Verkehr bis Wohnraum: 5 Thesen für Österreich 2070

Österreich steht vor der Herausforderung in den kommenden Jahrzehnten Wohnraum und Mobilität für zehn Millionen Einwohner zu bieten. Fünf Thesen, wie wir in Zukunft leben und uns fortbewegen.

Illustration für einen Beitrag über Raumplanung in Österreich bis 2070:
Mehr Menschen werden in die Städte ziehen, darum müssen sie anders konzipiert werden. © Benedetto Cristofani
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Auf den Punkt gebracht

  • Bevölkerungsboom. Österreich wird bis 2070 voraussichtlich zehn Millionen Einwohner erreichen – das sind 800.000 Menschen mehr als heute.
  • Verteilung. 57 Bezirke wachsen stark (vor allem Wien, Linz, Salzburg, Graz), während 37 periphere Bezirke schrumpfen oder stagnieren.
  • Verdichtung. Weiteres Zersiedeln wird unmöglich – stattdessen müssen Städte nach oben wachsen und brachliegende Industrie- und Handelsflächen umgenutzt werden.
  • Mobilität. Nur durch nachhaltige Raumplanung in Österreich mit kurzen Wegen und weniger Autoverkehr lässt sich Chaos vermeiden.

Es wird enger im Land. Bis zum Jahr 2070 könnte Österreich die Marke von zehn Millionen Einwohnern erreichen, wie aktuelle Projektionen zeigen. 

Was bedeutet das nun aus Sicht der Raum- und Verkehrsplanung? 

Eine faszinierende Frage – findet auch „Gemini“, ein vom US-Konzern Google entwickelter KI-basierter Chatbot. Und dieser skizziert auch gleich mit mehreren Aussagen, wie sich 800.000 zusätzliche Menschen in Österreich in den kommenden Jahrzehnten auf Städte und Infrastruktur auswirken könnten:

  •  Wien würde noch pulsierender.
  •  Regionale Zentren würden gestärkt.
  •  Weiterer Ausbau der Infrastruktur wäre erforderlich.
  •  Wohnraum würde generell teurer und knapper.
  •  Höherer Ressourcenverbrauch.

Wachstum durch Zuwanderung

Derzeit leben in Österreich laut Statistik Austria rund 9,2 Millionen Einwohner und damit etwa 40.000 Personen mehr als noch im Jahr zuvor. Das Wachstum basiert in erster Linie auf Zuwanderung, die regional sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.

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Zahlen & Fakten

Zuwanderer zieht es in bereits wachsende Orte mit entsprechender wirtschaftlicher Entwicklung. Das verstärkt seit vielen Jahren räumliche Disparitäten innerhalb Österreichs. So ist das stärkste Bevölkerungswachstum auf die städtischen Ballungszentren entlang hochrangiger Verkehrsachsen konzentriert, die Suburbanisierung schreitet weiter voran. 57 Bezirke in Österreich – vor allem die städtischen Regionen Wien, Linz, Salzburg und Graz, aber auch Inntal und Rheintal – verzeichnen eine Bevölkerungszunahme.

Doch während viele städtische und stadtnahe Regionen weiter in die Fläche wachsen, sind gleichzeitig periphere und ländliche Gebiete in insgesamt 37 Bezirken mit einer stagnierenden bzw. abnehmenden Bevölkerungsentwicklung konfrontiert.


Mehr Einwohner bedeuten nicht unbedingt mehr Verkehr.

Bedeuten mehr Einwohner (noch) mehr Verkehr? Nicht unbedingt, denn aus einem Bevölkerungswachstum auf zehn Millionen resultiert nicht zwangsläufig eine Zunahme des motorisierten Verkehrsaufkommens und deren negativer Auswirkungen. Die zentrale Frage ist, über welche Distanz und wie bzw. womit der Großteil der Wege im Jahr 2070 zurückgelegt werden wird.

Der Schlüssel zur Umsetzung einer nachhaltigen Mobilitätsplanung liegt somit in der entsprechenden Raumplanung. Klar ist, dass zehn Millionen Einwohner Österreich vor verschiedene Herausforderungen stellen werden. Durch eine vorausschauende Raumordnung lassen sich jedoch Risiken oder negative ökologische, ökonomische und soziale Folgen deutlich reduzieren. Grob zusammengefasst gibt es fünf Handlungsfelder für die künftige Raumordnungspolitik: 

1. Verdichtung

Ein weiter zunehmender Flächenverbrauch („Zersiedelung“) durch noch mehr Einfamilienhäuser wird in manchen Regionen allein schon aufgrund mangelnder unbebauter Grundstücke nicht mehr möglich sein. Neben den negativen ökologischen wie verkehrsbezogenen Auswirkungen ist eine weiter in der Fläche ausufernde Siedlungsstruktur auch volkswirtschaftlich aufgrund umfangreicher und wenig effizienter kommunaler Investitionen in die Infrastruktur nicht mehr leistbar.

Eine Verdichtung des Gebäudebestandes anstelle von weiteren Erschließungen in der Fläche wird angesichts knapper Gemeindebudgets immer öfter unumgänglich sein. Bereits heute werden viele Immobilien unter Ausreizung rechtlicher Bestimmungen aufgestockt und ausgebaut, damit mehrere Generationen darin Platz finden. Es wird Aufgabe der örtlichen Raumplanung sein, die Bau(un)kultur in geordnete Bahnen zu lenken. Notwendig wäre beispielsweise die stärkere Nutzung von möglichen Regelungen in den Bebauungsplänen, insbesondere bei der (Nach-)Verdichtung von Siedlungsräumen, aber auch die Mobilisierung von gehortetem Bauland anstelle weiterer Neuwidmungen im Grünland.

2. Wohnqualität erhöhen

Wenn es sich in der eigenen Umgebung angenehm lebt, reduziert dies das Bedürfnis, „ins Grüne“ zu fliehen. Das klassische Wochenendhaus ist ohnehin aufgrund weiter steigender Immobilienpreise für immer weniger Teile der Bevölkerung leistbar. Die zuvor angeführte Erhöhung der Bebauungsdichte erfordert auch eine gute Planung des Wohnumfeldes. Dabei hat eine Reduktion der Verkehrsbelastung für viele Bewohner oberste Priorität. Neben herkömmlichen Maßnahmen wie Temporeduktionen setzen sich seit einigen Jahren auch sogenannte „Superblocks“ in immer mehr Städten als eine erfolgversprechende Strategie durch. Dabei werden nicht mehr einzelne Straßenabschnitte separat betrachtet, sondern ein gesamter Gebäudeblock bzw. Grätzel verkehrstechnisch neu organisiert.

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Zahlen & Fakten

Durchfahrten werden unterbunden, Zu- und Abfahren ist jedoch weiterhin zu jedem Objekt möglich. Mit der Reduktion des Autoverkehrs geht eine sukzessive Umgestaltung des Straßenraumes durch mehr Bepflanzung sowie die Schaffung von Aufenthalts- und Begegnungsbereichen einher.

3. Industrieflächen verwandeln

Das Wettrüsten der Handelsbetriebe mit immer noch mehr und noch größeren Verkaufsflächen scheint sich langsam dem Ende zu nähern. Die Ursachen dafür liegen einerseits in einem geänderten Konsumverhalten – immer mehr Menschen kaufen online ein –, aber auch in einem Wandel des wirtschaftlichen Umfelds (Konzentration im Einzelhandel, Konsumzurückhaltung etc.). Da auch in der Industrie aufgrund globaler Entwicklungen in vielen Regionen weniger Produktionsflächen benötigt werden, müssen wir uns Gedanken machen, wie brachliegende Gewerbe- und Industrieimmobilien künftig einer neuen Nutzung zugeführt werden können. Dabei sollte je nach Standort auch eine dauerhafte Entsiegelung oder Renaturierung als ernsthafte Option mit in Betracht gezogen werden.

4. Nachhaltige Mobilität

Über Jahrzehnte galt das Planungsdogma der „funktionalen Stadt“ – der räumlichen Trennung von Wohnen, Arbeiten und Erholung. Ermöglicht wurde die Umsetzung dieser ursprünglich als städtebauliche Zukunftsvision gepriesenen Philosophie erst durch die Motorisierung des Verkehrs. Als Konsequenz daraus ergab sich eine zunächst sogar als Fortschritt bejubelte Zunahme des motorisierten Verkehrsaufkommens, die sich jedoch rasch als massive Belastung für das städtische Leben herausstellte. Eine Zunahme der Bevölkerung würde unter Beibehaltung dieser Strukturen zwangsläufig zu einem weiter steigenden Verkehrsaufkommen, insbesondere in den Stadt-Umland-Regionen Österreichs, führen.

Die räumliche Trennung von Wohnen, Arbeit und Erholung ist nicht zukunftsträchtig

Für die verkehrspolitisch seit vielen Jahren postulierte „Trendumkehr“ zur nachhaltigen Mobilität – kurze Alltagswege werden zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt, längere Wegstrecken mit dem öffentlichen Verkehr – bedarf es auch einer sukzessiven Anpassung der räumlichen Strukturen. Hier muss sich noch vieles ändern: Supermärkte am Ortsrand oder Möbelhäuser im Gewerbepark an der Gemeindegrenze, die weit entfernt vom Wohnbereich außerhalb der Kernstädte liegen, sind nach wie vor hauptsächlich auf das Auto ausgelegt. Eine Erschließung vieler Standorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln scheitert oft aufgrund der Fragmentierung und damit vergleichsweise geringen Frequenz an den hohen Kosten. 

5. Periphere Regionen

Während das politische und ökonomische Interesse vor allem der weiteren Entwicklung der wachsenden Wirtschafts- und Siedlungsräume gilt, wird man sich künftig auch verstärkt jenen Regionen Österreichs widmen müssen, in denen die Bevölkerung stagniert oder schrumpft. In einem offen geführten Diskurs mit den Regionen sollten gemeinsam Prozesse und Maßnahmen erarbeitet werden, wie der demografischen und ökonomischen Stagnation zu begegnen ist. In manchen Fällen wird es klug sein, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu verkleinern. Aber auch die Förderung von Handels- und Dienstleistungsbetrieben zur Daseinsvorsorge und das Setzen von möglichen Entwicklungsimpulsen gehören zum Instrumentarium.

Raumplanung in Österreich am Zug

Das Jahr 2070 scheint weit entfernt. Doch die Politik muss damit anfangen, Maßnahmen für das Zehn-Millionen-Österreich zu entwickeln. Dann wird es nicht nur enger und voller in den Städten, sondern – wie die Google-KI „Gemini“ verspricht – auch „pulsierender“. 

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Conclusio

Platzbedarf. In einem Zehn-Millionen-Österreich konzentriert sich die Bevölkerung zunehmend in Städten wie Wien, Linz, Salzburg und Graz, während 37 Bezirke in peripheren und ländlichen Gebieten stagnieren oder schrumpfen.

Verdichtung. Die Raumplanung muss weg von alten Konzeptenwie flächenintensiven Einfamilienhäusern, funktionaler Trennung von Wohnen und Arbeiten sowie einer Infrastruktur, die hauptsächlich auf den Autoverkehr ausgelegt ist.

Strategie. Österreich sollte fünf Bereiche angehen: Verdichtung der Bausubstanz, Wohnqualität durch verkehrsberuhigte „Superblocks“, Umnutzung von Industrieflächen, nachhaltige Mobilität sowie Unterstützung peripherer Regionen.

Serie: 10.000.000 Österreich

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