Die Grünen – wie sie wurden, was sie sind
Die Geschichte der Grünen ist mehr als eine Erzählung von Spontis, Fundis und Realos. Was die Grünen spaltete oder vereinte, spaltete oder vereinte auch Deutschland. Bis heute.

Auf den Punkt gebracht
- Neu. Die Grünen brachten eine bis dato unbekannte Lockerheit und Offenheit in die Parteipolitik. Basisdemokratie und Rotationsprinzip setzten neue ethische Standards.
- Erfolgreich. Entstanden aus vielen neuen sozialen Bewegungen wurde die neue Partei 1983, drei Jahre nach ihrer offiziellen Gründung, in den Bundestag gewählt.
- Krisen. Wettrüsten, Klimawandel, Globalisierung, Atom-GAU, Wiedervereinigung, Jugoslawienkrieg, 9/11, Finanzkrise, Pandemie, Ukraine-Krieg – keine ruhigen Zeiten.
- Zukunft. Die Kämpfe um eine eigenständige Identität, um Anpassung, Konfrontation und Kompromiss haben die Partei gewordene Bewegung verändert.
Von der Protestpartei zur Regierungsverantwortung: Die Grünen haben sich seit ihrer Gründung 1980 als politische Kraft neben Union, SPD und FDP als vierte Kraft im Parteiensystem Deutschlands dauerhaft etabliert. Bis zur Gründung der AfD 2013 waren sie die einzige Partei, die nicht aus bestehenden Parteien hervorgegangen war. Der Erfolg gelang um den Preis der Veränderung in Richtung einer Reformpartei.
1979
Die Grünen waren eine außergewöhnliche Neugründung: Sie gingen nicht aus Umbildung oder Abspaltung einer bestehenden Partei hervor, sondern aus vielen verschiedenen sozialen Bewegungen. Eine besondere Relevanz haben die Friedens-, die Frauen-, die Umwelt- und die Antiatomkraftbewegung sowie die Bürgerrechtsbewegung der DDR, aus der Bündnis 90 hervorging.
Die ideologische Bandbreite war zu Beginn groß – es gab sogar völkisch-nationale Strömungen. „Nicht links, nicht rechts, sondern vorn“, war ein Motto.
Es entstand – vielleicht gerade wegen des bewegten und vielfältigen Hintergrundes – keine Partei ausschließlich der Jungen, sondern eine multigenerationale Partei.

Mit der Bremer Grüne Liste (BGL) gelang 1979 erstmals der Einzug in ein Landesparlament. Gegründet hatte sich die BGL aus einer Bürgerinitiative gegen eine Autotrasse durch ein Altstadtviertel.
Zugleich waren sie schnell auf europäischer Ebene zu finden: 1979 fanden sich viele Umweltgruppierungen zu einer Liste (Sonstige Politische Vereinigung) zusammen und traten bei den Wahlen zum Europaparlament an – mit Erfolg. 900.000 Menschen wählten sie. Die Europawahl 1979 war auch die erste, wo Bürger direkt Abgeordnete in das Europaparlament wählen konnten.
Offiziell gegründet wurden die Grünen auf der Bundesversammlung im Januar 1980 in Karlsruhe. Bündnis 90 entstand im Februar 1990 in Leipzig. Der Zusammenschluss zu Bündnis 90/Die Grünen fand im Mai 1993 in Leibzig statt. Bei den Bundestagswahlen 1980 scheiterten die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde.
Keine normale Partei zu sein war vordringlich: Sie traten in der Regel als „Alternative Listen“ an, nicht als Parteien. In ihrem ersten Bundestagswahlprogramm beschreiben sie sich 1980 als die „Alternative zu den herkömmlichen Parteien“.

Und sie machten einiges anders: Es gab keine starre Hierarchie mit Parteiapparat, sondern eine Doppelspitze. Die Parteibasis entschied über Programme, Personalien und Beschlüsse (Basisdemokratie). Es galt die Trennung von Amt und Mandat, Mandate waren imperativ an Beschlüsse gebunden, alle zwei Jahre wurde rotiert (Rotationsprinzip), und es gab eine Frauenquote. Damit gelang eine Gratwanderung: als Partei stark zu sein und doch radikaldemokratisch zu agieren.
Frauenquote und Doppelspitze gibt es noch, die Trennung von Amt und Mandat (Abgeordnete dürfen keine Funktion in der Bundespartei haben) wurde schrittweise gelockert und ist jetzt für die Dauer von maximal acht Monaten zulässig. Das Rotationsprinzip verschwand am schnellsten: 1986 auf vier Jahre verlängert, wurde es 1991 abgeschafft.
1983
Als die Grünen im März 1983 nach den vorgezogenen Neuwahlen mit 28 Abgeordneten zum ersten Mal in den Bundestag, damals noch in Bonn, einzogen, platzierten sie sich in der Mitte, zwischen die Fraktionen von SPD und CDU.

Sie kamen mit Gepäck und dem deutlichen Signal keine normale Partei sein zu wollen: Petra Kelly brachte einen Fichtenzögling von der Startbahn West in Frankfurt mit, Marieluise Beck gleich die ganze Fichte – konkrete lokale Anliegen fanden Widerhall in der Bundespolitik.

Insbesondere nach der Flickaffäre Mitte der 1980er Jahre (verdeckte Parteispenden des Unternehmers Flick an CDU/CSU und FDP) wurde die Transparenz und Basisdemokratie zu einer auch moralischen Herausforderung für die bestehenden Parteien.
Die versuchten sich zu wehren und schlossen die neue Partei von der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste aus.
1985
In Hessen schafften es die Alternativen erstmals in eine Regierungsverantwortung. Joschka Fischer, aus der sogenannten Sponti-Szene in Frankfurt/Main stammend, wurde Umwelt- und Energieminister.

Die Koalition mit der SPD in Hessen scheiterte nach zwei Jahren. Der Grund: Die von der SPD geforderte Plutoniumverarbeitung in den Hanauer Kraftwerken Nukem und Alkem, der Fischer (nach Absprache mit Basis) nicht zustimmen wollte. Fischer bot den Rücktritt an, was die SPD annahm. Es kam zu Neuwahlen.
Der Streit um das Plutonium, ein Jahr nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl, stellte die Antiatomkraft-Partei vor einen Konflikt. Fischer stellte zwar sein Amt zur Verfügung, sagte aber zugleich, er sei bereit, sich für „Kompromisse schmutzig zu machen“.
1991
Der Einzug in die Landesparlamente war mehr oder weniger auf Anhieb gelungen und ab den späten 1980er Jahren wurden auch Koalitionen in den Landesregierungen häufiger, etwa 1989 in Berlin. Das Mitregieren brachte Kompromisse mit sich, was nicht von allen Mitgliedern goutiert wurde.
Flügelkämpfe, wie sich die Fundis und Realos in den 1980er Jahren und zum Teil bis in die späten 1990er Jahre lieferten, waren bis dato in der deutschen Politik nicht bekannt. Weder die Vehemenz der Kämpfe, noch die Tatsache, dass sie öffentlich ausgetragen wurden.

1991 wurde Joschka Fischer erneut Umweltminister in Hessen – ein Indikator dafür, dass einzelne Persönlichkeiten die Parteipolitik auch dominieren konnten. Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1990, die die Partei nach zehn Jahren aus dem Bundestag beförderte (bis 1994), traten Konflikte noch deutlicher zutage. Der Kurs schwenkte auf realpolitisch ein.
Jutta Ditfurth, Gründungsmitglied aus Frankfurt und von 1984 bis Ende 1988 mit Rainer Trampert und Lukas Beckmann, Regina Michalik und Christian Schmidt durchgängig eine der drei Bundesvorsitzenden der Grünen verließ die Partei 1991 (wie auch Trampert und weitere „Fundis“) und gründete die Ökologische Linke.
Die Wiedervereinigung und die Verbindung mit der Bürgerrechtsinitiative Bündnis 90 sicherte den Grünen die Präsenz in allen ostdeutschen Landesparlamenten bis auf Mecklenburg-Vorpommern.
Schon 1994 die Zäsur: Ein Jahr nach dem Zusammenschluss von Bündnis 90 und Grünen schaffte es das Bündnis im Osten nur noch in Sachsen-Anhalt ins Parlament, dafür entstanden in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg rot-grüne Regierungskoalitionen.

1998
Das Ergebnis der Bundestagswahl 1998 war nicht besonders toll. Aber es reichte angesichts der nicht rosigen Lage der SPD für die erste Koalition auf Bundesebene – mit Gerhard Schröder als Bundeskanzler. Joschka Fischer wurde Vizekanzler und Außenminister, Jürgen Trittin Umweltminister, Andrea Fischer Gesundheitsministerin (bis 2001) und Renate Künast Landwirtschaftsministerin.
Die Braunkohle war nicht das einzige Thema, das die Partei in Konflikt mit Grundhaltungen brachte. Als 1999 die Entscheidung über die Beteiligung der Bundeswehr am Auslandseinsatz im Kosovo auf einem Sonderparteitag gefällt werden sollte, war es mit dem Grundsatz Gewaltfreiheit kurzfristig vorbei. Fischer wurde von einem Farbbeutel mit roter Farbe getroffen.
2001 dieselben Konflikte um Pazifismus wegen des Einsatzes in Afghanistan. Nach 9/11 ist die Welt eine andere. Zugleich setzten Globalisierung und eine technologieinduzierter Börsencrash die Wirtschaft weiter unter Druck. Digitalisierung und Arbeitslosigkeit wurden Themen der politischen Agenden.

2003

Die Hartz-Gesetze, die durch eine Stimmenmehrheit der rot-grünen Regierungskoalition beschlossen wurden, waren nicht nur innerhalb der Grünen umstritten. Die Gesetzgebung ist eine Zäsur – auch für die SPD. Dem kleineren der damaligen Koalitionspartner hängt der „soziale Verrat“ bis heute nach.

Der Einsatz für Erneuerbare Energieträger lässt die Grünen nolens volens mehr und mehr Wirtschaftsthemen besetzen. Der Solarausbau ist ein Erfolg, die Branche ein Zugpferd. Vom Energie-Thema der Jahre bleibt allerdings vor allem der zweite Vertrag mit Russland für Nordstream II haften. Ein Kanzlerprojekt, das dem damaligen Koalitionspartner nicht einmal zwanzig Jahre später auf die Füße fällt.
2004 setzte Gerhard Schröder Neuwahlen durch, 2005 begann die Ära Merkel, die Grünen gingen Opposition – und näherten sich der CDU an. In Hamburg und im Saarland wurden erste Koalitionen geschlossen. Sie gingen bald in die Brüche.
Die Zeit ab 2013 war widersprüchlich: Bei der Bundestagswahlen 2013 kamen sie gerade mal über acht Prozent. Dabei wuchs ihr Einfluss in den Bundesländern. In elf waren sie 2016 an Regierungen beteiligt oft in Koalition mit der CDU. 2017 regierte in Schleswig-Holstein eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen.
Die Gründung der AfD, zunächst als Anti-Euro-Partei, verschob mehr und mehr die öffentliche Debatte Richtung Migration, was bald zum dominanten Thema in Wahlkämpfen wurde. Die AfD bildete bald den größtmöglichen Gegensatz zu den Grünen und erkor sie zum bevorzugten Feindbild.
2018

Klimabewegung, die Gründung von Fridays for Future brachten ab 2018 das Klimathema zurück in die öffentliche Debatte. Bei der Europawahl 2019 erreichten sie den zweiten Platz hinter der SPD. Für die Bundestagswahl 2021 wurde Annalena Baerbock aufgestellt. Es war das erste Mal, dass die Grünen eine eigene Kanzlerkandidatin aufstellten.
2021
Die Grünen erreichten bei der Bundestagswahl 2021 zwar ihr bestes Ergebnis auf Bundesebene, aber der Ruf Baerbocks war geschädigt, noch bevor sie Außenministerin wurde: Ihr wurde unter anderem Plagiat bei einer Buchveröffentlichung vorgeworfen.

Die Wahl fand noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie statt. Wie schon 1998, als es um das Fünf-DM-Benzin ging, mussten sich die Grünen schnell dagegen wehren als Verbotspartei dazustehen – was eher schlecht als recht gelang.

2022 begann der Krieg in der Ukraine, zugleich forderten die Klimaaktivisten von der Letzten Generation die Grünen heraus, 2023 kehrte mit Lützerath auch die Braunkohle als Konfliktfeld zurück. Mit der SPD in einer Regierungskoalition in NRW verhinderten die Grünen die Abbaggerung des Dorfes nicht.
Die sogenannte Ampelkoalition mit SPD und FDP zeigte von Beginn an Risse. Ende 2024 kam es dann zum tatsächlichen Bruch und Ende, nachdem die „Bruchpläne“ der FDP durchgesickert waren. Im Februar 2025 fanden Neuwahlen statt.