 fiel im Schraubenwerk, bei der Metallherstellung, der Rohstoffgewinnung und den Transporten zwischen den Gliedern der Lieferkette an? Zertifizierungsunternehmen erwartet ein opulentes Buffet. Die Regelung wurde geschaffen, um europäische Unternehmen zu schützen. Sie geht aber nach hinten los, denn europäische Produktionsstandorte benötigen Vormaterial und Zwischenprodukte aus dem Nicht-EU-Raum, deren Bezug sie administrativ erschwert und verteuert.

Druck geht ins Leere, wenn die Alternative fehlt

Die Verteuerung von Energie war erklärtes Ziel der EU-Politik. Man erhoffte sich, dass die Wirtschaft auf erneuerbare Energie umsteigt, die viel billiger als fossile Energie sein soll. Durch die CO2-Bepreisung, die Jahr für Jahr zulegt, soll das bewerkstelligt werden. Ein derartiges Instrument kann aber nur funktionieren, wenn es Alternativen gibt. Das ist aber nicht der Fall. Dort hätte der EGD ansetzen müssen. Alle reden vom Wasserstoff. Mit Wasserstoffrhetorik kann ein Stahlwerk nichts anfangen, es braucht den Wasserstoff, und das in ausreichenden Mengen und zu vertretbaren Preisen.

Man hat den Eindruck, dass die Politik darüber erstaunt ist, was sie angerichtet hat, nämlich dass energieintensive Produktionen aus Kostengründen abwandern. Der Gesetzgeber hat auch PKW verteuert. Die Nachfrage geht zurück, billigere Importwarten aus dem Nicht-EU-Raum gewinnen Marktanteile. China verfügt über die Rohstoffe für Elektrobatterien, hat einen Know-how-Vorsprung, die Energiekosten sind niedriger. Wo die EU stark war, bei den Autos mit Verbrennungsmotor, zieht sie regulatorisch die Bremsen an. Verbrenner-PKW werden ab 2025 mit CO2-Strafen in der Höhe bis zu 16 Milliarden belastet. Die im EGD noch einmal verschärften EU-Regulierungen haben die Automobilindustrie, bisher ein Asset des Industriestandorts EU, schwer getroffen, Klimazölle gegen China werden sie nicht retten.

Beim Zwang zum Elektroauto wollten die Autoproduzenten mitspielen, aber der Kunde kauft die Autos nicht so, wie der EGD es haben wollte, und dies aus nachvollziehbaren Gründen. Es profitieren nicht-europäische Hersteller, die europäische Industrie schrumpft. Hätte man sich um klimaneutrale Treibstoffe gekümmert, stünde der Klimaschutz besser da - vom gewaltigen Kollateralschaden für die europäische Industrie und deren Beschäftigte abgesehen. Der EGD hat die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht auf seiner Rechnung gehabt, ein weiterer Kardinalfehler des EGD.

Das Beispiel zeigt, dass die Regulierungspolitik bei so massiven Interventionen mit hohen Risiken verbunden ist. Die Strategie „Trial and Error“ ist angesichts des hohen Einsatzes unverantwortlich. Der Fehler wird erst erkannt, wenn der Schaden eingetreten ist. Schlimmer ist noch, dass viele Entscheidungsträger den Irrtum nicht zur Kenntnis nehmen wollen, schuld sind die multiplen Krisen und die regulierte Industrie (die eine politische Wende verschlafen habe) selbst. Grenzwerte dürften, so heißt es aus Ministerien, nicht angepasst werden, um die ruinösen Strafzahlungen zu entschärfen, weil damit die „Schlimmen“, also jene die „zu viele“ Verbrenner-Autos verkaufen, belohnt würden.

Goethes Zauberlehrling als warnendes Beispiel

Magisches Gerät einmal ausprobieren zu dürfen, ist in Goethes Ballade der Traum des Zauberlehrlings. Bald sieht er, dass er Schlimmes anrichtet, und weiß nicht, wie er das Gerät – den Besen – abstellt. Genau das ist bei den Energiepreisen und beim Elektroautozwang passiert. Nun schafft es der Zauberlehrling nicht, den Besen wieder in die Kammer zu stellen und den Spuk zu beenden, weil er den Zauberspruch nicht kennt.

Den Zauberspruch gibt es nicht, und der eingetretene Schaden ist nicht mehr wegzuwischen. Die Energiepreise, auch die Strompreise, werden weiter steigen, ohne dass ein einziger neuer Rechtsakt erlassen werden muss. Nicht nur einmal, wie gerade 2025, werden die Stromnetzkosten um 20-30% steigen.

Timing chaotisch

Die EU hat ein Problem mit der richtigen zeitlichen Abfolge. Man soll eine Brücke nicht abreißen, bevor man sie überschritten hat. Man soll Technologien nicht verbieten, solange die Alternativen nicht verfügbar sind, man soll Technologien nicht vorschreiben, bevor die notwendigen Infrastrukturen da sind. Ökostrom wird produziert, bevor die Netze ertüchtigt werden, um ihn dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird. Daher wird immer mehr Ökostrom quasi entsorgt, und für den Strom, der es ins Netz schafft, häufen sich negative Strompreise. E-Autos werden gefordert, bevor es die Ladestationen gibt.

Die Industrie muss auf Wasserstoff umsteigen, den gibt es aber weder in der geforderten Menge noch in der notwendigen Qualität, noch zu vertretbaren Preisen. Die Wasserstoffstrategien der EU und der Mitgliedstaaten hinken nach. Eine Importstrategie hat die EU nicht entwickelt. Darauf käme es aber an, weil die EU maximal ein Drittel des Wasserstoffs aus eigener Produktion decken wird und außerdem noch für den Ersatz von Erdölprodukten Wasserstoffderivate importieren muss, die außerhalb der EU viel kostengünstiger produziert werden können. Grenzwerte für Autos dürfen nicht auf eine einzige Technologie wie die Elektrobatterie zugeschnitten sein, die Europa von China abhängig macht. Das Lehrgeld für die Abhängigkeit von einer Großmacht hat die EU bereits einmal bezahlt, aber nichts daraus gelernt.

Folgte die Politik anstelle der Devise „verbieten, verteuern, verhindern“ der Maxime „ermöglichen, erleichtern, anbieten“, bestünde das Problem der falschen Reihenfolge nicht.

Festung Europa als vollendete Tatsache

Zwar gibt es nun Anzeichen für eine Neuaufstellung der Kommission, aber die bisher einzige Korrektur besteht darin, dass ein kritischer Rechtsakt, die Entwaldungsverordnung, um ein Jahr aufgeschoben wird, weil die Vollzugstools noch nicht bereitgestellt werden konnten. Also nicht wegen inhaltlicher Bedenken, sondern weil sich die EK auch selbst übernommen hat.

Sorgen bereitet die Abschottung Europas vom Rest der Welt. Die EU schreibt vor, was andere Länder zu tun haben. Weichen sie ab, sind Importe verboten. Das ist Nachhaltigkeitspolitik mit der Brechstange. Die Festung Europa ist das falsche Konzept, gerade auch wenn es darum geht, planetare Grenzen zu respektieren. Europa müsste auf die anderen Wirtschaftsräume zugehen. Mit ihren schweren Importrestriktionen beschreitet die EU einen unilateralen Weg, der Erinnerungen an den Kolonialismus wachruft.

Während die Festung Europa in der politischen Arena im Zusammenhang mit Zuwanderung diskutiert wird, ist sie auf leisen Sohlen in der Welthandelspolitik schon rechtlich festgezurrt, auch wenn sie erst in den kommenden Jahren spürbar werden wird.

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Conclusio

Übereifer. Mit der Umwelt- und Klimaschutzgesetzgebung hat die EU völlig über das Ziel geschossen. Der Green Deal der Union drückt massiv auf das Wachstum Europa, ohne die Emissionen nachhaltig zu drücken.
Eindimensional. Das Minus bei den Emissionen in der EU wird durch ein Plus im Rest der Welt kompensiert. Damit verlagert sich der Ausstoß lediglich, ohne dass dem Klima geholfen wäre.
Schuss ins Knie. Nicht gleichgültig ist es hingegen für die Unternehmen, wenn sie mit zusätzlicher Regulierung belastet werden. Sie müssen sich bereits mit 36.000 Seiten an Vorschriften im Amtsblatt der EU zum Green Deal herumschlagen.

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