Polen: Stillstand mit Aufbruchstimmung
Polen hat bei den Wahlen für Europa und die Demokratie gestimmt, sagt Diplomat Rolf Nikel. Der offenen Gesellschaft steht jedoch das Erbe der Justizreform im Weg.
Die Zeiten des autoritären Kurses der Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit – PiS) in Polen mögen vorbei sein, ihre Justizreform bleibt. Der Weg zurück zu einer offenen demokratischen Gesellschaft wird schwer sein, meint der Diplomat Rolf Nikel. Für Europa muss dies ein Warnsignal sein: Einmal verlorene demokratische Rechte sind nicht leicht zurückzugewinnen.
Der Podcast
Die Aufgabe ist jetzt, die polnische Justiz wieder in eine gute Beziehung zu den europäischen Grundrechten zu bekommen.
Durch den Erfolg des Wahlbündnisses von Donald Tusk mit der Bürgerkoalition des Dritten Weges und der Linken ist der Opposition die Mobilisierung einer breiten Mehrheit in der polnischen Gesellschaft gelungen, so Nikel. Während vor allem Frauen und junge Menschen gegen den nationalkonservativen und autoritären Kurs votierten, seien andere Wählergruppen durch die wirtschaftlich prekäre Lage (die Inflation in Polen liegt derzeit bei circa 12 Prozent) zu ihrer Wahlentscheidung gekommen.
„Die Unterstützung in der Bevölkerung ist sehr breit: 248 Sitze konnte das Bündnis erreichen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kommen nach Polen zurück. Ein europäischer Frühling mitten im Herbst in Polen.“ So begeistert Rolf Nikel ist, so vorsichtig ist seine Einschätzung, was die Zukunft für die polnische Gesellschaft bringen wird.
Die drei Aber
Es sind genau drei Punkte, die je ein Aber hinter den europäischen Frühling setzen: Erstens wurden in der jüngeren Vergangenheit viele Richterpositionen durch der PiS nahe stehende Richter ersetzt. Zweitens ist auch das Verfassungsgericht von PiS-Loyalisten dominiert und drittens kann Andrzej Duda, der Präsident, Entscheidungen durch ein Veto verhindern.
Nikels Fazit: „Eine Regierung Tusk wird sich vielen Veto-Spielern gegenüber sehen.“
Über Rolf Nikel
Rolf Nikel ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und seit 2020 Diplomat im Ruhestand. Als langjähriger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Polen (2014 bis 2020) kennt er die polnische Politik und die deutsch-polnischen Beziehungen aus eigener Anschauung. Nikel war als Diplomat Deutschlands außerdem in Frankreich, in der Sowjetunion und in den USA tätig. Er ist der Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien von ihm im Langen Müller Verlag der Titel Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen. Nikel ist Experte bei Der Pragmaticus.