Warum fasziniert uns der Sternenhimmel?

Seit Menschengedenken blicken wir in die Sterne – und nicht nur, weil sie zur Orientierung dienen können. Physiker Werner Gruber über die Faszination, die der Sternenhimmel auf uns ausübt.

Milchstraße in Utah

Blicken wir in tiefer Nacht in den Himmel, so sehen wir funkelnde Sterne in den verschiedensten Farben – manche bläulich, andere rötlich. In der Nähe des Horizontes flackern diese und manchmal thront der Mond mächtig am Firmament und erleuchtet die Umgebung mit seinem schwachen Licht – genau so stark, um nicht die Sterne zu überblenden, aber doch ausreichend, um den Weg nach Hause zu finden.

Was ist so besonders am Sternenhimmel? Warum können wir stundenlang auf die Sterne starren oder warum gehen Menschen sogar in Planetarien, wo künstliche Sternenhimmel geboten werden – mit dem Vorteil, dass es warm ist und man die Sterne auch unter Tags beobachten kann, statt bis tief in die Nacht zu warten?

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Erleuchtung am Sternenhimmel

Aufgrund der Lichtverschmutzung können gerade in Städten nur die hellsten Sterne direkt beobachtet werden. Der Grund ist einfach erläutert: Das Licht der Stadt wird an Staubteilchen oder kleinen Wassertröpfchen in der Luft gestreut. Auch wenn es nicht direkt unser Auge erhellt, so erleuchtet es den Himmel und trübt uns Stadtbürgern den Ausblick. Es gibt Bestrebungen, manche Gebiete in Europa durch geeignete Beleuchtungstechniken besser zu schützen, um uns den Sternenhimmel zu bewahren – denn die Menschen suchen die kleinen Lichtpünktchen am dunklen Himmel.

Der Erfinder des Planetariums hat einmal gemeint, wenn es nur einen Ort auf der Welt gäbe, von dem man die Sterne aus sehen könnte, dann würden alle Menschen dorthin pilgern. Wie wahr – oft erzählen mir Menschen von ihrem Eindruck eines großartigen Nachthimmels, den sie an entlegenen Orten im Urlaub erlebt haben. Es gibt also eine Faszination mit dem Sternenhimmel, aber warum? Da müssen wir uns überlegen, was uns alles fasziniert, was uns beeindruckt oder einfach nur zum Nachdenken anregt. Bisher war „Faszination“ kein Begriff der Psychologie, es ist nicht einmal ein Forschungsgegenstand – wiewohl es das meistverwendete Wort ist, um Astronomie oder die Naturwissenschaften zu bewerben. Gehen wir es pragmatisch an: Was fasziniert uns alles?

Der Erdaufgang

Schauen wir auf den Weltraum, so war eine der faszinierendsten Fotographien das Bild „earthrise“. Drei Astronauten flogen zum Mond, es war noch nicht die Mondlandung, sondern eine Vorgängermission. Mit dieser Mission wollte man das Raumschiff in der Mondumlaufbahn austesten, den Funk an die Grenzen treiben und auch ein paar Bilder von der Mondoberfläche machen.

Foto Earthrise
24. Dezember 1968: Dieser Blick auf die aufgehende Erde begrüßte die Apollo-8-Astronauten. © Getty Images

Bei dieser Mission – Apollo 8 – wurde der Mond mehrmals umkreist. Da auch der Mond zur Hälfte im Schatten der Sonne liegt, kann man Bilder von der Mondoberfläche nur beim beleuchteten Teil der Mondoberfläche machen. Als die drei Astronauten mit ihrer Kapsel aus dem Mondschatten flogen, richteten Jim Lovell und Frank Borman ihre Fotoapparate auf die Mondoberfläche. Nur der Astronaut Bill Anders schaute zum Horizont des Mondes und war fasziniert: Er sah den kargen, zerklüfteten und lebensfeindlichen Mond am Horizont, dahinter eine kleine blau-weiße Murmel mit einer hauchdünnen Atmosphäre – unsere Erde – eingebettet in den samtenen schwarzen Kosmos mit abertausenden Sternen, die unendlich weit entfernt sind.

In den Fotoapparaten befand sich kein Farbfilm und so musste man auf den nächsten Umlauf warten, um diesen Eindruck zu fotografieren. Dieses Bild gilt als eine der wichtigsten Fotografien, die jemals geschossen wurden. Es regte die Menschen zum Nachdenken an, jeder sah etwas Anderes: Manche faszinierte die Prächtigkeit der Farben der Mondoberfläche, andere waren von unserer Erde fasziniert, wieder andere fanden das Wechselspiel zwischen der lebensfeindlichen Mondoberfläche und der lebensfreundlichen Erde spannend, andere waren besorgt ob der dünnen Atmosphäre der Erde. So geht man davon aus, dass dieses Bild den Beginn der Umweltschutzbewegung markiert. Auf alle Fälle faszinierte es die Menschen.

Die Definition der Faszination

Man sah etwas Neues, das zum Nachdenken anregt – das könnte uns dem Geheimnis des Begriffs „Faszination“ schon näherbringen. Wenn wir etwas Schönes sehen oder hören, wenn wir etwas wahrnehmen, was nicht alltäglich ist, also neu und ungewohnt ist, was uns zum Denken anregt – dann fasziniert es uns, zumindest die meisten Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine wichtige Eigenschaft des Begriffes „Faszination“ übersehen habe, aber ich glaube, damit sind wir auf dem richtigen Weg. Der Sternenhimmel erfüllt alle Kriterien der Faszination: schön, ungewohnt und regt zum Denken an.

Betrachten wir den öden Himmel des Tages: Die Sonne ist grell und blendend, der Himmel ein eintöniges Blau. Zum Verweilen lädt das nicht ein. Das Ganze ändert sich, sobald die ersten Wolken den Himmel etwas auflockern – besonders die Wolken, die sich in einem schönen Kontrast zum blauen Himmel befinden, Wolken, in die man Tierfiguren hineininterpretieren kann. Ebenfalls stimulieren orange bis blutrot eingefärbte Wolken am Abend oder am frühen Morgen, beleuchtet von der Sonne, unser Gehirn. Was wir nicht mögen, ist ein monotoner grauer Himmel – das drückt auf die Stimmung.

Ordnung ins Chaos bringen

In der Nacht ist natürlich noch alles viel beeindruckender, die Kontraste sind verstärkt und die Dinge werden noch unübersichtlicher. Man kann in die möglichen Sternkonstellationen viel mehr hineininterpretieren als jene Mäuse oder Elefanten, die wir in den Schäfchenwolken „sehen“ können. In der Nacht verändern sich die Geräusche – es wird ruhiger, während man weit entfernt vielleicht ein paar nachtaktive Tiere bei Paarungsritualen oder der Verteidigung ihres Reviers hört. Auch die Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, denn tagsüber ist unser Gehirn darauf trainiert, Ecken und Kanten, Linien und Kurven, Flächen und Farben zu erkennen. Es ist gewohnt, diese Eindrücke zu kategorisieren und den daraus entstandenen Objekten Namen zu geben.

Aber in der Nacht, da ist unser Gehirn vielleicht nicht überfordert, aber konfrontiert mit Chaos. Wir sehen viele Lichtpunkte, die ungeordnet sind. Das Erste, das wir versuchen, ist Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Wir versuchen uns an den Schulunterricht zu erinnern, an Sternkonstellationen, die wir vielleicht einmal gelernt haben oder in einem Survival-Handbuch gesehen haben. So gelangt das Bild vom Großen Wagen in unser Gedächtnis und schon freuen wir uns, wenn wir die dazu passenden Sterne identifizieren können.

Historische Karte zum Sternbild Großer Wagen
Der lateinische Name des Großen Wagens lautet Ursa Major – Große Bärin. Ein Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert. © Getty Images

Interessanterweise trägt diese Konstellation auf der Nordhalbkugel in jeder Kultur einen anderen Namen. Das hängt wohl damit zusammen, welche Bereiche in einer Gesellschaft historisch als wichtig galten. Bei den Native Americans sind es drei Jäger, die versuchen, vier Hirsche zu jagen; bei den Deutschen – vielleicht wegen ihrer Automobilindustrie? – ist es der Große Wagen, bei den Arabern ein Sarg mit drei Klageweibern und – was mir am besten gefällt – bei den Franzosen handelt es sich um die Grande Casserole, die große Stielpfanne.

Wieso der Stier ein Stier ist

Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge in zufällige Muster hineininterpretieren zu wollen. Unser Gehirn kann einfach nicht anders. Wir versuchen Muster zu vervollständigen, und dieser Prozess ist abhängig von den Mustern, die wir in unserem Leben gelernt haben. Wer niemals in seinem Leben einen Delfin gesehen hat, wird niemals das Sternbild des Delfins mit dem gleichnamigen Tier assoziieren. Die alten Phönizier und später die Römer haben versucht, Ordnung in das Chaos der vielen Sterne zu bringen. Sie ließen sich aber nicht nur von ihrer Mythologie und Religion leiten, sondern sie verknüpften beide sehr geschickt mit dem Sternenhimmel. So ist das Auge des Sternbildes Stier tiefrot.

Dieser Stern ist ein roter Überriese. Wer die phönizische Mythologie nicht kennt, muss sie lernen, um das Konzept der Phönizier, das dann später von den Römern verfeinert und angepasst wurde, zu verstehen. Dass die Sternbilder auch einen praktischen Wert haben – sie stellen die Landkarte am Firmament dar – ist nur für die Astronomen wichtig, nicht für den unbedarften Beobachter. Diese Unordnung der Sterne, verbunden mit dem zufälligen Funkeln, eingebettet in eine nächtliche Umgebung, die wir als ungewöhnlich empfinden, kann ein leichtes ängstliches Kribbeln hervorrufen – oder auch ein Gefühl von tiefer Geborgenheit verursachen.