Singen gegen Long Covid

Long Covid schränkt die Lebensqualität vieler Betroffener massiv ein. Auf der Suche nach einer Therapiemöglichkeit verband eine österreichische Initiative nun Medizin mit Musik – und verzeichnet erste Erfolge.

Illustration einer maskentragenden Frau
Viele Menschen gelten als genesen, leiden aber weiter an den Langzeitfolgen ihrer Covid-19-Erkrankung. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Erkrankung. Patienten, die unter Long Covid leiden, sind dauererschöpft und verlieren die Lebensfreude. Das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus.
  • Lungentraining. Singen hat sich bei einer Reihe von Lungenerkrankungen als Therapieform bewährt. Auch bei Long Covid könnte es zum Einsatz kommen.
  • Stimmung. Singen hat nicht nur einen positiven Einfluss auf anhaltende Atembeschwerden, sondern verbessert auch die mentale Gesundheit.
  • Aufatmen. In Österreich läuft bereits das erste Pilotprojekt für Long Covid-Betroffene, das Musik, Theater, Therapie und Lungenheilkunde kombiniert.

Das Corona-Virus stellt Wissenschaft und Betroffene permanent auf die Probe. Während Covid-19 bei manchen Patienten einen milden Verlauf nimmt, bringt die Erkrankung andere bekanntermaßen ins Spital, manchmal sogar auf die Intensivstation. Es gibt auch die Variante, dass im Anschluss an eine akute Krankheitsphase eine Vielzahl von möglichen Beschwerden über lange Zeit nicht verschwinden. Dieses Phänomen wird mit dem Begriff „Long Covid“ bezeichnet. Die Symptome sind unterschiedlich, aber als besonders belastend wird das Gefühl massiver Müdigkeit empfunden – eine Müdigkeit, die sich auch durch entsprechende Erholungs- und Schlafphasen nicht beheben lässt.

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Vernebelt vor Müdigkeit

Die für Long Covid typische Müdigkeit geht mit einem dauerhaften Zustand der Abgeschlagenheit einher. Sie belastet die Lebensqualität massiv. „Fatigue-Syndrom“ nennt sich dieser Zustand: Ein Teufelskreis, der einem über kurz oder lang nicht nur die Lebensfreude raubt, sondern sich auf alle Bereiche des Alltags auswirkt. Auch berufliche Aufgaben können mitunter nicht mehr erfüllt werden.

Im Zusammenhang mit Long Covid wird auch häufig der Begriff „brain fog“ genannt. Er beschreibt einen Zustand der Bewusstseinstrübung, der im Zuge von Covid-19 durch chronische Entzündungen im Bereich des Nervensystems ausgelöst werden kann und mit dem Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisprobleme verbunden sein können. Darüber hinaus zählen depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Geruchs- und Geschmacksbeeinträchtigungen, Angstzustände sowie Kurzatmigkeit, Atembeschwerden, Brustschmerzen und Kreislaufschwäche ebenfalls zu den häufig genannten Krankheitserscheinungen.

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Zahlen & Fakten

Singen für eine gesunde Lunge

Was lässt sich tun, wenn Atembeschwerden und Fatigue-Syndrom Hand in Hand gehen? Auf der fieberhaften Suche nach Therapiemöglichkeiten für Long Covid-Erkrankte stieß man auch hierzulande auf eine in angelsächsischen Ländern seit längerem geübte Praxis: „singing for lung health“.

Bei Betroffenen mit Lungenproblemen hat sich Singen als Therapieform nicht nur bewährt, sondern ist zugleich auch besonders beliebt. Das Konzept setzt nicht nur auf unmittelbare Trainingseffekte durch den Akt des Singens an sich, wie etwa das damit verbundene bewusste und in der Regel vertiefte Ein- und Ausatmen, sondern zielt vielmehr auf die stimmungsaufhellenden Simultaneffekte ab, die beispielsweise durch gemeinsames Singen in der Gruppe entstehen. Musik, Kunst und Kultur werden mehrheitlich als freudvolles Erleben beschrieben.

Gerade im Aspekt des „freudigen Tuns“ liegt eine der größten Stärken dieser Methode – denn was immer man mit Freude tut, verrichtet man gerne und somit auch leichten Herzens. Dies macht eine hohe Anzahl an regelmäßigen Trainingseinheiten ohne Langeweile möglich. Beides sind zentrale Voraussetzungen für den Erfolg von Atemtraining.

Interdisziplinärer Ansatz

„Aufatmen – Singen gegen Long Covid“ ist eine Initiative in Österreich, die auf Basis dieser Mechanismen und Methoden von Experten und Expertinnen aus den Fachrichtungen Musik, Theater, Therapie und Lungenheilkunde gemeinsam durchgeführt wird. Trägerorganisation der impulsgebenden Initiative ist der Verein „Arts for Health Austria“, der Verbindungen zwischen Kunst und dem öffentlichen Gesundheitssektor in Österreich schaffen und auf diese Weise Musik, Tanz, Literatur und bildende Kunst für unterschiedlichste Anwendungsfelder öffnen möchte.

Im November 2021 konnte die Pilotphase des Projektes abgeschlossen werden, welche 60 Teilnehmenden den Zugang zu diesem innovativen Konzept ermöglichte. In Gruppen zu je zehn Personen wurde gesungen, das Begleitangebot umfasste kurzweilige Übungsanleitungen und speziell produzierte Musikvideos. Somit umfasste das Projekt sowohl aktive als auch rezeptive musikalische Angebote. Wichtigster Grundsatz dabei: Aktives Musizieren und Singen, kurzum das eigene Tun, sind unersetzlich, um wirksame Effekte zu erzielen. Zusehen alleine bringt wenig bis gar nichts.

Heilung durch Atmen

Musikalische Kenntnisse oder Fähigkeiten sind für die Teilnahme an „Aufatmen“ bewusst keine Voraussetzung. Ganz im Gegenteil: Long Covid-Betroffene, die überhaupt noch keine Erfahrungen mit Singen oder Musik in ihrem Leben gemacht haben, sind besonders herzlich zur Teilnahme eingeladen. Gesangsgruppen, darunter auch eine für Kinder und Jugendliche, sind auch online zugänglich.

Um die Wirkung des Singens weiß man bereits seit der Antike, bei Shakespeare findet sich etwa in seinem „Sturm“ die berühmte Zeile: „Ein feierliches Lied, der beste Tröster zur Heilung irrer Phantasie.“ Möge sich der Long Covid-Sturm im Sinne aller Betroffener hingegen bald legen und „Singing for Lung Health“ weiter gesundheitsfördernd erklingen.

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Conclusio

Der schwere Verlauf einer Corona-Infektion kann zu einem allgemeinen Erschöpfungszustand führen, der einstweilen unter dem Überbegriff Long Covid zusammengefasst wird. Es gibt unterschiedliche Schweregrade. In Ermangelung von medizinisch-medikamentösen Optionen wird derzeit Gesang als Therapieform getestet, die den Genesungsprozess unterstützt – nicht nur weil es tiefe Atmung fördert und somit die Lungengesundheit verbessert, sondern weil es sich auch positiv auf die mentale Gesundheit auswirkt. In Österreich hat die Initiative „Arts for Health Austria“ ein Programm für Betroffene auf die Beine gestellt, das einen innovativen Schulterschluss zwischen Medizin und Kunst darstellt.