Der Traum von der Energie aus der Wüste
Das Wüstenstrom-Projekt Desertec scheiterte, als Europa sich wieder Kohle und Gas verschrieb, Stichwort Nord Stream 1 und 2. Wie stehen heute die Chancen für eine global vernetzte Energieversorgung?
Auf den Punkt gebracht
- Alternativlos. Für Klimastabilität, Versorgungssicherheit und Leistbarkeit von Energie ist der Umstieg auf erneuerbare Energien notwendig.
- Ausgebremst. Globale Energienetze auf Basis von Sonne und Wind konnten weniger Kapital lukrieren als der Ausbau der Erdgas- und Erdöl-Infrastruktur.
- Neue Partner. Chile, Marokko, Tunesien oder Namibia sind potentielle Partner im neuen globalen Energienetz – allerdings ist die Konkurrenz groß.
- Infrastrukturen. Die Logistik für global erzeugte erneuerbare Energie ist die Herausforderung der Zukunft. Es gilt, Umwandlungsverluste zu minimieren.
Theoretisch klingt die klimatologische Weltrettung geradezu absurd einfach: Bereits 2003 präsentierte der deutsche Physiker Gerhard Knies gemeinsam mit dem Club of Rome ein Gedankenmodell, dem zufolge der gesamte globale Strombedarf auf einer 100 mal 100 Kilometer großen Fläche in der weitgehend unbewohnten Sahara erzeugt werden könnte. Eigentlich genial. 20 Jahre später ist von einem auf dieser Idee basierenden Pilotprojekt namens Desertec praktisch nichts geblieben.
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Das Vorhaben ging trotz Klimakonferenzen und Energiewende-Aktionismus in einem Sumpf aus Bürokratie, ungeschickter Diplomatie und Streitigkeiten zwischen NGOs und Wirtschaft unter. Wir lernen: Tolle Visionen allein reichen nicht – man muss sie auch in die Realität umsetzen können.
Inzwischen stehen allerdings wieder alle Zeichen auf Neustart für die Idee des transkontinentalen Imports erneuerbarer Energien. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Europa schlagartig ins Bewusstsein gerufen, wie verletzlich unsere Wohlstandskultur in Energiefragen ist. Nebeneffekt: Mit den rapide gestiegenen Preisen für fossile Rohstoffe lassen sich nun ökologische und ökonomische Ziele leichter auf einen Nenner bringen. Und an der Grundidee von Desertec – saubere Energie in vergleichsweise menschenleeren Regionen zu produzieren – hat sich ja nichts geändert.
Alternativlose Energiewende
Für alle, die nicht an die heilende Wirkung des Klimaklebens glauben, ist die Energieversorgung aus Afrika ein Gebot der Stunde. Energie ist in den vergangenen Monaten nicht nur teurer geworden, die Welt braucht auch immer mehr davon: Die britische Energieökonomin Carole Nakhle: „Der globale Energiebedarf steigt durch das Wachstum der Weltbevölkerung, das zunehmende Durchschnittseinkommen in Entwicklungsländern und den Verbrauch der Rechenzentren seit Jahrzehnten steil an. Dieser Zuwachs – der wohl noch größer wird – muss in Zukunft durch erneuerbare Energiequellen gedeckt werden.“
Nakhle zur Frage der Umsetzbarkeit: „Tatsache ist leider, dass sich seit der ersten Klimakonferenz 1992 in Rio de Janeiro der Anteil der fossilen Rohstoffe im Energiemix kaum verändert hat. Aber derzeit ist eine Trendumkehr erkennbar. Laut Internationaler Energieagentur soll in den nächsten fünf Jahren mehr saubere Stromproduktion realisiert werden als in den vergangenen zwei Jahrzehnten.“
Die Energieversorgung der Zukunft wird ungleich komplexer sein als das fossile System. Über die Ausrichtung und Kombination – Strom, Wasserstoff-Wirtschaft und E-Fuels – gibt es unzählige, höchst unterschiedliche Expertenmeinungen. In einem Punkt ist man sich allerdings erstaunlich einig: Europa wird niemals gänzlich energieautark sein können.
Viktor Hacker, Institutsleiter am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik an der TU Graz: „Erneuerbare Stromproduktion ist die eine Sache, betrachtet man aber den Gesamtenergiebedarf, der in Europa zu über 80 Prozent durch fossile Träger gedeckt wird, sind wir auf Importe angewiesen. Es muss in erster Linie darum gehen, für jeden Verwendungszweck die richtige Energieart zu finden.“
Diversifizierung
Die Logik besagt: Je mehr Energiequellen und Anbieter, desto besser sollte die Versorgung gegen Krisensituationen, politische Einflüsse oder schlicht Blackouts abgesichert sein. Außerdem hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Energiewende in der lokalen Praxis gar nicht so einfach wird.
Umweltaktivisten agieren oft sehr widersprüchlich. Alle wollen erneuerbare Energiequellen, aber für Windräder, riesige Solarflächen oder Stromleitungen vor der eigenen Haustür gibt es kaum Akzeptanz. Mit einer Energieversorgung aus weitgehend unbesiedelten Gebieten wäre das Problem elegant vom Tisch.
Ewige Zweifler könnten jetzt auf die Idee kommen, dass dies ähnlich heuchlerisch gedacht ist wie der Transfer von schmutziger Industrie, Elektronikschrott oder Plastikmüll in arme Länder. Aber so darf es diesmal nicht laufen. In diesem Sinn hat das Scheitern von Desertec doch noch einen wertvollen Beitrag geliefert. Selbst die technisch überzeugendste Vision funktioniert nur mit einer klugen Einbettung in die jeweiligen regionalen Bedürfnisse – hat doch der fossile Raubbau oft prekäre Verhältnisse hinterlassen.
So kann sich etwa das ölreiche afrikanische Land Nigeria mangels Raffinerien nicht selbst mit Treibstoffen versorgen, und auch das Stromnetz ist mehr als lückenhaft. Experte Daniel Dahm, seinerzeit Mitbegründer von Desertec und Mitglied des Club of Rome, schreibt: „Ziel aller Projekte muss es sein, die lokale Bevölkerung stark einzubinden und deren Lebensumstände zu verbessern. Für die Glühbirne in der Schule darf nicht ein Dieselgenerator laufen. Dieser Strom kostet oft 80 Cent pro Kilowattstunde, da rechnen sich erneuerbare Energien sehr schnell. Allerdings wird auch eine Einbeziehung in die Eigentumsverhältnisse wichtig sein. Lokale Autarkie ist ein gutes Mittel gegen autokratische Strukturen.“
Die Geopolitik der Energie
In einer idealen Welt wäre Nordafrika der perfekte zukünftige Energiepartner. 365 Tage Sonne im Jahr mit höchster Intensität; damit ist die Solarausbeute bis zu dreimal so hoch wie an den besten heimischen Standorten. Das bedeutet trotz Leitungskosten und Übertragungsverlusten deutlich weniger Investitionskosten.
Zudem liegen die Zonen mit der höchsten Energieausbeute in der nahezu menschenleeren Sahara. Als besonders geeignet gelten Gebiete, in denen sich Solaranlagen mit Windkraft kombinieren lassen, um die Tag/Nacht-Lücke besser überbrücken zu können. Aber die Welt ist nicht perfekt und Afrika schon gar nicht. Auf der Kehrseite der Medaille steht, dass Investments in Milliardenhöhe auf dreißig Jahre gesichert sein müssen – ein sehr, sehr langer Zeitraum.
Die Kriterien politische Sicherheit, wirtschaftliche Basis vor Ort, maximale Energieausbeute und Transportmöglichkeiten engen die Auswahl an geeigneten Standorten erheblich ein. Rainer Baake, ehemaliger deutscher Umwelt-Staatssekretär, heute Sonderbeauftragter für die deutsch-namibische Energiekooperation: „Das Rennen um die besten Plätze hat längst begonnen, und es könnte das globale Machtgefüge verändern, denn wir erleben auch einen Wettkampf der politischen Systeme. Europa gegen China. Demokratie gegen Autokratie.“
Interessanter Nachsatz des Grünen-Politikers: Die USA dürften in dieser Entwicklung eine eher zurückhaltende Rolle einnehmen, da sie über fast alle Ressourcen im eigenen Land verfügen: Rohstoffe, stürmische Küsten, sonnenreiche menschenleere Landstriche. In den USA ist die Energiewende fast ausschließlich eine Sache des politischen Willens.
Infrastruktur für Sonnenenergie
Was das Klimabewusstsein angeht, gehört Marokko in Afrika zu den Vorreitern. Bereits vor sieben Jahren wurde das Solarkraftwerk Noor (arabisch für Licht) nahe Ouarzazate eröffnet. In Kombination von Solarthermie und Photovoltaik wird eine Leistung von 1.000 Megawatt erreicht, die durch einen thermischen Speicher auch kontinuierlich abgegeben werden kann. Während Marokko vor wenigen Jahren noch Strom von Spanien zukaufen musste, hat sich das Land inzwischen zum Netto-Exporteur gewandelt.
Dieses Denken trägt bereits Früchte. Wegen der relativ stabilen politischen Verhältnisse, des bereits vorhandenen technischen Know-hows vor Ort und der erstklassigen Werte für Sonneneinstrahlung und Windstärke entschied sich der Brite Simon Morrish, mit dem ersten Großprojekt für die europäische Energieversorgung nach Marokko zu gehen.
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Das Unternehmen Xlinks will in der Region Guelmim-Oued Noun auf der vierfachen Fläche Wiens 7-GW-PV- und 3,5-GW-Windkraftanlagen errichten und den gewonnenen Strom über das längste Unterwasser-Stromkabel der Welt (3.800 km) nach Großbritannien leiten. Zur Veranschaulichung: Ein Gigawatt (GW) entspricht etwa der Leistung eines Kernreaktorblocks oder von drei Donaukraftwerken. Ein ebenfalls geplanter 20-GWh-Stromspeicher soll dafür sorgen, dass ab 2028 etwa acht Prozent des britischen Strombedarfs 20 Stunden täglich abgedeckt werden können. Kosten: 18 Milliarden Euro.
Solarenergie: Konkurrenzlos billig
Skalierbarkeit bedeutet, dass man eine erprobte Technologie in beliebiger Anzahl und Leistung erweitern kann, ohne auf größere technische Hürden zu stoßen. Außerdem wurde die Wettbewerbsfähigkeit von Photovoltaik in den letzten Jahren enorm gesteigert, weil die Produktionskosten bei gleichzeitiger Leistungssteigerung um den Faktor zehn gesenkt werden konnten (was leider bei den Privatkunden nie in diesem Ausmaß ankam).
Saudi-Arabien gehört zu den Pionieren bei Mega-Anlagen; der jüngste Solarpark soll mit 3,6 GW mehr als zwei Kernkraftblöcke leisten und mit Kosten von 1,04 US-Cent/kWh einen Effizienzweltrekord aufstellen. Oder anders ausgedrückt: Bei diesem Strompreis würden 500 Kilometer mit einem E-Auto etwa einen Euro kosten.
Noch eins drauf setzt der geplante Australia-Asia PowerLink. Im australischen Northern Territory soll auf einer Fläche von 120 Quadratkilometern eine 20-GW-Anlage (entspricht der doppelten Leistung aller deutschen Kernkraftwerke) errichtet werden, die in Kombination mit dem größten Batteriespeicher (42 GWh) und der längsten Kabelverbindung (5.000 Kilometer) Strom bis nach Singapur exportiert.
Aber selbst die extrem leistungsfähigen HGÜ-Kabel stoßen an technische Grenzen. Hacker: „Strom lässt sich nur über begrenzte Distanzen sinnvoll transportieren. Ab einem gewissen Punkt wird es zu einem Rechenbeispiel der Wirkungsgrade. Bis etwa 3.000 Kilometer liegen Wasserstoff-Pipelines gut, bei größeren Entfernungen werden zusätzliche Umwandlungsschritte wie Ammoniak interessant. Als besonders günstig zeigt sich ein von der TU Graz patentiertes Verfahren mit Eisenoxid als Energieträger.“
Beim NorNed-Kabel (Norwegen–Niederlande) liegen die Übertragungsverluste pro 1.000 Kilometer hochgerechnet bei 6,4 Prozent. Xlinks kalkuliert für die Verbindung Marokko–Großbritannien mit 14 Prozent Verlust (das entspricht 2,8 Prozent pro 1.000 Kilometer). Experte Viktor Hacker meint dazu: „Man muss auch berücksichtigen, dass bei der Energieübertragung über das Stromnetz – anders als bei Wasserstoff – Verbrauch und Erzeugung deckungsgleich sein müssen. Gerade bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen ist das schwierig. Bei einem Transport vom anderen Ende Afrikas oder aus Südamerika ist die Umwandlung von Strom alternativlos.“
Grüner Wasserstoff
Größtes Plus des grünen Wasserstoffs ist, dass sich das Gas mit dem heimischen Leitungsnetz verteilen lässt und ebenso universell einsetzbar ist wie Erdgas. Das deutsche Fraunhofer-Institut hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich beide Gase gleichzeitig transportieren lassen und erst am Zielort durch eine Membran getrennt werden.
Der größte Nachteil sind die hohen Wirkungsgradverluste durch die Erzeugung und den Transport, der entweder mit hohem Drücken (700 Bar) oder bei sehr tiefen Temperaturen (minus 252 Grad) stattfinden muss.
Zudem leidet die Umwandlungskette Strom-Wasserstoff-Strom unter sehr geringer Effizienz. Die Verluste liegen bei über 50 Prozent, bei Pumpspeicherkraftwerken sind es im Vergleich nur etwa 20 Prozent. Allerdings verbessert sich die Bilanz der Wasserstoff-Wirtschaft, wenn die Abwärme in industriellen Prozessen oder zum Heizen genützt werden kann. „Stromerzeugung, Umwandlung und Transport sind nun einmal um ein Vielfaches aufwendiger, als einfach Erdöl aus dem Boden zu pumpen. Aber der Flaschenhals ist nicht die Prozesseffizienz, es sind die Kosten“, sagt Hacker.
Die Wärme, die aus der Tiefe kommt
Die notwendigen Technologien sind alle bekannt, müssen aber noch für die Massenproduktion verfeinert werden, erklärt Hacker. „An Großprojekten außerhalb Europas wird nichts vorbeiführen, wenn wir es mit der Klimaneutralität ernst meinen. Aber grüner Wasserstoff ist noch kein Standard in großindustriellen Dimensionen. Für die erforderlichen Elektrolyseanlagen gibt es derzeit einfach zu wenige Hersteller. Heute liegt der Kilopreis für Wasserstoff aus fossilen Prozessen bei etwa fünf Euro. Wenn der Strom nicht mehr als zwei Cent pro Kilowattstunde kostet, lässt sich Wasserstoff mit optimierten Verfahren zu zwei Euro pro Kilogramm herstellen. Der Heizwert von einem Kilogramm Wasserstoff entspricht etwa vier Liter Benzin. Damit wäre grüner Wasserstoff sogar ohne Klimabonus konkurrenzfähig zu fossilen Energieträgern.“
Das deutsche Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) arbeitet an einem Optimierungsverfahren, das 20 Prozent weniger Energieverbrauch bringen soll – ein Meilenstein für industrielle Prozesse. Auf dieser Basis geht Andreas Menne, Leiter der Abteilung Low Carbon Technologies am Fraunhofer-Institut, davon aus, dass „in 20 bis 30 Jahren etwa zwei Drittel der in Europa benötigten Energie in Form von Wasserstoff importiert werden.“
Gefahr Greenwashing
Die Projekte der Zukunft werden unvorstellbare Größen erreichen. 8.000 Quadratkilometer Wüste, in der bisher nach Diamanten geschürft wurde, Küstennähe und beste Sonnen- und Windverhältnisse sollen eine ideale Basis bilden, um mit sieben GW Strom jährlich 350.000 Tonnen Wasserstoff herstellen zu können.
Das Investitionsvolumen des Konzerns Hyphen Hydrogen Energy liegt bei mehr als neun Milliarden Euro. Der nächstgelegene Ort heißt Lüderitz und erinnert an die Vergangenheit des Landes als Deutsch-Südwestafrika. Aber die politische Führung Namibias will von Neokolonialismus nichts wissen, denkt mehr an Devisen, Arbeitsplätze und die versprochene Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung in der Region.
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Präsidentenberater James Mnyupe ist schon einen Schritt weiter: „Namibia könnte Standort für Industrien werden, die sich in Deutschland immer weniger lohnen.“ Eine Nummer kleiner ist eine Kooperation zwischen Tunesien und Österreich angedacht. Auch hier soll aus Wüstenstrom Wasserstoff hergestellt werden, man will dabei aber auf die energieintensive Umwandlung verzichten und das Gas über eine Offshore-Pipeline nach Österreich bringen. Der Clou dabei: Über weite Strecken durch Italien könnten bereits vorhandene Erdgas-Pipelines genutzt werden, dementsprechend geringer fällt das Investitionsvolumen aus.
Umwandlungsverluste
Für eine andere Methode hat sich der heimische Windpark-Entwickler Austria Energy entschieden. Im windreichen Süden Chiles entsteht ein Windpark, in dem der Strom vor Ort zu Wasserstoff und anschließend in Ammoniak umgewandelt werden soll. Viktor Hacker: „Natürlich ergeben sich dabei weitere Umwandlungsverluste. Aber Ammoniak ist aus technischer Sicht nahezu perfekt. Der Energieaufwand für den Transport ist gering, und das Gas ließe sich theoretisch sogar in Heizanlagen oder Motoren verbrennen.“ Ab 2027 sollen mit 1,8 GW Leistung jährlich eine Million Tonnen Ammoniak produziert werden. So weit, so vorstellbar.
Zahlen & Fakten
Das ist aber alles Kleinkrämerei im Vergleich zu den saudi-arabischen Projekten. Geradezu gigantomanisch ist etwa die Zukunftsstadt Neom. Das habe eine gewisse Logik, meint Carole Nakhle: „Bei einer erfolgreichen Energiewende könnte Saudi-Arabien zu den größten Verlierern gehören, weil dann die größte Kapitalquelle des Landes im Boden bleiben würde. Aber das Land ist ebenso reich an Sonnen- und Windenergie. Deshalb werden Solarprojekte forciert, um so die Rolle des führenden Energieexporteurs für die Zukunft abzusichern.“
In einer Welt, die stärker von Geld als von gutem Willen regiert wird, besteht allerdings immer die Gefahr des Greenwashings. Carole Nakhle: „In Wüstenregionen muss das benötigte Wasser für die Produktion von grünem Wasserstoff aus Meerwasser-Entsalzungsanlagen kommen, die ebenfalls einen hohen Energiebedarf haben. Es muss also sichergestellt sein, dass die gesamte Produktionskette „grün“ ist. Denn 'grauer' Wasserstoff bleibt angesichts der leichten Verfügbarkeit von kostengünstigen Kohlenwasserstoffen die wirtschaftlich sinnvollste Option.“
Die E-Fuels
Lange Zeit galten E-Fuels als unvereinbar mit der Energiewende – wird doch bei der Verbrennung CO2 freigesetzt. Deshalb sträubte sich die EU-Kommission, E-Fuels als Alternative zu den von den Kunden mehrheitlich ungeliebten Elektroautos zu akzeptieren. Dieser Standpunkt wird auf Dauer wohl kaum haltbar sein. Solange die Herstellung aus erneuerbaren Energiequellen, Wasser und Luft-CO2 erfolgt, sind E-Fuels klimaneutral. „Ähnlich wie bei Ammoniak sind die Umwandlungsverluste hoch, aber keine anderen erneuerbaren Energieträger lassen sich einfacher transportieren, lagern und verteilen – weil ja die Infrastruktur bereits vorhanden ist“, erklärt Viktor Hacker.
Als Faustregel gilt: Je weiter die Energiequellen von Europa entfernt sind, desto besser kommen E-Fuels ins Spiel. Besonders Chile und der argentinische Teil von Patagonien gelten als Hoffnungsgebiete für den Energieträger, weil dort eine geringe Bevölkerungsdichte auf weitaus bessere wirtschaftliche und politische Voraussetzungen trifft als in Afrika.
Ein Konsortium der deutschen Konzerne Siemens und Porsche und des US-Multis ExxonMobil errichtet derzeit in Punta Arenas an der Magellanstraße eine Pilotanlage. Ab 2026 sollen 400 Windräder genügend Strom liefern, um 500 Millionen Liter Öko-Sprit zu erzeugen. Das wäre ausreichend, um eine Million Autos ein Jahr lang zu betreiben.
In noch einem besonders wichtigen Punkt sind sich alle Experten einig: Die technischen Hürden sind allesamt überwindbar, die Energiewende ist vielmehr eine politische Aufgabe, die nur in weltweiter Zusammenarbeit gelingen kann. Letztlich wird das Kapital entscheiden und nicht der gute Wille.
Petra Schwager, bei der UNIDO für die industrielle Entwicklung von Klimaprojekten zuständig, kennt die Problematik: „Derzeit sind 650 Wasserstoff-Projekte weltweit unterzeichnet, aber nur bei etwa zehn Prozent davon ist die Finanzierung gesichert, weil die Investoren noch auf günstigere Preise durch technologische Fortschritte hoffen.“
Nicht jeder Teil der Welt ist wie Europa bereit, für grüne Energie einen Aufpreis zu zahlen. Abseits eines immer schriller agierenden Klimaaktionismus ist die Rettung der Welt also vor allem ein knallhartes Geschäftsmodell. Aber mit jedem technologischen Fortschritt und mit jedem realisierten Großprojekt wird die Chance auf ein Gelingen größer.
Conclusio
Technisch gesehen steht einer globalen Energiewende nichts entgegen. Die notwendigen Technologien sind bekannt, an ihrer Verfeinerung wird gearbeitet. Aber der wirtschaftliche Druck ist enorm, solange sich fossile Energie mit deutlich geringeren Kosten aus dem Boden holen lässt. Leider sind Investitionen in den meisten Ländern Afrikas nicht risikofrei. Es muss eine Einbindung der lokalen Bevölkerung erfolgen und zuerst der in den nächsten Jahren stark steigende Eigenbedarf des Kontinents gestillt werden. Sollten die Projekte gelingen, werden sie gesellschaftlichen Fortschritt und qualifizierte Arbeitsplätze bringen. Im globalen Hickhack kann eine Energiewende nur erfolgreich sein, wenn sich die Produktionskosten auf das fossile Niveau senken lassen. Aber auch das scheint längst nicht mehr unmöglich.