Trump hat das Motto „America First“ nicht erfunden
Der alte und neue US-Präsident hat keine Lust, den Weltpolizisten zu geben. In Europa geht die Angst um, plötzlich allein dazustehen. Dabei ist Trumps „America First“-Haltung gar nicht neu.
Generationen europäischer Politiker und Militärs wurden transatlantisch geprägt und kennen die USA nur in der Rolle als Schutz- und globale Ordnungsmacht. Doch das wird wohl bald Geschichte sein. Die Wahl Donald Trumps bedeutet nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit: Ob die USA unter ihm ein NATO-Mitglied militärisch unterstützen oder gar zu dessen Verteidigung in den Krieg ziehen würden, erscheint mehr als fraglich. Das gilt umso mehr für die Ukraine; Trumps baldiger Vizepräsident J. D. Vance hatte sich in der Vergangenheit eindeutig gegen die weitere Unterstützung ausgesprochen („I don’t really care what happens to Ukraine“).
Mehr von Ralph Janik
Trump lässt sich außenpolitisch immer noch nur schwer einordnen. Man weiß jedenfalls, was er nicht mag: Multilateralismus, internationale Organisationen, Freihandel beziehungsweise die WTO und liberale Demokratien. In Europa grassiert die Angst vor diesem Mann, der so anders agiert als seine Vorgänger im Amt.
Wobei: Ganz neu ist Trumps Devise „America First“ nicht. Manche seiner Vorgänger dachten ähnlich, wenngleich sie sich weniger brachial ausdrückten. Vielleicht ist Trump am Ende des Tages gar keine so große Ausnahme, wie viele glauben – zumindest dann nicht, wenn man die US-Geschichte weiter als bis 1945 zurückverfolgt. So gibt es zwei in Vergessenheit geratene außenpolitische Traditionen, die mit Trump wieder aktuell werden. Zum einen den nach dem dritten US-Präsidenten benannten „Jeffersonianism“ (wie ihn der US-Politologe Walter Russell Mead beschreibt) mit seinem primären Ziel, die USA um jeden Preis aus Kriegen und insbesondere aus europäischen Angelegenheiten herauszuhalten.
Und dann gibt es noch den nach innen gewandten und populistischen „Jacksonianism“ im Sinne des einstigen Präsidenten Andrew Jackson (1829 bis 1837). Diese Denkschule erteilt missionarischen Gedanken zur globalen Förderung von Demokratie und Sicherheit eine radikale Absage. Wie man sich denken kann, sieht Mead Trump am ehesten in dieser Tradition.
Wie Jefferson und Jackson
Wie bereits angedeutet, sind diese beiden Traditionen nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Vergessenheit geraten. Im Vorfeld der US-Kriegseintritte 1917 und 1941 spielten sie, wie im Übrigen auch in der Zwischenkriegszeit, allerdings noch eine gewichtige Rolle.
Dabei waren die Ereignisse vom Mai 1940 entscheidend: Winston Churchill löste Neville Chamberlain als britischen Premierminister ab, der mit seinem gescheiterten „Appeasement“ gegenüber Nazi-Deutschland in die Geschichte eingehen sollte. Am selben Tag begann die deutsche Offensive gegen Frankreich, gefolgt von der Besetzung Luxemburgs, den Kapitulationen der Niederlande und Belgiens, der Evakuierung britischer und französischer Truppen aus Dünkirchen sowie den sowjetischen Vorbereitungen zur Annexion der baltischen Staaten.
Man muss sich fragen: Was hätten die USA davon, Polen oder die baltischen Staaten vor Angriffen zu schützen?
In dieser Atmosphäre machten sich gewichtige Stimmen für eine neutrale Haltung und Akzeptanz der neuen Realitäten stark. Doch der Isolationismus setzte sich bekanntlich nicht durch, die USA erklärten unmittelbar nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 erst Japan und dann Deutschland den Krieg. Am 1. Jänner 1942 folgte die von 45 Ländern getragene „Erklärung der Vereinten Nationen“, 1943 die Moskauer Erklärung und die Konferenz von Teheran, 1944 die Aufnahme der Verhandlungen zur UNO in Dumbarton Oaks, 1945 die Konferenz von Jalta und die Verabschiedung der Satzung der Vereinten Nationen in San Francisco. Die USA sollten als eine von fünf Vetomächten eine tragende Rolle für den „internationalen Frieden und die internationale Sicherheit“ spielen, wie es darin heißt.
Wende kam mit dem zweiten Irakkrieg
So war jeder Präsident seit F. D. Roosevelt auf die eine oder andere Art „interventionistisch“, nach Ende des Kalten Krieges begann darüber hinaus die Phase der „liberalen Weltordnung“. Bush senior holte sich für die Unterstützung Kuwaits gegen Saddam Hussein die Autorisierung des UN-Sicherheitsrats, Clinton sollte es ihm bei der Intervention in Haiti 1994 gleichtun. In diese Zeit fällt außerdem die Gründung der Welthandelsorganisation als bisher letzte große internationale Organisation.
Mit dem Irakkrieg 2003 sollte dieser Gedanke endgültig an sein Ende kommen. Zur Erinnerung: Die USA griffen ohne Autorisierung des Sicherheitsrats oder irgendeine andere gültige Rechtsgrundlage den Irak an. Auch wenn kaum jemand Saddam Hussein eine Träne nachweinte – das war ein Bruch mit einem der fundamentalen Grundsätze des modernen Völkerrechts und eine Absage an den Gedanken globaler Zusammenarbeit.
Ursprünglich war Trump für den Irakkrieg gewesen, bei seiner ersten Wahlkampagne hat er sich aber als scharfer Kritiker positioniert. Ihn als Isolationisten abzustempeln, wäre aber zu vereinfachend. Wohl aber deutet alles darauf hin, dass die USA unter Trump ihre militärischen und sonstigen Partnerschaften eingehend prüfen werden – weg von vermeintlichen gemeinsamen Interessen oder Werten, hin zu einer bloßen Kosten-Nutzen-Rechnung.
Alle denken nur an sich
Ob ein Staat demokratisch ist, ist Trump eher egal. Für ihn zählt „America First“. Umgekehrt geht Trump davon aus, dass jeder Staatschef es genauso hält. Für Multilateralismus ist da kein Platz. Auf diesem Schachbrett (um ein berühmtes sprachliches Bild von Zbigniew Brzeziński zu verwenden) stellt sich für Europa einmal mehr die Frage seiner Zugehörigkeit. Die Tage, in denen man auf die historisch und kulturell gewachsene Solidarität der USA bauen konnte, sind vorbei. Kalt kalkulierend muss man sich beispielsweise fragen, was die USA davon hätten, Polen, die baltischen Staaten oder jedes andere europäische Land vor Angriffen zu schützen.
„Die Europäer hatten dreißig Jahre Urlaub von der Geschichte. Jetzt hat uns die Geschichte eingeholt. Der Urlaub ist vorbei“, stellte Außenminister Schallenberg unmittelbar nach dem 24. Februar 2022 treffend fest. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump gilt das umso mehr.
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