Warum Kant jetzt (noch) wichtig ist

Kann man heute noch von Immanuel Kant lernen? Ja, meint Georg Cavallar. Die Fähigkeit etwa, das eigene Denken kritisch zu reflektieren.

Darstellung des Erdbebens von Lissabon 1755 in einer Malerei von João Glama Ströberle. Das Bild zeigt die Reaktion der Kirche und des Himmels auf das Erdbeben. Menschen beten zu den Engeln. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Immanuel Kant.
O Terramoto de 1755 (Das Erdbeben von Lissabon 1755) von João Glama Ströberle (1708-1792) circa 1756. Kirche und Religion spielen in der Darstellung der Wirkung des Erdbebens noch die Hauptrolle. Das Beben gilt als Beginn der europäischen Moderne und markiert in gewisser Weise den Durchbruch der Aufklärung in Europa. © Getty Images

Was die Philosophie Immanuel Kants ausmacht, ist nicht „nur“ ihr Beitrag zur Aufklärung oder die Analyse der Bedingungen von Rationalität, sondern ihre Forderung nach Selbstreflexion. Das sagt zumindest Georg Cavallar. In diesem Podcast gelingt dem Gymnasial- und Hochschullehrer eine spannende Einführung in das Denken des Philosophen, dessen Relevanz für das Verständnis der Gegenwart unterschätzt ist.

Der Podcast über Immanuel Kant

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Selbstständig denken bedeutet, in Gemeinschaft mit anderen zu denken, andere Perspektiven wahrzunehmen. Das ist der Prozess der Aufklärung, von dem Kant spricht.

Georg Cavallar


1724 in Königsberg geboren, erlebte Immanuel Kant das Erdbeben von Lissabon 1755 als 31jähriger. Für ihn, wie auch das Denken in Europa war es ein Wendepunkt, der eine fundamentale Veränderung des Denkens verfestigte, die sich aus Sicht von Georg Cavallar bereits rund 100 Jahre zuvor angebahnt hatte: Die „Erfindung“ der Beweisführung nach rationalen Kriterien.

Kant und das Erdbeben von Lissabon

Eine ebensolche versuchte Immanuel Kant in dem Jahr nach dem Erdbeben. Er publizierte 1756 drei naturwissenschaftliche Abhandlungen zum Thema. Er vermutete, das Beben, das Lissabon zerstörte, sei durch unterirdische Feuer ausgelöst worden. Wichtig daran ist die Methode: Kant ersetzte, noch lang vor seinen Abhandlungen über die Vernunft, eine religiöse Erklärung (Zorn Gottes) durch ein Abwägen und Prüfen von Argumenten, die für oder gegen eine These sprechen.

Kant machte transparent, wie und nach welchen Kriterien er zu seinen Annahmen kam. Georg Cavallar: „Sich im Denken orientieren, lautet einer der Aufsätze Kants. Gemeint ist natürlich orientieren im Bereich der Metaphysik, der Religion etc. Er verbindet dies mit der Aufforderung, die Anstrengung, selber zu denken, wieder auf sich zu nehmen und zu versuchen, mich in der Moderne zurechtzufinden, wenn es diese typischen Autoritäten von früher nicht mehr gibt, wie zum Beispiel die Kirche.“

Kritisches Denken ist dabei etwas, das nicht in der Isolation stattfinden kann, sondern die Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven braucht: „Selbstständig denken bedeutet, in Gemeinschaft mit anderen zu denken, andere Perspektiven wahrzunehmen. Das ist der Prozess der Aufklärung, von dem Kant spricht.“ Und Cavallar ergänzt: „Im Zweifelsfall sind sehr viele von uns viel zu faul, um diese Anstrengung auf sich zu nehmen.“

War Kant ein Stubengelehrter?

Im 18. Jahrhundert war Königsberg, heute Kaliningrad, bereits eine lebendige Handelsstadt und Kant gelang es, trotz seiner Herkunft aus einer armen Sattlerfamilie ein intellektueller und geselliger Anziehungspunkt für die städtische Gesellschaft zu sein. „Er war in der Gesellschaft wohlgelitten und hatte Kontakte mit dem Bürgertum ebenso wie mit der Aristokratie. Er galt als der galante Magister, der sich sehr sicher in der Gesellschaft bewegen kann und viel Sozialkompetenz hat.“

Immanuel Kant inmitten der Königsberger Gesellschaft.
Fotografischer Ausschnitt des Gemäldes Kant und seine Tischgenossen von Emil Dörstling. Während der Diener Lampe am linken Bildrand hantiert liest Kant einen Brief vor. Es hören zu: Rechts und links von Kant die Bankkaufleute Johann Konrad Jacoby und Robert Motherby; der Philosophie-Professor Christian Jacob Kraus, einer der Vordenker der preußischen Reformen; vorgebeugt der Kant-Schüler Johann Georg Hamann; gegenüber von Kant der Oberbürgermeister Theodor Gottlieb von Hippel; der Gutsbesitzer Johann Georg Schaffner; der Geistliche Ludwig Ernst von Borowski sowie am Tischende der Apotheker Karl Gottfried Hagen. © Getty Images

Etwas zurückgezogen und einem mehr oder weniger rigorosen Tagesregime unterworfen hat sich der Philosoph erst ab seinem 40. Lebensjahr, als er begann, an seinen Hauptwerken zu arbeiten: Seine Erkenntnistheorie, die Kritik der reinen Vernunft erschien 1781, seine Ethik, die Kritik der praktischen Vernunft (1788) und seine Ästhetik, die Kritik der Urteilskraft (1790) stehen gewissermaßen am Ende seines Wirkens als Philosoph.

„Er setzt sich mit dem Problem der Metaphysik auseinander. Seine Frage ist: Was kann ich eigentlich über diese letzten Dinge, die großen Fragen des Lebens, wissen?“ Im Zentrum steht insbesondere die Frage nach der Freiheit des Willens – und die, zu diesem Schluss kommt Kant, kann letztlich nicht entschieden werden jedenfalls nicht mit wissenschaftlichen Methoden, da die Freiheit des Willens in den Bereich der Metaphysik gehört.

Über Georg Cavallar

Georg Cavallar ist Lehrer am Bundesgymnasium Wien IX und Lehrbeauftragter an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien. Er habilitierte 2003 im Fach Neuere Geschichte. Sein Buch, Kant-Führerschein für bildungshungrige Anfänger, ist derzeit noch in Vorbereitung. Mehr über Cavallar erfahren Sie hier.

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