Experten-Forum: Wie frei ist die Wissenschaft?
Die Wissenschaft ist frei – oder sie sollte es zumindest sein. Wie es um ihre Freiheit wirklich bestellt ist und wo Handlungsbedarf besteht, diskutierten hochkarätige Experten auf Einladung des Pragmaticus in der Akademie der Wissenschaften.
Ob Galilei, Kopernikus oder Semmelweis: Wissenschaftler, die den aktuellen Stand ihrer Zunft in Frage stellten, hatten es immer schon schwer. Nun kommen auch noch die Cancel Culture, monetäre Zwänge und ideologische Scheuklappen dazu. Wie sehr ist der Forschergeist eingeschränkt und wie können wir die Wissenschaft wieder von ihren Fesseln befreien? Diese Fragen diskutierte Andreas Schnauder, Chefredakteur von Der Pragmaticus anlässlich unserer aktuellen Ausgabe zum Thema mit hochkarätigen Gästen am Dienstag in der Akademie der Wissenschaften in Wien.
Mehr zur Wissenschaftsfreiheit
Sandra Kostner ist nicht nur Geschäftsführerin des Masterstudiengangs „Interkulturalität und Integration“ an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, sondern gründete 2021 auch das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, das sich für eine freie Forschung und Wissenschaft einsetzt. Sie zitierte aus Studien in Deutschland, aus denen hervorgeht, dass 40 Prozent der Hochschullehrenden eine Einschränkung der Lehre durch „Political Correctness“ empfinden und immerhin noch 18 Prozent glauben, dass die Vorgaben der Political Correctness Forschung verhindern würden. Vor allem in bestimmten Gebieten wie Migrations-, Gender- oder Klimaforschung herrsche ein großer Druck, nicht von der Mainstream-Meinung abzuweichen, erzählte sie.
Und wenn sie es doch tun würden, fehle den Forschenden oft nicht nur die Rückendeckung der Universitäten, sondern würden dafür auch noch bestraft. Was den Druck auf alle anderen weiter erhöhe, ganz nach dem Motto: „Bestrafe einen, erziehe hundert.“ Auch finanzieller Druck spiele eine Rolle: „Da geht es nicht nur um den Ruf, da geht es oft um Jobangst“, sagt sie. Achtzig Prozent der Verträge an den Universitäten seien befristet, deshalb „stehen die Forschenden immer in Konkurrenz und müssen sich den Narrativen anschließen“.
Bestimmte Narrative werden bedient
Ein Punkt, den der Volkswirtschaftler Stefan Schleicher von der Universität Graz nur unterstreichen konnte: „Ein Dissertant ist zu mir gekommen und hat mir von seiner Arbeit erzählt, die ihn eigentlich überhaupt nicht interessiert. Aber er erklärte mir: ‚Damit werde ich schneller publiziert.‘“ Denn es sei „zweifellos“ so, dass in wissenschaftlichen Journalen und Publikationen „bestimmte Narrative bedient werden“. Ein weiteres Problem sei, dass es wahnsinnig viele tolle Forschungsprojekte gäbe, aber die Mittel fehlen würden, um alle zu finanzieren – und am Ende würden sich dann doch oft jene Projekte durchsetzen, die jenen Narrativen folgen, die auf keinen Widerspruch stoßen werden.
Er kritisierte auch, dass sich gerade in der Klimaforschung einige seiner Kollegen als Aktivisten verstünden und ihre wissenschaftliche Meinung als Dogma in die Welt tragen würden: „Diese Wissenschaftler nehmen dieses Problem nicht ausreichend wahr. Sie sind der Meinung, dass die Lage prekär genug ist, um das zu rechtfertigen.“
Von beklagenswerten Menschen
Auch der Philosoph Konrad Paul Liessmann bedauerte den Konformitätsdruck auf den Universitäten: „Nicht gedachte Gedanken werden uns irgendwann fehlen.“ Er sei der festen Überzeugung, dass „jemand wie Sigmund Freud heute sofort ein Kandidat für die Cancel Culture wäre“. Aber er wies auch darauf hin, dass all das kein neues Phänomen sei – die Universitäten seien immer schon Vertreter des jeweiligen Mainstreams gewesen und die wissenschaftlichen Innovationen wären auch historisch meist von außen gekommen. Die größten Philosophen der jüngeren Geschichte, ob Friedrich Nietzsche, Karl Marx oder Søren Kierkegaard hätten abseits der Universitäten philosophiert. „Und die, die damals an den Universitäten waren, kennt heute niemand mehr.“
Umgekehrt seien auch die Klagen über Gängelung der Universitäten nichts neues. Schon Friedrich Schiller beklagte 1789 bei seiner Antrittsvorlesung an der Universität Jena, dass sich die Professoren dem Einfluss von Fürsten und Kirche beugen würden: „Beklagenswerter Mensch, der mit dem edelsten aller Werkzeuge, mit Wissenschaft und Kunst, nichts Höheres will und ausrichtet als der Taglöhner mit dem schlechtesten! der im Reiche der vollkommensten Freiheit eine Sklavenseele mit sich herumträgt!“
Hier zum Nachschauen die gesamte Diskussion.
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