Burn Capitalism Burn!

Der Hass auf den Kapitalismus eint Rechte, Linke und Klimaaktivisten. Dabei zeigt die Geschichte, dass kein System erfolgreicher Armut bekämpft hat.

Klimawandel-Demonstranten halten Plakate hoch. Im Fokus ist ein Plakat mit der Aufschrift „Capitalism caused climate catastrophe“ (zu Deutsch: Der Kapitalismus ist für den Klimawandel verantwortlich).
Klimaaktivisten wie die Letzte Generation begreifen sich immer stärker als antikapitalistische Bewegung. © Getty Images

Wenn wir über unsere westlichen Werte sprechen, betonen wir meist Errungenschaften wie Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Beim Recht, freien Handel zu betreiben, sind wir jedoch skeptisch.

Die freie Marktwirtschaft wird von vielen nicht als eine begrüßenswerte Errungenschaft begriffen, die unsere Welt besser macht, sondern als das Gegenteil: als ein System, das Gier, Egoismus und Ungerechtigkeit erzeugt. Deswegen muss der Kapitalismus überwunden werden.

Marx's Ideen und ihre Folgen

Die Idee ist nicht neu. Schon vor 150 Jahren hat Karl Marx den Kapitalismus als das größte Übel der modernen Zeit beschrieben, weil er für die Verelendung der Massen verantwortlich sei. Als Lösung forderte er die Abschaffung des Privateigentums und die Überführung aller Güter in ein staatliches Kollektiv. Zum Schluss winkt der Sieg des Proletariats in einer großen Weltrevolution.

Die Faszination, die der Marxismus auf unzählige Intellektuelle ausgeübt hat, lag in der romantischen Welterklärung, die er liefert: Er teilt die Welt sorgfältig in Gut (die Arbeiter) und Böse (die Kapitalisten) ein. Die Bösen werden bestraft, indem man sie ihrer Macht, des Kapitals, beraubt. Dadurch werden die Guten, die Unterdrückten, befreit und erhöht. Am Ende ist die Welt neu geordnet und eine ideale, perfekte Gesellschaft ist entstanden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Die bittere Ironie der Marx‘schen Verelendungstheorie liegt darin, dass Armut, Unterdrückung, Verelendung und Hungersnöte nicht in kapitalistischen, sondern in marxistischen Systemen auftraten. Allein im 20. Jahrhundert haben die sozialistischen und kommunistischen Experimente in China, Venezuela oder der Sowjetunion etwa 100 Millionen Todesopfer gefordert.

Die bittere Ironie der Marx‘schen Verelendungstheorie liegt darin, dass Armut, Unterdrückung, Verelendung und Hungersnöte nicht in kapitalistischen, sondern in marxistischen Systemen auftraten.

1992 vertrat der Historiker Francis Fukuyama in seinem monumentalen Werk Das Ende der Geschichte die These, dass sich durch den Zusammenbruch des kommunistischen Ostens auch die Sache mit dem Marxismus endgültig erledigt habe. Fukuyama war davon überzeugt, dass sich das Ideal der Aufklärung mit seinen herausragenden Grundprinzipien von Liberalismus und Demokratie – und eben auch der freien Marktwirtschaft – überall auf der Welt durchsetzen würde.

Antikapitalismus in neuen Gewändern

Wie wir heute schmerzlich feststellen müssen, ist das leider nicht der Fall. Nach einer kurzen Phase der weltweiten Entspannung flammten nach und nach neue antidemokratische, antikapitalistische, antiliberale Ideologien auf: der Islamismus in der muslimischen Welt, Chinas autoritär gesteuerte Planwirtschaft oder Putins neues Russland.

Doch auch im individualistisch geprägten Westen ist in den vergangenen Jahrzehnten etwas Seltsames passiert. Das kollektivistische, antiaufklärerische Denken des Marxismus ist in vielen neuen Varianten und Spielarten zurückgekehrt.

Black Lives Matter zum Beispiel entstand eigentlich als Bewegung gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA. Seit 2020 positioniert sie sich als antikapitalistische Organisation. Das Gleiche gilt für Refugees-Welcome-Organisationen, die den postkolonialen, kapitalistischen Westen als Grund für das Elend in der Welt sehen. Neuerdings kommen die woken Pro-Palästina-Aktivisten dazu, die in dem wirtschaftlich erfolgreichen Israel den eigentlichen Übeltäter sehen – und die mit dieser Haltung eine verstörende Nähe zu Neonazis und radikalen Moslems aufweisen, die schon immer den globalen „Finanzjuden“ alle Schuld gegeben haben.

Auch Klimaaktivisten wie die Letzte Generation begreifen sich immer stärker als antikapitalistische Bewegung. „Burn Capitalism, not Coal“, rufen sie, und der Direktor vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, sagt dazu: „Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen um.“

Antikapitalismus kommt in allen politischen Erscheinungsformen daher. Ob aus der sozialistischen Ecke eines Andreas Babler, als grüner Ökosozialismus unter dem Deckmantel von Reduktion und Verzicht oder völkisch-nationalistisch in Form des AfD-Politikers Björn Höcke. Der Hass auf die Kräfte des freien Marktes verbindet Rechte, Linke und Grüne. Wussten Sie, dass im Tatort die häufigste Tätergruppe der Kapitalist ist? Unternehmer und Manager morden sonntagabends um 20 Uhr 15 Uhr inzwischen öfter als Berufskriminelle. Das muss einen doch stutzig machen!

Statistisch gesehen ist belegbar, dass fast überall auf der Welt die Idee der freien Marktwirtschaft im Rückzug begriffen ist. Besonders Europa sucht derzeit sein Heil in einer konsequenten Rückverstaatlichung. Die Bürokraten in Brüssel sind davon überzeugt, besser als Unternehmer zu wissen, wie man wirtschaftlich erfolgreich handelt. Wie damals die Apparatschiks in der Sowjetunion. Um etwa die Energieversorgung zu sichern, baute man im alten Russland gigantische Maschinen, die Kohle und Erz förderten. Dann verbrannte man die Kohle, um das Erz zu schmelzen, das man zum Bau von gigantischen Maschinen benutzte, die Kohle und Erz förderten. Ein Perpetuum mobile der Ineffizienz. Inzwischen zeigt Deutschland, dass dasselbe Prinzip auch hervorragend mit erneuerbaren Energien funktioniert.

Es ist erstaunlich, wie weit verbreitet der Eindruck ist, dass der Kapitalismus für die Zunahme von Armut, Ausbeutung und Ungerechtigkeit in der Welt verantwortlich sei, während praktisch alle ökonomischen Fakten das genaue Gegenteil zeigen. So lebten vor Beginn des Kapitalismus etwa 90 Prozent der Menschen in extremer Armut. Heute sind es 8,5 Prozent. Der größte Rückgang erfolgte in den vergangenen fünfzig Jahren im Zuge der Globalisierung.

Alle Länder, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dem Kapitalismus öffneten, erfuhren eine dramatische Verbesserung von Wohlstand, Durchschnittseinkommen, Schulbildung, Lebenserwartung und Umweltstandards.

Ökonomisches Unwissen

Warum also haben so viele das Gefühl, dass der Kapitalismus an allem schuld ist? Noch dazu vornehmlich Menschen, die sich dem linken politischen Spektrum zugehörig fühlen. Einer Gruppe also, die ja immer wieder betont, dass ihr der Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit besonders am Herzen liegt.

Zum einen liegt es an einem katastrophalen wirtschaftswissenschaftlichen Grundwissen. Das Einzige, was viele Österreicher über Ökonomie wissen, ist, dass ein billiges Kondom mehr kosten kann als ein teures. In Deutschland sieht es nicht viel besser aus. Dort ergab eine Analyse von 2024, dass aus deutschen Schulbüchern Kinder praktisch nichts über grundsätzliche ökonomische Mechanismen erfahren. Unternehmerische Aktivitäten und Dynamiken werden negativ dargestellt, der Staat als Lösung wirtschaftlicher Probleme wird teilweise grotesk überbetont, Globalisierung und Freihandel werden entgegen allen ökonomischen Fakten als problematisch beschrieben.

Das Einzige, was viele Österreicher über Ökonomie wissen, ist, dass ein billiges Kondom mehr kosten kann als ein teures.

Auch 50 Prozent der jungen Briten haben rundweg positive Gefühle dem Sozialismus gegenüber. Von den negativen Auswüchsen dieser zerstörerischen Ideologie haben sie noch nie etwas gehört. So haben 70 Prozent keine Ahnung, wer Mao war, dessen marxistische Umerziehungsversuche 45 Millionen Menschenleben gekostet haben. Selbst im kapitalistischen Amerika herrscht in vielen Bildungseinrichtungen ein antikapitalistischer Zeitgeist. 37 Prozent der Harvard-Professoren bezeichnen sich als „extrem links“. 18 Prozent sehen sich als Marxisten.

Warum mögen so viele Intellektuelle den Kapitalismus nicht? Vielleicht, weil auf dem freien Markt eine 300-seitige Abhandlung über die zweite Lautverschiebung im Mittelhochdeutschen weniger einbringt als Cheri Cheri Lady.

Das Subtile am Kapitalismus ist, dass er nicht die Gebildeten belohnt, sondern diejenigen, die es schaffen, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Wem es gelingt, ein Produkt zu entwickeln oder eine Dienstleistung anzubieten, auf die die Leute abfahren, der kann zum Milliardär werden, egal ob er einen akademischen Titel besitzt oder mit 15 Jahren die Schule abgebrochen hat. Für promovierte Philosophen und Ethnologen, die sich als Taxifahrer durchschlagen müssen, ist das ein Affront.

Spontanes Ordnungsprinzip

Anders als der Marxismus ist der Kapitalismus kein theoretisches Gedankenkonstrukt, das man der Wirklichkeit überstülpt, sondern er ist – ähnlich wie die Evolution auch – ein spontanes, aus sich selbst heraus entwickelndes Ordnungsprinzip. Wenn etwas funktioniert, wächst und gedeiht es, wenn nicht, geht es eben wieder ein.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich von Hayek sagte einmal: „Ökonomie besteht darin, dem Menschen vor Augen zu führen, wie wenig er wirklich über das weiß, was er planen zu können glaubt.“ Das gehört zum Intelligentesten, was je über Ökonomie gesagt wurde. Und das von einem Österreicher.

Auf den ersten Blick ist der Antikapitalismus eine schöne Idee. Aber das ist die freie Liebe auch. Und jeder, der das in seiner Ehe schon einmal ausprobiert hat, weiß, was es für Probleme verursacht. Politische Utopien wie der Marxismus gehen davon aus, dass man eine Gesellschaft beliebig formen und umbauen und so eine ideale Welt erschaffen kann. Aber Gesellschaften lassen sich nicht einfach so „machen“ oder wie Knetmasse gestalten. Jeder Versuch, das zu tun, ist gnadenlos gescheitert. Utopien sind nicht deswegen problematisch, weil sie keine ehrbaren Ziele haben, sondern weil sie von einem unrealistischen Menschenbild ausgehen.

Die Sozialisten sind davon überzeugt, dass Menschen eigentlich kein Interesse daran haben, reicher zu werden als andere. Die Kommunisten denken, die Leute sind dann am glücklichsten, wenn sie ausschließlich der Gemeinschaft dienen und selbst überhaupt nichts besitzen. Die Letzte Generation ist davon überzeugt, dass den Menschen die zukünftige Globaltemperatur wichtiger sein muss als ihre persönlichen Vorlieben.

Aber Menschen sind nicht so. Einige vielleicht schon. Aber offenbar nicht die Mehrheit. Oder wie der Ameisenexperte Edward O. Wilson einmal über die Menschheit und den Marxismus sagte: wunderbare Idee, falsche Spezies.

Mit dem Kapitalismus dagegen verhält es sich so ähnlich wie mit der Demokratie. Und die ist ja bekanntlich – frei nach Churchill – die schlechteste Regierungsform, abgesehen von allen anderen.

Daher wird der Markt auch nie perfekt funktionieren, aber er funktioniert immer noch besser als die meisten Formen staatlicher Regulierung. Wem vertrauen Sie mehr? eBay oder unserem Rentensystem? Wo ist es sicherer? In Ihrem Garten oder im Stadtpark? Was ist sauberer? Öffentliche Toiletten oder Ihr Badezimmer? Sollten Sie ein männlicher Single sein, vergessen Sie die letzte Frage …

"Wot Se Fack, Deutschland? – Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben." von Vince Ebert.
"Wot Se Fack, Deutschland?" von Vince Ebert. © dtv

Vince Ebert ist Physiker und Kabarettist. Der Text ist ein Abdruck seines neuen Buches „Wot Se Fack, Deutschland? – Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben“, erschienen am 14. August bei dtv.

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