Wie frei ist die Wissenschaft?
Verspottet, weggesperrt und im allerschlimmsten Fall verbrannt. Ob Alfred Wegener, der Entdecker der Kontinentalverschiebung, Galileo Galilei oder der Philosoph Giordano Bruno: Wer sich mit dem wissenschaftlichen Zeitgeist anlegt, hat oft nichts zu lachen. Immer noch. So war die Karriere der ehemaligen Harvard-Dozentin Carole K. Hooven, einer Biologin, faktisch beendet, als sie 2021 in einer US-Talkshow erklärte, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gebe, Männer und Frauen. Eine Doktorandin brandmarkte sie daraufhin auf Twitter als „transphob“. Es folgten Shitstorm, Proteste, Mobbing, Boykott. Schließlich Rückzug.
Mehr zu Meinungsfreiheit
Rückhalt aus der Kollegenschaft? Fehlanzeige. Mit der Transgender-Lobby legt sich niemand gerne an. In Deutschland erlangte die Biologin Marie-Luise Vollbrecht aus ähnlichen Gründen ungewollte Bekanntheit.
Dogmatiker am Werk
Heute geben identitätspolitische Dogmatiker an den Universitäten den Ton an. Beanspruchten früher kirchliche Würdenträger die Deutungshoheit über die Forschung, heißen die Religionen von heute Gender Studies, Critical Race Theory, Postcolonial Studies oder Climate Studies. Viel weniger rigide als ihre Vorgänger sind diese Priester der Postmoderne nicht: Wenn die Realität nicht zur Theorie passt, wird nicht die Theorie verworfen, sondern die Realität umgedeutet. Ketzer landen auf dem virtuellen Social-Media-Scheiterhaufen. Immerhin ein zivilisatorischer Fortschritt gegenüber dem aus Holz früherer Tage.
Verengter Korridor
Dabei sind gerade bedeutsame Erkenntnisse meistens an den Rändern des etablierten Wissenschaftsbetriebs entstanden, wie der Philosoph Konrad Paul Liessmann ausführt. Wissenschaft ist durch Bestätigung und Widerspruch gekennzeichnet, sie spricht nie mit einer Stimme.
Weg mit dem Bekenntniszwang!
Für die Historikerin Sandra Kostner liegt der Wesenskern der Wissenschaft im Streben nach Erkenntnis. Doch dieses Streben wird von Macht und Moral bedrängt: Wer den ideologischen Korridor der Forschung verlässt, gefährdet seine Karriere.
Der Siegeszug der Moralapostel
Die Zeiten, in denen Forscher einfach ihrer Inspiration nachgehen konnten, sind vorbei, beschreibt die Neurowissenschaftlerin Manuela Macedonia die ebenso mühsame wie nervenaufreibende Suche nach Fördermitteln.
Kein Platz für Spinner
Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert untermauert die Bedeutung, die Finanzen immer schon hatten: Wer in politisch unerwünschten Bereichen forscht, kann seine Ideen nicht verfolgen, wenn Fördermittel nach politischen Kriterien verteilt werden.
Erkenntnis braucht keinen Zeitgeist
Während der Pandemie hielten Wissenschaftler die Bevölkerung im Bann wie kaum jemals zuvor. Forscher wurden wie Popstars gefeiert oder in Grund und Boden verdammt, Politiker aller Couleurs haben „ihre“ Forscher für ihre jeweilige Agenda instrumentalisiert. „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, heißt es im Staatsgrundgesetz, Artikel 17. Aber Moralapostel und Erbsenzähler üben immer mehr Druck auf die Wissenschaft aus, und der Zeitgeist verlangt von ihr politisch korrekte Bekenntnisse. Die Menschheit hingegen braucht wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Und genau das ist es, wonach echte Forscher streben.
Was ist bloß an den US-Eliteunis los?
Der Pragmaticus bei ServusTV
Durch fehlende Unterstützung aus öffentlicher Hand wird Forschung blockiert. Springen Unternehmen als Geldgeber ein, verbinden sie damit meist eigene Interessen. Macht dieses Korsett aus Geld, Macht und Moral freies Forschen unmöglich?
Darüber diskutieren Neurowissenschaftlerin Manuela Macedonia, die die immense finanzielle Abhängigkeit und persönliche Ausbeutung von Wissenschaftlern kennt und Forscher mit Sklavenarbeitern vergleicht. So könne nur einer von 100 Wissenschaftlern angesichts dieses ökonomischen Drucks seine ethischen Standard bewahren. Der Ökonom Christian Kreiß warnt vor dem Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft. Die Migrationsforscherin Sandra Kostner berichtet von Versuchen der Politik, die Wissenschaft für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und Philosoph Konrad Paul Liessmann wehrt sich gegen immer lautere Aufforderungen an einzelne Wissenschaftler, politische Positionen zu teilen, denn das widerspräche dem Wesen der Wissenschaft.
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