Spekulation gegen die Rezession
Zinsdeckel oder Übergewinn-Steuern sind die falschen Rezepte bei Wirtschaftsflaute. Eigentlich braucht nämlich gerade Österreich aktuell vor allem eines: Mehr Spekulation.
An sich sind Spekulanten in Österreich eher unbeliebt. Der Aufschrei beginnt bei jeder Erwähnung der Bedeutung von „financial literacy“, also Finanzbildung. Es wird argumentiert, dass die wichtige Fähigkeit, die Grundlagen der Finanzwelt und der wirtschaftlichen Entwicklungen zu verstehen, nur den Finanzinstituten nützen würde, die dann mehr riskante und spekulative Produkte verkaufen könnten.
Kredite, Zinsen, Inflation
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Diese Produkte würden die kleinen Sparer in den Ruin treiben, während die gleichen Aktien den „Großaktionären“ (eine besonders unbeliebte Gattung von Kapitalisten) satte Gewinne bescheren würden.
Abgesehen von den offensichtlichen Ungereimtheiten: Tatsächlich ist die Wertpapiervorsorge außerhalb Österreichs weit verbreitet und normal. Im Durchschnitt des Euroraums halten nach den jüngsten Daten des Household Finance and Consumption Survey 2021 10,9 Prozent der Haushalte im Euroraum Aktien, in Österreich sind es 6,1 Prozent.
Spitzenreiter beim Aktienbesitz ist Finnland mit 20,3 Prozent, gefolgt von Luxemburg mit 18 Prozent. Etwas besser sieht es beim Besitz von Investmentfonds aus: In Österreich besitzen sie 12,3 Prozent, verglichen mit dem Euro-Durchschnitt von 12,9 Prozent. Trotzdem liegt Österreich weit hinter Finnland mit 34,2 Prozent, Luxemburg mit 24,4 Prozent oder Belgien mit 22,8 Prozent.
Spekulation bringt mehr als Sparen
Klar ist, dass risikoreichere Produkte – trotz aller Höhen und Tiefen – in der Regel langfristig höhere Renditen bringen als etwa das beliebte Sparbuch. Hätte man beispielsweise vor 25 Jahren begonnen, jedes Jahr 1.000 Euro (zu Preisen von 2023) in den MSCI World Index – also einen durchaus diversifizierten Index – zu investieren, käme man trotz aller Wirtschaftskrisen auf eine angesparte Summe von rund 43.000 Euro. Das ist fast doppelt so viel wie nach 25 Jahren auf einem Sparbuch.
Menschen neigen dazu, Entscheidungen zu treffen, ohne die lange Frist zu berücksichtigen.
Die Verhaltensökonomie jedoch lehrt uns, dass Anleger trotz höherer Renditen bei Aktien lieber in weniger riskante Wertpapiere investieren. Dieses Phänomen ist als „Equity Premium Puzzle“ bekannt und lässt sich mit einer Verlustaversion erklären.
Menschen neigen dazu, Entscheidungen myopisch zu treffen, also ohne die lange Frist zu berücksichtigen. Und wenn eine volatile Aktie fällt – auch wenn sie danach wieder steigt! –, sind sie entsprechend unzufrieden. Es handelt sich dabei um eine nicht rationale Entscheidung beziehungsweise eine kognitive Verzerrung.
Spekulieren für die Rente
Der zweite prominente Auslöser für eine aktuell breit und emotional geführte Debatte ist die Frage der kapitalgedeckten Vorsorge. Eines ist klar: Das österreichische Pensionssystem ist langfristig sehr teuer. Jedes Jahr müssen Steuermittel, die an anderer Stelle fehlen, zusätzlich aufgebracht werden, um die Ansprüche zu sichern.
Mittelfristig wird die Belastung auf über 15 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Anders ist das in Ländern, die schon vor Jahren auf eine kapitalgedeckte zweite Säule gesetzt haben, wie etwa Dänemark. Dort liegen die Ausgaben aus dem Budget bei knapp über neun Prozent, sollen aber auf sieben Prozent sinken. Dennoch haben dänische Pensionistinnen und Pensionisten vergleichbar hohe Pensionen wie jene in Österreich – die Armutsgefährdung in der Gruppe 65+ ist sogar etwas niedriger als in Österreich.
Gleichzeitig können die von den Pensionskassen verwalteten Gelder veranlagt werden – ein Großteil davon im Inland und zur Finanzierung von Investitionen oder Innovationen der Unternehmen. Auch das ist ein Grund, warum Dänemark eine dynamischere Wirtschaft aufweist als Österreich. An sich alles Vorteile. Aber in Österreich ist man davon nicht überzeugt. Mit den Ersparnissen der Pensionisten soll nicht spekuliert werden.
Zinsdeckel und Rezession
Umso erstaunlicher ist es, dass ein Bündnis aus niederösterreichischer SPÖ und FPÖ die Spekulanten liebgewonnen hat. Mitten im Sommerloch kam der Vorschlag, variable Kreditzinsen für Immobilien zu begrenzen. Unter Ökonomen stieß der Vorstoß auf wenig Begeisterung.
Die EZB erhöhe die Zinsen schließlich nicht aus Jux und Tollerei, wurde argumentiert. Zum Beispiel den Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Banken bei der EZB Geld für die Refinanzierung ihrer Geschäfte besorgen können. Je höher dieser Satz, desto vorsichtiger müssen die Banken bei der Kreditvergabe sein, um keine Liquiditätsprobleme zu bekommen.
Angesichts der bereits drohenden Rezession würde eine Begrenzung der Kreditzinsen die Wirtschaft weiter verlangsamen.
Oder der Zinssatz für die Einlagefazilität, den Banken erhalten, wenn sie Geld bis zum nächsten Geschäftstag bei der EZB parken: Steigt er – wie jetzt gerade – lohnt es sich für die Banken, genau das zu tun. So oder so ist es das Ziel, weniger Kredite zu vergeben und damit den Preisanstieg zu begrenzen. Eine künstliche Deckelung stünde diesem Ziel natürlich direkt entgegen und würde die Phase hoher Inflation wahrscheinlich verlängern (und damit auch die Zinsen weiter steigen lassen!).
Je nachdem, wie eine solche Obergrenze ausgestaltet wird, gibt es zwei mögliche Konsequenzen. Und beide sind für eine Volkswirtschaft dramatisch. Würde man einfach verbieten, höhere Zinsen zu verlangen, hätte das den gleichen Effekt wie jede andere Preisobergrenze: Es käme zu einer Verknappung des Angebots. Angesichts der bereits drohenden Rezession würde dies die Wirtschaft weiter verlangsamen.
Keine Lösung: „Übergewinnsteuer“
Die zweite Variante ist – wie von der SPÖ in Niederösterreich vorgeschlagen – dass der Staat die Differenz zwischen Zinsobergrenze und den tatsächlich von den Banken verlangten Zinsen zahlt. Diese Subvention soll durch eine Abgabe, also eine „Übergewinnsteuer“ für Banken, gegenfinanziert werden.
Bei dieser Variante wäre es aus Sicht der Banken mehr oder weniger egal, wem sie einen Kredit geben. Denn die Differenz zwischen drei Prozent Zinsen und der notwendigen Risikoprämie zahlt der Steuerzahler. Für Banken wäre das eine Einladung zu riskanten Geschäften und langfristig eine Bedrohung für die Stabilität des Bankensystems – ein Phänomen, das als Moral Hazard bekannt ist. Welche Folgen das haben kann, haben wir 2009 gesehen.
Eines überrascht in dieser Diskussion jedoch am meisten: Als in der Finanzkrise oder der Corona-Krise der Ruf nach Bail-outs für Banken oder Unternehmen laut wurde, haben viele zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Vergemeinschaftung von Verlusten keine gesellschaftlich tragfähige Idee ist.
Verzockt: Die Kreditnehmer
Meist sind es ordoliberale Ökonominnen und Ökonomen, die sich hier zu Wort melden, aber gerade im Zusammenhang mit „Großkonzernen“ kamen solche Wortmeldungen auch aus der eher linken Ecke des politischen Spektrums. Umso erstaunlicher ist es, wenn in einer durchaus vergleichbaren Situation nach dem Staat gerufen wird, wenn das Geschäft nicht läuft. Denn Immobilienkredite mit variablen Zinsen waren in den letzten Jahren sehr günstig, die Kreditnehmer haben darauf gewettet, dass das auch noch länger so bleibt.
Spekulation eben. Sprich: das eigenverantwortliche Beobachten und Bewerten von wirtschaftlichen Entwicklungen, um Kurs-, Preis- oder Zinsunterschiede über die Zeit unter kalkulierter Risikonahme für Gewinnmitnahmen zu nutzen. Das ist nicht weniger als ein essenzielles Grundprinzip unseres Wirtschaftssystems. Und genau dafür braucht es mehr „financial literacy“.