Die Uhr tickt: China gegen Taiwan

Allen Beteuerungen zum Trotz dürften die Jahre der Unabhängigkeit des Inselstaats Taiwan gezählt sein. China will die „abtrünnige Provinz“ mit aller Macht zurückholen.

Taiwans Ehrengarde beim Hissen der Nationalflagge
Die taiwanesische Ehrengarde hisst jeden Morgen die Nationalflagge auf dem Freiheitsplatz in Taipeh. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Reale Bedrohung. Immer mehr Prognosen sagen voraus, dass Xi Jinping Taiwan bis spätestens 2027 gewaltsam in Chinas Staatsgebiet eingliedern will.
  • Ungleichgewicht. Glaubt man Umfragen, so müsste China mit beträchtlichem Widerstand rechnen. Allerdings ist Taiwan militärisch stark unterlegen.
  • Starke Partner. Der Inselstaat steht auf der Weltbühne jedoch nicht alleine. Das demokratische Taiwan ist sowohl mit den USA als auch mit Japan verbündet.
  • Risiko Weltmarkt. Das muss Peking nicht zwingend von einem Vorstoß abhalten – zumal der Westen stärker als bei Russland bei Sanktionen zaudern könnte.

Der Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine hat weltweit Auswirkungen auf strategische Positionen. So auch im Streit um die Unabhängigkeit und das Bestehen der Republik China – bei uns als Taiwan bekannt. Peking hat sicher nicht mit Russlands Unfähigkeit, einen schnellen Sieg zu erringen, gerechnet, und auch nicht mit dem Ausmaß der internationalen Reaktionen. Der Kriegsverlauf zwingt China dazu, seine Strategie gegenüber Taiwan zu überdenken. Das wiederum liefert dem Westen eine Idee dafür, wie Taiwan widerstandsfähiger werden könnte.

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Völkerrechtlich gesehen ist das nur von 13 Staaten ohne politisches Gewicht diplomatisch anerkannte Taiwan in einer noch schlechteren Position als die Ukraine. Eben wegen dieser fehlenden internationalen Anerkennung könnte das Land nie mit einer derart eindeutigen Verurteilung durch die UN-Generalversammlung rechnen, wie sie der Ukraine zuteil wurde. Andererseits spielt die taiwanesische Industrie, allen voran die Chip-Produktion, eine nahezu unersetzbare Rolle in der globalen Lieferkette. Das gibt Taiwan ein globales Gewicht, das die Ukraine nicht hat.

Invasion 2027?

Auf der Hundertjahrfeier der Kommunistischen Partei im vergangenen Jahr betonte Xi Jinping erneut, dass die vollständige „Wiedervereinigung des Mutterlandes“ eine historische Aufgabe sei, der sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) fest verpflichtet fühle. Aus seiner Sicht scheint die Einnahme Taiwans während seiner Amtszeit eine Selbstverständlichkeit zu sein. Allerdings ist der Zeitpunkt seines Handelns noch ungewiss.

Aus Sicht von Xi Jinping scheint die Einnahme Taiwans während seiner Amtszeit eine Selbstverständlichkeit zu sein.

Nach allgemeiner Einschätzung stehen die Chancen für 2027 günstig, da in diesem Jahr der 100. Jahrestag der Gründung der Volksarmee begangen wird. Die Militärtechnologie dürfte bis dahin ein Niveau erreicht haben, um jener des Westens Paroli bieten zu können. Auch ist mit einem Wirtschaftsabschwung zu rechnen, der Xi Jinping eine zusätzliche Motivation geben würde, mittels einer Invasion von internen Problemen abzulenken – ganz nach dem Vorbild Putins. 2024 finden Wahlen in Taiwan statt, bei der durchaus eine prokommunistische Regierung zustande kommen könnte. Falls doch nicht, könnte Xi die Geduld verlieren.

Wehrhaftes Taiwan

Die Ukraine leistet beeindruckenden und zähen Widerstand gegen Russlands Invasion. Wird die Bevölkerung der Insel Taiwan auf einen Angriff der KPCh genauso reagieren? Eine Umfrage im August 2021 ergab, dass 65 Prozent der Befragten bereit wären, in den Krieg zu ziehen, sollte China Taiwan angreifen. Fast 68 Prozent der Einwohner bezeichneten sich selbst als Taiwanesen, während sich 28 Prozent sowohl als Taiwanesen als auch als Chinesen sahen. Eine weitere Umfrage ergab, dass 96 Prozent der 18- und 19-Jährigen bereit wären, in den Krieg zu ziehen, falls ein Konflikt ausbrechen sollte.

Taiwanische Spezialeinheiten in voller Camouflage auf Motorrädern bei Feierleichkeiten zum Nationaltag
Taiwanesische Spezialeinheiten am Nationalfeiertag, dem 10. Oktober – auch Tag der „doppelten Zehn“ genannt. © Getty Images

Nur 1,5 Prozent der Befragten wünschten eine schnelle Wiedervereinigung. Es ist allerdings denkbar, dass die KPCh die letztgenannte Gruppe in vollem Umfang nutzen wird, um ein Muster zu schaffen, das Russland schon bei der Annexion der Krim geholfen hat. Taiwan hat 2010 mit der schrittweisen Abschaffung der Wehrpflicht begonnen und verfügt nun über ein überwiegend freiwilliges Militär, in dem männliche Jugendliche lediglich eine viermonatige militärische Pflichtausbildung absolvieren müssen. Berufssoldaten dienen fünf Jahre lang.

Chinas militärische Überlegenheit

Das taiwanesische Verteidigungsministerium räumt ein, dass China die Luftverteidigung des Landes außer Gefecht setzen könnte – jedoch nicht in dem Maße, dass es zu einer totalen Zerstörung käme. Zudem ist Peking zuzutrauen, dass es sein Hightech-Waffenarsenal besser im Griff hat. Inzwischen ist China mit insgesamt 395 Satelliten, von denen die meisten für militärische Zwecke genutzt werden, die zweitgrößte Raumfahrtnation der Welt. Höchstwahrscheinlich würde Peking die Satelliten für eine umfassende elektronische Kriegsführung und zur Echtzeit-Ortung von Truppen einsetzen. Eine chaotische Logistik und fehlende Koordination à la Putin darf man von den Chinesen nicht erwarten: Sollte China Taiwan tatsächlich angreifen, dann mithilfe einer minutiösen Planung.

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Zahlen & Fakten

Ungleichgewicht der Macht: China gegen Taiwan

Karte mit Informationen zu den militärischen Kapazitäten Chinas und Taiwans
Quelle: Global Firepower Index 2022 © Der Pragmaticus

Ähnlich wie die ukrainische Armee wird Taiwan im Kriegsfall eine asymmetrische Vorgehensweise wählen, um der zahlenmäßigen Überlegenheit der Volksbefreiungsarmee (People’s Liberation Army, PLA) entgegenzuwirken. Kleine, präzise und mobile Waffen, die leicht zu handhaben sind und ein hohes Maß an operativer Flexibilität und Überlebensfähigkeit auf dem Schlachtfeld verleihen, würden primär zum Einsatz kommen.

Unklare Rolle der USA im Ernstfall

Seit 50 Jahren verfolgen die Vereinigten Staaten eine Politik, die keine klare Linie für Interventionen festlegt. Diese strategische Zweideutigkeit zwingt Peking zu der Annahme, dass Washington sich einmischen oder intervenieren würde, sollte China versuchen, Taiwan mit Gewalt zurückzuerobern. Die Vereinigten Staaten treffen derzeit einige Vorkehrungen zur Verbesserung der Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum, was für China potenziell schwerwiegendere institutionelle Beschränkungen bedeuten würde, als es derzeit für Russland der Fall ist.

Eine chaotische Logistik und fehlende Koordination à la Putin darf man von den Chinesen nicht erwarten.

Putin hat mit dem Einschüchterungsversuch durch Atomwaffen einen sehr schlechten Präzedenzfall für Xi Jinping geschaffen. Im Ernstfall würde China sicher weit bedachter mit Atomdrohungen umgehen – nicht zuletzt, weil es zahlenmäßig nicht mit Russland und den USA mithalten kann. Allgemeinen Schätzungen nach verfügt Peking über 500-800 Kernwaffen. Bei den USA und Russland handelt es sich hingegen um 5000 beziehungsweise 7000 Atombomben.

Ein ausgeweiteter Taiwan-Krieg könnte allerdings bedeuten, dass Russland auf der Seite Chinas eingreift, indem es beispielsweise seine Flotte in den Fernen Osten entsendet, um die US-amerikanische und japanische Flotte zu blockieren. Allerdings ist nicht mehr so sicher, dass Russland und China nach dem Ukraine-Krieg noch immer gleichermaßen entschlossen sind, ein Bündnis einzugehen, wie sie es noch auf dem Gipfel der Olympischen Winterspiele waren.

Düstere Aussichten für die Weltwirtschaft

Ähnlich wie im Fall der Ukraine würde auch ein Krieg gegen Taiwan die Weltwirtschaft destabilisieren, insbesondere wenn die westlichen Länder Sanktionen gegen China verhängen würden. Mehr als die Hälfte der von Donald Trump gegen China verhängten Sanktionen werden als wenig wirksam eingeschätzt, schaden also auch der westlichen Seite. Besonders stark betroffen wäre die globale Halbleiterlieferkette, unter der die Weltwirtschaft derzeit auch ohne Krise schon zu kämpfen hat. Auf den Branchen-Riesen TSMC entfallen 90 Prozent der weltweiten Produktion der modernsten Chip-Generation, insgesamt werden 75 Prozent aller Halbleiter in China und Ostasien erzeugt.

Im Extremfall könnte die Versorgung mit Elektronik aller Art also zusammenbrechen. Aus diesem Grund haben Europa und die USA beschlossen, mit Milliarden-Investitionen gegenzusteuern. Aber das wird – genau wie die europäische Energiewende – dauern. Bis dahin bleibt der Westen wirtschaftlich extrem angreifbar.

Drei Szenarien für die Zukunft

Wie auch im Falle des Ukraine-Kriegs hat die Taiwan-Frage viel mit den persönlichen Ambitionen eines nahezu allmächtigen Führers zu tun. Sollte Xi Jinping jedoch geschwächt werden, könnte die KPCh wieder zu einer kollektiven Führung zurückfinden. Dies könnte China wieder auf einen gemäßigten Kurs gegenüber dem Westen bringen und auch die Pläne für einen Angriff auf Taiwan zumindest verschieben.

Auch ein wachsender Status Taiwans auf der Weltbühne würde es der KPCh erschweren, Taiwan gewaltsam zu besetzen. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass der Westen die Informationsblockade der KPCh mit technologischen Mitteln durchbricht und so die nationalistische Denkart in Festlandchina verändert. Die Entstehung einer breiten Friedensbewegung würde hohen Druck auf die KPCh ausüben. Realistisch gesehen sind aber alle drei Szenarien derzeit unwahrscheinlich – zumindest bis 2027.

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Conclusio

Der Krieg in der Ukraine wirft die Frage auf, ob Taiwan ein ähnliches Schicksal drohen könnte. Ähnlich wie Wladimir Putin ist auch der chinesische Machthaber Xi Jinping vom Gedanken besessen, als großer Vereiniger aller Chinesen in die Geschichtsbücher einzugehen. Die Pläne der Volksrepublik China zur Rückeroberung der Insel werden immer konkreter. Ob sich Taiwan selbst ausreichend verteidigen kann ist unklar – allerdings gilt die USA als starke Schutzmacht. Eine diplomatische Stärkung Taiwans auf der Weltbühne wäre ein möglicher Weg, um die Situation nachhaltig zu entschärfen. Sie bedarf aber einer noch stärkeren Mitwirkung des Westens – und damit eines heiklen diplomatischen Balanceakts.