Interview: Wie man Laborfleisch macht
Mirai Foods aus der Schweiz wird schon bald Fleisch auf den Markt bringen, das im Bioreaktor erzeugt wurde. Gründer und Geschäftsführer Christoph Mayr erklärt, wie er Laborfleisch macht und warum es ein Erfolg wird.
Seit 2019 wird in Wädenswil bei Zürich an der Zukunft gearbeitet: Mirai Foods ist eines von ganz wenigen Unternehmen im deutschsprachigen Raum, die an echtem Fleisch ohne Tier arbeiten. 4,5 Millionen US-Dollar konnte Mirai Foods 2021 an Seed-Finanzierung aufstellen, in wenigen Jahren soll das neue Fleisch dann in den Supermärkten sein, sagt Gründer und Geschäftsführer Christoph Mayr.
Herr Mayr, Sie arbeiten mit Ihrem Unternehmen Mirai Foods an Fleisch aus dem Bioreaktor – warum eigentlich?
Christoph Mayr: Als ich meinen alten Job verlassen habe, war meine Frau gerade schwanger mit unserem ersten Kind. Da beginnt man sich schon Gedanken zu machen über die Zukunft. Ich wollte meinen Fleischkonsum ändern, also bin ich in den Supermarkt und wollte kultiviertes Fleisch kaufen. Aber das gab es nicht. Das hat mich frustriert. Weil ich wusste, dass das Konzept von Fleisch ohne das dazugehörige Tier bereits seit mindestens 2013 ernsthaft verfolgt wird. Also wollte ich es selbst machen. So kam das Ganze ins Rollen.
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Das Konzept gibt es bereits seit vielen Jahren, aber es hört sich für viele Menschen immer noch seltsam an: Was ist kultiviertes Fleisch, und wie stellen Sie es her?
Fangen wir von vorne an: Wir brauchen für kultiviertes Fleisch Stammzellen, in unserem Fall solche vom Rind. Dafür kann man entweder eine Gewebeprobe von einem frischen Stück Fleisch nehmen oder bei einem lebenden Tier eine Biopsie machen – das ist ein harmloser Vorgang, vergleichbar mit Blutabnehmen. Aus dieser Gewebeprobe isolieren wir die Stammzellen, danach kommen sie in einen Bioreaktor. Das sind Gefäße mit einem Fassungsvermögen zwischen einem und 20.000 Litern. Dort multiplizieren sich diese Stammzellen in einer Nährlösung, im nächsten Schritt werden sie zu Muskel- und Fettmasse. Am Ende werden sie zu Hackfleisch zusammengemischt. Letztes Jahr haben wir so unseren ersten Burger gemacht.
Und wie hat er geschmeckt?
Er schmeckt schon nach Fleisch. Ist es das beste Fleisch, das ich je gegessen habe? Wahrscheinlich nicht. Warum nicht? Ein Beispiel: Wir arbeiten mit einer Nährlösung, die die Rolle von Blut übernimmt. Die Lösung ist nicht rot und Blut hat auch – gerade bei Rind – einen Eigengeschmack, den man als Konsument erwartet und die Lösung eben nicht. Aber mein Ziel ist natürlich, dass unser Fleisch das Beste ist, das ich jemals essen werde. Das müssen wir auch hinkriegen, sonst werden wir es nicht verkaufen wollen.
Selbst wenn der Burger aus Hackfleisch irgendwann großartig schmeckt: Der Schritt zu einem guten Steak ist da trotzdem noch weit. Wird das für immer mit Tierhaltung verbunden sein?
Nein, wir können langfristig auch Steaks produzieren. Wir haben uns nur zunächst für Hackfleisch entschieden, um diese Herausforderungen Schritt für Schritt zu nehmen und uns nicht zu verzetteln. Die technischen Herausforderungen sind höher, aber Steaks sind definitiv möglich.
Die Herstellung von kultiviertem Fleisch ist noch recht teuer. Was hat etwa der Burger gekostet?
Es war ein teurer Burger, der Kilopreis lag in der Größenordnung eines schönen Autos. Aber jetzt, ein Jahr später, sind wir schon bei einem Motorrad pro Kilogramm. Um nennenswerte Mengen verkaufen zu können, müssen wir in die Größenordnung von hundert Euro pro Kilogramm kommen. Damit ist man im High-End-Fleischsegment gelandet. Und von dort muss man natürlich noch weiter reduzieren, um die breite Masse zu erreichen.
Wer ist eigentlich Ihre Zielgruppe? Vegetarier und Veganer, die dann wieder zu Fleisch greifen können? Oder Menschen, die jetzt auch schon Fleisch essen?
Wir sprechen Fleischesser an – weil wir Fleisch produzieren. Es ist kein Gemüseburger, es ist echtes Fleisch. Am Anfang werden wir wahrscheinlich jene Menschen ansprechen, die zwar Fleisch konsumieren, das aber mit einem halbschlechten Gewissen machen. Im nächsten Schritt soll es aber in die Masse gehen. Je nach Beweggrund kann ich mir aber schon vorstellen, dass Vegetarier und Veganer unser Fleisch essen werden, insbesondere wenn es ihnen um Faktoren wie Tierleid und Treibhausgase geht. Es hat aber auch für den Konsumenten selbst Vorteile: Wir produzieren gesünderes Fleisch. Wir müssen keine Antibiotika einsetzen, wir können Nährwertprofile optimieren.
Die traditionelle Fleischindustrie wird sagen: Das ist „Frankenstein-Fleisch“ aus dem Labor und im Gegenzug ihre Produkte als echtes Fleisch von der glücklichen Kuh auf der Weide vermarkten – auch wenn das selten der Realität entspricht.
Davon gehen wir aus. Das Gute ist: Wir haben die Argumente auf unserer Seite. Für unser Fleisch muss keine Kuh sterben. Sorry, das ist das bessere Argument. Aber ich glaube auch nicht, dass traditionelles Fleisch ausstirbt. Eine Landwirtschaft mit glücklichen Kühen auf der Weide wird es weiterhin geben. So wie man heute einmal im Jahr eine Weihnachtsgans isst, wird man dann zu besonderen Anlässen traditionelles Fleisch essen. Was mir ein Dorn im Auge ist, ist die industrielle Landwirtschaft mit zusammengepferchten Tieren, die mit Kraftfutter und Antibiotika gemästet werden.
Im deutschsprachigen Raum, und insbesondere in der Schweiz und Österreich, haben viele Menschen noch eine sehr idyllische Vorstellung von Landwirtschaft und Tierhaltung – einerseits durch gutes Marketing, andererseits weil die Vorschriften tatsächlich strenger sind als in anderen Staaten. Ist das ein Problem für Ihr Produkt, weil die Menschen das Gefühl haben könnten, dass Massentierhaltung nur anderswo passiert?
Punktuell könnte das sein von der Wahrnehmung her. Aber auch hier werden wir die Faktenlage ans Licht bringen können. Das ist auch eine Generationenfrage: Junge Menschen sind da sehr aufgeschlossen, und die haben auch keine romantische Vorstellung mehr von Tierhaltung.
Die meisten Unternehmen, die auf Laborfleisch setzen, sind in stark technologiegetriebenen Staaten wie den USA oder Israel beheimatet – glauben Sie, wird es im deutschsprachigen Markt schwieriger sein, die Konsumenten von kultiviertem Fleisch zu überzeugen?
Das Problem wird eher sein, dass wir in absehbarer Zukunft nicht genügend produzieren können. Dass das Interesse da ist, das sehen wir an Umfragen genauso wie daran, dass uns immer wieder Leute kontaktieren, die auf eine Warteliste gesetzt werden wollen, weil sie es nicht mehr erwarten können. Der Unterschied zu Staaten wie Israel und den USA ist eher auf der Herstellungsebene: Dort wird mit genmanipulierten Zellen gearbeitet, während es in Europa nahezu unmöglich ist, genmanipuliertes Fleisch auf den Markt zu bringen. Die genmanipulierten Zellen sind ein bisschen robuster als unsere, deshalb haben wir am Anfang höhere Kosten und müssen vielleicht ein paar Monate mehr in die Entwicklung stecken. Aber am Ende des Tages schaffen wir das genauso.
Eine oft geäußerte Kritik an kultiviertem Fleisch ist: Es heißt seit Jahren, in fünf Jahren ist es soweit – und dann ist es doch nicht soweit. Wann ist es wirklich soweit?
In Singapur gibt es bereits in einem Restaurant Chicken Nuggets zu kaufen. Aber ich denke, es ist realistisch, dass einige Firmen in den nächsten zwei Jahren kultiviertes Fleisch auf den Markt bringen. Allerdings noch nicht im ganz großen Stil, das wird nicht in jedem Supermarkt erhältlich sein. Ich schätze, in vier Jahren werden wir die kritische Masse erreichen können, und dann wollen wir auch mit Mirai Foods in Europa auf dem Markt sein.