Alter, Kinder, Migration: Österreich 2070

In Österreich könnten bis zum Jahr 2070 zehn Millionen Menschen leben. Die Politik muss für dafür Vorkehrungen treffen. Das wird schwierig, aber es geht. Ein weiter Ausblick.

Illustration für einen Beitrag über Österreich 2070: vor einer eine alten Wiener Straßenbahn stehen Fahrgäste einer langen Schlange vor der Einstiegstür.
Wien hat bereits über zwei Millionen Einwohner und dürfte noch kräftig wachsen. © Benedetto Cristofani
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Auf den Punkt gebracht

  • Szenarien. Österreich 2070 könnte 10 Millionen Einwohner haben, oder theoretisch sogar wieder schrumpfen.
  • Alterung. In jeder Projektion wird das Durchschnittsalter deutlich steigen, vor allem wenn die Gesamtbevölkerung schrumpft.
  • Kinderlos. Die Statistiker rechnen langfristig damit, dass Frauen 1,6 Kinder haben werden – derzeit sind es nur 1,3.
  • Umdenken. Die Anhebung des Pensionsalters ist der effizienteste Weg, um den Sozialstaat zu entlasten.

Die Demographie hat zwar den Ruf einer präzisen Wissenschaft mit sehr guten Prognosen. Doch über Zeiträume von 30 bis 40 Jahren sind die Vorhersagen mit großer Unsicherheit behaftet, besonders für Länder mit starker Immigration. Und damit sind wir in Österreich angelangt: Wie stark die Bevölkerung zwischen Bregenz und Eisenstadt in den kommenden Jahrzehnten wachsen oder schrumpfen wird, lässt sich derzeit nicht sagen. Die Politik muss also, so kompliziert das ist, Vorkehrungen für beide Szenarien treffen.

Die Ausgangslage

Im Jahr 2024 sank die Fertilitätsrate in Österreich auf ein neues Langzeit-Minimum: Eine Frau bekommt im Durchschnitt nur noch 1,31 Kinder. Um die Bevölkerungsgröße über Geburten zu erhalten, wären 2,1 Kinder pro Frau notwendig. Dieses sogenannte Bestandserhaltungsniveau erreicht Österreich schon lange nicht mehr. Dennoch wächst die Bevölkerung aufgrund der hohen Immigration. In der Zukunft ist ein weiteres Wachstum ebenso möglich wie ein starker Rückgang, falls die hohe Immigration nicht dauerhaft aufrechterhalten wird.

Aktuell hat Österreich 9,2 Millionen Einwohner. Im Jahr 2070 könnten es bereits über 10 Millionen Einwohner sein, wenn sich die Zahlen so entwickeln wie im Hauptszenario der Bevölkerungsprojektionen der Statistik Austria. Dieses geht von einem Anstieg der Fertilitätsrate und der Lebenserwartung aus sowie von einer relativ hohen Immigration. Die Einwohnerzahl könnte in 45 Jahren aber auch bei 8,7 Millionen liegen und damit deutlich niedriger sein als heute, wenn Migration und Anstieg der Geburtenraten geringer ausfallen. Von dieser Entwicklung geht etwa das Hauptszenario der UN-Bevölkerungsprognose aus. Sicher ist, dass die Bevölkerung in der Altersgruppe 65+ besonders stark wachsen wird.

Szenarien für Österreich 2070

Beide Varianten stellen die Politik vor enorme Herausforderungen: Ein Anstieg auf zehn Millionen Einwohner erfordert Wohnraum und Versorgung für zusätzliche 800.000 Menschen. Das entspricht der Bevölkerung von Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck zusammen. Der Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen wird wegen der Alterung viel höher sein, bei stagnierender Bevölkerung im Haupterwerbsalter. Mit weniger Migration und einer schrumpfenden Population würden zwar Investitionen in Wohnraum wegfallen, die Bevölkerung aber noch stärker altern.

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Zahlen & Fakten

Demographie ist für uns alle relevant. Der Wert einer Immobilie, die Sicherheit der Altersvorsorge oder der Ertrag von Investitionen ist auch von der demographischen Entwicklung abhängig. Bevölkerungsprojektionen sind daher eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Dabei wird ausgehend von der aktuellen Bevölkerungsstruktur die zukünftige Entwicklung abgeschätzt. Fertilitätsraten, Migration und Lebenserwartung werden variiert und verschiedene Szenarien geschätzt. Der Zweck dieser Projektionen ist es, die aus heutiger Sicht möglichen Entwicklungen und deren Konsequenzen abzuschätzen.

Die detaillierteste Bevölkerungsprojektion für Österreich stammt von der Statistik Austria. Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen werden dabei genau berücksichtigt, und so erhält man auch detaillierte Prognosen nach Region oder Geburtsland. Ebenfalls relevant sind die europäischen und globalen Bevölkerungsprojektionen von Eurostat, jene der Vereinten Nationen und die bildungsspezifischen Projektionen des österreichischen Wittgenstein Centre for Demography. Durch Vergleiche der demographischen Vergangenheit und Zukunft mit unterschiedlichen Modellen lässt sich einiges über die mögliche Zukunft Österreichs lernen.

Ende des Babybooms

Die beiden Jahrzehnte nach 1945 waren geprägt durch eine hohe Kinderzahl mit einem Peak in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre. Auf dem Höhepunkt des Babybooms wurden jährlich über 130.000 Kinder geboren, aktuell sind es nur 77.000. Die Fertilität lag bei 2,8 Kindern pro Frau. Doch von 1964 bis 1976 sank die Rate auf unter 1,7 ab und liegt seitdem darunter. Derzeit gibt es einen globalen Trend zu noch weniger Kindern, auch in Österreich geht die Fertilität kontinuierlich zurück.

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Zahlen & Fakten

Die Hauptszenarien der Statistik Austria und der Eurostat-Projektion rechnen langfristig damit, dass Frauen 1,6 Kinder haben werden, die UNO geht von 1,5 Geburten aus. Allerdings werden auch Szenarien mit dauerhaft niedriger Fertilität berechnet; die Statistik Austria hat etwa ein Modell, in dem sie von nur 1,12 Kindern ausgeht.

Österreich ist ein Einwanderungsland. Im Jahr 2023 war knapp ein Viertel der Bevölkerung nicht hier geboren, der fünfthöchste Wert in der EU. Sehr speziell für Österreich sind die hohe Immigration in den letzten Jahren und die enormen Unterschiede von Jahr zu Jahr. So kamen 2015 und 2022 netto über 100.000 Personen nach Österreich, im Jahr 2018 „nur“ 35.000. Die Hauptszenarien der Bevölkerungsprojektionen von Statistik Austria und Eurostat rechnen mit einer Immigration von jährlich 30.000 bis 40.000 Menschen, die UN- Projektion geht von 15.000 aus.

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Zahlen & Fakten

Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten konstant gestiegen, um etwa 2,5 Jahre pro Jahrzehnt. Der Anstieg hat sich allerdings vor 2020 etwas abgeflacht, und die Pandemie brachte dann eine kleine Delle mit sich. Weil der Anstieg lange Zeit so konstant war, gehen die Bevölkerungsprojektionen von einem weiteren Anstieg aus, auf über 90 Jahre für Frauen und knapp unter 90 Jahre für Männer.

Wir werden älter

Die Bevölkerung Österreichs wird im Jahr 2070 zwischen acht und zehn Millionen liegen. Nur im Hauptszenario der Statistik Austria steigt die Zahl etwas über zehn Millionen; dies erfordert jedoch einen Wiederanstieg der Geburtenraten und konstant hohe Zuwanderung. Mit moderater Immigration (wie im UN-Hauptszenario) oder gar ohne Migration würde die Bevölkerung sofort schrumpfen. Auch im Szenario mit der niedrigen Fertilität schrumpft die Bevölkerung langfristig, trotz hoher Immigration.

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Zahlen & Fakten

Die Bevölkerungsalterung und damit die wachsende Zahl von Menschen über 65 ist jedoch so gut wie sicher, weil die geburtenstarken Babyboomer dieses Alter in den nächsten Jahren erreichen. Im Hauptszenario der Statistik Austria steigt der relative Anteil der über 65-Jährigen von aktuell 20 auf 27 Prozent im Jahr 2040. Diese Entwicklung ist in allen anderen Szenarien ähnlich.

Lange To-Do-Liste

Wenn auch das zukünftige Österreich ein Erfolgsprojekt werden soll, müssen wir rasch auf die demographischen Herausforderungen reagieren. Das betrifft alle Problembereiche: die sinkende Fertilität, die Alterung der Bevölkerung, die hohe und überdies stark schwankende Immigration sowie die Unsicherheit bezüglich der demographischen Entwicklung.

Sinkende Geburtenraten liegen im globalen Trend, mit Ausnahme Afrikas. In mehreren Ländern wie Südkorea, Chile und Thailand liegt die Fertilität bereits unter einem Kind pro Frau. Es wird nicht einfach, diesen Trend zu stoppen. Wir können es aber versuchen, indem wir Österreich zu einem Land für Familien und Kinder machen. Da gibt es durchaus Luft nach oben.

Mehr Platz für Kinder

Kinder brauchen Platz im öffentlichen Raum – für sichere autonome Mobilität, für Spiel und Bewegung, für soziale Kontakte. Die Dominanz von Autos auf öffentlichen Flächen lässt für diese Bedürfnisse oft keinen Platz. Das beeinträchtigt Wohlergehen, Gesundheit und Fähigkeiten der Kleinsten. Und es macht sämtliche Aktivitäten der Kinder zur Belastung für Eltern, welche diese beaufsichtigen und transportieren müssen. Ein „Autoland“ ist eine Kriegserklärung an Kinder und Jugendliche. In der Gestaltung öffentlichen Raums müssen Familien die relevante Größe werden.

Eltern benötigen auch Unterstützung bei der Care-Arbeit und eine bessere Vereinbarkeit der familiären Aufgaben mit Erwerbsarbeit. Externe Betreuung kann die Eltern enorm entlasten, wobei auch deren Qualität und zeitliche Verfügbarkeit eine wichtige Rolle spielen. Dass Kinder in den Betreuungseinrichtungen Essen bekommen und die Kosten von der Allgemeinheit getragen werden, sollte selbstverständlich sein. Schließlich handelt es sich um eine Investition in die nächste Generation. Auch wenn der Effekt von Kinderbetreuung auf die Fertilität unklar ist, hat die zeitliche Entlastung der Eltern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Vorteile für alle Beteiligten.

Wohnraum besser nutzen

Leistbarer Wohnraum ist für Familien und junge Erwachsene ebenfalls besonders wichtig. Die effektivste Lösung liegt in der Nutzung bereits vorhandener Wohnungen und Häuser. Früher praktizierte man auf Bauernhöfen ein bewährtes Modell: Die ältere Generation zog in das kleinere „Austragshaus“ um und erhielt im Gegenzug Versorgungsleistungen. Dieses System stellte eine sinnvolle Verteilung der Ressourcen zwischen den Generationen sicher.

Einfamilienhäuser immer weniger von Familien, dafür zunehmend von älteren Paaren oder Einzelpersonen bewohnt.

Über das staatliche Pensionssystem werden die Älteren ohne Gegenleistung von den Jungen versorgt. Auch deshalb werden Einfamilienhäuser immer weniger von Familien, dafür zunehmend von älteren Paaren oder Einzelpersonen bewohnt. Vermietung und Verkauf von Wohneigentum müssen ein Teil der Altersvorsorge werden, um dieses Kapital für die nächste Generation zu mobilisieren. Auch eine Umschichtung der Steuerlast von Arbeit auf Immobilienbesitz kann mithelfen, die Kaufkraft der jungen Generation zu steigern und Immobilienbestand für sie bereitzustellen.

Migration gestalten

Um weiterhin von Immigration zu profitieren, muss diese aktiv gestaltet werden – mit gezielter Anwerbung, Auswahl und Unterstützung bei der Integration. Denn der wirtschaftliche Gewinn von Immigration wird oft überschätzt: Ein großer Teil der Zuwanderer ist im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, Immigration erhöht daher kurz- und mittelfristig den Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter. Doch Einwanderer sind auch Konsumenten und Bezieher von staatlichen Leistungen, vor allem in deren Altersruhestand.

Unmittelbar erhöht Immigration also das Arbeitskräfteangebot und die Steuerleistung, langfristig aber die Finanzierungsprobleme des Staates.

Unmittelbar erhöht Immigration also das Arbeitskräfteangebot und die Steuerleistung, langfristig aber die Finanzierungsprobleme des Staates. Migration wird nur dann zum Gewinn, wenn Einwanderer schneller, besser und länger ins Erwerbsleben integriert werden.

Aktiv im Alter

Die Erwerbsbeteiligung muss auch für die Bevölkerung über 60 zur Norm werden. Der lange Altersruhestand mit großzügigen Pensionen ist mit der demographischen Entwicklung nicht kompatibel. Würden wir nur einen Teil der gewonnenen Lebenserwartung und besseren Gesundheit für Erwerbstätigkeit nutzen, ließen sich die negativen Auswirkungen der Demographie leicht ausgleichen.

Bei der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen gibt es Aufholpotenzial. Nicht nur in Musterländern wie Dänemark arbeiten die Menschen länger als in Österreich, auch in Deutschland, Portugal und selbst in Italien ist das so. Wenn es gelänge, die Erwerbsbeteiligung Älterer auf das Niveau von Deutschland oder Dänemark zu heben, könnte man damit den Pensionsantritt der Babyboomer neutralisieren.

Durch den frühen Pensionsantritt in Österreich entstehen enorme Wohlstandsverluste. In vielen Branchen herrscht Arbeitskräftemangel. Zentrale Dienstleistungen können nicht mehr oder nur noch in schlechter Qualität angeboten werden. Diese Knappheit wird sich verschärfen, weil das Personalangebot mit dem Pensionsantritt der Boomer noch einmal sinkt, während vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich die Nachfrage steigt.

Effizienter wirtschaften

Die Anhebung des Pensionsalters ist der mit Abstand effizienteste Weg, um Arbeitskräftemangel zu mindern und staatliche Ausgaben zu reduzieren. Österreichs Zukunft wird also nicht zuletzt von Bevölkerungsalterung und der unsicheren demographischen Entwicklung geprägt. Eine Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung muss diese Faktoren berücksichtigen. Statt sich nur auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes zu konzentrieren, muss die Politik auf Effizienz, Flexibilität und Adaptierbarkeit setzen.

Die Knappheit ist zurück und zeigt sich bereits in Form einer stagnierenden Wirtschaft.

Das BIP-Wachstum ist eng mit erhöhtem Ressourcenverbrauch und mehr Bedarf an Arbeitskräften verbunden. In den letzten Jahrzehnten waren Arbeitskräfte kein limitierender Faktor. Die Babyboomer befanden sich im Erwerbsalter, die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist kontinuierlich gestiegen, und bevölkerungsreiche Länder wurden in die globale Wirtschaft integriert. Dazu kam billige fossile Energie, und der Bodenverbrauch war noch kein Thema. Doch in dieser Welt leben wir nicht mehr. Die Knappheit ist zurück und zeigt sich bereits in Form einer stagnierenden Wirtschaft.

Statt Wachstum muss Effizienz in Zukunft die zentrale Rolle spielen. Wie lassen sich Bedürfnisse mit möglichst wenig Aufwand und Kosten befriedigen? Zum Beispiel, indem durch gute Raumplanung der Verkehr und die Kosten für Mobilität reduziert werden. Oder indem wir unsere Gesundheit durch Vorsorge und ausreichend Bewegung erhalten, statt Krankheiten teuer zu behandeln, wie das derzeit praktiziert wird. Auch der ständig anwachsende Pflegebedarf ließe sich durch Änderungen des Lebensstils verringern. Allgemein gilt: „Klug produzieren statt mehr produzieren“ wird das Paradigma des 21. Jahrhunderts sein.

Flexibilität gefragt

Mit der Unsicherheit über die demographische Entwicklung bekommen Flexibilität und Adaptierbarkeit eine größere Rolle. Zum Beispiel sollte die soziale Absicherung der Bevölkerung gewährleistet sein – unabhängig davon, ob die Erwerbsbevölkerung in Zukunft wächst oder schrumpft. Automatische Anpassungsmechanismen im Pensionssystem können diese Flexibilität sicherstellen. Bei Investitionen in die Infrastruktur müssen Möglichkeiten zur Nutzungsänderung und zu einem eventuell notwendigen Rückbau bereits berücksichtigt werden.

Österreich kann in jedem demographischen Szenario ein Erfolgsprojekt bleiben. Doch das erfordert Innovation und Erfindergeist sowie das Schlachten gleich mehrerer heiliger Kühe.

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Conclusio

Alterung. Österreich könnte bis 2070 auf zehn Millionen Menschen wachsen – oder deutlich schrumpfen. Entscheidend werden zwei Faktoren sein: die Zuwanderung und die Fertilität. Jedenfalls steigt die Zahl der über 65-Jährigen.

Herausforderungen. Diese Unsicherheit erfordert Vorbereitung auf unterschiedliche Szenarien: Bevölkerungswachstum bzw. -rückgang. Brauchen wir mehr Wohnraum, oder fehlt es an Financiers für die sozialen Sicherungssysteme?

Planen. Die Gesellschaft muss proaktiv handeln. Österreich sollte kinderfreundlicher werden, durch bessere öffentliche Räume, Unterstützung bei der Care-Arbeit und leistbaren Wohnraum. Migration muss gesteuert werden.

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