Auf Crash-Kurs

Die aktuelle Krise des Finanzsystems hat tief liegende Ursachen. Denn Geld gibt es nur dort, wo es auch Schulden gibt. Höchste Zeit für strukturelle Reformen.

Zeichnung eines der Titanic ähnlichen Schiffs, das in der Nacht bei Sternenlicht auf einen Eisberg zusteuert, der die Form eines Euro hat. Die zeichnung illustriert einen Beitrag über Schulden. Der Schuldenberg in Euro sind hier der Eisberg.
Fahrt auf Sicht kann nicht vor dem Crash bewahren. © Francesco Ciccolella
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Auf den Punkt gebracht

  • Geldsystem. Wo Kredite vergeben werden, entstehen Schulden und somit Geld. Dieses Prinzip beherrscht das Finanzsystem.
  • Krise. Die aktuellen Bankenpleiten sind Ausdruck der übermäßigen Schulden der Banken, für die letztlich die Steuerzahler aufkommen müssen.
  • Staatshaftung. Die Verschuldung übersteigt die Wirtschaftsleistung und die Möglichkeiten von Staaten, aufgeblähte Finanzsysteme zu retten.
  • Reformen. Trennung in Geschäfts- und Investmentbanken, Senkung von Boni, Aufspaltung der Großbanken und ein Schuldenlimit sind notwendig.

Das Ende der Silicon Valley Bank (SVB) begann mit einer verunglückten Kapitalerhöhung: Das Institut hatte in der Niedrigzinsphase erhebliche Mittelzuflüsse verbucht, welche die Einlagen von 147 auf 375 Milliarden Dollar anwachsen ließen. Für eine Bank stellen Einlagen Verbindlichkeiten dar; sie muss also mit den Einlagen auf der Aktivseite der Bilanz etwas machen.

Mehr über Geld

Es war unmöglich, in kurzer Zeit genügend kreditwürdige Kunden zu finden, an die man das eingenommene Geld hätte verleihen können. Also wurden die Gelder in sicheren festverzinslichen Wertpapieren angelegt. Da die Zinsen für kurzfristige Staatsanleihen bei 0,15 Prozent oder darunter lagen, musste die Bank auf längere Laufzeiten ausweichen. Nachdem die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) die Leitzinsen deutlich erhöht hatte, stürzten die Kurse der schlecht verzinsten Anleihen mit langer Laufzeit ab.

Diese Verluste versuchte SVB nun zu stopfen. Als bekannt wurde, dass eine Ratingagentur eine Abstufung der Kreditwürdigkeit der SVB plante, zogen Investoren ihre Kaufaufträge zurück. Am folgenden Tag kursierten Aufrufe in den sozialen Medien, Einlagen über der Versicherungsgrenze von 250.000 Dollar von der Bank abzuziehen.

Viele Start-ups aus den Bereichen Technologie und Gesundheit hatten ihre Konten bei SVB. Darauf lagen Gelder, die den Unternehmen von Risikokapitalgesellschaften zur Verfügung gestellt worden waren. Die Beträge überschritten oft die Grenze von 250.000 Dollar. Innerhalb von 24 Stunden wurden Einlagen im Wert von 42 Milliarden Dollar von der Bank abgezogen.

Um weiteren Schaden zu verhindern, wurde die Bank am folgenden Tag, einem Freitag, von der Bankenaufsicht geschlossen. Aus Furcht vor einer Ausweitung dieses „Bank Runs“ auf andere Institute wurde entschieden, dass kein SVB-Kunde Geld verlieren soll. Eventuelle Verluste werden vom Einlagensicherungsfonds (FDIC) getragen. Die SVB-Aktionäre verlieren jedoch alles. Auch Besitzer von Anleihen der Holdinggesellschaft können kaum auf einen Liquidationserlös hoffen.

Eine Abwärtsspirale

Die SVB gehörte zu den 20 größten Banken der USA. Ihr Untergang setzte eine Abwärtsspirale in Gang, welche nur eine Woche später für die bereits angeschlagene Credit Suisse das Aus bedeutete. Um einen Crash zu verhindern, wurde die CS mit der UBS zwangsverheiratet. Entstanden ist dabei ein Finanz-gigant, der im Fall der Fälle wohl von niemandem mehr zu retten wäre: Die Kombination der Aktiva von UBS (1,1 Billionen Schweizer Franken) und Credit Suisse (500 Milliarden Franken) entspricht ungefähr dem Doppelten der Schweizer Wirtschaftsleistung.

Warum scheint die Welt 15 Jahre nach der großen Wirtschafts- und Finanzkrise schon wieder auf eine Katastrophe zuzusteuern? Das Internationale Institut der Finanz (IIF) analysiert die weltweite Schuldensituation. Ende 2022 betrug die globale Verschuldung 299 Billionen Dollar oder 340 Prozent des globalen Bruttosozialproduktes (BSP).

Die Schulden wachsen schneller als die Wirtschaft.

Das ist genauso bedrohlich, wie es sich anhört. Bei einem Zinssatz von fünf Prozent werden bei den gewaltigen Dimensionen dieser Schuldenlast jedes Jahr mehr als 17 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen fällig. Hinzu kommt noch der normale Schuldendienst, also die Rückzahlung fälliger Verbindlichkeiten. Weil die Schulden schneller wachsen als die Wirtschaft, nimmt diese Belastung ständig zu.

Hohe Schulden führen zu erhöhter Instabilität sowie zu Unternehmenszusammenbrüchen oder Wirtschaftskrisen. Die Zentralbanken versuchten lange, solche Entwicklungen zu vermeiden, indem sie die Zinsen niedrig hielten. Doch dann kamen die Pandemie, die Lieferengpässe, die milliardenschweren Hilfsprogramme – und mit ihnen die höchste Inflation seit Jahrzehnten. Die Zentralbanken waren gezwungen, die Leitzinsen zu erhöhen.

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Zahlen & Fakten

Für die Staatshaushalte sind die Folgen massiv: In den USA muss etwa schon ein Sechstel der Steuereinnahmen für den Schuldendienst verwendet werden. Aber die Staatsschulden sind nur ein Faktor. Hinzu kommt noch die Verschuldung der privaten Haushalte sowie der Unternehmen und Banken.

Hohe Schulden sind also ein Problem für die Stabilität. Ein noch größeres Problem steckt im Design unseres Währungssystems: Wir können Geld nur generieren, wenn gleichzeitig eine entsprechende Schuld entsteht.

Wo Geld, da Schulden

Wenn wir davon sprechen, dass wir Geld auf der Bank haben, handelt es sich um eine Forderung unsererseits an die Bank, und die Bank führt unser Bankguthaben folgerichtig als Verbindlichkeit. Dies trifft auch auf makroökonomischer Ebene zu. Was wir als Geld bezeichnen, existiert nur gepaart mit einer entsprechenden Schuldenposition. Wie Materie und Antimaterie, Yin und Yang.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Reduktion von Schulden nur mit einer Reduktion von Ersparnissen möglich ist – freiwillig oder unfreiwillig. Eine freiwillige Form der Schuldenreduktion wäre die Rückzahlung eines Kredites. Beispiele für Schuldenreduktion auf unfreiwilliger Basis sind Inflation, Schuldenrestrukturierung oder kompletter Zahlungsausfall.

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Eine spürbare Dosis Inflation (zwischen fünf und zehn Prozent) ist ein Mittel, um die Schuldenlast zu reduzieren – natürlich zum Nachteil der Sparer. Inflation steigert den nominellen Wert der Wirtschaftsleistung, nicht aber der Schulden, die damit dank Geldentwertung relativ schrumpfen. So blieb die Quote der US-Staatsverschuldung 2022 gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert bei 120 Prozent des BSP; ohne Inflation wäre der Wert auf 129 Prozent gestiegen.

Die Rolle der Zentralbanken

Zentralbanken haben als wichtigste Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen; meist wird eine Inflationsrate von zwei Prozent für akzeptabel -gehalten. Dies führt in der aktuellen Situation jedoch zu einem Dilemma: Ist die Teuerung niedrig, werden Schulden nicht schnell genug entwertet, was bei zunehmender Verschuldung über längere Zeiträume zu einem Kollaps des Währungssystems führen kann.

Die Duldung oder Herbeiführung erhöhter Inflationsraten würde hingegen das Vertrauen in die Währung erschüttern und schlimmstenfalls eine galoppierende, nicht mehr zu bremsende Geld-entwertung auslösen.
Es wäre jedoch verkehrt, den Zentralbanken allein die Schuld an der Misere zuzuschieben. Tatsächlich grenzt es an ein Wunder, dass das aktuelle Währungssystem seit über 50 Jahren funktioniert.

Unser Geld ist durch keine materiellen Werte gedeckt; wir können einen Geldschein nur gegen einen anderen Geldschein umtauschen und zum Bezahlen von Schulden verwenden. Zentralbanken haben auch nur einen kleinen Teil des umlaufen den Geldes geschaffen. Bei der amerikanischen Notenbank Federal Reserve zum Beispiel sind es „nur“ 8,3 Billionen Dollar (die Summe der Verbindlichkeiten). Insgesamt existieren jedoch 92,2 Billionen Dollar. Die Zentralbank hat demnach weniger als neun Prozent des ausstehenden Geldes kreiert.

Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ, die salopp auch als „Bank der Notenbanken“ bezeichnet wird, kommen noch einmal rund 50 Billionen Dollar hinzu, welche außerhalb der USA von Nicht-US-Banken geschaffen wurden. Damit wäre die Fed für die Schaffung von nur 5,7 Prozent aller Dollars verantwortlich – und dies, obwohl sie ihre Verbindlichkeiten seit 2008 verachtfacht hat.

Banken schöpfen das meiste Geld

Wie schon beschrieben, kommt unser Geld aus zwei verschiedenen Quellen: einer öffentlichen (Zentralbank) und vielen privaten (Geschäftsbanken, Schattenbanken, Nicht-Banken). Der privat geschaffene Teil des Geldes übersteigt den öffentlichen um das 10- bis 20-Fache. Dennoch ist die Zentralbank für all das privat geschaffene Geld verantwortlich.

Eine Spareinlage bei einer Bank ist eigentlich nichts anderes als ein „Stablecoin“, wie man es von Kryptowährungen kennt. Wir setzen als völlig selbstverständlich voraus, dass wir unsere Spareinlagen jederzeit abheben, also von privatem in öffentliches Geld umtauschen können. Doch es gibt gar nicht genug öffentlich geschaffenes Geld, um alle Spareinlagen zu bedecken.

Im Fall der USA zum Beispiel stehen 17,6 Billionen Bankeinlagen nur 2,3 Billionen in Banknoten und Münzen gegenüber. Auch die staatlichen Garantien für Bankeinlagen vermitteln eine trügerische Sicherheit. Im Falle der USA beträgt die Einlagensicherung 250.000 Dollar pro Konto.

Der Einlagensicherungsfonds der FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) hat jedoch nur ein Vermögen von 123 Milliarden Dollar, also gerade mal 0,7 Prozent aller Einlagen. Der Ausfall einzelner Institute könnte damit abgefangen werden, nicht jedoch ein systemweiter -Zusammenbruch.

Wir scheinen vor unlösbaren Problemen zu stehen. Aber wir müssen auch zugeben, dass wir uns in einer privilegierten Position befinden. In vielen Entwicklungsländern ist es völlig normal, mit permanenter und dramatischer Geldentwertung zu leben.

Noch immer gibt es Banken, die „too big to fail“ sind, also im Falle größerer Schwierigkeiten gerettet werden müssen. Doch auch die Hilfe kann an Grenzen stoßen: Die Eventualverbindlichkeiten aus Derivativgeschäften vieler Banken sind so groß, dass eine Rettung durch Einlagensicherungsfonds oder die Regierung nicht infrage kommt.

So hat zum Beispiel die Deutsche Bank Positionen an Zinsderivaten von 32 Billionen und Wechselkursderivaten von sechs Billionen Euro – das 655-Fache des Eigenkapitals und rund 40 Prozent des Welt-BSP. Selbst wenn die deutsche Regierung wollte, könnte sie solche Summen niemals aufbringen.

Schulden machen, Banken retten

Im Krisenfall würde zunächst versucht, das einheimische Einlagengeschäft zu retten, indem man es aus dem Konzern heraustrennt („ring-fencing“). Um die Aktiva der ausländischen Tochtergesellschaften dürften sich dann die Anwälte streiten. Sollte dieser Versuch scheitern, müsste eine neue Währung ausgegeben werden. Diese würde mittels Zuteilung einer gewissen Summe an Central Bank Digital Currency an alle Bürger mit entsprechenden digitalen Brieftaschen erfolgen. Der Zugriff auf Altguthaben müsste beschränkt werden – zum Beispiel auf ein Maximum von 100 Euro pro Tag.

Zeichnung eines orangen Schlauchboots, das ein Leck hat. Ein Mann im Boot umklammert einen Sack mit einem Eurosymbol und blickt auf die Wasserfontäne, die aus dem Loch nach oben schießt. Das Bild illustriert einen Beitrag über Schulden und ihre Rolle bei der Geldschöpfung.
Hat eine Bank erstmal Leck geschlagen, ist auch das Geld der Einleger bedroht. © Francesco Ciccolella

Vorstellbar ist auch ein gestaffelter Umtausch von Altguthaben in die neue Währung – zum Beispiel 100 Prozent für die ersten 10.000 Euro, 50 Prozent für die nächsten 10.000 und so weiter. Beides wurde in Zypern nach der Schuldenrestrukturierung Griechenlands bereits durchgeführt.

Die neue Währung könnte anfangs mit Gold gedeckt sein, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. Eine solche Währung wäre langfristig jedoch deflationär, sodass die Golddeckung nach Etablierung der neuen Währung schrittweise zurückgeführt werden müsste. Am Ende stünden wir demnach wieder mit einem ungedeckten Währungssystem da – nur mit weitaus weniger Schulden (und Ersparnissen) als heute.

Geld ist ein Tauschobjekt

Gehälter würden wohl entsprechend angepasst, Pensionisten müssten für den erlittenen Kaufkraftverlust entschädigt werden, sodass mit einer temporär höheren Steuerbelastung der arbeitenden Bevölkerung zu rechnen wäre. Eine solche Währungsreform ist kein Zuckerschlecken. Auf der anderen Seite wäre der Weg offen für höheres Wirtschaftswachstum, da es wieder genügend Spielraum für das Wachstum von Krediten – und damit mehr Geld – gäbe.

Glücklicherweise stehen genügend Möglichkeiten offen, bestehende Ersparnisse durch den Erwerb von Aktien, Gold und Immobilien vor einer Entwertung zu schützen. Unsere Definition von Geld (als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertspeicher) ist mit dem derzeitigen schuldenbasierten Geldsystem nicht vereinbar, da ein exponentieller Anstieg der Schulden die Werthaltigkeit infrage stellt.

Maßnahmen für eine Geldreform

Wie die Dinge liegen, sollten wir Geld nur als das verstehen, was es ursprünglich war: als ein Tauschobjekt. Es gibt keinen Königsweg, der alle Probleme des weltweiten Finanzsystems auf einen Schlag beseitigt. Aber mit vier Maßnahmen, die in weiterer Folge skizziert werden, ließe sich unser Geldsystem wenigstens noch eine Zeit lang erhalten:

  1. Trennbankensystem
    Die aktuelle Bankenkrise wurde zwar nicht durch Verluste aus dem risikoreichen Investmentbanking verursacht, dennoch bietet sich eine (Wieder-)Einführung des Trennbankensystems an. Hierbei würde das Geschäft der Einlagen- und Kreditvergabe vom Investmentbanking getrennt. Dies sollte zu einer Reduzierung der Risiken für Einleger führen.
  2. Boni und Gagen senken
    Erfolgsabhängige Gehälter und Boni für das Bankmanagement motivieren dazu, hohe Risiken im Namen des Arbeitgebers einzugehen. Im Erfolgsfall locken große Geldbeträge, bei einer Insolvenz muss der Steuerzahler einspringen. Während die Credit Suisse seit 2013 kumuliert 3,2 Milliarden Franken verlor, haben deren Angestellte über 32 Milliarden an Boni erhalten. Diese Selbstbedienungsmentalität ist mit einer Banklizenz und dem öffentlichen Auftrag nicht vereinbar. Wir werden um Gehaltsbeschränkungen nicht herumkommen.
  3. Großbanken aufspalten
    Das Problem „too big to fail“ darf es in Zukunft einfach nicht mehr geben. Keine Bank sollte so groß sein, dass ihr Zusammenbruch die Einlagensicherung oder sogar den Staat in Schwierigkeiten bringen könnte. Großbanken müssen daher in mehrere kleinere Institute aufgeteilt werden – ähnlich der Zerschlagung des US-Telefonmonopols im Jahr 1982.
  4. Schuldenlimit
    Ohne weiteres Schuldenwachstum drohen eine Depression, Massenarbeitslosigkeit und Gefahr für die Demokratie. Aber die Rate des Schuldenwachstums muss begrenzt werden. Staatshaushalte sollten mit niedrigen einstelligen Wachstumsraten auskommen müssen. Kriegerische Auseinandersetzungen sind einzustellen; Militärausgaben drastisch zu senken. Sofern politische Parteien hierzu nicht bereit sind, muss dies über Referenden erzwungen werden.
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Conclusio

299 Billionen Dollar machen die weltweiten Schulden aus. Zum Vergleich: Österreichs jährliche Wirtschaftsleistung lag zuletzt bei umgerechnet 480 Milliarden Dollar. Die gestiegenen Zinsen haben angesichts dieses riesigen Schuldenberges viel Sprengkraft, wie erste Banken-Crashs eindrücklich zeigen. Bei einer Zinshöhe von fünf Prozent müssen bereits 17 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen aufgewendet werden. Kreditnehmer können sich allerdings über die hohe Inflation freuen, weil ihre Schulden durch die Geldentwertung relativ schrumpfen. Insgesamt ist das Geldsystem durch die ständig wachsende Verschuldung sehr instabil geworden. Um einen Kollaps zu vermeiden, sollten die großen Banken an die Kandare genommen und Schuldenlimits eingeführt werden.

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