Der Wind, der Pest und Wein bringt

Über Hunger oder reiche Ernten in Europa entscheidet der Polarjet. Wie dieser Wind während der letzten 700 Jahre wirkte, wurde erstmals rekonstruiert – anhand von Baumringen.

Der Triumph des Todes von Pieter Bruegel d.Ä., entstanden um 1562. Seit den Erfahrungen des Schwarzen Todes im 14. Jahrhundert schien der Tod übermächtig. Die Rekonstruktion des Polarjets der letzten 700 Jahre zeigt, dass der Tod in Europa ungleich wirkte: Wurden die britischen Inseln und die Niederlande von Pest, Regen und Schlammfluten heimgesucht, herrschten milde Bedingungen und gute Ernten in Südosteuropa. Das Bild ist Teil eines Beitrags von Valerie Trouet, die anhand von Baumringen die Temperaturen im Sommer in den letzten 700 Jahren in Europa rekonstruiert hat und davon ausgehend den Verlauf des Polarjets, ein Wind, rekonstruiert hat. Der Verlauf zeigt ein typisches Schaukelmuster über Europa. Der Wind Polarjet ist die Kupplung zwischen Klima und Wetter.
Der Triumph des Todes von Pieter Bruegel d.Ä., entstanden um 1562. Seit den Erfahrungen des Schwarzen Todes im 14. Jahrhundert schien der Tod übermächtig. Die Rekonstruktion des Polarjets der letzten 700 Jahre zeigt, dass der Tod in Europa in unterschiedlicher Gestalt kam: Wurden die britischen Inseln und die Niederlande von Pest, Regen und Schlammfluten heimgesucht, herrschten Dürre und Hitze in Südosteuropa. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Atmosphäre. Der Polarjet weht in zwölf Kilometer Höhe, doch der Verlauf des Windes ist in den Zellen der Bäume archiviert.
  • Bäume. Dendrochronologen können anhand der Baumringe das Wetter vergangener Jahrhunderte und den Verlauf des Windes rekonstruieren.
  • Wetter. Die Forschung belegt den Zusammenhang von Klima und Wetter. Erhöhte globale Temperaturen zeigen sich regional als Extremwetter.
  • Gesellschaft. Der Polarjet bestimmt das Wetter in Europa und damit auch, wie gut oder schlecht es Wirtschaft und Gesellschaft geht.

Das Jahr 2024 war weltweit das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen – so der Klimadienst der Europäischen Union, Copernicus. „Seit Beginn der Aufzeichnungen“ heißt in dem Fall seit 1940. Seither liegen instrumentell gemessene globale Temperaturdaten vor. Auch der Sommer 2024 war der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen – weltweit, speziell aber in Europa. Betrachtet man die Verteilung dieser Sommerhitze über Europa, fällt ein bemerkenswertes räumliches Muster auf.

Die größte Hitze und die höchsten Temperaturabweichungen erlebten 2024 Südosteuropa, die Balkanhalbinsel und Italien, wo die Sommertemperaturen um fast fünf Grad über dem regionalen Sommerdurchschnitt der Jahre 2010 bis 2019 lagen. Im Gegensatz dazu waren die Sommertemperaturen in Nordwesteuropa, auf den Britischen Inseln und in Südnorwegen sogar leicht unter dem Durchschnitt. Großbritannien hatte den kühlsten Sommer seit 2015.

Dieses Muster – relative Kühle im Nordwesten und Extremhitze im Südosten – ist mir aus meiner Forschung sehr vertraut: Die 2024er-Sommerhitze-Karte für Europa entspricht genau einer Temperaturkarte, die wir Anfang des Jahres in Nature publiziert hatten: Sie zeigt dasselbe „Wetter“, das in Europa auch im 14. Jahrhunderts herrschte, genauer gesagt: während der Jahre zwischen 1346 und 1353, als der Schwarze Tod, die Pest, Abermillionen Todesopfer in Europa forderte.

Das Wetter vor 700 Jahren

Woher wissen wir, wie das Wetter vor 700 Jahren war? Weil wir die Lage des Polarjets kennen, der das Wetter in Europa wesentlich mitbestimmt. Woher wissen wir, wie dieser Jetstream in den 700 Jahren vor heute wehte? Aus den Zellen der Bäume.

Diese von Forschern „Adonis“ getaufte Kiefer im Nordwesten Griechenlands ist 1.065 Jahre alt. Der Baum steht in einer felsigen, kargen Hügellandschaft und zeigt einen starken Drehwuchs. Eine Seite des Baumes ist stärker beastet mit vielen Nadeln. Im Hintergrund sind weitere Kiefern zu sehen. Dendrochronologen können anhand der Holzzellen rekonstruieren, welche Temperaturen während dieser 1.065 Jahre in Griechenland im Sommer herrschten. Diese Daten in Kombination mit vielen weiteren Analysen von Baumzellen sind geeignet, auch den Verlauf eines Windes, dem Polarjet, über viele Jahrhunderte zu rekonstruieren. Diese Forschung gelang erstmals der Dendrochronologin Valerie Trouet. Der Verlauf des Polarjets ändert sich mit dem Klimawandel. Er wird langsamer und mäandriert stärker. Was man nicht weiß, ist, wie sich die tropische Verstärkung auswirkt. Sie könnte eventuell den Verlust des Temperaturkontrasts zwischen Arktis und Äquator kompensieren.
Diese von Forschern „Adonis“ getaufte Kiefer im Nordwesten Griechenlands ist 1.065 Jahre alt. Solche alten Bäume sind wie ein Archiv für Wetter und Klima vergangener Jahrhunderte. © Oliver Konter

Wenn das für Sie abenteuerlich klingt, ist das verständlich. Es ging uns selbst so. Zunächst zum Polarjet: Dieser Starkwindstrom ist der nördlichste der Jetstreams und weht typischerweise um den 50. Grad nördlicher Breite von West nach Ost. Er markiert die Grenze zwischen kühler arktischer Luft im Norden und warmer subtropischer Luft im Süden.

Das Wehen des Jetstreams gleicht einem Fließen, und seine Wellen sind für das Wetter ausschlaggebend: Fließt der Polarjet im Juli und August besonders südlich, lässt er arktische Luft nach Südosteuropa vordringen, während der Nordwesten Europas wegen der heißen Luft aus den Subtropen einen relativ heißen Sommer bekommt. Umgekehrt gilt: Fließt der Polarjet eher nördlich, kommt es zu Hitzewellen auf dem Balkan und kühlen Sommern auf den Britischen Inseln.

Der Polarjet hat aufgrund seiner großen Wellen also die Eigenschaft, an dem einen Ort eine Hitzewelle auszulösen, während zugleich ein anderer Ort unter einem Kälteeinbruch leidet. So war es auch im Sommer 2024: Da war ein nördlicher Jetstream am Werk und überlagerte die menschengemachte Erderwärmung.

Welche Rolle spielt das Klima?

In den letzten Jahrzehnten haben wir beobachtet, dass der Jetstream „welliger“ und langsamer geworden ist. Extreme Ausschläge wie im 14. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Pest, kommen häufiger vor, und die Verlangsamung führt dazu, dass Hochs und Tiefs länger an einem Ort verharren: Aus einem heißen Tag wird eine Hitzewelle, aus Regentagen werden Überschwemmungen – so etwa im Juli 2021 in Westeuropa durch Sturm „Bernd“ und im September 2024 in Mitteleuropa durch „Boris“.

Eine Nahaufnahme der von Forschern „Adonis“ getauften Kiefer im Nordwesten Griechenlands, die 1.065 Jahre alt. Der Baum steht in einer felsigen, kargen Hügellandschaft und zeigt einen starken Drehwuchs. Eine Seite des Baumes ist stärker beastet mit vielen Nadeln. Diese Aufnahme zeigt aus einer bodennahen Perspektive den gedrehten grauen Stamm und die ausladenden Äste des Baumes. Dendrochronologen können anhand der Holzzellen rekonstruieren, welche Temperaturen während dieser 1.065 Jahre in Griechenland im Sommer herrschten. Diese Daten in Kombination mit vielen weiteren Analysen von Baumzellen sind geeignet, auch den Verlauf eines Windes, dem Polarjet, über viele Jahrhunderte zu rekonstruieren. Diese Forschung gelang erstmals der Dendrochronologin Valerie Trouet. Der Verlauf des Polarjets ändert sich mit dem Klimawandel. Er wird langsamer und mäandriert stärker. Was man nicht weiß, ist, wie sich die tropische Verstärkung auswirkt. Sie könnte eventuell den Verlust des Temperaturkontrasts zwischen Arktis und Äquator kompensieren.
Die Kiefer in einer Nahaufnahme. Dendrochronologische Forschung schädigt Bäume wie Adonis nicht. © Oliver Konter

Haben die größeren Wellen mit den höheren globalen Temperaturen zu tun? Die Vermutung ist, dass geringere Temperaturunterschiede zwischen Nord und Süd aufgrund der starken Erhitzung der Arktis den Jetstream verlangsamen und die Ausschläge vergrößern. Für eine verlässliche Antwort müssten wir wissen, wie der Jetstream „normalerweise“ verläuft. Wir bräuchten Aufzeichnungen über seine Variabilität, die bis vor den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückreichen, also bis vor die industrielle Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts. Wetterballons gibt es aber erst seit den 1940er-Jahren, Satellitenbilder vom Jetstream erst seit den 1980er-Jahren. Hier kommen Baumringe ins Spiel.

Der Wind im Holz

Kann man ernsthaft Spuren eines Windes, der in vielen Kilometern Höhe weht, in den Zellen von Bäumen finden? Man kann. Das liegt zunächst am Lebensrhythmus von Bäumen: In jedem Frühjahr ihres Lebens bilden Bäume in gemäßigten Breiten Frühholz mit großen Zellen, im Sommer und Herbst entsteht Spätholz mit kleineren, dichteren Zellen, und im Winter, sobald die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, stellen Bäume ihr Wachstum ein. Baumringe zeigen uns den abrupten Übergang von den kleinen und oft dunkleren Spätholz-Zellen eines Jahres zu den großen und helleren Frühholz-Zellen des folgenden Jahres, getrennt durch die Ruhephase dazwischen.

Mikroskopische Aufnahme von Holzzellen. Man sieht ein Gitternetz mit vertikalen starken Trennlinien. Es sind die Jahresringe von ­Nadelbäumen. Diese haben fast quadratische Zellen. Große Frühholz-Zellen (Tracheiden) entstehen im Frühjahr und Sommer, kleinere, dunkle Spätholz-Zellen im Spätsommer und Herbst.
Jahresringe von ­Nadelbäumen haben fast quadratische Zellen. Große Frühholz-Zellen (Tracheiden) entstehen im Frühjahr und Sommer, kleinere, dunkle Spätholz-Zellen im Spätsommer und Herbst. © Valerie Trouet

Ein tausendjähriger Baum hat eintausend dieser Phasen erlebt, Anzahl und Breite seiner Jahresringe erzählen uns von seinen guten und den schlechten Jahren. Die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, heißt Dendrochronologie, eine Komposition aus den griechischen Worten für Baum und für Zeit.

Um Dendrochronologie zu betreiben, müssen wir zum Glück keinen Baum beschädigen oder fällen: Wir verwenden einen sogenannten Inkrementbohrer, der innen hohl ist. Diesen bohren wir parallel zum Boden, etwa in Brusthöhe, von Hand in den Stamm. Bei Baumarten mit hartem und dichtem Holz wie Eichen oder Buchen kann das einiges an Kraft erfordern, doch es lohnt sich: Der bleistiftbreite Baumkern enthält alle Informationen, die wir benötigen.

Das Klima der Vergangenheit

Jahresringe sind ein sehr präzises Klima-Archiv, abgesichert durch den Vergleich: Bäume einer Region erleben alle dieselben trockenen oder nassen Jahre, dieselben kalten oder heißen Sommer. Ist es ein gutes Jahr, zeigen alle breite Jahresringe; für die schlechten Jahre finden wir an denselben Stellen einen schmalen Ring. So sind Klimainformationen von vielen Jahrhunderten in Baumringen gespeichert. Indem wir ihre Breite und die Dichte des Holzes messen, können wir diese Informationen abrufen und gewinnen Einsichten in das Klima der Vergangenheit.

Prähistorische Baumstümpfe an einem Strand in Wales. Auch das Holz dieser Bäume zeigt das Klima vergangener Jahrhunderte.
Prähistorische Bäume in Wales, die dort wuchsen, wo heute das Meer ist. Bei Ebbe werden sie sichtbar. © Getty Images

Wollen wir etwa vergangene Dürreperioden rekonstruieren, ziehen wir Bäume in trockenen Klimazonen her-an, wie sie beispielsweise in Kalifornien oder der Türkei wachsen. Für diese Bäume ist die Verfügbarkeit von Wasser der wichtigste Faktor ihres Wachstums.

Geht es um Temperaturschwankungen in der Vergangenheit, untersuchen wir Bäume in kälteren Regionen wie den europäischen Alpen oder den borealen Wäldern Kanadas. Insbesondere die Holzdichte ist ein sehr guter Indikator für Sommertemperaturen weit zurückliegender Jahre.

Bei unserer Jetstream-Studie hatten wir die Hypothese, dass – sofern die jeweilige Position des Jetstreams für die Unterschiede zwischen Nordwest- und Südosteuropa ursächlich ist – sich der Temperaturkontrast auch in den Jahresringen der Bäume in beiden Regionen finden müsste. Die Holzdichte würde uns so die jeweiligen jährlichen Sommertemperaturen in den Regionen verraten. Und mit dieser durchgängigen Temperaturreihe könnten wir dann die Positionen des Polarjets in allen Sommern der letzten Jahrhunderte rekonstruieren.

Es war eine gewagte Hypothese. Wir wollten schließlich nichts Geringeres als eine subzelluläre Ebene, die Holzdichte, mit der Atmosphäre, dem Polarjet, verknüpfen.

Das Muster

Wir untersuchten zunächst alte bosnische Kiefern auf dem Balkan. In Griechenland fanden wir „Adonis“, mit 1.065 Jahren der älteste bekannte, dendrochronologisch datierte lebende Baum Europas. Wir haben die Holzdichte in Tausenden von Baumringen gemessen und anhand dieser Messungen eine mehr als 700 Jahre umfassende Rekonstruktion der Sommertemperaturen auf dem Balkan erstellt.

Unsere Kollegen in Schottland tauchten derweil in eiskalten Seen, um Holz zu finden, das ebenso weit zurückreicht; sie erstellten eine Temperaturrekonstruktion für die Britischen Inseln. Wir fügten Baumringaufzeichnungen aus den österreichischen Alpen hinzu und stellten fest: Die Dreier-Kombination erklärt die Schwankungen des Polarjets über Mitteleuropa in allen Sommern der letzten 700 Jahre sehr gut. Wir hatten unsere Hypothese getestet und bewiesen.

Und mehr noch: Indem wir unsere Rekonstruktionen der Sommerjetstreams mit vorhandenen historischen Messungen abglichen, fanden wir weitere Belege für das typische räumliche Wettermuster extremer Jetstreams, bei dem Nordwesten und Südosten die Gegensätze bilden: überdurchschnittliche Niederschläge und Kälte im Nordwesten bei überdurchschnittlicher Trockenkeit und Hitze im Südosten und umgekehrt je nach Lage des Jetstreams.

×

Zahlen & Fakten

Darstellung des im Mittel von 15 Jahren „normalen“ Polarjets im Sommer (Juli und August) über Europa. Die Ilustration ist Teil eines Beitrags von Valerie Trouet über die Rekonstruktion der Sommertemperaturen in Europa während der letzten 700 Jahre in Europa und den Zusammenhang mit dem Verlauf des Polarjet, einem Wind in circa 10 bis 12 Kilometern Höhe. Der Verlauf des Polarjets ändert sich in Abhängigkeit von den globalen Temperaturen, denn der Temperaturkontrast zwischen Arktis und Äquator treibt den Polarjet an. Im Sommer ist er generell langsamer, aber der Klimawandel verlangsamt ihn und lässt ihn stärker mäandrieren.
„Normalzustand“: Typischer Verlauf des Polarjets über Europa im Juli und August. © Julia Zott

Der Polarjet der letzten 700 Jahre

Die Rekonstruktion des Polarjets über einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten ist eine Sensation. Sie zeigt, wie der Polarjet über Hitze, Dürre und Regen entschied und die Geschichte Europas mitbestimmte.

  • Der „normale“ Polarjet: Normalerweise (Bild oben), das zeigt die Rekonstruktion von Valerie Trouet und ihren Kollegen anhand der Sommertemperaturen der letzten 700 Jahre, biegt der Polarjet im Juli und August um den 52. Grad nördlicher Breite Richtung Süden ab. Diese Sommer zeigen keine anhaltenden Hitzewellen oder besonders starke Niederschläge. Der Polarjet bewegt Hochdruck- und Tiefdruckgebiete relativ schnell weiter. 
Darstellung eines nördlicher als normal verlaufenden Polarjets im Sommer (Juli und August) über Europa. Die Ilustration ist Teil eines Beitrags von Valerie Trouet über die Rekonstruktion der Sommertemperaturen in Europa während der letzten 700 Jahre in Europa und den Zusammenhang mit dem Verlauf des Polarjet, einem Wind in circa 10 bis 12 Kilometern Höhe. Der Verlauf des Polarjets ändert sich in Abhängigkeit von den globalen Temperaturen, denn der Temperaturkontrast zwischen Arktis und Äquator treibt den Polarjet an. Im Sommer ist er generell langsamer, aber der Klimawandel verlangsamt ihn und lässt ihn stärker mäandrieren.
Polarjet mit Nordausschlag. Ein Verlauf wie im Sommer 1350 oder 2024. © Julia Zott
  • Der nördliche Polarjet: Sie erinnern sich, wie heiß es in Österreich, auf dem Balkan und in Süddeutschland im Sommer 2024 war? In den Sommern um 1350 war das ähnlich. Zu verdanken war das jeweils einem weiter nördlich verlaufenden Polarjet. Statt nach Süden abzubiegen, schlugen die Mäander des Polarjets im Durchschnitt weiter nach ­Norden aus. Das brachte den Britischen Inseln im 14. Jahrhundert ein Tief mit viel ­Regen und Südosteuropa ein Hoch mit großer Hitze. Die Folgen: Im 14. Jahrhundert breitete sich die Pest nach Irland aus, in Mitteleuropa verdorrten die Ernten. Auch 2024 war ein Jahr der schlechten Ernten. Für Österreich bezif­ferte die Hagelversicherung allein die Dürre­schäden auf 150 Millionen Euro.
Darstellung eines südlicher als normal verlaufenden Polarjets im Sommer (Juli und August) über Europa. Die Ilustration ist Teil eines Beitrags von Valerie Trouet über die Rekonstruktion der Sommertemperaturen in Europa während der letzten 700 Jahre in Europa und den Zusammenhang mit dem Verlauf des Polarjet, einem Wind in circa 10 bis 12 Kilometern Höhe. Der Verlauf des Polarjets ändert sich in Abhängigkeit von den globalen Temperaturen, denn der Temperaturkontrast zwischen Arktis und Äquator treibt den Polarjet an. Im Sommer ist er generell langsamer, aber der Klimawandel verlangsamt ihn und lässt ihn stärker mäandrieren.
Südausschlag. Ein Verlauf wie im Sommer 1976 oder 2005. © Julia Zott
  • Der südliche Polarjet: Ein im Durchschnitt von 15 Jahren weiter südlich als „normal“ verlaufender Polarjet ist aus europäischer Sicht auch keine gute Nachricht. Solche Sommer bringen extreme Niederschläge und jahreszeitlich zu tiefe Temperaturen in den Südosten und Hitzewellen in den Nordwesten. Die Sommer 1976 und 2005 waren Jahre der Dürre für den Nordwesten.

Schwarzer Tod und wenig Wein

Ein paar Beispiele: Hitzewellen traten in Mittelengland in den letzten 350 Jahren immer dann auf, wenn sich der von uns rekonstruierte Sommer-Jetstream im Süden befand. Wie heiß oder kalt es in der Zeit in Mittelengland war, wissen wir, weil die Briten schon 1659 begonnen haben, die Temperatur mit Thermometern zu messen. So stand uns für diese Region die weltweit längste kontinuierliche instrumentelle Temperatur-Zeitreihe zur Verfügung.

Oder Italien und Griechenland: Dort zeugen frühe Messungen und historische Dokumente von Hitzewellen, wenn sich der Jetstream im Norden befand. Diese auffälligen räumlichen Unterschiede, „das Muster“, fanden wir auch bei Überschwemmungen und Stürmen, Ereignisse, die über viele Jahrhunderte dokumentiert sind.

Die Übereinstimmung unserer Rekonstruktion des Jetstreams und der historisch dokumentierten sommerlichen Klimaextreme brachte uns auf die Idee, auch soziale und wirtschaftliche Folgen zu überprüfen, etwa Waldbrände und Ernten. Das Ergebnis: Auf dem Balkan traten die meisten Waldbrände dann auf, wenn der Jetstream weiter nördlich als durchschnittlich lag und die Sommer noch heißer und trockener waren als dort normalerweise üblich. In relativ feuchten und kalten Balkan-Sommern mit einer südlichen Jetstream-Position verzeichnen Dokumente aus dem 16. Jahrhundert eine späte Weinlese, geringe Erträge und schlechte Weinqualität.

Auch die Ausbreitung der Pest wurde durch Extrempositionen des Jetstreams begünstigt. Der Schwarze Tod kam vorwiegend in den kühlen und feuchten Sommern. Auf dem Balkan waren solche für die Epidemie günstigen Verhältnisse mit südlichen Jetstream-Positionen verbunden, auf den Britischen Inseln mit nördlichen Positionen. Entsprechend suchte die Pest Irland von 1348 bis 1350 heim, als der Polarjet viel nördlicher verlief als im Durchschnitt.

Unsere Gegenwart

Wir haben durch unsere Forschung gezeigt, wie der Jetstream in den letzten 700 Jahren verlief, den Kontrast zwischen Nordwest- und Südosteuropa, der unser Sommerwetter bestimmt, nachgewiesen und Einblick in den Zusammenhang von Jetstream-Position und Klima mitsamt den Folgen wie Ernteausfällen und Epidemien gesehen. Was tun wir damit?

Wir sollten die Ergebnisse als Beschreibung dessen lesen, was zu erwarten ist, wenn nicht nur der Jetstream selbst unter dem anthropogenen Klimawandel häufiger extreme Ausschläge zeigen wird, sondern die durch diese Ausschläge verursachten Wetterextreme noch verschärft werden. Wir haben es im Sommer 2024 bereits erlebt.

×

Conclusio

Jetstreams machen aus Klima Wetter. Die noch junge Zuordnungsforschung (Attributionsforschung) kann inszwischen auf das Prozent genau den Anteil des Klimawandels am Extremwetter bestimmen. Und es ist wie Valerie Trouet zeigt, sogar möglich, das Wetter der Vergangenheit zu rekonstruieren und sogar den Verlauf des Polarjets.
Anhand der Jahresringe der Bäume hat Valerie Trouet das Sommer-Muster des Polarjets der letzten 700 Jahre gezeigt: Ein nördlicher Jetstream erhitzt den Südosten und kühlt den Nordwesten, ein südlicher wirkt umgekehrt.
Die Kenntnis der Klimavergangenheit und das Wissen um die Polarjet-Wirkung erklären einen Teil der beobachteten Intensivierung von Extremwettern und erlauben präzisere Aussagen über unsere Klimazukunft.

Mehr vergangenes Wetter

Mehr Gegenwart im Newsletter