Weizenpreise: Spekulation mit dem Hunger?

Spekulation ist nicht nur bei Energie üblich, sondern auch bei Getreide. Dürren und Kriege sind Faktoren, die den Handel anheizen. Ist Hunger also eine Folge von Spekulation?

Spekulation mit Weizen an der Börse Chicago, zu sehen sind Händler und Investoren, die ihre Gebote machen.
An der Warenterminbörse in Chicago im Juni 2022: Der Preis für Weizen wird auch dort gemacht. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Kassa- und Terminmärkte. Auf den Kassamärkten wird Weizen ge- und verkauft. Die Spekulation findet auf den Terminmärkten statt.
  • Preisbildung. Die Preise an den Terminmärkten bestimmen mit, wieviel Weizen zu welchem Preis an den Kassamärkten verkauft wird und wieviel Weizen gelagert wird.
  • Gute Spekulation, böse Spekulation. Spekulation sichert Preisschwankungen ab. Als reines Finanzinstrument genutzt, kann sie Preise in die Höhe treiben.
  • Konsum entscheidet mit. Die große Nachfrage nach Biosprit und Weizen als Futtermittel hat die Preise schon in der Vergangenheit hochgetrieben.

Nun war es wieder so weit: Die Agrarpreise gingen – wie 2007/08 und 2010/11 – nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine durch die Decke. Wieder einmal wurden Finanzspekulanten als Schuldige an den Pranger gestellt. Auch wenn die Preise für Weizen seit dem Peak im Mai 2022 wieder etwas gesunken sind: Das alte Narrativ des gierigen Spekulanten hat durch den Ukraine-Krieg an Aktualität gewonnen. Doch ist Spekulation wirklich die Ursache hoher Preise auf den Märkten für Weizen oder sind andere Faktoren verantwortlich? Schauen wir uns an, wie die Preisbildung auf Agrarmärkten funktioniert.

Hohe Preise als Signal von Knappheit

Zunächst erfüllen steigende Preise an Märkten ein wichtiges Signal: Rohstoffe werden knapp. Anbieter wissen dann, dass sie ihre Produktion gewinnbringend ausweiten können. Wenn etwas knapp ist, können jedoch nicht alle soviel bekommen, wie sie eigentlich wollen. Dann entscheidet der Preis, wer sich das Getreide leisten kann und wer nicht.

Das stellt am Ende der Preisbildungskette vor allem diejenigen vor ein existenzielles Problem, die sowieso schon einen hohen Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Aktuell leiden mehr als 800 Millionen Menschen des globalen Südens an Hunger. Bereits geringe Preiserhöhungen für ein Grundnahrungsmittel wie Weizen können drastische Folgen haben. Dann ist sowohl die Politik als auch die Gesellschaft gefordert, entsprechend gegenzusteuern.

Wie sich die Preise für Agrarrohstoffe an den Warenterminbörsen in Chicago oder Paris genau bilden, darüber streiten die Experten. Einigkeit herrscht darüber, dass die Preise größtenteils realwirtschaftlich über die sogenannten Fundamentalfaktoren bestimmt werden. Bei diesen Fundamentalfaktoren werden solche, die auf das Angebot wirken und solche, die auf die Nachfrage wirken, unterschieden. Faktoren, die das Angebot verändern, wären etwa Extremwetter-Ereignisse wie Dürren oder Starkregen. Faktoren, die auf die Nachfrage einwirken, sind zum Beispiel Einkommens- und Bevölkerungswachstum.

So werden Weizenpreise gemacht

Sinkt das Angebot oder steigt die Nachfrage, so führt das zu steigenden Preisen, während ein höheres Angebot oder eine niedrigere Nachfrage den Preis senken. Blicken wir auf die aktuell durch den Ukraine-Krieg verursachte Preiskrise, sind die hohen Preise augenscheinlich durch das verknappte Angebot aus der Ukraine verursacht. Die Ukraine ist zusammen mit Russland nämlich einer der größten Weizenlieferanten weltweit. Doch möglicherweise spielen auch andere, weniger offensichtliche Faktoren eine Rolle.

Neben den Fundamentalfaktoren scheinen nämlich auch nicht-fundamentale Faktoren wie Spekulation eine gewisse Rolle bei der Preisbildung zu spielen. Um zu verstehen, wie man auf Agrarprodukte spekulieren kann, betrachten wir zunächst zwei wichtige Märkte für (Agrar-)Rohstoffe: den Kassa- und Terminmarkt. Am Kassamarkt findet der physische Handel statt. Hier wird Ware, zum Beispiel eine Tonne Weizen, gegen Geld gehandelt.

Ein junger Mann bereitet in einem Raum mit unverputzten Wänden, Gasflaschen und offenen Stromleitungen Fladenbrot-Teiglinge für den Backofen vor.
Ein Bäcker in El Santa, Ägypten, bereitet Teiglinge für Aish Baladi vor. Ägypten ist von den Preissteigerungen besonders betroffen. © Getty Images

Der Terminmarkt funktioniert anders: Anstatt eines physischen Handels werden hier überwiegend Zahlungsansprüche, die in der Zukunft liegen, gehandelt. Möchte sich ein Landwirt einen bestimmten Preis für die Ernte seiner Produkte bereits zum Zeitpunkt der Aussaat sichern, kann er am Terminmarkt einen entsprechenden Anspruch, auch Future genannt, erwerben oder auch verkaufen.

Ein Landwirt, der Getreide anbaut, verspricht damit zu einem bestimmten Termin eine bestimmte Menge Getreide zu einem bestimmten Preis zu liefern. Das Future soll diesen Preis absichern: Liegt der Preis am Kassamarkt bei der Ernte unterhalb des im Future festgelegten Preises, erhält der Landwirt die Differenz über seinen Börsenkontrakt am Terminmarkt. Liegt der Preis jedoch oberhalb des abgesicherten Preises, erleidet der Landwirt einen entsprechenden Verlust, denn er hätte das Getreide auch zu dem höheren Preis verkaufen können.

Spekulation oder Absicherung?

Futures sind auch für andere Player an den Agrarmärkten eine Absicherung: Rohstoffhändler, die zum Beispiel Weizen von einem Produzenten kaufen, sichern mit Futures einen bestimmten Preis für ein Produkt, das sie zu einem bestimmten Termin kaufen wollen, ab. Sie sind damit vor steigenden Preisen geschützt.

Anders als auf dem Kassamarkt, wo es nur Produzenten und Händler gibt, können auf dem Terminmarkt auch Investoren aktiv werden, die weder Rohstoffhändler noch Landwirte sind und die eigentlich kein Interesse am tatsächlichen Kauf oder Verkauf von Weizen haben. Sie sind vielmehr an den Termingeschäften selbst interessiert.

Spekulation macht Absicherungsgeschäfte erst möglich.

Diese Investoren werden gemeinhin als Spekulanten bezeichnet und erfüllen eine wichtige Funktion, indem sie die Gegenposition zum Landwirt oder Händler einnehmen. Erwartet der Landwirt fallende Preise für seinen Weizen in der Zukunft und möchte sich dagegen absichern, findet er in dem Spekulanten einen Partner, der auf ansteigende Preise spekuliert: Indem der Spekulant auf die steigenden Preise setzt, übernimmt er das Risiko sinkender Preise für den Landwirt.

Spekulation macht das Absicherungsgeschäft des Landwirts erst möglich. Je mehr Spekulanten auf einem Markt agieren, desto wahrscheinlicher sind solche Absicherungsgeschäfte. Bei diesen werden die Zahlungsverpflichtungen gehandelt, nicht die Waren selbst. Dieses so genannte Hedging macht Märkte liquide.

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Zahlen & Fakten

Diese Art Akteure nennt man auch informierte Spekulanten. Sie sind nicht nur für die Absicherung von Geschäften wichtig, sondern auch für die Transparenz und den Informationsgehalt an der Börse. Informierte Spekulanten müssen sich intensiv mit den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen auf den Märkten auseinandersetzen, um einen entsprechenden Informationsgewinn zu erzielen.

Die Informationsbeschaffung ist teils mit hohem Aufwand verbunden, wodurch sichergestellt ist, dass der Informationsgehalt der Preise am Terminmarkt extrem hoch ist. Anders gesagt: Die informierten Spekulanten sorgen durch Spekulation dafür, dass die Preise am Terminmarkt den Einfluss von Fundamentalfaktoren wie die Entwicklung der Nachfrage oder den zu erwarteten Ernte-Erträgen etc. sehr gut wiedergeben.

Gibt es Wetten mit Weizen?

Es gibt jedoch eine weitere Form von Spekulanten, die ihre Kauf- und Verkaufsentscheidung nicht auf Fundamentalfaktoren stützen, sondern lediglich darauf wetten, dass sich bestimmte Trends in der Zukunft einstellen werden. Diese Akteure werden als uninformierte Spekulanten oder Noise Trader bezeichnet. Sie können zumindest kurzfristig dafür sorgen, dass sich die Preise von ihren Fundamentalfaktoren wegbewegen, sich also unabhängig von realen Faktoren verändern. Dies passiert etwa, wenn Preise nur dadurch in die Höhe getrieben werden, weil die Akteure von weiterhin steigenden Preisen ausgehen – und das gänzlich unabhängig von Fundamentaldaten wie etwa Ernteausfällen.

Foto der Weizenernte in Großbritannien 2022. Es staubt so sehr, dass die Erntemaschinen kaum zu erkennen sind
Getreideernte in Großbritannien im Sommer 2022. Derzeit liegen die Getreidepreise über jenen des Vorjahres. © Getty Images

Wird unabhängig von Fundamentaldaten spekuliert, spricht man auch von Herdenverhalten, und in solchen Situationen kann es zu Preisblasen kommen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes erkannte bereits 1936, dass bei diesen Geschäften gewisse animal spirits im Spiel sein müssen, während Alan Greenspan, ein ehemaliger Vorsitzender der US-Notenbank, von irrational exuberance, also von irrationalen Übertreibungen, sprach. Diese Übertreibungen sind jedoch nicht von Dauer, da es informierte Händler gibt, die mit entsprechender Kenntnis der Fundamentaldaten Gegengeschäfte gewinnbringend tätigen, wodurch sich die Preise wieder erholen.

Eine weitere Gruppe an Spekulanten, die sich nicht an den Fundamentalfaktoren orientieren, sind sogenannte Hedgefonds. Sie tummeln sich seit einiger Zeit vermehrt an Rohstoffmärkten, was teils sehr kontrovers diskutiert wird. Ihre Spekulation dient der Risikostreuung für ihre großen Produktportfolios. Für diese Risikostreuung ist die Korrelation mit anderen Finanztiteln entscheidend und nicht die (reale) Entwicklung von Angebot und Nachfrage.

Terminmarkt vs. Kassamarkt

Nun findet der spekulative Teil der Transaktionen ausschließlich auf den Terminmärkten statt. Was soll nun die ganze Aufregung, könnte man fragen, wenn auf dem Kassamarkt, der ja entscheidend für den tatsächlichen physischen Einkauf ist, nicht spekuliert wird? Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Terminmarkt und der Kassamarkt in einer engen Verbindung stehen. Das verbindende Element ist die Möglichkeit der Lagerhaltung von Agrarrohstoffen.

Das kann man sich folgendermaßen verdeutlichen: Nehmen wir an, ein Landwirt oder Getreidehändler, der über Lagerkapazitäten verfügt, steht vor der Entscheidung, ob er den Weizen heute oder zu einem späteren Zeitpunkt verkaufen soll. Hierfür wird er den aktuellen Preis am Kassamarkt mit dem zukünftigen Preis am Terminmarkt vergleichen. Ist der Preis am Terminmarkt höher, wird der Landwirt oder der Händler in Erwartung zukünftig höherer Gewinne den Weizen eher einlagern, als ihn direkt am Markt zu veräußern.

Die Einlagerung entzieht dem Markt tagesaktuell eine physische Menge Weizen, was entsprechend zu steigenden Preisen am Kassamarkt führt. Dieselbe Logik gilt umgekehrt für den Fall, dass der Preis am Terminmarkt unterhalb des Kassapreises liegt. In dem Fall sinken die Preise auch am Kassamarkt. Die Lagerhaltung bewirkt, dass die Kurse am Kassa- und Terminmarkt in der Regel parallel verlaufen.

Informierte Spekulanten, die zum Beispiel davon ausgehen, dass die Ernten in der Zukunft knapp werden und deshalb auf ansteigende Preise setzen, können durchaus eine nützliche Funktion haben: Landwirte und Händler wissen auf diese Weise, dass Weizen in Zukunft knapp werden wird und lagern die Ware entsprechend ein, um sie zu einem späteren Zeitpunkt am Markt anzubieten. Dadurch kommt es zu einer so genannten intertemporalen Glättung der Preise: Preise werden heute etwas höher, aber dafür in Zukunft etwas niedriger ausfallen, verglichen mit einem Fall ohne durch den Terminmarkt induzierte Änderung der Lagerhaltung.

Gefahr durch Hedgefonds

Ganz anders ist die Situation bei uninformierten Spekulanten: Werden die Preise am Terminmarkt durch uninformierte Spekulanten in die Höhe getrieben und führt das zu fehlgeleiteten Aktionen der Landwirte und Händler, ist das durchaus problematisch. Die Landwirte und Händler würden sich an Preisen und Erwartungen orientieren, die keinen Zusammenhang mit realen Entwicklungen haben. Die so in die Irre geführten Landwirte und Händler würden Mengen zurückhalten, die sie in ihrem eigenen Gewinninteresse und im Interesse der hungernden Bevölkerung im globalen Süden besser sofort am Markt veräußert hätten.  

Halten wir fest: Die Märkte geraten nur dann in eine Schieflage mit ungerechtfertigt hohen Preisen, wenn uninformierte Spekulanten beziehungsweise Hedgefonds am Markt die Überhand erlangen und das dann – vermittelt über das veränderte Verhalten der Produzenten – zu einer faktischen Verknappung der Weizenmengen führt.

Die Märkte geraten nur dann in eine Schieflage, wenn uninformierte Spekulanten beziehungsweise Hedgefonds am Markt die Überhand erlangen.

Die (Weizen-)Preiskrisen aus den Jahren 2007/08 und 2010/11 sind dahingehend umfassend analysiert worden. Dabei wurde versucht herauszufinden, welcher Anteil der Preise realwirtschaftlich verursacht wurde und wieviel (schädliche) Spekulation dahintersteckt, mit dem Ergebnis, dass die Preisentwicklungen überwiegend auf fundamentalen Faktoren beruhten und ein substanzieller Anstieg der Preise durch Spekulation eher unwahrscheinlich war.

So kam es etwa vor beiden Hochpreisphasen zu ausgeprägten Dürren, wodurch das Angebot reduziert wurde. Auf der Nachfrageseite ist zu erwähnen, dass Weizen nicht nur für den direkten menschlichen Verzehr, sondern auch als Tierfutter und für die Herstellung von Biokraftstoffen genutzt wird. Zunahmen des Fleischverzehrs in China und Indien sowie ein Anstieg der Biosprit-Produktion in den USA korrelierten zeitlich mit den Preisspitzen.

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Zahlen & Fakten

Einen weiteren wichtigen Faktor stellten Handelsbeschränkungen dar. Als sich Engpässe offenbarten, reagierten einige Exportländer mit Exportbeschränkungen oder gar Ausfuhrstopps, während Importländer bestrebt waren, ihre Lagerbestände aufzufüllen. Beides übte Druck auf die Weltmarktpreise aus.

Auch in der aktuellen Hochpreisphase zeichnen sich viele Fundamentalfaktoren für eine enge Marktlage verantwortlich. Als Haupttreiber können neben dem teilweisen Ernte- und Exportausfall der Ukraine eine Beschränkung der indischen Weizenexporte und eine höhere Beimischungspflicht von Bioethanol für Benzin in den USA genannt werden. Anzeichen für übertriebene Spekulation scheint es nicht zu geben.

Preistreiber Fleisch und Biosprit

Blicken wir noch einmal auf die Verwendung von Weizen. Im Falle von Deutschland lässt sich festhalten, dass bloß 20 Prozent des Weizens direkt für den menschlichen Verzehr verwendet werden; 60 Prozent werden als Tierfutter und zehn Prozent als Biosprit verwertet. Der Rest geht an die industrielle Nutzung oder die Saatgutvermehrung. Das heißt, würden wir weniger tierische Produkte essen, würde das potenziell riesige Mengen an Weizen freisetzen, was zu einer Entspannung der engen Versorgungslage führen würde.

Generell ist der Konsum von Fleisch ziemlich ineffizient: Bei Rindfleisch müssen zwischen 25 und 37 Kalorien verfüttert werden, um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen. Bei Schweinefleisch werden immerhin noch 12 Kalorien und bei Geflügelfleisch neun Kalorien benötigt. Darüber hinaus werden etwa 25 Prozent des Weizens in Haushalten weggeschmissen. Wenn man es schafft, weniger Toast im Küchenschrank verschimmeln zu lassen, steht mehr Weizen in anderen Regionen der Welt zur Verfügung. Neben diesen Verhaltensänderungen auf individueller Ebene können auch die Regierungen für eine gewisse Entspannung sorgen, indem sie die Beimischungspflichten von Bioethanol aussetzen und auf handelspolitische Maßnahmen verzichten.

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Conclusio

Spekulation auf den Terminmärkten die Schuld an den gestiegenen Preisen für Nahrungsmittel und insbesondere für Weizen zu geben, greift zu kurz. Spekulation hat die Aufgabe, Termingeschäfte abzusichern und gibt damit Produzenten und Getreidehändlern eine gewisse Planungssicherheit – auch wenn dadurch zwischenzeitlich Preise steigen. Spekulation durch Akteure wie Hedgefonds allerdings ist problematisch: Ihre Spekulation basiert nicht auf einer fundierten Einschätzung der Marktentwicklung, sondern dient der Risikostreuung. Diese Art der Spekulation kann Preisanstiege beeinflussen. Wesentlich bedeutsamer als die Spekulation ist die Nachfrage: Wird Weizen als Futtermittel oder als Sprit verbraucht, führt das zu steigenden Preisen. Diese realwirtschaftlichen Faktoren haben einen größeren Einfluss als Spekulation.