Das Ende der Kuhmilch?

Sie sind weniger klimaschädlich, gelten als gesünder und sind manchen Molkereien ein Ärgernis: Getränke aus Hafer, Soja oder Mandeln. Wird die Milch, die nicht so heißen darf, die Kuhmilch verdrängen?

Nahaufnahme eines Tretrapacks auf dem Hemp Milck, Milck dabei mit ck, zu lesen ist. Die Milch aus Hanfsamen darf nicht so heißen.
Der Drink aus Hanfsamen des Stuttgarter Start-ups Hempany darf nicht mehr Milck heißen, so entschied das Stuttgarter Landgericht im März 2022 nach einer Klage von Molkereien. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Industrialisierung. Milchprodukte haben in den letzten 50 Jahren eine starke Industrialisierung erfahren und sind zu Massenprodukten geworden.
  • Nische. Lange Zeit waren Alternativen zu Milch Nischenprodukte. Drinks aus Hafer, Soja oder Mandeln waren für Tierschützer, Vegetarier und Veganer eine Option.
  • Nachhaltigkeit. Die schlechte Ökobilanz von Kuhmilch hat den Pflanzendrinks Auftrieb gegeben und die Nachfrage angekurbelt.
  • Lobbying. Die mächtige Agrarwirtschaft versucht Milch als Kulturprodukt zu etablieren und hat das Wort Milch per EU-Gesetz aus den Pflanzendrinks verbannt.

Wer aufmerksam durch die Supermärkte geht, wird bemerken, dass eine neue Produktkategorie in den Regalen Einzug gehalten hat. Es sind Alternativen zu Milch, die aus Soja, Hafer, Reis, Mandeln und anderen Pflanzen gewonnen werden. Im Grunde gibt es sie schon seit den 1980er-Jahren, doch erst in den letzten Jahren gelang ihnen der Sprung in die Supermarkt- und Discounterregale.

Diese Getränke sind aus verschiedenen Gründen interessant geworden: Zum einen gibt es zunehmend mehr Menschen, die aus diätischen Gründen auf Kuhmilch verzichten – zum Beispiel weil sie den Milchzucker nicht vertragen. Für sie sind Milch-, Schlagobers-, Käse- und Joghurtalternativen aus Pflanzen eine Lösung, die noch dazu gut schmeckt.

Auf Tierisches verzichten

Anderen wieder geht es um Tierwohl und Nachhaltigkeit. Sie versuchen deshalb, den Konsum tierischer Produkte einzuschränken oder gar einzustellen. Eine dritte Gruppe von Konsumenten ist einfach neugierig auf neue Geschmackserlebnisse. Auch für sie sind Milchalternativen aus Nüssen und Getreide eine willkommene Erweiterung ihres Speiseplans.

Zu einem wirklichen Durchbruch verhilft dem pflanzenbasierten Milchersatz aber vor allem die Nachhaltigkeitsbewegung, die in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Das wichtigste Argument für Alternativen zu Kuhmilch ist die ungünstige CO²-Bilanz von Rindfleisch und Milch. Insofern sind Milchprodukte aus Pflanzen in gewisser Weise auch ein Ausweg aus diesem Dilemma, auch wenn aus ökologischer Sicht nicht alle Alternativen gleich gut abschneiden. Was trotzdem zählt: Niemand braucht auf Milch zu verzichten, man steigt einfach auf eine neue Produktklasse um.

Industrialisiertes Gut

Die Wurzeln für diese Entwicklung liegen jedoch weniger an der Milch selbst als an der Industrialisierung der Milchwirtschaft, die in den 1980er-Jahren eingesetzt hat. Milch ist weit über den alpinen Raum hinaus in den vergangenen vierzig Jahren zu einem Massen- und Exportartikel geworden, was nur aufgrund immer effizienterer Produktionsmethoden möglich war. Das Prinzip „Schneller, billiger, mehr“ hielt die Preise tief und kurbelte den Konsum an. Tierwohl und ökologische Aspekte wurden dabei vernachlässigt.

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Zahlen & Fakten

Foto vieler weißer Rohrleitungen einer Produktionsanlage mit einem Arbeiter der eine Schaltfläche an der Wand bedient. Das Foto ist aus der Vogelperspektive aufgenommen.
Die Rubinmühle in Sachsen-Anhalt verarbeitet vor allem Hafer. Sie ist bereits die größte Mühle im Bundesland, baut aber stetig aus, unter anderem, weil die Nachfrage nach Milch-Ersatz aus Getreide steigt. © Getty Images

Vom Klima- zum Wirtschaftsfaktor

Allerdings: Im alpinen und voralpinen Raum hat die Milchwirtschaft eine jahrhundertealte Tradition, die unsere Kulturlandschaft geprägt hat. Auf den kargen Böden war oft nur Viehwirtschaft möglich. Gemüse- und Getreideanbau funktioniert nur in günstigen Lagen. Doch Gras und Kräuter gibt es auch auf den Almen, und damit finden Wiederkäuer ihr Auskommen.

Kühe sind perfekt an diesen Lebensraum angepasst, die Weidehaltung trägt zum Erhalt der Kulturlandschaft bei. Milch und Milchprodukte waren und sind in unserer Esskultur eine kalziumreiche Protein- und Vitaminquelle; sie haben auch – Stichwort Käse – zu großer kulinarischer Vielfalt geführt, auf die Gourmets keinesfalls verzichten wollen. Menschen, die während und nach den Weltkriegen Zeiten des Mangels erlebt haben, wissen, wie sehr Milch als flüssiges Nahrungsmittel gegen den Hunger hilft.

Peak-Milk ist erreicht

Diese Erfahrung ist auch ein Grund, warum Milch in diesen Generationen so einen guten Ruf hat. Auch die Schulmilchaktionen sind so entstanden. Damit verbunden war die Überzeugung, dass Milch gesund ist und stark macht. Das haben Generationen von Schulkindern verinnerlicht. Dass Milch und Milchprodukte so positiv besetzte Nahrungsmittel sind und waren, hat zu einer Überproduktion von Milcherzeugnissen geführt.

Ähnlich wie bei Fleisch zeichnet sich nun eine Wende ab. Der Peak Meat, also die Spitze des Fleischkonsums, ist bereits überschritten, seit 2010 ist er rückläufig. Wobei der Wandel im Lebensmittelbereich auf mehreren Ebenen stattfindet: Den Anfang beim Fleischersatz machte Soja, doch mittlerweile gibt es Fleischersatz auch aus einer ganzen Reihe von Hülsenfrüchten. Andere Konsumenten möchten nicht auf Fleisch verzichten, sind aber bereit, durchaus mehr Geld für nachhaltig produziertes Biofleisch auszugeben. Damit essen sie dann auch Fleisch, aber eines von besserer Qualität. 

Das wichtigste Argument für Alternativen zu Kuhmilch ist die ungünstige Ökobilanz von Rindern.

Der Peak Milk und damit eine sehr ähnliche Diskussion steht uns in Bezug auf Milch noch bevor. Milch stand, wenn man so will, bisher nur im Windschatten der Fleischdebatte. Die Milchwirtschaft verfolgt derzeit die Strategie, Milch als wichtiges Kulturgut zu verteidigen und die Bezeichnung „Milch“ für Pflanzendrinks zu verbieten. Das ist sehr old school und wird auch nichts daran ändern, dass die industrialisierte Milchwirtschaft nicht zukunftsfähig ist, weil ihr in der immer wichtiger werdenden Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte die Argumente ausgehen werden.

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Zahlen & Fakten

Eine Frau mit Handtasche und leerem Einkaufskorb steht vor einem Supermarktregal voller Milchprodukte.
Alternativen zu Kuhmilch sind aufgrund sprachlicher Regelungen nicht so leicht als solche zu erkennen. © Getty Images

Deutungshoheit bei Milchprodukten

Was überhaupt als „Milch“ den Konsumenten angeboten werden darf, ist umkämpft. Die wichtigsten Fakten zu einem andauernden Namensstreit:

  • Milch ist nicht gleich Milch: Ohne Milch schmeckt vieles anders. Wir kochen, wir backen, wir essen Käse: Der Pro-Kopf-Konsum beträgt in Österreich jährlich 70,1 Kilogramm. Doch die Verbrauchszahlen stagnieren, dafür steigt der Absatz von pflanz­licher Milch. Ups, so dürfen ­diese Produkte aus Hafer, Soja und Co nicht genannt werden. Grund: Die Milchwirtschaft in Europa kämpft seit Jahren erbittert darum, die Produktbezeichnung „Milch“ zu schützen.
  • EU-Gericht setzt Maßstab: Meilenstein des Konflikts ist ein ­Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2017. Ein Tofuhersteller ­hatte geklagt – und scheiterte. Milch darf nur dann als solche bezeichnet werden, wenn sie aus „der normalen Eutersekretion von Tieren“ gewonnen wird. Das Verbot wurde auch auf Butter, Joghurt, Käse und alle anderen Milchprodukte erweitert. Es gilt, Verwechslungsgefahr auszuschließen.
  • Ausnahme von der Regel: Ein paar Ausnahmen gibt es: Die Bezeichnung „Milch“ dürfen Produkte weiter im Namen führen, wenn es sich um „Erzeugnisse, deren Art aufgrund ihrer traditionellen Verwendung genau bekannt ist“, handelt. Also: Erdnussbutter, aber auch Leberkäse oder Sonnenmilch. Die Konsequenz: Was in den USA als Sojamilch, Mandelmilch oder Hafermilch vermarktet wird, darf in der EU nur als „-drink“ in die Regale.
  • Kontrolle durch Sprache: Der sprachlichen Regelung drohte 2020 sogar noch eine Verschärfung: EU-Abgeordnete hatten im Zuge der Agrar-Reformen den Antrag 171 ein­gebracht, nach dem auch Assoziationen zu Milch auf Verpackungen unterbunden werden sollten – etwa Worte wie „Alternativen zu“ oder „à la“ oder „-geschmack“ bzw. ­„-ersatz“. Sogar die Bezeichnungen wie „enthält keine Milch“ oder „sahniger Geschmack“ sowie Vergleiche des CO2-Fußabdrucks von Kuhmilch und Pflanzendrink wären damit nicht erlaubt gewesen. Diese Ausweitung der Bezeichnungs­kontrolle kam dann nicht zustande.
  • Milch aus Labor: Mittlerweile könnten Pflanzendrinks aber Konkurrenz bekommen. In Zukunft könnte Milch gebraut werden: Es laufen biotechnologische Forschungsprojekte, die Milch aus Stammzellen gewinnen wollen. Ob Milch aus dem Labor als Milch bezeichnet werden darf, bleibt abzuwarten. Eines ist fix: Aus Eutern wird sie nicht kommen.

Regionalität als Chance

Molkereien werden sich umstellen und sich auch mit neuen Technologien wie etwa der Präzisionsfermentation aus­einandersetzen müssen, um die Herstellung von „Milch“ nicht nur den Kühen zu überlassen. Im Bestreben, Ersatz für Kuhmilch zu finden, ermöglichen es biotechnologische Verfahren mithilfe von Hefebakterien inzwischen, Proteine nachzubauen, die mit der Kuhmilch ident sind. Ich konnte mich unlängst persönlich bei einem Produzenten davon überzeugen, dass die in großen Tanks hergestellte Milch auf Erbsenbasis dem Original tatsächlich sehr nahekommt.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in Zukunft noch eine Reihe von vollkommen neuen Milchalternativen erleben werden. Auf diese Weise werden wir dann auch das ursprüngliche Produkt wieder neu schätzen lernen – nicht als billiges, alltägliches Ergebnis der Massentierhaltung, sondern als etwas sehr Wertvolles, Frisches – produziert von Kühen aus Weidehaltung.

Es geht also um einen Umstellungsprozess, bei dem vor allem die Bauern eine wichtige Rolle spielen. Sie werden neue Ideen für landschaftliche Produkte entwickeln. Produkte aus regionalem Anbau liegen im Trend, was auch als Gegenbewegung zur Globalisierung zu verstehen ist. Wenn es um pflanzliche Alternativen zu Milch geht, sind auch Sojadrinks zu hinterfragen, denn Sojaanbau ist wenig nachhaltig, wenn die Bohnen aus Südamerika nach Europa transportiert werden. Auch in diesem Bereich wird das Argument der Regionalität an Bedeutung gewinnen.

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Conclusio

In den Alpenregionen haben Milchprodukte eine lange Tradition. Kuhmilch war und ist eine wichtige Proteinquelle. In den vergangenen vierzig Jahren fand eine Industrialisierung in der Milchwirtschaft statt, die aus Milch ein billiges Massenprodukt machte. Doch der Peak Milk, also die Spitze des Milchkonsums, könnte schon bald erreicht sein. Die wachsenden Verkaufszahlen von Pflanzendrinks sind ein Indiz dafür. Ein Argument für Milch­alternativen ist der CO2-Fußabdruck von Kuhmilch. Deshalb erobert Milchersatz aus Hafer, Reis, Nüssen und Co neue Kundensegmente. Nicht nur Tierschützer und Veganer, sondern auch klimabewusste Konsumentengruppen steigen um. Für die Milchbauern heißt das: Ihnen kommt noch stärker die Rolle des Produzenten wertvoller, frischer Milch von Kühen aus Weide­haltung zu.

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