Vom Fleischhauer zum Pilzzüchter
Hermann Neuburger wurde bekannt mit dem Leberkäse, den man nicht so nennen darf. Doch dann kamen ihm Zweifel an seinem eigenen Erfolgskonzept – weshalb er jetzt auf vegetarische Produkte setzt.
Auf den Punkt gebracht
- Widerwillig Fleischhauer. Hermann Neuburger wurde als ältester Sohn dazu bestimmt, die Nachfolge der Familienfleischerei anzutreten.
- Stetige Verschlechterung. Im Laufe der Jahre stellte er fest, dass die Menschen immer mehr Fleisch essen – und das Leben der Tiere immer schlechter wird.
- Schwerwiegende Zweifel. Letzten Endes entschied er sich für einen mutigen Schritt: Statt auf Fleisch setzt er nun auf eine vegetarische Linie.
- Große Ziele. Hermann Neuburger hat jetzt eine neue Mission: Er will mehr vegetarische Produkte verkaufen als Neuburger über den Ladentisch gegangen sind.
Es ist mehr als hundert Jahre her, dass mein Großvater 1919 hier in Ulrichsberg im Mühlviertel eine Fleischerei gegründet hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie mein Vater übernommen; 1948 erfand er jenes Produkt, für das wir heute österreichweit bekannt sind: Neuburger. Den Leberkäse, den man nicht so nennen darf.
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Ich wurde in diese Welt hineingeboren und als ältester Sohn bestimmt, die Nachfolge meines Vaters zu übernehmen. Ich habe also Fleischhauer gelernt, aber ich war nie so wirklich glücklich damit. Fleischhauer ist nicht der angenehmste aller Berufe. Ich habe einen Ausflug in die Welt der Köche gemacht, aber letzten Endes 1986 den Betrieb dennoch übernommen.
Das Erfolgskonzept Neuburger
Nicht nur, dass der Beruf nicht unbedingt mein Wunschtraum war: Mir war damals schon klar, dass es finanziell nicht leicht wird, mit einer Fleischerei am Land zu überleben. Die Supermärkte kamen gerade auf. Ich hatte mich deshalb dazu entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen – den Neuburger. Ab 1980 habe ich ihn als Marke aufgebaut, nachdem ich gesehen habe, wie beliebt er im kleinen Rahmen unseres Dorfes war. 1986, als mein Vater in Pension ging, habe ich unser Geschäft im Ort verpachtet und die Produktion aller anderen Fleischprodukte eingestellt. Wir haben uns voll und ganz auf den Neuburger konzentriert.
Ich kenne Schlachthöfe. Wenn man sie sieht, sinkt die Lust auf Fleisch gewaltig.
Das Konzept ging auf – die Expansion schritt voran. Der Neuburger landete in den Supermärkten des Landes. Aber mit dem Erfolg wuchsen auch die Zweifel. Als ich begonnen habe mit der Fleischhauerei, war die Welt eine andere. Wir haben die Tiere von den Bauern geholt und geschlachtet. Ich habe zu Beginn meiner Lehrzeit noch selbst Tiere getötet. Das ist kein angenehmer Vorgang und mich hat das damals schon nachdenklich gemacht, obwohl ich noch nicht genau wusste, was mich daran stört oder irritiert.
Die Zweifel am eigenen Tun
Im Laufe der Jahre habe ich gesehen, dass das Leben der Tiere immer schlechter wurde und die Menschen gleichzeitig immer mehr Fleisch essen. Viele Jahre lang habe ich einen Gedanken mit mir herumgetragen: dass das vielleicht nicht in Ordnung ist, was ich da mache. Mehr noch: dass ich diese Entwicklung auch noch fördere. Und die Zweifel wurden immer größer. Ich habe es zunächst mit Biofleisch versucht, aber das ist in erster Linie an der Verfügbarkeit gescheitert – da waren wir schon zu groß dafür. Wobei ja nicht nur die Tiere leiden, sondern auch die Bauern und der Regenwald. Die ganze Umwelt. Es ist eine ganze Kette. Für mich hat sich das immer mehr auf den Gedanken fokussiert: Ich betreibe das noch zusätzlich.
2011 habe ich deshalb mit dem Projekt begonnen, vegetarische Produkte zu machen. Diesem Entschluss gingen viele Diskussionen mit meiner Familie und meinen engsten Mitarbeitern voraus. Meine Mutter war einer der großen Zweifler. Also habe ich zu ihr gesagt: „Liebe Mutti, jetzt fahren wir einmal einen Tag von einem Schlachthof zum anderen und schauen nur zu. Nichts sonst. Wenn die Tiere abgeladen werden, schauen wir ihnen in die Augen und dann schauen wir, wie es dir geht.“ Ich kenne Schlachthöfe. Wenn man sie sieht, sinkt die Lust auf Fleisch gewaltig. Es würde jedem Konsumenten so gehen, aber sie kommen nicht in diese Situation. Die Fleischindustrie tut natürlich alles, damit das auch so bleibt. Niemand sieht je eine Schlachtung, nicht einmal die Produktion einer Wurst – schon das ist für den Normalkonsumenten nicht sehr attraktiv. Aber ich bin kein Mensch, der einfach wegschaut.
Ein mutiger Schritt, kein neues Leben
Als ich mit unserer fleischlosen Linie begonnen habe, hatte ich die Angst, dass die Menschen es unglaubwürdig finden würden, wenn der Fleischproduzent Hermann Neuburger ein vegetarisches Produkt auf den Markt bringt. Glücklicherweise habe ich die genau gegenteilige Erfahrung gemacht. Und ich habe gelernt: Man muss sich nicht sofort gleich um 180 Grad wenden und ein völlig neues Leben beginnen. Ich glaube also nicht, dass wir jetzt alle zu Vegetariern werden müssen – das wäre auch illusorisch. Es ist okay, wenn man den Konsum reduziert. Wir haben deshalb den Slogan: Zwei Mal pro Woche ist genug.
Zahlen & Fakten
Ich habe also sehr viel Zuspruch erfahren, weil ich einen mutigen Schritt in die richtige Richtung gemacht habe. Aber der Weg dorthin war schwierig. Ich habe schnell gesehen: Es gibt in Europa kein Wissen, wie man vegetarische Würstel macht. Mir war von Anfang an klar: Das Mundgefühl ist sehr wichtig. Die Textur von Tofu zum Beispiel mögen die Österreicher nicht sehr gerne. Nach fünf Jahren Experimentierzeit und mehreren Aufenthalten in Asien kam deshalb der Entschluss, auf Pilze zu setzen. Was uns vor das nächste Problem gestellt hat: Die gab es nicht in den Mengen, die wir brauchen. Also waren wir gezwungen, eine eigene Pilzzucht zu machen. Was nicht so leicht ist, wie es klingt.
Fleisch oder fleischlos – das sollte keine Frage sein
Es ist auch schwierig, den Menschen zu vermitteln, was wir tun wollen. Was wir versuchen zu tun, ist eine Alternative zu schaffen und ein Lebensgefühl zu vermitteln. Fleischersatzprodukte irritieren den Menschen – sie sind extrem negativ besetzt, weil sie die Menschen daran erinnern, dass sie weniger Fleisch essen sollten. Sie haben bis vor wenigen Jahren auch fürchterlich geschmeckt, sie waren und sind teilweise immer noch voller Chemie. Aber sie werden besser. Und ich kann aus Überzeugung sagen, dass unsere Produkte gut schmecken – ohne Zusatzstoffe.
Wir haben lange diskutiert, warum unsere fleischlosen Produkte wie Fleisch ausschauen. Ich sage, es liegt an der Gewohnheit und daran, dass wir Menschen uns mit Veränderungen schwertun. Ich stelle immer die Gegenfrage: Wie soll es denn ausschauen? Wenn das wie ein Würfel ausschaut, baut man Barrieren auf. Deshalb halte ich es für sinnvoll, dass sich die Form und auch die Zubereitung nicht ändern. Es ist eine Hilfestellung.
Wir machen viele Verkostungen, und da merken wir bei Fleischessern oft eine Blockade. Weil bei ihnen ankommt: Aha, ich soll mich umstellen. Wenn man ihnen sagt, da gibt es ein Würstel ohne Fleisch, sagen sie: Aber ich bin ja kein Vegetarier. Wenn wir einfach sagen: Da gibt es ein neues Würstel aus dem Mühlviertel, greift jeder zu. Wir haben daraus auch den Schluss gezogen, dass wir viel positiver kommunizieren müssen. Wir müssen es vermeiden, dass das Thema Fleisch oder nicht Fleisch überhaupt präsent ist – das ist gar nicht so einfach.
Raus aus der Nische
Aber es ist wichtig, weil wir nicht in der Nische bleiben wollen – es hat einen Grund, warum wir jemanden mit einer Breitenwirkung wie Hermann Maier als Testimonial haben. Mein Lebensziel ist, dass wir mindestens so viele vegetarische Produkte verkaufen wie ich Neuburger verkauft habe. Dafür brauche ich die Breite. Ich will Ausgleich schaffen und diesen Ausgleich schaffe ich nicht, indem ich einem Vegetarier ein gutes Produkt gebe – auch wenn ich mich über jeden Vegetarier freue, dem es schmeckt. Ausgleich schaffe ich nur, wenn ich einen Fleischesser überzeuge, dass er unser Produkt gegen eine Fleischmahlzeit tauscht. Dann ist meine Mission erfüllt. Derzeit ist das Verhältnis noch eins zu zehn – auf neun verkaufte Fleischprodukte kommt ein fleischloses. Es gibt also noch viel zu tun.
Conclusio
Im Lauf der Jahrzehnte verschlechterte sich die Lage der Fleischproduzenten genauso wie jene der Tiere. Gleichzeitig stieg der Fleischkonsum der Menschen stark an, was diese Entwicklung noch mehr förderte. Und die Fleischindustrie tat das Ihre, indem sie die Bedingungen, in denen Fleisch produziert wird, vor den Konsumenten versteckt. Der Wechsel zu vegetarischen Fleischalternativen war gewagt – gerade für einen österreichweit bekannten Fleischproduzenten. Aber er zeigt auch: Mutige Schritte werden belohnt und nicht als unglaubwürdig gesehen. Und Wandel muss nicht immer radikal sein: Für weniger Fleischkonsum zu plädieren bringt mehr, als den Konsum komplett zu verteufeln. Da spielt auch die Form der Fleischalternativen eine Rolle: Sie sollte keine Barrieren bilden – und deshalb auch wie Fleisch aussehen.