Immer sind die Amis schuld


Russland kämpft in der Ukraine, Israel im Gazastreifen, die ganze Welt gerät immer mehr aus den Fugen. Und wer ist schuld daran? Wahrscheinlich die Vereinigten Staaten, glauben viele Menschen. Antiamerikanismus in Europa hat eine lange Tradition.

Demonstranten halten 1982 in Frankfurt am Main ein Banner mit der Aufschrift „Colonialis- mus“ im typischen Schriftzug von Coca- Cola, um gegen die Einmischung der USA in Lateinamerika zu protestieren. Das Bild illustriert einen Beitrag über Antiamerikanismus.
Demonstranten halten 1982 in Frankfurt am Main ein Banner mit der Aufschrift „Colonialismus“ im typischen Schriftzug von Coca-Cola, um gegen die Einmischung der USA in Lateinamerika zu protestieren.
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Auf den Punkt gebracht

  • Tradition. Antiamerikanismus in Europa ist tief verwurzelt, oft verbunden mit Antisemitismus und Verschwörungstheorien.
  • Überlegenheitsdenken. Die USA werden von manchen Europäern als moralisch korrupt und als Symbol ungebremster Moderne kritisch betrachtet.
  • Verwandtschaft. Die Abneigung in Europa gegenüber den USA speist sich durch die kulturelle Nähe, die einen Minderwertigkeitskomplex bedient.
  • Kurzsichtig. Wer die USA nicht in der globale Führungsrolle will, denk selten an die möglichen und vermutlich schlechteren Alternativen.

Am 7. Oktober 2023 fielen Terroristen der Hamas in Israel ein, töteten mehr als 1.100 Juden und nahmen 239 Geiseln. Wer an diesem Tag die Täter waren und wer die Opfer, ist also völlig klar. Oder etwa nicht? Für einige propalästinensische Aktivisten gilt als ausgemacht, dass letztlich weniger die Hamas-Terroristen die Schuld an diesem Massaker tragen, sondern CIA und Mossad, die Geheimdienste der USA und Israels.

Auch die Alternative für Deutschland (AfD) ist ideologisch von diesen Hirngespinsten nicht weit entfernt. Hans-Thomas Tillschneider, stellvertretender AfD-Landes- und -Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, argwöhnte in einem Interview mit dem rechten Magazin Freilich, dass „die Amerikaner“ den Impuls für den Angriff der Hamas gegeben haben könnten.

Für manche Leute sind grundsätzlich die Vereinigten Staaten schuld, wenn irgendwo auf der Welt etwas Schlimmes passiert. Es überrascht also nicht, dass seit dem 7. Oktober viele Israelfeinde ihren Blick auf den vermeintlichen „Hauptdrahtzieher“ richten, die USA, den großen Bruder Israels in der westlichen Welt.

Antisemitismus und Antiamerikanismus gehen oft Hand in Hand.

Antisemitismus und Antiamerikanismus gehen oft Hand in Hand, wie etwa die Amadeu Antonio Stiftung schon vor dem 7. Oktober in einer umfangreichen Studie darlegte. Nicht zufällig sind Namen wie „Jewnited States of America“ und „USrael“ geprägt worden. Klischees vom „Globalisten“, „Ostküstenbankier“ oder der „jüdischen Lobby in den USA“ sind verbreitet und für die mit vagen Globalisierungsängsten kämpfende Mitte der Gesellschaft anschlussfähig. Seit der Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) 2013 verbreitet sich auch offener Antisemitismus unter einem demokratischen Deckmantel. Abgeordnete der Partei würden wiederholt antisemitische Codes verwenden, eingebettet in antiamerikanische Parolen, sagen Kritiker. 

Täter-Opfer-Umkehr

Die Reflexe der Amerika-Hasser sind gut eingeübt. Wir erinnern uns: Kurz nach dem 11. September 2001 hatten Gerüchte die Runde gemacht, wonach nicht etwa al-Qaida die Flugzeuge zum Absturz gebracht und das World Trade Center zerstört habe, sondern die CIA – mit klandestiner Unterstützung des Mossads, versteht sich. Mit welcher Absicht? „Ist doch klar. Die Bush-Administration brauchte einen Reichstagsbrand, einen monströsen Vorwand, um im Mittleren Osten einzumarschieren“, resümierte der Publizist Jochen Bittner voll bitterer Ironie.

Der Soziologe Anton Landgraf sah in der Täter-Opfer-Umkehr rund um den 11. September durch unterschiedliche Vertreter des linken Spektrums eine klammheimliche Freude darüber, dass es bei den Anschlägen doch irgendwie die Richtigen getroffen habe. Anhänger solcher Verschwörungsideen hielten später auch den IS für ein Produkt der imperialistischen US-Politik.

Vertrauenerweckender als die USA ist für viele Europäer laut einer von der Atlantik-Brücke beauftragten Studie die Volksrepublik China. Fast die Hälfte der Befragten (42 Prozent) glaubt, dass China ein besserer Partner für Deutschland sei als die USA. Nur 23 Prozent vertreten umgekehrt die Meinung, dass die USA ein verlässlicherer Partner sind als China. Die Wähler der Linken haben mit 56,3 Prozent das größte Vertrauen in die Volksrepublik. Ein ähnliches Meinungsbild zeigte die jüngste Pragmaticus-Umfrage für Österreich: Jeder Fünfte sieht die USA als größte Bedrohung für den Weltfrieden, nur sechs Prozent schreiben China diese Rolle zu. – Russland kommt noch schlechter weg.

Verständnis für Moskau

Knapp 85 Prozent der in Deutschland Befragten bewerten zudem das transatlantische Verhältnis als „eher negativ“ bis „sehr negativ“. Nur zehn Prozent halten es für „eher positiv“ bis „sehr positiv“. Mehr als die Hälfte der Befragten (58 Prozent) plädiert für eine Distanzierung von den Vereinigten Staaten. Nur in einem Nato-Land genießen die USA ein noch schlechteres Ansehen als in Deutschland: in der Türkei.

Die Reaktionen auf den russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zeigten einmal mehr, wie reflexhaft sich antiamerikanische Ressentiments breitgemacht haben. Die eigentlichen Drahtzieher und Profiteure des Krieges seien natürlich die USA mit ihrer Rüstungsindustrie, hieß es in einschlägigen Kreisen. Unter dem Vorwand, die Ukraine zu beschützen, wollten die Amerikaner lediglich Russland entmachten. Die Wirtschaftssanktionen seien auch nur verhängt worden, um mehr amerikanisches Flüssiggas zu verkaufen. Nord Stream 2 galt den Vertretern dieser Denkschule hingegen als russisch-deutsches Friedensprojekt. 

Solche Ansichten sind in nuancierter Form bis weit in die bürgerliche Mitte zu finden. Auch einige prominente Intellektuelle und Politiker halten Russland im Ukrainekrieg für ein Opfer der Vereinigten Staaten. 

Moralisch verdorbener Westen

Woher kommt die Abneigung? Mit konkreten innen- oder außenpolitischen Verfehlungen der USA – und da gäbe es in der Tat einige zu nennen – haben die antiamerikanischen Reflexe eher wenig zu tun, denn dann könnte man sich ja auch über die Unterdrückung der Uiguren empören, die Behandlung von asiatischen Arbeitskräften („moderne Sklaven“) auf der Arabischen Halbinsel oder den Umgang mit den Dalit in Indien, um ein paar Beispiele zu nennen. Wie so oft geht es bei diesen Ressentiments nicht in erster Linie um Fakten, sondern um Gefühle.

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Zahlen & Fakten

So stehen Österreicher zu den USA

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Alle Ergebnisse der Pragmaticus-Umfrage finden Sie hier.

Der Publizist Ian Buruma und der Philosoph Avishai Margalit haben sich in ihrem bekannten Werk Okzidentalismus mit den Ursachen für die weit verbreitete Ablehnung des Westens, allen voran der USA, auseinandergesetzt. „Okzidentalismus“ definieren sie als Hass auf die Errungenschaften liberaler Gesellschaften, den auch manche westliche Intellektuelle teilen. In den Augen der Okzidentalisten sei der Westler wurzellos, oberflächlich, gottlos, materialistisch, zügellos; sie identifizierten ihn mit Götzendienst, Kommerz, Areligiosität. Viele der Vorstellungen von „dem“ Westen sind auffallend deutlich antisemitischen Vorurteilen entlehnt. Liberalismus-Ressentiments hätten eine lange Tradition, vor allem in Deutschland, so die Autoren.

Antiamerikanismus mit Tradition

Dem Zerrbild der USA als Sinnbild einer „entfesselten“, ungezügelten Moderne, als Symbol von Entfremdung, Entwurzelung und Beschleunigung stehen bis heute die Ausläufer des Deutschen Idealismus gegenüber (mit Begriffen wie Volk, Boden, Heimat, Wald, dem poetischen Wolkenkuckucksheim).

Diese von alteuropäischem, vor allem altdeutschem Dünkel geprägte Haltung findet sich in diesem erstaunlich aktuell klingenden Zitat wieder: „Wir würden nichts sagen, wenn die USA sich ihrer intellektuellen und moralischen Mängel bewusst wären und sich bemühen würden, erwachsen zu werden. Aber es ist zu viel, wenn sie sich gegenüber einem Teil der Erde, der einige tausend Jahre glorreicher Geschichte hinter sich hat, in unverschämter Weise verhalten und versuchen, ihm moralische und intellektuelle Lektionen zu erteilen, sei es aus Unschuld oder aus einem völligen Mangel an echter Kultur und Bildung. Die Fehler der Jugend kann man verzeihen, aber dieses Maß an Arroganz geht einem auf die Nerven.“ Das Zitat stammt von Joseph Goebbels.

Geschwafel vom Sündenbabel

Auf dem Obersalzberg schwafelte Hitler vom jüdischen Sündenbabel New York, das er gern in Flammen aufgehen sehen wollte. Für den Rassisten und Provinzler Hitler waren die USA ein verdorbenes Vielvölkergemisch, eine Art großes Wien. Doch Antiamerikanismus ist keine Erfindung der deutschen politischen Unkultur allein, auch wenn er in deutschen Landen besondere Blüten trieb.

Die Urteile über Amerika haben sich in den letzten 200 Jahren kaum verändert, stellte der deutsch-israelische Historiker Dan Diner fest. Sie passten sich nur dem jeweiligen politischen Kontext an. Schon im frühen 19. Jahrhundert begann Europa, das irritierend junge und erfolgreiche Land als Negation der eigenen Identität wahrzunehmen. Es etablierte sich das Grundmuster, Amerika als Sinnbild einer entfesselt dynamischen Moderne zu verstehen. Je nach politischer Couleur und Epoche wurden die USA stets mit Oberflächigkeit, Kulturlosigkeit und schnödem Materialismus in Verbindung gebracht. Immer wieder fungiert der ferne Vielvölkerstaat als Metapher für „Entfremdung“.

Die USA werden in dieser Sicht auch zur „vorgeschobenen Bastion jüdischer Weltherrschaft“, betont der Historiker: Amerika wurde und wird als uneinnehmbarer und machtvoller Ort verteufelt, an dem „einflussreiche Juden die Weltherrschaft zu erlangen“ suchten. Hinter den Ressentiments stecken oft vielfältige Ängste vor Identitäts- und Heimatverlust. Europa blickt laut Dan Diner mit einer Mischung aus Neid und Verachtung auf die Neue Welt.

Überlegen und gleichzeitig beleidigt schaut man über den Atlantik wie von der Balkonbrüstung im Altbau hinüber zum „neureichen Nachbarn“ ohne Manieren im Betonklotz. Dieser Dünkel sei in Deutschland ausgeprägter als in anderen europäischen Ländern, meint der Historiker. Er führt das nicht zuletzt auf die zusätzlichen Kränkungen durch zwei verlorene Kriege und den demütigenden Umstand zurück, eine amerikanische Gründung zu sein.

Europäische Komplexe

Deutschland versucht den Minderwertigkeitskomplex zu kompensieren, indem es sich auf eingebildete „höhere Werte“ sowie auf eine angeblich höhere moralische Integrität beruft. Auf die vermeintliche kulturelle Überlegenheit. Auf den besseren, rheinischen Kapitalismus. Wie tief verankert und salonfähig das dumpfe antiamerikanische Ressentiment in Deutschland ausgeprägt ist, ließ sich unter anderem am Erfolg des später gestrauchelten Spiegel-Journalisten Claas Relotius ablesen, der besonderen Leserzuspruch für erfundene Reportagen über sehr unsympathische, debil-blöde Amerikaner erhielt. Das kam gut an. Das war preiswürdig. Zu Recht sprach der amerikanische Botschafter hier von Antiamerikanismus.

Die Abneigung innerhalb der westlichen Sphäre gegenüber den USA entsteht auch durch Nähe: Die USA sind uns kulturell und habituell viel näher als beispielsweise Chinesen oder Inder. Während man sich bei „exotischeren“ Ländern mit Tadel zurückhält (wann wurde etwa deutliche Kritik an den Jahr für Jahr über 5.000 vollstreckten Todesurteilen in China laut? Wer geht dagegen auf die Straße?), schaut man lieber zu den „Verwandten“.

Kritik an den USA wird gern in Levi’s-Jeans vor dem Apple-Notebook formuliert, während im Hintergrund Rihanna läuft.

Die meisten Amerikaner haben europäische Wurzeln, viele Familien sind erst vor drei, vier Generationen in die Neue Welt ausgewandert. Im verspotteten Mittleren Westen, dem Zentrum der Trump-Wähler, bilden die Deutschstämmigen übrigens die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe. Die USA abzulehnen ist im Falle von Alte-Welt-Bewohnern eine Form von projiziertem Selbsthass. Die Nähe spiegelt sich in Europa, insbesondere in Deutschland, in der mannigfachen Übernahme amerikanischer Produkte, von Kultur- und Konsumgütern, die man ebenso ablehnt, wie man sie begehrt. Man schwankt zwischen konsumbefriedigter Behaglichkeit und miesepetrig-moralisierendem Postmaterialismus. Die USA sind wie ein großer ungeliebter Halbbruder, der gleichzeitig alles besser und schlechter macht als man selbst. Sich von ihm zu emanzipieren, traut man sich aber auch nicht.

Wo wären wir ohne die USA?

Der Abgesang auf Amerika hat in Europa viele Fans. Leider wird nie über den Tag X hinausgedacht. Wird der Kapitalismus untergehen, wenn es den USA schlechter geht? Wohl kaum. Wie die Alternative zum „westlich-kapitalistischen“ Lebensentwurf, für den die USA gern als Sinnbild empfunden werden, konkret aussehen könnte, wird wenig antizipiert. Auch wird die Kritik gern in Levi’s-Jeans vor dem Apple-Notebook formuliert, während im Hintergrund Rihanna läuft. 

Konsequente Globalisierungs- und Kapitalismuskritik sähe anders aus, würde uns aber in nationalistisch-dunkle Zeiten zurückbefördern. Wollen wir tatsächlich nur noch Walzer statt Jazz, Rock und Hip-Hop?

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Conclusio

Egal ob es um Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober oder sogar den Terror des 11. September 2001 geht: Teile der politisch linken und rechten Ränder geben die Schuld daran den USA. In diesen Kreisen sind die Vereinigten Staaten ein Bösewicht, der dem Rest der Welt nur Schaden zufügen will. Oft geht der Antiamerikanismus Hand in Hand mit dem Antisemitismus. Mit legitimer Kritik an der amerikanischen Außenpolitik hat diese Haltung nichts mehr zu tun. Sie wurzelt vielmehr in historischen Ressentiments und Vorurteilen gegenüber den vermeintlich kulturlosen USA. Der Antiamerikanismus ist ein dumpfes Gefühl, das völlig außer Acht lässt, wie die Welt ohne die kulturellen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beiträge der USA aussehen würde.

Mehr zum Thema Antisemitismus: Der Pragmaticus Podcast

Gesellschaften zerbrechen, wenn Gewalterfahrungen tabuisiert werden. In diesem Podcast mit der Historikerin Mirjam Zadoff geht es um die zerstörerische Kraft von Gewalt und die Chance der Erinnerung für die Demokratie. Zadoff, die das NS-Dokumentationszentrum München leitet, sieht die Auseinandersetzung in Deutschland und in Österreich als noch abgeschlossen an. Das verstärkt die Polarisierung der Gesellschaft, und der vorhandene Antisemitismus kommt offen zum Ausdruck.

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