Experten-Forum: Ist China noch zu bremsen?

Unter Präsident Xi Jinping greift China wirtschaftlich und politisch nach der Macht. Was Peking plant und wie sich der Westen vorbereiten sollte, diskutierten hochkarätige Experten auf Einladung des Pragmaticus im Wiener Museumsquartier.

Schwarz-Weiß-Foto der Spiegelung von den Gästen der Podiumsdiskussion zum Thema China mit dem Logo von „Der Pragmaticus” vor den Lichtern der Stadt.
Ist China noch zu bremsen, fragen sich die Experten bei der Pragmaticus-Diskussion. © Matthias Nemmert

Während die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine die Aufmerksamkeit der USA und Europas auf sich ziehen, braut sich am anderen Ende Eurasiens etwas zusammen: Unter Präsident Xi Jinping hat China massiv aufgerüstet, tritt in der diplomatischen Arena aggressiver auf und bereitet seine Wirtschaft und das eigene Volk darauf vor, im Ernstfall autark zu funktionieren. Ist die aufstrebende Supermacht überhaupt noch zu bremsen? Diese Frage diskutierte Andreas Schnauder, Chefredakteur von „Der Pragmaticus”  anlässlich unserer aktuellen Ausgabe zum Thema mit hochkarätigen Gästen am Montag in der MQ Libelle auf dem Dach des Wiener Leopold Museums.

Die gesamte Diskussion können Sie hier nachschauen.

Velina Tchakarova, Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sieht den Westen mit China und Russland auf Konfrontationskurs. Die Allianz zwischen Putin und Xi bezeichnet sie als „Dragonbear”, die eher einer Zweckehe als einer ideologisch fundierten Partnerschaft gleicht, wie sich im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine zeigt. Peking behaupte stets, man sei neutral, aber tatsächlich werde Russland politisch und wirtschaftlich unterstützt und zuletzt mit dem Kanal über Nordkorea gebe es die Möglichkeit auch verdeckt Kriegsmaterial zu liefern. „China will, dass Europa als der kleine Bruder der USA in diesem Krieg geschwächt wird,” erklärt Tchakarova dieses doppelte Spiel.

Ansicht der Experten von links nach rechts: Harald Oberhofer, Michael Paul, Velina Tchakarova, Michael von Liechtenstein, Andreas Schnauder
Ansicht der Experten von links nach rechts: Harald Oberhofer, Michael Paul, Velina Tchakarova, Michael von Liechtenstein, Andreas Schnauder © Matthias Nemmert

Sorge bereitet der Expertin die Möglichkeit, dass in Ostasien eine dritte Front neben der Ukraine und dem Nahem Osten entsteht. Die Welt steuert somit auf einen „Kalten Krieg 2.0” zu, der von allen anderen Staaten verlange, sich zu positionieren. Europa halte naiv an dem Glauben einer multipolaren Welt fest, meint Tchakarova: „Wir haben den Hoffnungsschimmer, das wird schon irgendwie gehen. Wird es nicht.”

Noch kein Krieg in Sicht

Auch Michael Paul, Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht Chinas militärische Aufrüstung als Schwenk einer reinen Landmacht zu einer Land-Seemacht und damit als direkte Herausforderung der USA. China habe sein Versprechen gegenüber dem damaligen US-Präsidenten Obama gebrochen und mit dem Ausbau von Stützpunkten das Südchinesische Meer militarisiert – der Ausgangspunkt, um Taiwan zu kontrollieren. Allerdings gibt Paul vorerst Entwarnung: „Dass China eine Invasion Taiwans plane, glaube ich kaum, der Blutzoll wäre viel zu hoch.”

China wird alt, bevor es reich wird

Michael Paul

Derzeit stehe Xi wegen der wirtschaftlich prekären Lage unter Druck, für einen Angriff auf Taiwan ist das Land schlichtweg nicht bereit. Auf Zeit spielen, dürfte jedoch schwer fallen, denn „China wird alt, bevor es reich wird,” brachte der Experte das Dilemma auf den Punkt.

Europas Versagen

Auch Harald Oberhofer, Ökonom am Wifo und Professor für Empirical Economics an der WU Wien, betont, dass Chinas absolute Wirtschaftsleistung nicht darüber hinwegtäuschen könne, dass pro Kopf betrachtet, sein Wohlstand weit hinter jenem der USA und Europas liegt. Die Volksrepublik braucht also einen langen Atem, verfolgt aber gleichzeitig eine klare Strategie: „Chinas Pläne sind meist sehr langfristig ausgerichtet. Mit den Investitionen in Afrika sichert man sich Rohstoffe für Zukunftstechnologien. Und über den Ausbau der Infrastruktur sichert sich China nicht nur Kontrolle über Handelsrouten, sondern schafft ein potentielles Druckmittel, ähnlich wie es Russland mit der Gasversorgung in Europa einsetzen wollte.”

Seitenansicht der Gästen der Podiumsdiskussion zum Thema China mit dem Logo von „Der Pragmaticus” vor den Lichtern der Stadt.
Reges Interesse an Chinas Aufstieg und was das für Europa bedeutet: zahlreiche Pragmaticus-Experten im Publikum aus Wissenschaft und Praxis diskutierten mit. © Matthias Nemmert

Europa falle es jedoch aus einem historischen Schuldgefühl heraus schwer als aktiver Mitstreiter in Afrika aufzutreten und sich einzugestehen, dass man in der Region Interessen verfolgen sollte, so Oberhofer. Die Abhängigkeit von China bei wichtigen Rohstoffen werde von der EU zwar anerkannt, aber konkrete Gegenmaßnahmen würden fehlen. Zum Beispiel: Die EU habt als Ziel vorgegeben, unabhängiger von kritischen Rohstoffimporten aus China zu sein, gleichzeitig legen sich die Mitgliedsstaaten wie Österreich quer, über das Abkommen mit den südamerikanischen Ländern den Handel zu vertiefen. „Damit können wir unsere politischen Vorgaben in die Tonne treten”, schließt der Ökonom.

Chinas Hürdenlauf

Auch wenn Europa wenig beiträgt, um Chinas Ambitionen einzubremsen, könnte es dennoch schwierig für das Reich der Mitte werden, vermutet Unternehmer und Herausgeber von „Der Pragmaticus“ Michael von Liechtenstein. Denn China steht momentan vor großen Herausforderungen: eine Immobilienblase, hoch verschuldete Provinzen und staatlichen Unternehmen sowie eine rapide Alterung der Gesellschaft. Da herauszukommen erfordert nicht einen Krieg, sondern Investitionen aus dem Ausland. Nur: „Xi folgt dem Dogma der sozialistischen Marktwirtschaft, ein Gegensatz in sich”, sagt der Unternehmer. Darum sei es alles andere als Gewiss, dass China die USA als größte Wirtschaftsmacht ablösen könne. Auch Pekings Versuch, über große Infrastrukturprojekte im Rahmen der „Neuen Seidenstraße” Einfluss aufzubauen, stoße auf Widerstand unter Schwellenländern.

Doch auch Michael von Liechtenstein nimmt Europa in die Pflicht: „Wir schießen uns ins eigene Bein, wenn wir mit strengen Auflagen wie dem Lieferkettengesetz in weiten Teilen der Welt gar nicht als Handelspartner mehr infrage kommen.” Der Tenor der Diskutanten: etwas mehr Realpolitik würde Europa gut tun, schließlich haben China und Russland längst klar gemacht, dass sie nicht nach unseren Regeln spielen.

Weitere Eindrücke des Experten-Forums

Podiumsdiskussion zum Thema China mit dem Logo von „Der Pragmaticus” vor den Lichtern der Stadt.
Der Pragmaticus-Experten-Forum zum Thema „Ist China noch zu bremsen?". Von links nach rechts:
Michael von und zu Liechtenstein, Michael Paul, Velina Tchakarova, Harald Oberhofer, Andreas Schnauder. © Matthias Nemmert
Der Pragmaticus-Experten-Forum. Im Vordergrund die neue Ausgabe Der Pragmaticus zum Thema „Chinas geheimer Plan”.
Die neue Ausgabe Der Pragmaticus zum Thema „Chinas geheimer Plan”. © Matthias Nemmert
Ukrainischer Botschafter Vasyl Khymynets.
Ukrainischer Botschafter Vasyl Khymynets © Matthias Nemmert
Barbara Kolm, Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek-Instituts in Wien
Barbara Kolm, Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek-Instituts in Wien © Matthias Nemmert
Rainer Münz, Experte für Migration und Bevölkerungsentwicklung.
Rainer Münz, Experte für Migration und Bevölkerungsentwicklung. © Matthias Nemmert
Martin Rhonheimer ist Gründungspräsident des „Austrian Institute of Economics and Social Philosophy“ in Wien und katholischer Priester.
Martin Rhonheimer, Gründungspräsident des „Austrian Institute of Economics and Social Philosophy“ in Wien und katholischer Priester. © Matthias Nemmert
Martin Kreutner ist einer der Proponenten des Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehrens und seit 30 Jahren in der internationalen und nationalen Korruptionsbekämpfung tätig.
Martin Kreutner ist einer der Proponenten des Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehrens und seit 30 Jahren in der internationalen und nationalen Korruptionsbekämpfung tätig. © Matthias Nemmert
Lukas Bittner, Referent in der Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Österreich.
Lukas Bittner, Referent in der Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Österreich © Matthias Nemmert
Ursula Werther-Pietsch, Privatdozentin für Internationale Beziehungen an der Universität Graz.
Ursula Werther-Pietsch, Privatdozentin für Internationale Beziehungen an der Universität Graz © Matthias Nemmert
Südosteuropa- und Südostasien-Spezialist und Ex-Botschafter Klaus Wölfer.
Südosteuropa- und Südostasien-Spezialist und Ex-Botschafter Klaus Wölfer © Matthias Nemmert

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