Ein neues Zeitalter des Krieges beginnt

Neue Auslöser, neue Taktiken und neue Waffen: Die Kriege der Zukunft werden zerstörerischer sein und sich überallhin ausbreiten. Vom Weltraum bis in den Cyberspace.

Bild eines Soldaten mit Waffe, das mit einem Glitch versehen ist
In Zukunft werden nicht mehr nur Staaten Kriege führen. Die Konfliktzonen werden sich ausdehnen. © Adobe Stock
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Auf den Punkt gebracht

  • Unbequeme Wahrheit. Das 21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Modernisierungen. Das trifft auch auf die Kriegsführung zu.
  • Gefährliches Zeitalter. Während ständig neue Waffensysteme entwickelt werden, werden alte Abkommen zur Abrüstung zunehmend aufgekündigt.
  • Neue Strategien. Hyperschall-Waffen und moderne Elektronik werden künftige Konflikte mitbestimmen. Selbst das Weltall könnte zum Kriegsschauplatz werden.
  • Wachsendes Risiko. Ursachen für Konflikte nehmen weltweit zu. Sich nicht darauf vorzubereiten, wäre eine sträfliche Vernachlässigung der politischen Verantwortung.

Krieg stößt nicht nur ab, sondern fasziniert auch. Das hat er schon immer. Moderne Waffensysteme fesseln die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, selbst in Gesellschaften, die nicht von nationalistischem Überschwang und mechanistischen Waffenaffinitäten geprägt sind. Das Phänomen Krieg lässt sich aber nicht allein mechanistisch über die (Vernichtungs-)Leistung von Panzern, Kampfflugzeugen und Lenkwaffen verstehen. Es hängt mindestens genauso von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen ab. Kurz gesagt: Krieg ist komplex.

Dieser Artikel ist keine Prognose. Er stellt vielmehr einen Versuch dar, aus den waffentechnischen wie politischen Entwicklungen Schlüsse zu ziehen und auf Basis dieser Folgerungen Ableitungen für den Charakter zukünftiger Kriege zu treffen. Denn eines ist klar: Die Art, wie Kriege geführt werden, verändert sich. Sowohl das „Wer“ als auch das „Wie“.

Rüstungswettlauf

Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Wirkungsmöglichkeiten und die Vernichtungskapazität von Waffensystemen auch nur annähernd auf dem heutigen Niveau. Auf der strategischen Ebene – also dort, wo Waffensysteme in der Lage sind, die Menschheit mit einem Schlag auszulöschen – beobachten wir das vorläufige Scheitern von Bemühungen, die nuklearen Kapazitäten zu begrenzen. Der letzte große nukleare Abrüstungsvertrag, „New Start“, wurde kurz vor seinem Auslaufen am 5. Februar 2021 um fünf weitere Jahre verlängert. Das 2011 in Prag von den damaligen Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedew unterzeichnete Abkommen, mit dem die strategischen Nukleararsenale Russlands und der USA auf je 800 Trägersysteme und 1.550 einsatzbereite Atomsprengköpfe begrenzt werden sollen, stand unter Ex-Präsident Donald Trump auf der Abschussliste.

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Zahlen & Fakten

Die großen Nuklearmächte investieren enorme Summen in die Modernisierung der strategischen Arsenale. Dabei geht es darum, die feindliche Bekämpfung der eigenen Offensivwaffen zu erschweren und die eigenen Fähigkeiten zur Vernichtung der gegnerischen Offensivwaffen zu verbessern. Es ist wie ein Wettlauf zwischen Panzerung und Durchschlagsleistung von Panzerabwehrwaffen – nur eben auf einem wesentlich gefährlicheren Niveau.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Wirkungsmöglichkeiten und die Vernichtungskapazität von Waffensystemen auch nur annähernd auf dem heutigen Niveau.

Krieg im Weltraum

Doch damit nicht genug. Durch die Entwicklung sogenannter Hyperschallwaffen wird das Arsenal der Großmächte um Waffensysteme ausgeweitet, die eine neue Komponente in das Konfliktbild der Zukunft bringen. Ein Flugkörper, der sowohl mit nuklearen als auch konventionellen Sprengköpfen bestückt werden kann, wird dabei aus der Stratosphäre mit mehr als 20-facher Schallgeschwindigkeit über hohe Entfernungen treffsicher ans Ziel gesteuert. Damit reduziert sich die Möglichkeit der Vorwarnung, der Abwehrkampf wird folglich erschwert. Das bedeutet im Prinzip nichts anderes, als dass Kriege auch mit nuklearen Waffensystemen wieder möglich werden, weil kleine, chirurgische Schläge an die Stelle des Weltuntergangs treten.

Für die großen Mächte ist der Weltraum ohnehin schon zum Kriegsschauplatz geworden: Im Mittelpunkt steht der Schutz der eigenen Satelliten zur Aufklärung, Zielsteuerung und Informationsgewinnung und -übermittlung, sowie die Bekämpfung der gegnerischen Satelliten. Zunehmend bildet aber auch eine Waffenwirkung aus dem All auf die Erdoberfläche eine ernstzunehmende Komponente ihrer Rüstungsanstrengungen. Eine erste Ableitung dieser aktuellen Parameter der internationalen Entwicklungen auf die Frage zukünftiger Kriege lautet daher: Das Risiko eines Einsatzes nuklearer Waffen ist auf Grund der politischen Verwerfungen im internationalen System und waffentechnischer Neuentwicklungen erheblich gestiegen.

Enorme Investitionen

Gleichzeitig unternehmen nicht nur die größeren Nationen auf der konventionellen Ebene gewaltige Anstrengungen, ihre militärischen Arsenale zu modernisieren, also wirksamer und leichter einsetzbar zu machen. Betrachtet man die Investitionen im kostspieligsten Bereich, jener der See- und der Luftstreitkräfte, wird das besonders deutlich. Die Herstellungskosten der „USS Gerald R. Ford“ – dem Typschiff der neuen Klasse von Flugzeugträgern – betrugen 13 Milliarden US-Dollar. Es soll die Dominanz der USA auf den Weltmeeren für die nächsten Jahrzehnte sicherstellen.

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Zahlen & Fakten

Die Zahlen zum „USS Zumwalt“, Typschiff der neuen Klasse von Zerstörern in der US Navy, sind eindrücklich:

  • Fünf Milliarden US-Dollar kostet die Herstellung des Zerstörers.
  • Das Abfeuern des Advanced Gun System (AGS) kostet etwas 800.000 US-Dollar pro Schuss.
  • Der Zerstörer verfügt über zwei Waffensysteme, die jeweils zehn Geschosse pro Minute abfeuern können.
  • Bei maximaler Feuergeschwindigkeit würden dabei 16 Millionen US-Dollar innerhalb von 60 Sekunden „verpulvert“.

Ähnliche Dimensionen gelten auch für die nuklear betriebenen Angriffs- und Jagdunterseeboote.

Die Gefahr von Konflikten steigt

Bemerkenswert ist auch, dass es noch nie so viele Flugzeugträger in den Flotten der Seemächte – oder solcher, die sich selbst dazuzählen – gab wie derzeit. Auch Großbritannien wird in den nächsten Jahren zwei große Träger in Dienst stellen, die größten Kriegsschiffe, die das Land je gebaut hat.

China verfügt über zwei Träger und plant weitere. Insgesamt werden derzeit (inklusive Hubschrauberträger und solcher, die nur für Flugzeuge mit Kurz- und Senkrechtstartfähigkeiten ausgelegt sind) 46 Flugzeugträger im Dienst von 15 Staaten gezählt. Im letzten Jahrzehnt strebte sogar die Republik Angola – letztlich ergebnislos – den Besitz eines Flugzeugträgers an. Es versteht sich von selbst, dass diese Entwicklungen auch mit jenen der Luftstreitkräfte Hand in Hand gehen. Schließlich müssen diese Träger mit den entsprechenden Aufklärern, Jäger- und Bomberstaffeln ausgestattet werden.

Zumindest in den westlichen Demokratien kann man davon ausgehen, dass bei der Entwicklung der Landstreitkräfte vor allem der Schutz des Lebens und damit natürlich die Leistungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten im Mittelpunkt der Anstrengungen steht. In diesem Bereich sind vor allem Führungs-, Informations- und Waffeneinsatzsysteme die Kostentreiber.

Die Dimensionen der Modernisierung der Streitkräfte im globalen Maßstab verdeutlichen zweierlei Dinge: Das hohe Rüstungsniveau des Kalten Krieges ist heute bei weitem überschritten. Und die damaligen Vereinbarungen über die Beschränkung von Einsätzen sowie die Niveaus der Sicherung strategischer Waffensysteme sind lockerer geworden. Die Wahrscheinlichkeit von Konflikten steigt damit.

Kalkulierte zivile Opfer

Angesichts des Verlaufs der Kriege in den letzten Jahrzehnten sollte es eigentlich verwundern, dass Großmächte immer noch den zwischenstaatlichen Konflikt planen. Das konventionelle Bild eines Krieges, also weiträumige Operationen gepanzerter Verbände von staatlichen Akteuren und deren Allianzen, war letztmalig im Zweiten Golfkrieg 1991 zu sehen. Bereits in den Balkan-Kriegen der 1990er Jahre traten jene Charakteristika bewaffneter Konflikte zutage, die unsere Konfliktwahrnehmung heute vorrangig prägen. Kriege wurden und werden „asymmetrisch“ geführt. Der technologisch schwächere Gegner stellt sich dem hochgerüsteten Opponenten nicht in offener Schlacht, sondern weicht der Überlegenheit des Feindes aus. Er versucht, dessen allfällige Schwächen auszunutzen und nicht zuletzt die Zivilbevölkerung massiv miteinzubeziehen. Sie wird vertrieben (Kosovo, Syrien) oder zur Ermöglichung der eigenen Aktionen unterdrückt und wirtschaftlich instrumentalisiert (IS/Irak).

Das Leid der Zivilbevölkerung ist dabei nicht das primäre Ziel. Vielmehr soll durch Erzeugung von regionalem Chaos und Flüchtlingsströmen Druck auf andere Staaten ausgeübt werden. Oder jene Staaten sollen gegen ihren Willen zum Eingreifen gezwungen werden. Die Reaktion der Staatengemeinschaft fällt zumeist relativ spät und verhalten aus, was den Konflikt kaum löst, sondern bestenfalls kurzfristig eindämmt und weiter schwelen lässt. Meist sehen wir begrenzte Einsätze von Luftstreitkräften, allenfalls noch verbrämt mit söldnerartiger Unterstützung jener Partei, die den eigenen Interessen dient (wie im Fall von Russland in Syrien) oder Waffen- und Nachschublieferungen begleitet von „Beratung“ (wie im Fall von Russland, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei in Libyen).

Hybride Kriegsführung

Schließlich bliebe es nicht nur Russland vorbehalten, dem aktuellen Konfliktbild der letzten Jahrzehnte eine weitere Komponente verstärkt hinzuzufügen: die „hybride Kriegsführung“. Man bedient sich einer gewalt- und kampfbereiten separatistischen Gruppierung in einem Nachbarland, rüstet sie aus und unterstützt sie, wenn notwendig, auch direkt. Das geschieht aber nie mit offiziellen, regulären militärischen Kräften. So schafft man rasch vollendete Tatsachen im Sinne der eigenen Interessen. Aller Empörung zum Trotz können strategische Ziele faktisch erreicht werden: Russland hat die Krim annektiert und in der Ostukraine wird der russische Einfluss so schnell nicht wieder schwinden. Bei einem derartigen „Erfolg“ sollte es nicht verwundern, wenn sich andere Mächte in ähnlichen Lagen ein Beispiel an dieser Vorgangsweise nehmen.

Ein Hacker vor einem Computer in einem dunklen Raum
Konflikte werden sich auch im Cyberspace abspielen und mit den Mitteln von Informationstechnologie geführt. © Getty Images

Angesichts solcher Beispiele, in denen staatliche Akteure sich nicht direkt an einem Konflikt beteiligen, muss eine weitere, wesentliche Komponente des aktuellen und zukünftigen Konfliktbildes erwähnt werden: der sogenannte Cyberwar, also die Nutzung moderner Elektronik zum Zweck des Kriegs. Die Verfügbarkeit hochentwickelter elektronischer Systeme, ihr verhältnismäßig geringer Preis und die Abhängigkeit moderner Gesellschaften von ihnen machen den Cyberspace zu einem der wichtigsten Schlachtfelder der Zukunft. Viele Planer, auch solche in militärischen und staatlichen Strukturen, erhoffen sich gerade angesichts der oben geschilderten Kosten militärischer Waffensysteme, einem Gegner zu einem Bruchteil dieser Kosten den eigenen Willen aufzwingen zu können.

Elektronik hat die Kriegsführung bereits entscheidend verändert und wird sie weiter verändern. Sie wird von der Planung über die Führung und Unterstützung des Einsatzes konventioneller Waffensysteme und Operationen verwendet, ebenso zur Aufklärung und Informationsgewinnung auf allen Ebenen. Neben der Artillerievorbereitung wird die Cybervorbereitung einer konventionellen Offensive entscheidend werden.

Fake News als Waffe

Nicht zuletzt spielen hier auch symbiotische und synergetische Wirkungen mit asymmetrischer und hybrider Kriegsführung hinein: Mit einem Bruchteil des Aufwands lassen sich potenziell ähnliche Wirkungen wie bei konventioneller Kriegsführung erzeugen. Man denke etwa an die sogenannte kritische Infrastruktur, die für die Bevölkerung wichtig ist. Die Urheberschaft von Angriffen lässt sich verhältnismäßig einfach verschleiern, Organisationen oder Unternehmen können vorgeschoben werden, deren Verbindung mit dem jeweiligen Staat kaum nachzuweisen ist.

Elektronik hat die Kriegsführung bereits entscheidend verändert und wird sie weiter verändern.

Eine erschreckende, neue Dimension einer strategischen Kriegsführung eröffnet sich darüber hinaus mit einer Einflussnahme auf die Gesellschaften der potenziellen Gegner durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. „Fake News“ und die Verbreitung von Falschmeldungen bilden dabei nur die relativ plumpe Testversion derartiger Methoden. Subtile, langfristig und besser geplante Vorgehensweisen könnten wesentlich nachhaltigere Wirkungen entfalten und die Glaubwürdigkeit und Stabilität der liberalen westlichen Gesellschaften weiter und potenziell entscheidend untergraben.

Was Kriege anheizt

Nur unverbesserliche Optimisten würden angesichts dieser Darstellungen eine friedliche Zukunft prognostizieren. Es ist eine gefährliche Kombination: Konfliktursachen wie Klimawandel, ungleiche Ressourcenverteilung oder soziale und ethnisch-religiöse Diskriminierung nehmen an Bedeutung zu; internationale Abkommen zur Rüstungskontrolle und -beschränkung werden gekündigt oder laufen ersatzlos aus; die einzig verbliebene Supermacht USA setzt auf militärische Dominanz und rüstet entsprechend der These, dass eine „Pax Americana“ das einzig selig machende Rezept für die Welt wäre, weiter auf. Während andere Großmächte versuchen, diese Dominanz zu verhindern.

Eine europäische Sicherheitspolitik, die hofft, von globalen Interessenkonflikten ausgespart zu bleiben oder sich nur auf internationales Recht oder traditionelle Verbündete verlässt, wäre naiv. Die aktuellen militärisch-technischen Entwicklungen laufen zunehmend auf eine Dominanz der USA, Chinas und Russlands hinaus. In einer globalen Konkurrenzsituation kann niemals völlig ausgeschlossen werden, dass eine solche Dominanz zur Durchsetzung der jeweiligen Interessen verwendet wird. Auch gegen jene Europas.

Europa ist bereits jetzt von den Konsequenzen der Konflikte erheblich betroffen. Zukunftssicherung im umfassenden Verständnis bedarf einer ausgewogenen, nicht offensiven, aber sehr wohl modernen und wirksamen militärischen Komponente. Wenn kein europäischer Staat für sich allein in der Lage ist, eine solche zu entwickeln, kann eine strategische Handlungsfähigkeit nur in einer gemeinschaftlichen europäischen Anstrengung hergestellt werden. Die Erkenntnis, dass ein angemessener Beitrag dazu eher im Interesse der einzelnen europäischen Bevölkerungen liegt als nationale Alleingänge, muss sich erst durchsetzen.

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Conclusio

Von Militärschlägen aus dem Weltraum über neue strategische Waffensysteme bis zu Cyberwar: Moderne Technologien machen Kriege wahrscheinlicher und die Konflikte potenziell zerstörerischer. Multinationale Organisationen wie die UNO, die eigentlich geschaffen wurden, um derartige Entwicklungen zu verhindern, sind gescheitert. Das ist eine gefährliche Mischung, gerade für Europa. Bei der weltweiten Modernisierung der militärischen Potenziale geht es um Summen, die kein europäischer Staat für militärische Zwecke aufbringen kann. Europa sollte die Option einer gemeinschaftlichen Anstrengung in Erwägung ziehen.