„Bibione gibt es im Grunde schon nicht mehr“

Warum nehmen Extremwetter durch den Klimawandel zu? Was erwartet uns? Ein Interview mit dem Meteorologen Marc Olefs über Wetter, Klima und die Rolle eines bestimmten Windes.

Ein Foto von Marc Olefs, der in blauem Hemd und rostroter Hose auf dem historischen Wetterturm von Geosphere Austria steht. Marc Olefs ist Meteorologe und leitet das Department Klimafolgen-Forschung an Geosphere Austria. Das Bild ist Teil eines Interviews mit ihm, in dem er den Zusammenhang von Klima und Wetter erklärt. Er spricht auch darüber, warum bei den derzeitigen Mengen an CO2 in der Atmosphäre Klimaschutz nur verhindern kann, dass die Folgen der globalen Erwärmung wie Extremwetter, Eisschmelze und Meeresspiegelanstieg noch zunehmen werden. Olefs erklärt im Interview auch, warum sich der Klimawandel beschleunigt hat.
„Klimaschutz ist nicht dazu da, auf ein niedrigeres Niveau zu kommen. Er soll verhindern, dass die Folgen des Klimawandels noch schlimmer werden.“ Der Meteorologe Marc Olefs leitet das Department für Klimafolgen-Forschung von Geosphere Austria in Wien. © Gregor Kuntscher

In diesem Interview mit dem Meteorologen Marc Olefs geht es um den nördlichsten Jetstream, den Polarjet. Er entscheidet über Trockenheit und Niederschläge in Europa, weil er die Globaltemperaturen in regionales Wetter übersetzt. Immer öfter in Extremwetter: Je heißer es wird, desto mehr Stürme und Starkregen, extreme Hitze und Dürren.

Olefs hat dazu eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Der Klimawandel ist schon da. Auch wenn die Treibhausgas-Emissionen sofort auf Null sinken, werden die Extremwetter bleiben, der Meeresspiegel weiter steigen. Die gute: Durch den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle können wir jetzt noch verhindern, dass es weit schlimmer wird, als es jetzt schon ist.

Der Pragmaticus: Zuallererst die Frage: Was ist Wind?

Marc Olefs: Wind entsteht, weil die Sonne die Erde ungleichmäßig erwärmt. Dadurch kommt es zu Druckunterschieden, und Luft strömt vom höheren zum niedrigeren Druck.

Wind ist also eine Art Temperaturausgleich. Gilt das Prinzip auch für die Jetstreams?

Genau so ist es. Der Motor für den Jetstream ist der Temperaturunterschied zwischen Arktis und Äquator. Die Region um den Äquator bekommt die meiste Sonnenstrahlung, weil die Sonnenstrahlen dort im Jahresmittel fast senkrecht auftreffen. Aufgrund der großen Energie-menge steigen dort große Mengen warmer Luft auf, die sich dann in Richtung der kühleren Pole bewegen und dabei wieder nach unten sinken. Das ist der Temperaturgradient, der die Jetstreams antreibt. Würde man einen vertikalen Schnitt durch die Atmosphäre machen, würde man nördlich und südlich des Äquators riesige Zirkulationszellen sehen. Da sich die Erde dreht, lenkt die sogenannte Corioliskraft diese Luftmassen ab, auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links. Wegen der Corioliskraft weht der Jetstream von West nach Ost.

Eine Erde ohne Wind gibt es nicht?

Nein. Nicht, solange es Temperaturunterschiede gibt, und die wird es auf der Erde immer geben: Die Erdachse steht ja nicht gerade, sondern ist geneigt. Das verändert die Menge an absorbierter Sonnenenergie, und somit gibt es Jahreszeiten. Sobald es Temperaturunterschiede gibt, gibt es Wind.

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Zahlen & Fakten

Darstellung der Jetstreams der Erde. Der Polarjet bestimmt das Wetter in Europa. Da er durch den Anstieg der globalen Temperaturen weiter nördlich verläuft und stärker mäandriert, nehmen Extremwetter weltweit zu.

Keine Erde ohne Wind

Jetstreams gibt es, seitdem die Erde eine Atmosphäre und deutliche Temperaturkontraste zwischen Tropen und Polen hat. Über das Wetter in Europa bestimmt vor allem der nördliche Polarjet.

  • Die Kugelgestalt der Erde und die Neigung der Erdachse bewirken, dass der Äquator im Vergleich zu den Polen mehr Wärme erhält. Dort aufsteigende warme Luft strömt in der Höhe zu den kälteren Polen und sinkt dabei sukzessive ab.
  • Die Erdrotation lenkt diese Luftpakete auf ihrem Weg zu den Polen ab. Es ­entstehen Starkwindbänder – subtropische Jetstreams und ­Polarjets.
  • Diese Jetstreams schieben Hoch- und Tiefdruckgebiete um den ­Erdball und bestimmen so das Wetter. Für Europa ist der nördliche Polarjet entscheidend.
Darstellung der Entstehung der Jetstreams und im Speziellen des Polarjets. Die am Äquator aufsteigende warme Luft fließt zu den kälteren Polen und kühlt dabei sukzessive ab. Dieser Temperaturgradient ist der Motor der Jetstreams.
  • Der Äquator bekommt die meiste Sonne ab, die Pole am wenigsten. Aus diesem Kontrast ergibt sich ein  Temperaturgradient im Vergleich zur Arktis und zur Antarktis entlang dessen die Luftpakete zu diesen kühleren Polen fließen können.
  • Im detaillierteren Querschnitt sieht man, dass es sich bei den Luftpaketen um Zellen handelt, die wie Zahnräder ineinander greifen.
  • Leichtere, warme Luft steigt auf (rot) wird im Abkühlen (blau) schwerer und sinkt. Die Zellen werden zu den Polen hin kleiner. Die Erdrotation erzeugt die sogenannte Corioliskraft, die die Pakete nach rechts ablenkt. So entstehen die Jetstreams.
Darstellung der Hadley-, Ferrel-, und Polar-Zelle ausgehend vom Äquator. Diese Luftzellen bewegen sich wie Zahnräder ineinander und produzieren so in Kombination mit der Corioliskraft die Jetstreams. Darunter auch den Polarjet, der für das Wetter in Europa entscheidend ist. Da die Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Äquator abnehmen, ist der Temperaturgradient nicht mehr so schnell. Der Polarjet verlangsamt sich und schlägt stärker nach Norden und Süden aus. Das führt dazu, dass Wetterlagen länger an einem Ort verharren, die Hoch- und Tiefdruckgebiete stecken fest, wie der Meteorologe Marc Olefs erklärt. Die durch den Klimawandel bedingte Verlangsamung des Polarjets führt auch dazu dass Extremwetter häufiger werden und Hitzewellen länger anhalten, ebenso Dauerregen und Starkregen.

Welchen Einfluss hat der Polarjet, der nördlichste der Jetstreams, auf unser Wetter?

Der Polarjet transportiert die Hoch- und Tiefdruckgebiete und steuert darüber unser Wetter. Die Wirkung ist saisonal: Im Winter verläuft der Jetstream weiter südlich und ist kräftiger. Das ist so, weil in unseren Wintermonaten die Temperaturunterschiede zwischen der Arktis, wo es dann den ganzen Tag lang dunkel ist, und dem Äquator besonders groß sind. Je stärker der Kontrast, desto stärker ist der Polarjet. Tiefdruckgebiete mit Regen und Sturm gelangen dann leichter zu uns nach Mitteleuropa.

Im Sommer, wenn es auch in der Arktis den ganzen Tag lang hell ist, ist der Temperaturunterschied zwischen Nord und Süd deutlich geringer und somit ist auch der Motor für den Polarjet schwächer. Das heißt, er wandert weiter nach Norden und wird zugleich langsamer. Bei uns in Europa führt das zu stabilen Hochdruckwetterlagen, auch Hitze und Trockenheit dauern dann länger an. Je stärker der Jetstream mäandriert, desto länger bleiben bestimmte Wetterlagen bestehen; je weniger Wellen es gibt, desto abrupter kann sich das Wetter ändern.

Überflutungen in Bayern, Deutschland, im Juni 2024. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Meteorologen Marc Olefs über den Polarjet und dessen Zusammenhang mit Extremwetter.
Juni 2024: Hochwasser und Überflutungen im Süden Deutschlands. © Getty Images

Mit den Treibhausgasen steigen die Temperaturen global an, die Temperaturunterschiede nehmen ab. Lassen sich bereits Auswirkungen auf den Polarjet feststellen?

Es stimmt, die nördlichen Breiten und speziell die Arktis haben sich durch den menschengemachten Klimawandel deutlich schneller und rascher erwärmt als die mittleren Breiten. Das liegt an einer Reihe von positiven Rückkopplungen, die sich selbst verstärken.

Da zum Beispiel das Meereis schmilzt, kommt eine dunklere Oberfläche zum Vorschein, was bedeutet, dass mehr Sonnenstrahlung absorbiert wird. Es ist also mehr Energie vorhanden, die Schnee und Eis wiederum schneller schmelzen lässt. Somit wird der Temperaturunterschied, der den Jetstream antreibt, geringer. Er wird langsamer, bildet stärkere Mäander aus, Wetterlagen halten dadurch tendenziell länger. Das sind Beobachtungsdaten. Wir können aber noch nicht eindeutig sagen, ob das mit zunehmender Erwärmung so bleibt. Es gibt nämlich noch einen anderen Mechanismus, der auf den Polarjet wirkt.

Welchen?

Da müssen wir in die Tropen schauen, wo aufgrund der wärmeren Temperaturen sehr viel Luft aufsteigt. Die wird mit steigenden Globaltemperaturen ebenfalls wärmer als früher, und damit steigt auch der Gehalt an Wasserdampf an: Je Grad Erwärmung kann die Luft um sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. In den Tropen hat das zur Folge, dass in mehreren Kilometern Höhe mehr Wasserdampf vorhanden ist, der auskondensieren kann. Dieser Übergang vom Dampf zu flüssigem Wasser führt zur Freisetzung von Wärme. In den Tropen wird der Temperaturgradient, der Kontrast zwischen Arktis und Äquator, also wieder vergrößert, während die Prozesse in der Arktis ihn bodennah verringern.

In zwei verschiedenen Höhenlagen hat der globale Temperaturanstieg somit zwei entgegengesetzte Effekte. Das wird auch als „Kampf um den Jetstream“ bezeichnet. Wir wissen allerdings noch nicht, welche der beiden Kräfte überwiegen wird, wenn sich die Erde, abhängig vom Ausstoß an Treibhausgasen, noch weiter erwärmt. Diese Dynamik zu verstehen, ist eines der wichtigsten Forschungsgebiete derzeit, denn der Polarjet verstärkt die Wirkung des Klimawandels, zum Beispiel Extremwetter. Von ihm hängt es ab, wie stark die Auswirkungen für Europa sind.

Wie hängen Polarjet und Extremwetter zusammen?

Der Jetstream ist wie ein Förderband, das die Hochdruck- und Tiefdruckgebiete bewegt. Er ist damit wetterbestimmend und kann gleich mehrere Arten von Extremen fördern: starken Niederschlag, starke Trockenheit, starke Hitze oder auch starke Kälte. Er entscheidet, wie langlebig eine Witterung ist. Wenn er, was wir beobachten, langsamer ist, bleiben bestimmte Witterungen nicht nur länger über einem Gebiet, aufgrund der größeren Wellen sind diese Gebiete auch jeweils ausgedehnter. Hitzewellen dringen bis weit in den Norden vor, Kälte oder Starkniederschlag bis weit in den Süden.

Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Meteorologen Marc Olefs über den Polarjet und dessen Zusammenhang mit Extremwetter.
Juli 2024: Griechenland wird nach starker Trockenheit und Hitze von Waldbränden heimgesucht. © Getty Images

Es wird in der Klimaforschung diskutiert, ob sich der Klimawandel beschleunigt hat. Die Erhöhung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beträgt global 1,4 Grad Celsius, in Europa 2,4 Grad.

Die Beschleunigung ist global und regional ganz eindeutig anhand der Beobachtungsdaten belegt. Für Österreich haben wir über 260 Jahre direkt gemessene Wetter- und Klimadaten, die eine deutlich beschleunigte Erwärmung seit den 1980er-Jahren zeigen. In weiten Teilen Europas und in Österreich sind es derzeit ein halbes Grad pro Jahrzehnt. Die globale Erwärmung verläuft etwas weniger schnell.

Woher kommt dieser Unterschied zwischen Europa und den globalen Entwicklungen?

Auf globaler Ebene wirkt der Anstieg der Treibhausgasemissionen. In Europa kommt hinzu, dass die bodennahe Sonneneinstrahlung zugenommen hat, weil Luftreinhaltemaßnahmen seit den 1980er-Jahren die Aerosole in der Luft reduziert haben. Die Luft ist jetzt so klar wie in den 1930er-Jahren. Weniger Aerosole und die Nordwärtsverlagerung des Jetstreams, unter anderem durch den Klimawandel selbst, lassen zudem weniger tiefe Wolken entstehen. Beide Effekte, weniger Aerosole und weniger Wolken, lassen mehr Sonneneinstrahlung zu uns nach Mitteleuropa. Weil die Treibhausgasemissionen steigen, kann diese Energie schlechter wieder ins Weltall entweichen. Europa ist daher einer der globalen Klimawandel-Hotspots neben der Arktis.

Darstellung der Temperaturabweichung über Land in Europa im Vergleich zum Mittel der Jahre 1910 bis 2000. Europa ist ein Hot-spot des Klimawandels und erwärmt sich schneller. Die steigenden Globaltemperaturen haben den Jetstream bzw. den Polarjet stärker nach Norden verschoben, was Hitzewellen häufiger macht. Rekonstruktionen des Verlaufs des Jetstreams in den vergangenen Sommern anhand von Baumringen zeigen, dass große Hitze in Südeuropa mit Starkniederschlägen im Norden einhergeht. 2024 war global mit 1,5 Grad das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

Ist bei uns mit größerer Erwärmung und mehr Extremwetter zu rechnen?

Ja. Österreich hat sich, Stand Ende 2024, seit vorindustrieller Zeit um 3,1 Grad Celsius erwärmt im Vergleich zu den globalen 1,4 Grad, also um mehr als das Doppelte. Viele Wetterextreme, die relevant sind, weil sie zu großen Schäden und auch Leid führen, werden verstärkt. Nicht nur die Hitzebelastung nimmt zu: Aufgrund der erwähnten „Sieben Prozent-pro-Grad-Erwärmung-Regel“ ist in vielen Regionen Europas deutlich mehr Wasserdampf in der Luft, in Österreich um bis zu 21 Prozent mehr als natürlicherweise. Deswegen gibt es mehr Starkregen, stärkere Windböen und auch Hagel.

Nehmen die Extremwetter mit einer wärmeren Atmosphäre exponentiell zu?

Die Folgen des zunehmenden Extremwetters auf Natur und Mensch wirken meist nicht-linear, ja. Wenn wir an Hitze denken: An den Messdaten sehen wir, dass Hitzewellen nicht nur häufiger vorkommen und heißer geworden sind, sondern auch länger dauern. Von 1960 bis 1990 dauerte eine Hitzewelle in Wien im Schnitt vier Tage, jetzt dauert sie acht Tage. Das ist unter anderem eine Folge des langsameren Jetstreams und seiner großen Mäander. Europa liegt dann wie unter einer Glocke in einer sehr warmen Zone. Je länger solche Hitzewellen anhalten, desto höher sind die Mortalität und die negativen Folgen für die Arbeitsproduktivität.

Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Meteorologen Marc Olefs über den Polarjet und dessen Zusammenhang mit Extremwetter.
August 2024: In Frankreich herrscht eine extreme Hitzewelle. © Getty Images

Was in vielen Kilometern Höhe und an den Polen passiert, wirkt sich direkt in Österreich aus. Ist es inzwischen seriös möglich, Wetter und Klima zu verbinden?

Ja, wir sind mittlerweile in der Lage, einzelne großflächige Extremwetterereignisse eindeutig dem menschengemachten Klimawandel zuzuordnen. Man untersucht dabei, ob ein Ereignis in der gegebenen Intensität auch in einem „naturbelassenen“ Klima möglich gewesen wäre. Aus diesen Studien wissen wir, dass circa zwei Drittel der Extremwetterereignisse auf der Welt, egal ob Hitze, Trockenheit oder Starkregen, wegen des Klimawandels an Häufigkeit und/oder Intensität zugelegt haben. Eine Studie, an der wir beteiligt waren, hat etwa gezeigt, dass das Tiefdruckgebiet über Osteuropa im September 2024 um sieben Prozent intensiver war als „normal“. In einer Zukunft mit zwei Grad globaler Erwärmung würden weitere fünf Prozent hinzukommen. Wir können also eindeutig die Schäden aufzeigen, die wir mit der fossilen Energienutzung verursachen.

Sie hatten von dem „Kampf um den Jetstream“ zwischen der Arktis und den Tropen gesprochen. Würde der Polarjet in seinen Normalzustand zurückkehren, falls sich diese Effekte gegenseitig neutralisieren?

Wenn sich die Effekte in der Arktis und den Tropen ausgleichen, ja. Atmosphärische Strömungen reagieren relativ schnell auf Änderungen. Wir würden aber trotzdem mehr Extremwetter haben als früher, weil sich die Erde ja als Ganzes erwärmt. Die Verstärkung durch den Polarjet würde etwas geringer ausfallen, und die Unterschiede zwischen Europa und anderen Regionen wären dann etwas weniger groß, was die Extremwetter betrifft.

Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Meteorologen Marc Olefs über den Polarjet und dessen Zusammenhang mit Extremwetter.
September 2024: Weite Teile Zentraleuropas sind nach Starkregen von Überflutungen betroffen, wie hier in Polen. © Getty Images

Im letzten Jahr haben wir in einem einzelnen Jahr erstmals im globalen Durchschnitt die 1,5-Grad-Grenze überschritten. Was erwarten Sie für die Zukunft in Österreich?

Beim derzeitigen Stand der Treibhausgasemissionen würden zum Beispiel extreme Unwetter bis Ende des Jahrhunderts noch um 30 bis 40 Prozent zunehmen. Würden wir die Emissionen global auf Netto null senken und die Erwärmung bei zwei Grad deckeln, würde sich diese Erhöhung ungefähr halbieren.

Ist der Entzug von CO² aus der Atmosphäre eine Lösung?

In kleinen Anlagen funktioniert Direct Air Capture. Das Problem ist: Die globale Kapazität liegt ungefähr bei 8.000 Tonnen CO² im Jahr. Als Menschheit emittieren wir aber jährlich ungefähr 40 Milliarden Tonnen fossiles CO². Außerdem kostet die Entfernung 500 bis 1.000 Dollar pro Tonne. Direct Air Capture ist ökonomisch noch nicht sinnvoll. Es führt aus Sicht der Wissenschaft kein Weg an einer drastischen und radikalen Senkung der menschengemachten Treibhausgasemissionen vorbei. Außerdem müssen wir Schutzmaßnahmen aufbauen, denn wir beobachten ja jetzt schon massiv zunehmende Folgen.

CO² reichert sich ja in der Atmosphäre an. Wie lang werden wir mit den Folgen leben, angenommen, wir hören auf, noch mehr zu emittieren?

CO² hat eine lange Lebensdauer. Wenn Sie heute mit dem Verbrennungsmotor zum Supermarkt fahren, dann haben Sie in 500 Jahren noch 30 Prozent von dem CO² in der Atmosphäre. Es baut sich anfangs relativ schnell ab, dann aber immer langsamer. Für die letzten zehn Prozent braucht es noch etwa 100.000 Jahre. Wir hätten also ungefähr nach 100.000 Jahren wieder einen einigermaßen natürlichen Kohlenstoffkreislauf, wenn wir jetzt nichts mehr emittieren.

Deswegen ist Klimaschutz nicht dazu da, auf ein niedrigeres Niveau zu kommen, sondern um zu verhindern, dass es noch viel schlimmer wird. Wenn die CO²-Konzentration in der Atmosphäre sinkt, wird die Erde nur ganz langsam, über viele Jahrtausende, abkühlen.

Warum? Erstens werden die Ozeane, die ja 90 Prozent der Überschusswärme aufgenommen haben, die Wärme abgeben, was die Abkühlung dämpft. Zweitens werden die großen Eisschilde der Antarktis eine gewisse Zeit weiter schmelzen und dunkle Oberfläche freilegen, die mehr Energie absorbiert. Die Gletscherschmelze würde weitergehen. Ähnlich beim Meeresspiegel: Die weiteren 60 Zentimeter Anstieg bis 2100 sind eigentlich mehrere Meter, weil der Anstieg danach weitergeht. Die Strände unserer Kindheitstage in Bibione und Co, die gibt es eigentlich jetzt schon gar nicht mehr. Das sollte uns aber nicht lähmen, sondern uns Antrieb geben, die Risiken noch einigermaßen tolerierbar zu halten.

Über Marc Olefs

Ein Foto von Marc Olefs. Marc Olefs ist Meteorologe und leitet das Department Klimafolgen-Forschung an Geosphere Austria. Das Bild ist Teil eines Interviews mit ihm, in dem er den Zusammenhang von Klima und Wetter erklärt. Er spricht auch darüber, warum bei den derzeitigen Mengen an CO2 in der Atmosphäre Klimaschutz nur verhindern kann, dass die Folgen der globalen Erwärmung wie Extremwetter, Eisschmelze und Meeresspiegelanstieg noch zunehmen werden. Olefs erklärt im Interview auch, warum sich der Klimawandel beschleunigt hat.
Marc Olefs. © Gregor Kuntscher

Marc Olefs ist Meteorologe und leitet das Department Klimafolgen-Forschung von Geosphere Austria –Bundesanstalt für Geologie, Geophysik Klimatologie und Meteorologie in Wien, die ehemalige ZAMG. 1851 gegründet, ist sie einer der ersten staatlichen Wetterdienste. Sie verfügt daher über historische Datenreihen über Niederschläge, Sonnenstunden, Wind und Temperaturen. Mit Marc Olefs gibt es auch einen Pragmaticus-Podcast zum Thema Klima.

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