Ohne Fachkräfte kein Tor fürs Wachstum
Ebenso wenig wie mit Großveranstaltungen kann man sich mit Konjunkturprogrammen ein Wirtschaftswachstum kaufen: Was die Wirtschaft braucht, sind Fachkräfte, längere Arbeitszeiten und ein gestaffeltes Arbeitslosengeld.
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ist hoch umstritten – aufgrund zahlreicher Menschenrechtsverletzungen haben verschiedene Interessensgruppen dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu boykottieren. Diese Weltmeisterschaft ist außerdem deutlich teurer als frühere Events: Die Kosten für den Aufbau der Sport- und weiterer Infrastruktur in Katar werden auf erstaunliche 220 Milliarden US-Dollar geschätzt, was fast der Hälfte der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 entspricht.
Der Preis der Untätigkeit
Früher wurde noch deutlich weniger ausgegeben: 15 Milliarden US-Dollar in Brasilien, knapp 12 Milliarden in Russland. In traditionellen Fußball-Ländern wie Deutschland oder Frankreich, wo man keine neuen Stadien bauen musste, waren es sogar nur zwei bis vier Milliarden Euro. Alleine die Tatsache, dass Katar das Hundertfache investiert hat, macht wahrscheinlich, dass das Geschäft nicht aufgeht. Aber damit steht das Emirat nicht alleine da.
Der hohle Pomp der Großveranstaltungen
Ein aktuelles Paper von Martin Müller, David Gogishvili und Sven Wolfe von der Universität Lausanne vergleicht systematisch die Kosten und Einnahmen im Zusammenhang mit allen Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften zwischen 1964 und 2018. Die Geographen kommen zu einem ernüchternden Ergebnis, nach dem sich die Gesamteinnahmen zwar auf fast 70 Milliarden US-Dollar beliefen – die Kosten jedoch auf mehr als 120 Milliarden. Mehr als vier von fünf Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften waren letztlich defizitär. Die Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles, die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver und die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland gehören zu den wenigen Veranstaltungen, die einen Überschuss erzielten.
Was aber ist mit den langfristigen Effekten? Abseits der kurzfristigen Konjunktur trägt die Austragung einer Weltmeisterschaft oder einer Olympiade ja möglicherweise auch zu einem so genannten „endogenen Wachstum“ bei. Eine Studie der Autoren Pasquale Scandizzo und Maria Rita Pierleoni untersucht diese Effekte systematisch, und verweist darin auf mögliche Faktoren wie etwa eine neu errichtete Infrastruktur, neu entstandene Unternehmen, diverse Verbesserungen im urbanen Raum oder in Sachen Umweltschutz sowie ein höheres Interesse an Sport – und damit potentiell sinkende Gesundheitskosten.
Auch immaterielle Effekte spielen eine wichtige Rolle: Ein gutes Marketing, eine verbesserte internationale Reputation, neue Business-Kontakte und Netzwerke können sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Gastgeberlandes auswirken. All das spricht zunächst für eine Verbesserung des Potenzialwachstums.
Und doch spricht die empirische Literatur überwiegend dafür, dass sich sowohl die kurz- als auch die langfristigen ökonomischen Effekte sehr in Grenzen halten. Stefan Szymanski, der die zwanzig größten Volkswirtschaften der Welt in den letzten dreißig Jahren analysierte, kommt zu dem Schluss, dass das Wachstum dieser Länder in den Jahren, in denen dort eine Weltmeisterschaft ausgerichtet wurde, deutlich geringer war.
Dasselbe gilt für die Olympischen Spiele: Wenn überhaupt positive Effekte gefunden werden, fallen sie nur klein aus. Es gibt auch einen systematischen Unterschied zwischen ex ante und ex post Studien: die letzteren zeigen eine deutlich schwächere positive Wirkung als die ersteren. Die Hoffnungen, die mit ex ante Analysen geweckt werden, erfüllen sich nicht.
Konjunktur kann man nicht kaufen
Die Auseinandersetzung mit der Wirkung großer Sportereignisse zeigt vor allem dies: Man kann sich mit Bau- und Konjunkturprogrammen keine langfristig wachsende und wettbewerbsfähige Wirtschaft kaufen. Und der internationale Wettbewerb lässt es auch nicht zu, dass sich mal mit imposanten Einmalprojekten durchschummelt. Kurzfristige Ausgaben mögen in Krisen die Konjunktur stabilisieren. Aber ein nachhaltiges Wachstum fußt auf anderen Kriterien, insbesondere auf Innovationskraft, Produktivitätswachstum und einer international anerkannten Standortattraktivität. Nur mit ihnen kann es auch eine gute Lebensqualität geben.
Warum sich die Energiewende lohnt
Derzeit steht Europa aufgrund steigender Energiekosten und einem gravierenden Arbeitskräftemangel aber massiv unter Druck. Und das verlangt nach großen Anstrengungen: Auf dem schmalen Grad zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Zielerreichung in Umweltfragen wäre der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien zentral. Dafür müssten Flächen bereitgestellt, Leitungen gebaut, Genehmigungen deutlich schneller erteilt werden.
Der Mangel an Arbeitskräften wird zunehmend zum Problem, wenn Aufträge unbearbeitet bleiben müssen und dadurch Umsätze verloren gehen. Dies trifft inzwischen auf mehr als sieben von zehn aller Unternehmen zu, die in einer Umfrage aus dem April 2022 die Belastung als stark oder sehr stark eingestuft haben.
Ohne Fachkräfte kein Aufschwung
Die demographische Entwicklung wird diesen Trend noch verstärken – eine Prognose der Statistik Austria zeigt einen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von aktuell 5,5 Millionen auf 5,2 Millionen in 2040, bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Menschen im Alter von 65 oder mehr von 1,7 auf 2,5 Millionen. Das Arbeitsangebot müsste also deutlich erweitert werden. Bislang arbeiten aber noch immer fast die Hälfte der Österreicherinnen in Teilzeit, davon 25,2 Prozent der Frauen ohne Kinder und 72,8 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren. Um das enorme Potential in dieser Gruppe zu heben, wird man um einen beherzten Ausbau der Kinderbetreuung nicht herumkommen.
Außerdem braucht es mehr Anreize, um die Menschen länger am Arbeitsmarkt zu halten: Das faktische Pensionseintrittsalter in Österreich beträgt bei Männern nur 60,2 Jahre. Im OECD-Schnitt sind es 63,8 Jahre, in Neuseeland 68,2, in Schweden 65,8 und in der Schweiz 65,4 Jahre. Die Beschäftigungsquote in der Gruppe 55- bis 64-Jährigen liegt hierzulande mit 53 Prozent ganze zwanzig Prozentpunkte unter Schweden.
Was mehr Druck auf Arbeitslose bringt
Und schließlich müssen auch Arbeitslose in Österreich wieder besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Trotz eines Rekords an offenen Stellen waren im Oktober 2022 rund 250.000 Menschen arbeitslos – kein Wunder, wenn die Nettolöhne in manchen Branchen kaum höher sind als Leistungen vom Staat. Dringend notwendige Reformen, etwa des Arbeitslosengeldes, mit sinkenden Ersatzraten über die Zeit, oder aber des Pensionsalters kommen beim Wähler leider gar nicht gut an.
Das mag mit Fußball-Weltmeisterschaften und anderen verschwenderischen Großprojekten anders sein. Auf Dauer bringen die uns aber nicht weiter. Wir könnten noch eine kleine Weile dabei zuschauen, wie andere die Tore schießen. Oder uns endlich selbst in Bewegung setzen.