Warum Franz Fischler auf Gentechnik setzt
Eine alleinige Antwort auf die Ernährungskrise ist die Gentechnik nicht, aber wir brauchen sie, um die Pflanzen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, meint der langjährige EU-Agrarkommissar Franz Fischler im Interview. Dürren, Schädlinge und Krankheiten sind sonst nicht bewältigbar.
Franz Fischler ist das Gesicht der österreichischen Landwirtschaft schlechthin. Er war zehn Jahre lang EU-Agrarkommissar und stellte das landwirtschaftliche System der Union auf neue Beine. Davor war Fischler Landwirtschaftsminister, danach Präsident des Europäischen Forums Alpbach und des Ökosozialen Forums. Er sitzt dem Kuratorium des Instituts für Höhere Studien vor.
Herr Fischler, der Krieg in der Ukraine sorgt nicht nur für unvorstellbares menschliches Leid, sondern auch für massive Störungen der Getreideversorgung. Wie schwer wiegen die Ausfälle?
Franz Fischler: Das hängt von mehreren Fragen ab. Wird es möglich sein, heuer in der Ukraine zu ernten? Viele Felder sind vermint, da kann der Mähdrescher leicht in die Luft fliegen. Und wie sieht es mit dem Anbau von Wintergetreide im Herbst und den Betriebsmitteln wie Dünger aus? Man darf nicht vergessen, dass Russland und die Ukraine auch große Stickstoffhersteller sind. Die dritte Frage ist: Kann man das Getreide verschiffen? Das wird der wahre Engpass sein.
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Mir welchen Auswirkungen an den Weltmärkten rechnen Sie?
Russland ist seit einigen Jahren der größte Exporteur von Weizen, die Ukraine zählt ebenfalls zu den bedeutenden Ausfuhrländern. Die größten Abnehmer sind arabische Länder, allen voran Ägypten. Es besteht das Risiko, dass wir in eine ähnliche Situation geraten wie Ende 2010, als der Arabische Frühling ausbrach. Damals waren die hohen Weizenpreise eine wesentliche Ursache für die Aufstände, sodass auch jetzt wieder Unruhen zu befürchten sind. Die Ukraine ist aber auch der größte Lieferant für das World Food Programme, das die großen Flüchtlingslager in der Türkei oder Jordanien versorgt. Das sollte nicht außer Acht gelassen werden.
Wird diese Entwicklung zu steigendem Hunger führen?
Dass die Zahl der Hungernden steigt, liegt auf der Hand. Wir sind jetzt dort, wo wir vor Jahrzehnten begonnen haben. Die im Rahmen der UNO-Millenniumsziele angepeilte Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2020 ist einigermaßen gelungen. Vom neuen Ziel, den Hunger bis 2030 auszurotten, sind wir weit weg. Wir bewegen uns in die genau gegenteilige Richtung.
Kriege, Klimawandel, Flüchtlingsströme: Wie wirken sich diese Krisen auf die Getreideproduktion aus?
Für zwei Drittel der Unterernährung sind Kriege und Terror verantwortlich. Die nächsten 20 bis 25 Prozent hängen mit der Armut zusammen: Die Menschen haben zu wenig Einkommen, um ausreichend Lebensmittel kaufen zu können. 10 Prozent des Hungers hängen mit Naturkatastrophen zusammen. Es ist also nicht so, dass die Erderwärmung hauptsächlich schuld am Hunger ist. Es wird allerdings der Anteil am Hunger, der klimabedingt entsteht, wachsen.
Könnte Europa – der zweitgrößte Getreideexporteur – einspringen?
Ich glaube, Europa kann die Ausfälle nicht kompensieren. Man muss ja immer bedenken, was wegfällt, wenn mehr Getreide angebaut wird. In den Industriestaaten wird mehr Getreide für die Fütterung von Tieren angebaut als für die menschliche Ernährung. Futtergetreideanbau kann man reduzieren. Das heißt aber im nächsten Schritt, dass man weniger Fleisch produzieren kann. Das hat enorme Konsequenzen für die Verarbeitungsindustrie. Die weitere Folge ist nicht ein Rückgang des Fleischkonsums, sondern mehr Importe. Südamerika liefert dann nicht mehr Soja, sondern Schweinehälften nach Europa.
Die Gentechnik hat beim Weizen bisher nur wenig gebracht.
Kann man die Erträge durch Gentechnik deutlich erhöhen?
In agrarisch guten Gegenden wie in Frankreich werden jetzt schon zehn Tonnen Weizen am Hektar gedroschen, in Deutschland ist das ähnlich. In den letzten 20 Jahren sind die Erträge auch in anderen Ländern wie Polen und Tschechien enorm gestiegen. Da gibt es also nicht mehr sehr viel Potenzial. Abgesehen davon hat die Gentechnik beim Weizen bisher nur wenig gebracht. Das ist bei Soja und Mais anders. Dort ist jedoch der ökonomische Effekt hauptsächlich auf die niedrigeren Betriebskosten zurückzuführen.
Wird die Gentechnik somit überschätzt?
Die Zukunft der Gentechnik wird in eine andere Richtung gehen. Das hängt aber nicht mit der Ukraine, sondern mit dem Klimawandel zusammen. Im Prinzip geht es darum, unsere Kulturpflanzen besser an das sich ändernde Wetter anzupassen, damit sie beispielsweise längere Trockenperioden überdauern können. Auch wird der Klimawandel viele neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten nach Europa bringen. Grundsätzlich kann man die Pflanzen natürlich auch mit traditionellen Zuchtmethoden resistenter machen, doch dazu fehlt die Zeit. Der Faktor Zeit ist entscheidend. So gesehen könnte der Einsatz von Gentechnik von großem Nutzen sein, auch wenn das einigen Umweltgruppen nicht gefällt.
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Welche Verbesserungen sind durch die neuen Entwicklungen in der Forschung zu erwarten?
In den letzten Jahren hat sich die Art, wie man Gentechnik betreibt, wesentlich verändert. Die Möglichkeiten der Genschere und andere Forschungsergebnisse werden künftig eine große Rolle spielen. Dazu zählt unter anderem die höhere Anreicherung gewisser Stoffe in den Pflanzen wie etwa Vitamine, Spurenelemente und anderer. Wir müssen die Gentechnik-Debatte enttabuisieren. Das ist der entscheidende Faktor. Das wird einen riesigen Aufwand bedeuten, an dem sich die Wissenschaft, die Agrarvertreter und die Politik beteiligen müssen.
Ist der wachsende Bio-Anteil in der Landwirtschaft angesichts des höheren Flächenverbrauchs und niedrigerer Erträge ein Problem für die Ernährung?
Bei dem Anteil an Bio, den wir derzeit haben, würde ich kein Problem sehen. In Österreich liegen wir bei einem Anteil von 20 Prozent, in Europa liegt der Durchschnitt bei 5 Prozent. Das macht das Kraut nicht fett. Aber man wird sicher nicht den Hunger dadurch ausrotten können, indem man die ganze Welt auf Bio umstellt. Dass man Bio als zweite Schiene anbietet, ist allerdings gerechtfertigt. Der Minusertrag ist auch gegenüber der konventionellen Landwirtschaft nicht mehr so groß. Dazu kommt allerdings der deutlich höhere Aufwand.
Der Minusertrag von Bio gegenüber der konventionellen Landwirtschaft ist nicht mehr so groß.
Welche weiteren Methoden und Innovationen können Ihrer Meinung nach zur Steigerung der Agrarproduktion beitragen?
Viel Potenzial liegt in der Digitalisierung – Stichwort Präzisionslandwirtschaft. Dabei geht es nicht nur um GPS, sondern auch um digitale Überwachungs- und Kontrollsysteme. Ein Mähdrescher misst beispielsweise während des Dreschens, wie hoch der Getreidedurchfluss ist. Am Ende steht eine Karte, aus der ersichtlich ist, auf welchen Flächen gute und auf welchen schlechte Erträge erreicht wurden. Diese Daten können dann beim Anbau etwa für die Steuerung des Düngerstreuers verwendet werden. Das gibt es schon, doch insgesamt stehen wir bei der Digitalisierung der Landwirtschaft erst am Anfang. Es gibt wenig Wirtschaftsbereiche, wo sich Digitalisierung so anbietet wie in der Landwirtschaft.
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