Zu viele Spitäler machen krank
Die medizinische Versorgung in Österreich werde immer schlechter, heißt es. Das stimmt, liegt aber nicht am Spardruck. Ärzte, Spitäler und Betten haben wir mehr als genug.
Spitäler stehen wieder einmal im Fokus: In der Steiermark wurde die geplante Fusion mehrerer Krankenhäuser zum Aufreger im Wahlkampf – und deshalb wieder abgeblasen. In Niederösterreich wird über Schließungen debattiert, die „eigentlich gar nicht angedacht sind“, wie die Politik eilig versicherte.
Stimmt es also, dass Österreichs Gesundheitssystem kaputtgespart werden soll, wie viele Menschen befürchten? Nein, zu wenig Geld ist mit Sicherheit nicht das Problem.
130 Millionen Kassenarztkontakte, 20 Millionen Besuche in Spitalsambulanzen und 2,5 Millionen Spitalsaufenthalte jährlich, dazu der gesamte Wahlarztbereich: Damit liegt Österreich im ambulanten Bereich um mindestens 100 Prozent und im Spitalsbereich um etwa 60 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Unser Gesundheitssystem lebt davon, möglichst viele Patienten zu „erzeugen“. Auch deshalb werden die Wartezeiten immer länger.
In heimischen Spitälern liegen jedes Jahr 300.000 Patienten, die gar nicht dort sein müssten. Es handelt sich um chronisch Kranke, die bei richtiger Betreuung weniger krankenhauswürdige Komplikationen hätten. Weitere 700.000 Menschen liegen mit Beschwerden im Spital, die ambulant behandelt werden könnten, also nicht rund um die Uhr fachärztliche Betreuung brauchen – wie die Definition von „krankenhauswürdig“ lautet. Jeder Spitalspatient kostet Geld und verursacht Arbeit, unabhängig von der Schwere seiner Krankheit. Das erhöht den Druck auf die Gesundheitsbudgets.
Den überdurchschnittlich vielen Aufenthalten steht nur durchschnittlich viel medizinisches Fachpersonal gegenüber, sonst wäre das österreichische Gesundheitssystem heute schon unfinanzierbar. Deshalb ist die Arbeitsbelastung bei uns europaweit die zweithöchste nach Deutschland. Vor allem in großen Krankenhäusern wird Fließbandarbeit geleistet. Die Leute sind unzufrieden, die Gewerkschaft fordert mehr Personal.
Nicht mehr Ärzte, sondern bessere
Übung macht den Meister, heißt es, und für ärztliches Handeln ist dieser Spruch gut belegt. Da es kaum in einem Land so viele Spitalspatienten pro Arzt gibt wie in Österreich, müssten unsere Ärzte also besonders gut sein. Wäre da nicht das Problem mit den Kleinstspitälern.
Der Grund, warum solche Einrichtungen immer schwerer ausreichend Ärzte finden, liegt darin, dass wegen des kleinen Einzugsgebiets wenige Patienten zu erwarten sind, die dann auch noch oft weiter in Spezialfächer aufgeteilt werden müssen. „Schwerere“ Fälle werden daher an „Zentren“ überwiesen, oder Patienten vermeiden Kleinstspitäler von sich aus und fahren ins „große“. Übrig bleiben in den Provinzkrankenhäusern die „einfachen“ Fälle.
Weder Qualität noch Kosten sprechen für die Erhaltung der Kleinstspitäler. Es gibt sie nur, weil Politiker das wollen.
Und was genau kann man als angehender Allgemeinmediziner an diesen Patienten lernen? Im Grunde nichts. Spitzenmedizin lernt man mangels Fällen nicht. Und wie man als niedergelassener Arzt Diagnosen stellt, lernt man auch nicht, weil die Ausbildung mit einer Infrastruktur absolviert worden ist, die später schlichtweg nicht zur Verfügung steht. Kein niedergelassener Arzt verfügt 24 Stunden über Labor, CT oder gar MRT und schon gar nicht über Pflegekräfte, die Patienten dauernd beobachten.
Im Ergebnis werden Ärzte an den Kleinstspitälern weder für den ambulanten noch für den stationären Bereich auf hohem Niveau ausgebildet. Jeder Medizinabsolvent, der gerade auf einem hohen Wissensstand ist, vielleicht sogar im Ausland Praktika absolviert hat, erkennt, dass seine Ausbildung in jener Breite und Tiefe, die für die Zukunft wichtig wäre, dort nicht möglich ist, und meidet diese Spitäler. Und das wird dann als „Ärztemangel“ kommuniziert.
Kein Ärztemangel
Den viel beklagten Ärztemangel gibt es nicht. Österreich hat in der EU, gemessen an der Bevölkerungsgröße, sogar die meisten Ärzte. Das Problem sind die unattraktiven Kleinstspitäler. Können Dienstpläne nicht erfüllt werden, droht die Schließung von Abteilungen – was lokale Politiker unbedingt verhindern wollen. Also rufen sie nach mehr Ärzten und mehr Absolventen, um den vermeintlichen Mangel zu beheben.
Aus Patientensicht bedeutet das nichts Gutes. Es ist davon auszugehen, dass diese Abteilungen zu klein sind, um, wie Politiker versprechen, „auf allerhöchstem Niveau“ zu arbeiten. Genau weiß man das allerdings nicht, weil es keine Qualitätsmessungen gibt. Politiker versprechen zwar Spitzenqualität, verhindern dann aber deren Überprüfung. Weil sich die Debatte stets nur um die Kosten und nie um die Ergebnisse dreht, denkt der Patient natürlich, das teurere Angebot sei auf jeden Fall das bessere. Und wer dem Wähler das Beste vorenthalten will, um zu sparen, hat in der politischen Auseinandersetzung schon verloren.
Politik statt Medizin
Die Kosten pro Patient sind in Kleinstspitälern am höchsten. Wenn also weder Qualität noch Kosten für deren Erhaltung sprechen, warum gibt es sie dann noch? Die Antwort: weil Politiker das wollen. Zu den Hauptaufgaben von Politikern gehört es, Posten zu vergeben. Und in Spitälern gibt es viele, von der Verwaltung über die Küche und den Garten bis zu den Zulieferern. Wenn ein Spital schließt, wohin soll das Küchenpersonal? An wen soll der örtliche Bäcker seine Semmeln liefern? Welchen Rasen werden die Gärtner pflegen? Viele dieser Dienstleister haben ihre Posten oder Aufträge dank guter Kontakte zu den Bürgermeistern oder Landespolitikern.
Auch die Gewerkschaften wehren sich jedes Mal nach Kräften, wenn ein Spital geschlossen werden soll. Um die Verhinderung drohender Arbeitslosigkeit geht es dabei nicht; medizinisches Personal wird überall gebraucht. Aber die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter ist in dezentralen, ambulanten Versorgungseinheiten viel schwerer als in einem Krankenhaus.
All diese Faktoren verhindern seit Jahrzehnten jede ernsthafte Reform. Sobald jemand das Wort „Spitalsschließung“ in den Mund nimmt, wird das Leichentuch gehisst und vor schrecklichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen gewarnt. Dabei ist das Gegenteil wahr: Weniger Spitäler führen zu besserer Medizin.
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