Erkenntnis braucht keinen Zeitgeist

Zeitgeist und Politik geben die Richtung vor: Kernphysiker bekommen für ihre Forschung fast kein Geld mehr, Öko-Lobbyisten und Weltretter werden hofiert.

Die Illustration zeigt einen mit Geld gefüllten Tresor, der mit Ketten und Vorhängeschloss verschlossen ist. Das Bild illustriert einen Kommentar über die Verteilung der Fördergelder in der Forschung.
Allein dadurch, dass Fördermittel nach politischem Kalkül verteilt werden, bleibt es nicht aus, dass bestimmte Forschungsbereiche viel und andere wenig bekommen. © Michael Pleesz

Von Albert Einstein stammt der schöne Satz: „Wenn wir wüssten, was wir tun, wäre es keine Forschung.“ Und tatsächlich entstanden viele wissenschaftliche und technologische Durchbrüche aus Versehen. Porzellan wurde erfunden, weil die Alchemisten Gold herstellen wollten. Tesafilm sollte ursprünglich Heftpflaster werden. Viagra wurde entdeckt, weil männliche Versuchspersonen ein Herzmedikament in der Testphase partout nicht mehr absetzen wollten.

Schon allein deshalb ist die Freiheit der Wissenschaft ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Zunächst die positive Nachricht: Der Akademische Freiheitsindex (AFI), der den Grad der Forschungsfreiheit in 177 Ländern misst, nimmt in Deutschland erfreulicherweise einen Spitzenwert ein. Gekaufte Forschung, verfälschte Studienergebnisse oder gezielte Unterschlagung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sind an unseren Universitäten nicht zu erkennen.

Unerwünschte Forschung

Der deutsche Wissenschaftsbetrieb ist überwiegend staatlich finanziert. In den USA ist das etwas anders. Dort ist es üblich, dass Forschungseinrichtungen in hohem Maße auch von privatwirtschaftlichen Unternehmen Gelder erhalten. Die Universität von Stanford zum Beispiel wird seit jeher vom Silicon Valley unterstützt. Es liegt auf der Hand, dass dadurch eine Menge Forschungsprojekte interessengeleitet sind.

Doch verhält es sich grundsätzlich anders, wenn das Geld vom Staat kommt? Ist ein Wissenschaftssystem, das fast ausschließlich durch die Politik finanziert wird, wirklich komplett unabhängig? Hat nicht auch die Politik starkes Interesse daran, zu bestimmen, welche Technologien sie nach vorne bringen möchte oder welche wissenschaftlichen Bereiche nicht förderungswürdig sind?

Politik mit Fördergeldern

Selbstverständlich haben es heutzutage Forscher, die an regenerativen Energien, an Biolandwirtschaft, an der Mobilitätswende oder an Elektromobilität arbeiten, einfacher, an Forschungsgelder zu kommen, als Kernphysiker, Pflanzengenetiker oder Maschinenbauer in der Dieseltechnologie.

Das bedeutet natürlich nicht automatisch, dass die Politik der Wissenschaft Ergebnisse diktiert. Doch allein dadurch, dass Fördermittel nach politischem Kalkül verteilt werden, bleibt es nicht aus, dass bestimmte Forschungsbereiche viel und andere wenig bekommen. Das macht es Wissenschaftlern, die in politisch unerwünschten Bereichen forschen, schwer bis unmöglich, ihre Ideen zu verfolgen – allein schon deswegen, weil sie gewisse Projekte nicht finanziert bekommen, weil deren Fachbereiche aufgelöst werden oder man ihr Forschungsgebiet gar als verwerflich ansieht.

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Zahlen & Fakten

Rebellen der Forschung

Porträt von Galileo Galilei

Galileo Galilei

„Lebenslanger Hausarrest“ lautet 1616 das Urteil der katholischen Kirche gegen den Mathematiker, Physiker und Astronomen Galileo Galilei nach der Veröffentlichung des „Dialogo“ (Dialog Galileo Galileis über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische). Sein Vergehen: Er erschüttert das Weltbild der Kirche, demzufolge sich das Universum um die Erde (und damit um den Menschen) dreht. Seit 1609 hat Galilei mit einem von ihm konstruierten Teleskop den Himmel beobachtet. Er beschreibt Krater auf der Mondoberfläche, Sonnenflecken, Saturnringe und entdeckt die vier größten Jupitermonde. Seine Beobachtungen bestätigen das Weltbild des Nikolaus Kopernikus, weshalb er ins Visier der Inquisition gerät. Der Papst erlaubt Galilei die Forschung nur unter der Bedingung, seine Entdeckungen als bloße Hypothese zu veröffentlichen. Mit dem „Dialogo“ unternimmt der gläubige Astronom einen „geradezu schalkhaften Versuch“, das Verbot, für Kopernikus’ Lehren einzutreten, „scheinbar zu befolgen, sich de facto jedoch darüber hinwegzusetzen“ (Albert Einstein im Vorwort einer Ausgabe von 1953). Galilei stirbt 1642. 350 Jahre später wird er von der Kirche rehabilitiert.

Natürlich bestanden diese Abhängigkeiten schon immer. In der Nachkriegszeit war es die Kernenergie, deren Erforschung in hohem Maße staatlich gefördert wurde. Heute ist es der ökologisch-industrielle Komplex, der mit Fördergeldern überschüttet wird.

Wer ist hier der Lobbyist?

Vielleicht mit einem Unterschied: Wenn in den 1970er-Jahren ein Wissenschaftler Kernenergie als die Lösung des Energieproblems propagierte, dann wurde von der Öffentlichkeit üblicherweise (und zu Recht) die kritische Frage gestellt, wie unabhängig er denn wirklich sei. Ob er vielleicht sogar ein Atom-Lobbyist wäre.

Wenn dagegen heute ein Forscher die deutsche Energiewende als die Lösung des Klimaproblems propagiert, dann ist er in den Augen vieler kein Öko-Lobbyist, sondern ein selbstloser Weltretter.

Übrigens: Die Gesamtsubventionen für die deutsche Kernforschung wurden laut Greenpeace (sicher keine Atomlobby) auf 320 Milliarden Euro geschätzt, und zwar im Zeitraum von 1950 bis 2010 – eine Summe, die der Staat für die Erneuerbaren innerhalb von deutlich weniger Jahren ausgegeben hat.

Mittlerweile haben sich viele Bereiche des Wissenschaftsbetriebs auf das Thema eingestellt. Es gibt Lehrstühle für regenerative Energiesysteme, Arbeitsgruppen für Gender und Klimagerechtigkeit und Institute für Umweltökonomie. An Universitäten beschäftigen sich unzählige Geistes- und Naturwissenschaftler mit dem Thema. Der akademische Zeitgeist ist vorwiegend grün. An der TH Bingen kann man einen Bachelor in Klimaschutz und Klimaanpassung machen, die Uni Kiel bietet den Masterstudiengang „Climate Physics“ an, und in Berlin, Darmstadt und Eberswalde kann man sich zum Nachhaltigkeitswissenschaftler ausbilden lassen. Studieren für eine bessere Welt.

Als Wissenschaftskabarettist komme ich regelmäßig mit dem deutschen Wissenschaftsbetrieb in Kontakt. In vielen Gesprächen höre ich immer wieder, dass in der akademischen Welt bei Themen wie Energieversorgung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein erheblicher Gruppendruck entstanden ist, der es alternativen Denkern und Verfechtern anderer Konzepte immer schwerer macht, aus dem allgemeinen Meinungskonsens auszubrechen.

Vier von zehn fühlen sich unfrei

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach fühlen sich 40 Prozent der Hochschullehrer durch den allgemeinen Zeitgeist in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. 18 Prozent sind sogar der Auffassung, dass dieser Zeitgeist verhindert, bestimmten Forschungsfragen nachzugehen. Für die Wissenschaft ist das fatal, denn dort sollte es ja eigentlich darum gehen, immer wieder die bestehenden Theorien und Konzepte offen zu diskutieren, zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Klimaforschung ist objektive Wissenschaft. Klimapolitik dagegen ist subjektiv, unscharf und verhandelbar.

Bei Energiewende und Klimaschutz hat die Politik große Erwartungen an die Wissenschaft. Doch die Wissenschaft kann keine Patentrezepte, geschweige denn -lösungen anbieten, wie wir unsere Zukunft gestalten sollen. Sie bietet lediglich Methoden an, um immer bessere Erkenntnisse zu gewinnen, auf deren Basis wir neue Wege für die Zukunft definieren können. Doch diese Zukunft ist und bleibt offen, weil die gefundenen Erkenntnisse immer nur vorläufig sind.

Klimaforschung ist objektive Wissenschaft. Klimapolitik dagegen ist subjektiv, unscharf und verhandelbar. Wer beides bewusst miteinander vermischt oder gar gleichsetzt, gewinnt vielleicht die Sympathien der Öffentlichkeit, aber er missbraucht damit die Wissenschaft für populistische Zwecke.

Der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld sagte dazu: „Als Methode ist die Wissenschaft sehr erfolgreich. Wir verdanken ihr einen enormen Gewinn an Lebensqualität und Lebensverlängerung. Wissenschaft ist aber kein politisches Programm, das man zur Steuerung der Gesellschaft einsetzen kann.“ Als politisches Programm – „Follow the Science“ – zerstört die Wissenschaft sich selbst und die Gesellschaft gleichermaßen.

Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, sieht das anscheinend anders. Bereits 2010 machte er in einem Interview keinen Hehl daraus: „Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen um.“ Das zeigt, dass in den Klimawissenschaften das politische Programm eine große Rolle spielt, die sich mit der Unabhängigkeit der Wissenschaft so gar nicht verträgt.

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