Artenschutz in 3D: Gedruckte Riffe und Nester
Viele Wildtiere leiden unter der Zerstörung ihres Lebensraums. Wissenschaftler versuchen nun, dem Artenschutz mittels 3D-Druck unter die Arme zu greifen.
Auf den Punkt gebracht
- Verlorener Lebensraum. Durch die Dominanz des Menschen verlieren viele Tiere ihre Ökosysteme.
- Künstliche Behausungen. Mithilfe von 3D-Druck versuchen Forscher nun, Tieren an sie angepasste Behausungen zu bauen.
- Maßanfertigungen. Die Technologie ermöglicht es, unkompliziert verschiedene Prototypen zu erstellen.
- Kein Ersatz. So sehr diese Möglichkeiten beim Artenschutz helfen, sie werden nie den Versuch ersetzen können, Umweltzerstörungen zu minimieren.
Schicht für Schicht trägt ein überdimensionaler 3D-Drucker nachhaltigen Zement in einem komplexen sechseckigen Muster auf. An drei langen Armen schwebt er spinnenartig über einer großen Kiste und lässt langsam eine dunkle, graue Struktur entstehen: ein künstliches Korallenriff. Nach dem Druck wird dieser einen Kubikmeter große Riffblock von seinem Entstehungsort an der Universität von Kantabrien (Spanien) in den Süden von Großbritannien transportiert, wo er in den Tiefen des Ärmelkanals versenkt wird. In den trüben Gewässern navigiert ein Taucher das sechseckige Riff vorsichtig an seinen richtigen Platz.
Mehr im Dossier 3D-Druck
Optisch erinnert es zwar mehr an eine Höhlenbehausung als an etwas, was man beim Tauchen entdecken könnte, aber die Meeresbewohner des Ärmelkanals nehmen die 3D-gedruckte Struktur durchaus zur Kenntnis: Innerhalb weniger Tage ziehen die ersten Krebse ein. Nach zwei Jahren leben bereits mehr als hundert Arten auf dem künstlichen Riff – von Goldmaiden (hübsch gemusterten Fischen) über Samtkrabben bis hin zu seltenen Austern, die in diesem Gebiet heimisch sind.
Künstliche Lebensräume für den Artenschutz
Von Korallenriffen über Eulennester bis zu Bienenstöcken: Wissenschaftler und Ingenieure auf der ganzen Welt drucken derzeit künstliche Zufluchtsorte für Wildtiere in 3D, um Lebensräume zu ersetzen, die durch Waldbrände, Korallenbleichen und menschliches Bauen verlorengegangen sind. Sicher wäre es besser, den Tieren natürliche Unterschlupfe zu bieten, die mit jenen identisch sind, die sie verloren haben, aber das ist alles andere als einfach.
Es kann fünfhundert Jahre dauern, bis sich eine für Eulen geeignete Baumhöhle gebildet hat. Felsen mit tierfreundlichen Spalten, die oft verlorengehen, wenn der Mensch seine Straßen und Ortschaften baut, entstehen auf natürliche Weise durch Feuer oder Blitzschlag. Aber diese Prozesse laufen in geologischen Zeiträumen ab und dauern sehr lange. Korallen etwa wachsen nur 0,3 bis 2 Zentimeter pro Jahr.
Seit langem ist der Mensch bemüht, großen und kleinen Lebewesen künstliche Lebensräume zu bieten, in der Hoffnung, das Aussterben von Arten zu verhindern und Ökosysteme gesund – oder zumindest gesünder – zu halten. Im einfachsten Fall handelte es sich dabei um hölzerne Nistkästen für Vögel, wie man sie in Hinterhöfen findet. Das hat oft gut funktioniert. Der in den Schweizer Alpen heimischen Population einer Wiedehopfart (zimtfarben mit beeindruckender Krone) verhalf man in den frühen 2000er-Jahren mit solchen einfachen Nistkästen zu einem fast sechsfachen Anstieg der Population.
Eine U-Bahn unter Wasser
Was die Korallenriffe betrifft, so haben die Menschen seit der Jungsteinzeit versucht, sie durch eigene Produktionen zu ersetzen. Unsere Vorfahren versenkten vor der Küste Afrikas Felsbrocken, um Fische anzulocken. Später, im Japan des 16. Jahrhunderts, wurden alte Schiffe auf Grund gesetzt, um die Fischbestände wieder aufzufüllen (wie Ihnen jeder Taucher bestätigen wird, lieben die Meeresbewohner Schiffswracks).
In Delaware wurden Hunderte von alten New Yorker U-Bahn-Waggonen unter Wasser gesetzt.
Bis heute lassen wir gerne nutzlos gewordene Fortbewegungsmittel zur Verjüngung der Meeresfauna und -flora einfach untergehen. In der Türkei wurde ein Militärflugzeug vom Typ C-47 Dakota vor der türkischen Küste ins Mittelmeer gestürzt. In Florida wurde 2006 die „Oriskany“, ein ausgemusterter Flugzeugträger der US-Marine, der bis zu 80 Flugzeuge aufnehmen konnte, versenkt, um ein künstliches Riff zu schaffen. Und in Delaware wurden Hunderte von alten New Yorker U-Bahn-Waggonen unter Wasser gesetzt. Im Jahr 2018 gab es weltweit mehr als tausend künstliche Riffe mit einer Fläche von mindestens 32.000 Quadratkilometern; das entspricht etwa der Fläche Belgiens.
Zahlen & Fakten
Doch in einigen Fällen erwiesen sich solche künstlichen Zufluchtsorte, darunter auch Riffe, nicht nur als wenig hilfreich, sondern sogar als schädlich für die Tiere, denen sie eigentlich dienen sollten. In den 1970er-Jahren wurden vor der Küste Floridas zwischen ein und zwei Millionen Autoreifen versenkt, um neue Lebensräume für Fische zu schaffen. Das Projekt war ein kolossaler Misserfolg. Nicht nur dass sich auf dem Gummi keine Arten ansiedelten, schleuderten tropische Stürme die Reifen auch noch gegen bestehende Korallenriffe, wodurch sie beschädigt wurden.
Überhitzte Fledermäuse
Und im Jahr 2013 entdeckten Forscher, die Nistkästen für Fledermäuse untersuchten, dass die Innentemperatur solcher Unterschlupfe in der Hitze eines spanischen Sommers auf glühende 47 Grad Celsius ansteigen konnte. Die Wissenschaftler beobachteten, wie 22 überhitzte Fledermäuse aus den Kästen fielen. Zwei der Tiere starben.
In der Vergangenheit hatten solche Projekte auch mit den Beschränkungen zu kämpfen, die sich aus den für ihre Konstruktion verwendeten Materialien ergaben. Es ist nicht einfach, eine Mulde oder einen Nistkasten zu bauen, der sowohl einfach zu installieren als auch kostengünstig ist und den Tieren ein optimales Innenklima sowie Schutz vor Schädlingen und Raubtieren bietet.
Und hier kommt nun die Technologie ins Spiel: „Das Schöne am 3D-Druck ist, dass man ganz einfach eine Reihe von Versionen mit leichten Unterschieden herstellen kann, die man dann testen und vergleichen kann“, sagt David Watson, Umweltwissenschaftler an der Charles Sturt University in Australien. Watson und seine Kollegen entwarfen mithilfe des 3D-Drucks neun Prototypen von Nistkästen für hohlraumbewohnende Tiere wie den australischen Streifenpanthervogel und den Schmalfuß-Federschwanz-Gleitbeutler (das kleinste gleitende Säugetier der Welt).
Die Forscher druckten Nistkästen unterschiedlicher Bauart aus Kunststofffilamenten und verglichen deren Leistung in Bezug auf die Innentemperatur und die relative Luftfeuchtigkeit. „Das macht die Prototyping-Phase viel effizienter“, sagt Watson.
Ein Nest für den Riesenkauz
Der 3D-Druck ermöglicht auch eine bessere Nachbildung der Natur – und eine viel einfachere Installation im Vergleich zu den sperrigeren traditionellen Nistkästen. Als australische Designer und Ökologen ein Nest für den Riesenkauz, die größte Eule Australiens, entwerfen wollten, scannten sie zunächst einen Eukalyptusbaum in 3D, um die perfekte Form für das Nest zu finden. Nach dem Entwurf wurde das Modell in 3D aus einem Holz-Zement-Verbundstoff gedruckt, einem Material, das dem Kratzen und Kauen der Eulen standhält und gleichzeitig eine gute Drainage und Belüftung gewährleistet.
Das Nest ist für eine vierköpfige Familie (zwei Eltern und zwei Jungtiere) ausgelegt, verfügt über eine abgerundete Eingangskante für eine einfache Landung, eine raue Innenseite zum Kratzen, einen Lüftungskamin und eine Plattform zum Füttern. Jetzt will das Team weitere Prototypen aus biologisch abbaubaren Materialien wie Myzel, einem Netzwerk aus Pilzfäden, in 3D drucken.
Der 3D-Druck künstlicher Lebensräume kann auch die Forschung unterstützen. Um zu untersuchen, wie sich die Innentemperatur in Nistkästen auf Luzerne-Blattschneiderbienen auswirkt – eine Bienenart, die in der Landwirtschaft häufig zur Bestäubung eingesetzt wird –, druckten Wissenschaftler der North Dakota State University Nistkästen, in denen sie Temperatursonden montierten, um das Innenklima in allen 144 Hohlräumen zu überwachen.
Bessere Bienenstöcke
Die Wissenschaftler konnten nun vergleichen, wie die Temperatur je nach Lage der Nisthöhle variierte, und untersuchen, was die Bienen tatsächlich bevorzugten. In Zukunft könnten solche Erkenntnisse den Forschern dabei helfen, bessere kommerzielle Bienenstöcke zu entwerfen, die den Herausforderungen der durch den Klimawandel verursachten Wetterextreme standhalten.
Die düstersten Prognosen sehen bis 2055 so gut wie alle Korallen in Gefahr.
Der 3D-Druck verspricht zwar auch bessere künstliche Zufluchtsorte für Landlebewesen, doch die Technologie ist am weitesten fortgeschritten, wenn es um Meeresbewohner geht – eben bei der Herstellung künstlicher Korallenriffe. Und solche Lösungen werden dringend benötigt. Nach den günstigsten Prognosen könnten bis zum Jahr 2100 über 40 Prozent der weltweiten Korallenriffe ungeeigneten Lebensbedingungen ausgesetzt sein.
Die düstersten Prognosen sehen bis 2055 so gut wie alle Korallen in Gefahr. Die Riffe sind mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die mit dem Klimawandel und der Umwelt/qverschmutzung zusammenhängen – angefangen bei thermischem Stress und stärkeren Stürmen, die ihre Struktur beschädigen, bis hin zum Anstieg des Meeresspiegels, der den Abfluss von Sedimenten erhöht und die Korallen im Grunde erstickt.
Künstliche Riffe tragen unter anderem dazu bei, die Natur zu retten, indem Taucher sie auf von Menschen geschaffene Strukturen umleiten. Freizeittaucher fügen den von ihnen besuchten Riffen erheblichen Schaden zu: Laut Studien beschädigen Anfänger die Korallen bei einem von sechs Tauchgängen – im Vergleich zu einem von 123 Tauchgängen bei erfahrenen Tauchern. Amateur-Unterwasserfotografen sind das größte Risiko; bei neun von zehn Tauchgängen verursachten sie Schäden.
Um derartige Zerstörungen zu vermeiden, wird versucht, Anfänger auf künstliche Riffe zu lenken. Viele dieser Strukturen sind jedoch eher unansehnlich und bestehen im Grunde nur aus rostigen Metallkäfigen oder gestapelten Betonblöcken.
Die Riffe müssen komplex sein
Mit 3D-Druck ist es nun möglich, die Formen und Strukturen von Korallenriffen bis ins kleinste Detail nachzubilden – was sie für Sporttaucher viel attraktiver machen könnte. Noch wichtiger ist jedoch, dass die strukturelle Komplexität, die der Natur sehr ähnlich ist, auch die Artenvielfalt fördern kann. Herkömmliche künstliche Riffe bieten den Meeresbewohnern nicht alle Lebensräume, die sie mögen – voll mit Spalten und Löchern, Ecken und Ritzen. Die Forschung zeigt jedoch, dass die Artenvielfalt umso größer wird, je komplexer das Riff ist.
Nach nur sechs Wochen gab es auf dem künstlichen Mini-Riff genauso viele Fische wie auf dem natürlichen.
Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse hat ergeben, dass die Fischdichte, die Artenvielfalt und der Artenreichtum in künstlichen Riffen gleich hoch sein können wie in der Natur, wenn die Nachbildung gut gemacht wurde.
Um eine perfekte, in 3D gedruckte Kopie eines Korallenriffs zu erstellen, schickt man zunächst Taucher los, um 3D-Bilder von bestehenden Riffen zu machen. Anschließend wird eine digitale Version des Riffs erstellt, die als Modell für den 3D-Druck verwendet werden kann. Diese Technik wurde beispielsweise von Forschern in Puerto Rico eingesetzt, die mit einem kleinen Desktop-3D-Drucker sechs künstliche Korallen aus Plastikfäden herstellten.
Dabei handelte es sich um exakte Kopien einer bedrohten karibischen Korallenart. Die Wissenschaftler setzten die 3D-gedruckten Korallen einen halben Meter vom natürlichen Riff entfernt ins Wasser und beobachteten mit GoPro-Kameras, welche Arten einziehen würden. Nach nur sechs Wochen gab es auf dem künstlichen Mini-Riff genauso viele Fische wie auf dem natürlichen.
Ein Unterwasser-Lego
Die 3D-gedruckten Korallen aus Puerto Rico waren mit einer Höhe von nur zwanzig Zentimeter winzig, doch das Prinzip funktioniert auch in wesentlich größerem Maßstab: Das französische Unternehmen XtreeE verwendete seine sechsachsigen 3D-Roboterdrucker, die eine Reichweite von bis zu sechs Metern haben, um 32 Korallenriffeinheiten aus Beton zu drucken, von denen jede ein Volumen von mehr als zwei Kubikmetern hat (zugegebenermaßen sahen sie nicht sehr korallenartig aus).
Die Einheiten wurden vor der Küste Südfrankreichs unter Wasser gesetzt. Ein anderes Riff, das in Australien gedruckt wurde und den eher unozeanischen Namen Mars (kurz für Modular Artificial Reef Structure) trägt, wurde aus sehr realistisch aussehenden Elementen gebaut, die wie ein riesiges Unterwasser-Lego zusammenpassen – was den Transport und die Installation erleichtert.
Es wäre widersinnig, Emissionen zu erzeugen, während man versucht, vom Klimawandel bedrohte Riffe zu retten.
Ein weiterer Vorteil des 3D-Drucks von Korallenriffen ist die große Flexibilität bei der Materialauswahl.„Der 3D-Druck ermöglicht eine viel kontrolliertere Anpassung und eine Reihe von Materialien“, sagt Natalie Levy, Nanotechnikerin an der University of California, San Diego. Dies könnte zu geringeren CO²-Emissionen und weniger Abfall führen. Hingegen hat die Produktion von Zement einen enormen CO²-Fußabdruck; jede Tonne verursacht 0,6 Tonnen Kohlendioxid.
Es wäre widersinnig, solche Emissionen zu erzeugen, während man versucht, vom Klimawandel bedrohte Riffe zu retten. Auch andere Materialien eignen sich nur bedingt. Kunststoffe zum Beispiel können sich zersetzen und so zur Verschmutzung durch Mikroplastik beitragen.
Aus diesem Grund experimentieren Forscher jetzt mit umweltfreundlicheren Materialien. An der Universität von Kantabrien beispielsweise wird ein umweltfreundlicherer Zement verwendet, der mit recycelten Zusätzen wie zerkleinerten Muscheln gemischt wird. Andere wiederum versuchen es mit natürlichem Korallenschutt, der zu Kalziumkarbonatpulver gemahlen wird.
Drucken mit lebenden Materialien
Und dann gibt es noch das Bio-Printing. Daniel Wangpraseurt, Meeresbiologe an der Universität von Kalifornien in San Diego, und seine Kollegen haben kürzlich eine Tinte aus Algen entwickelt, mit der sie ein künstliches Riff herstellen wollen, das wachsen kann. „Wir drucken im Grunde mit lebenden Materialien“, sagt Wangpraseurt. Er stellt sich vor, dass es eines Tages gelingen sollte, Teile eines Korallengewebes direkt biologisch zu drucken.
Auch wenn der 3D-Druck von Korallenriffen oder Nistkästen sicherlich zur Rettung von Arten beitragen kann, ist er keineswegs ein Ersatz für die Bemühungen, schädliche Emissionen zu senken und die Umweltverschmutzung zu begrenzen. Schließlich bleibt auch diese Technologie nicht ohne Auswirkungen. Außerdem ist sie immer noch kostspielig und zeitaufwendig. Es besteht auch die Gefahr des Greenwashings: Unternehmen könnten 3D-gedruckte Lebensräume herstellen, um eine umweltbewusste Fassade zu zeigen – unabhängig davon, ob diese Aktivitäten tatsächlich zum Schutz der Natur beitragen. Und selbst perfekte, weitgehend natürlich aussehende Korallen oder Nester werden die Natur nicht ersetzen. „Was verlorengegangen ist, kann nicht wiederhergestellt werden“, sagt Levy.
Conclusio
3D-Druck verändert langsam unseren Alltag und das in vielen Bereichen, die uns vielleicht gar nicht bewusst sind. Denn selbst im Artenschutz ist die Technik auf dem Vormarsch; allerlei Fische leben bereits in gedruckten Riffen, und Eulen nisten in gedruckten Nestern. Die 3D-Zukunft ist bereits da, Schicht um Schicht druckt sie unsere Welt; für uns und für die Tiere.