Der Zustand der Meere
Den Meeren geht es so schlecht wie nie, sagt der Klimaphysiker Thomas Frölicher. Doch 2025 brachte Anlass zur Hoffnung, die Ozeane retten zu können. Ein Interview.

Wie eine gigantische „blaue Maschine“ (Czerski) bestimmen die Ozeane das Erdklima. Doch sie sind viel mehr als das, sagt der Klimaphysiker Thomas Frölicher. Die blaue Maschine ist lebendig. Ein Interview in unserer Reihe „Was beschäftigt Sie gerade?“ über den Zustand der Ozeane, Hitzewellen im Meer, Klimapolitik und die Faszination eines Forschers für das mächtige und immer noch weitgehend unbekannte System Ozean.
Herr Professor Frölicher, was beschäftigt Sie gerade?
Thomas Frölicher: In den letzten Wochen hat mich die Ozeankonferenz der UNO in Nizza sehr intensiv beschäftigt. Ich war Mitglied des International Scientific Committee, das die wissenschaftliche Vorkonferenz organisiert hat. Dort kamen rund 2500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die sich mit der Wissenschaft des Ozeans befassen. Ziel dieser Vorkonferenz war es, auf Initiative der französischen Regierung, die späteren Diskussionen der UNO Konferenz auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen.
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Unsere Aufgabe war es, konkrete Empfehlungen für die politischen Entscheidungsträger zu erarbeiten, wie sich der Zustand der Ozeane nachhaltig verbessern lässt. Ich war schließlich auch Teil der Schweizer Delegation, die dann an der UNO-Ozeankonferenz teilgenommen hat.
Was ist aus Ihren Empfehlungen geworden?
Ein kleines Grüppchen aus unserem Komitee von 15 Wissenschaftlern hatte die Gelegenheit, die Empfehlungen direkt den Staats- und Regierungschefs vorzustellen. Auf dieser Grundlage wurden während der Konferenzwoche Beschlüsse gefasst, die in dieselbe Richtung gingen wie unsere Vorschläge. Ehrlich gesagt war ich zunächst eher skeptisch, als ich zur UNO Konferenz kam.
Warum?
Wie man an den jährlichen Klimakonferenzen (COP) beobachten kann, nehmen zwar viele Regierungen und Akteure daran teil, doch konkrete Fortschritte bleiben oft aus. Mit dieser Erwartung bin ich auch zur Konferenz nach Nizza gereist. Ich war dann eher positiv überrascht, dass dort tatsächlich konkrete Beschlüsse gefasst wurden.
Zum Beispiel gibt es wohl bald einen rechtlichen Rahmen, um die Hohe See zu schützen. Bisher war es eher schwierig, verbindliche Schutzgebiete in internationalen Gewässern einzurichten. Das Hochseeschutzabkommen könnte hier einen entscheidenden Unterschied machen. Dieses Hochseeabkommen muss von 60 Ländern ratifiziert werden. Bei der Konferenz kamen 19 Länder als Unterstützer hinzu, und es sieht jetzt gut aus, dass noch dieses Jahr diese 60er-Marke erreicht wird. Das wäre natürlich ein Riesenerfolg. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell vorangeht.
Tonga gegen den Tiefseebergbau
Das zweite was mich positiv überrascht hat, war die breite Unterstützung für ein Moratorium für den Tiefseebergbau. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Zweifel, dass ein Moratorium unterstützt werden sollte. In gewissen Ländern ist das weniger der Fall. Die USA etwa waren gar nicht erst bei den Verhandlungen dabei, was natürlich extrem schade war.
Was mich drittens ebenfalls positiv überrascht hat, ist das Engagement der Europäischen Union für den Erhalt des Argo-Messnetzwerks im Rahmen des European Ocean Pact. Im Ozean sind rund 4000 sogenannte Argo-Messbojen im Einsatz. Diese messen kontinuierlich Parameter wie Temperatur, Salzgehalt, Druck, pH-Wert und Sauerstoff, und liefern damit zentrale Daten für die Ozean- und Klimaforschung.

Etwa die Hälfte dieser Bojen wird derzeit von der US-Regierung finanziert. Diese Finanzierung ist allerdings ab 2026 gefährdet. Das wäre ein Desaster für die Klima- und Ozeanforschung, denn der Ozean reguliert unser Klima weltweit. Ohne diese Daten wüssten wir zum Beispiel nicht mehr, wie stark sich die tieferen Wasserschichten erwärmen. Wenn die EU im Rahmen des European Ocean Pact einspringt, besteht die Chance, das derzeitige Messnetz in seiner Größe zu erhalten. Der Pakt hat ein Volumen von einer Milliarde Euro, ein Teil davon sind eben diese Argo Floats.
Klar, es gibt auch andere Themen, wie zum Beispiel die Plastikverschmutzung – da geht wenig im Moment. Insgesamt war ich nach der Konferenz aber glücklich gestimmt, obwohl es dem Ozean so schlecht geht wie noch nie. Es ist wirklich Zeit, was zu tun.
Was heißt „so schlecht wie noch nie“ konkret?
Wenn man sich die Temperatur des gesamten Ozeans anschaut: Jahr für Jahr gibt es einen neuen Temperaturrekord. In den letzten acht Jahren brachte jedes Jahr neue Höchsttemperaturen. Der Ozean ist so sauer wie noch nie in den letzten drei Millionen Jahren, der Sauerstoffgehalt ist in den letzten 60 Jahren um ein bis drei Prozent zurückgegangen. Im Mai 2025 waren 25 Prozent der Ozeanoberfläche mit Hitzewellen bedeckt. Das Mittelmeer hat derzeit Temperaturen, welche über 5°C der Normaltemperaturen liegen. Der Meeresspiegel-Anstieg steigt so schnell wie noch nie. Es kommen zusätzlich noch Stressoren wie die Plastikverschmutzung und Überfischung hinzu.
Hat sich der Klimawandel beschleunigt?
Ja, es ist gut möglich, dass sich der Klimawandel im letzten Jahrzehnt sogar beschleunigt hat. Allerdings kommt dies nicht unerwartet, wenn die Treibhausgasemissionen so stark steigen wie bisher. Auch die aktuell hohen Meerestemperaturen sind zwar extrem unwahrscheinlich, aber wir können erklären, wieso das zustande kommt. Es gibt in diesem Bereich keine großen Wissenslücken.

Wie kam es zu den Sprüngen bei den Oberflächentemperaturen des Meeres im letzten Jahr?
Wir haben dazu eine Studie gemacht und gezeigt, dass dieser globale Temperatursprung von mehr als 0,25 Grad sehr unwahrscheinlich war. Ohne den langfristigen Erwärmungstrend wäre ein solcher Sprung praktisch ausgeschlossen. Der Anstieg tritt nur dann auf, wenn es neben dem langfristigen Trend der Erwärmung zusätzlich El Niño-Bedingungen im tropischen Pazifik gibt.
Wir gehen davon aus, dass die Ozeantemperatur bald wieder zum langfristigen erwarteten Temperaturtrend zurückkehren wird. Erstmals lag im vergangenen Jahr die globale Oberflächentemperatur über der Schwelle von 1,5 Grad. Das bedeutet jedoch nicht, dass die kommenden Jahre ebenfalls durchgehend über 1,5 Grad liegen werden. Wahrscheinlicher ist eine leichte Abkühlung, bevor langfristig die 1,5-Grad-Marke dauerhaft überschritten wird.
Kann man sagen, wann das sein wird?
Das ist schwer zu sagen. Unser CO2-Budget, also die Menge an CO2, die wir noch ausstoßen können, um eine 50/50-Chance zu haben, dauerhaft nicht über 1,5 Grad zu kommen, ist jedenfalls extrem klein geworden. Noch 130 Gigatonnen CO2. Das ist bei dem heutigen Niveau der Emissionen in vier Jahren weg. Man sieht also, dass wir sehr nahe dran sind, aber es ist schwierig zu sagen, ob wir nicht schon drüber sind. Es zählt für uns ja der langfristige Trend und nicht einzelne Jahre.

Bis 2050 müsste man ungefähr auf Netto-Null sein. Nur dann bleibt es – vielleicht – bei den 1,5 Grad.
Ja. Der Zusammenhang zwischen den kumulierten Emissionen und der Temperatur ist mehr oder weniger linear. Das bedeutet: Solange weiter Treibhausgase ausgestoßen werden, steigt auch die Temperatur weiter an. Ein einfacher, aber zentraler Zusammenhang. Deshalb ist das Ziel von Netto-Null-Emissionen so entscheidend. Man geht davon aus, dass sich bei Erreichen von Netto-Null die globale Temperatur auf dem dann erreichten Niveau stabilisiert und nicht weiter ansteigt. Allerdings sinkt die Temperatur danach auch nicht wieder – zumindest nicht in den folgenden Jahrhunderten.
Diese Dauerhaftigkeit ist vielen, denke ich, nicht klar. Auch der Meeresspiegel wird weiter steigen, auch wenn wir die Emissionen jetzt stoppen, oder?
Ja, genau. Diese Trägheit zeigt sich sowohl im Ozean als auch in der Kryosphäre, wie zum Beispiel beim antarktischen Eisschild. Es dauert eine gewisse Zeit, bis Schmelzprozesse aufgrund der Erwärmung des Ozeans einsetzen, doch wenn sie einmal begonnen haben, schreiten sie weiter voran, selbst wenn die Temperaturen an der Erdoberfläche konstant bleiben. Das ist es, was man mit der Trägheit des Klimasystems meint. Bestimmte Prozesse laufen also weiter, obwohl keine zusätzlichen Emissionen mehr hinzukommen.
Manche kritisieren, die 1,5 Grad-Grenze sei willkürlich.
Wissenschaftlich gut belegt ist, dass sich die Risiken und Schäden bei einer Erwärmung von 1,5 Grad zum Vergleich zu höheren Werten noch am ehesten begrenzen und managen lassen. Besonders deutlich ist das zum Beispiel beim Meeresspiegelanstieg. Ursprünglich lag das internationale Klimaziel bei zwei Grad. Auf Drängen vor allem der pazifischen Inselstaaten wurde es im Rahmen des Pariser Abkommens auf 1,5 Grad verschärft – aus gutem Grund: Bei einer Begrenzung auf 1,5 Grad besteht zumindest noch eine Chance, dass niedrig liegende Inseln nicht unbewohnbar werden.
Es gibt also gute wissenschaftliche Gründe für die Festlegung dieses Ziels. Klar ist: Jedes weitere Zehntelgrad Erwärmung erhöht die Risiken – für Extremereignisse, Meeresspiegelanstieg, Biodiversitätsverlust und viele weitere Folgen.

Die EU aktiviert derzeit den globalen Handel mit Emissionszertifikaten, in Deutschland will man verstärkt Gas nutzen, Trump streicht Förderungen für Erneuerbare und hat die Parole Drill Baby Drill. Gibt es einen globalen Backlash in der Klimapolitik oder sogar in Richtung Wissenschaft?
Ja, die Wissenschaft steht weltweit unter Druck – besonders in den USA. Dort werden Budgets gekürzt, etwa bei NASA und NOAA, obwohl sie entscheidende Klimadaten liefern und Klimamodelle entwickeln. Das hat globale Folgen: Wenn Beobachtungsprogramme wegfallen, entstehen Datenlücken, die sich nicht einfach schließen lassen.
Klimaforschung zeigt, wie sich unser Planet verändert – das hat enorme politische und gesellschaftliche Relevanz. Aber was oft untergeht: Viele von uns Forschern werden von wissenschaftlicher Neugier angetrieben. Mich fasziniert der Ozean bis heute, weil so viel noch unbekannt ist. Es waren zum Beispiel weniger Menschen im Marianengraben als auf dem Mond. Wir wissen erstaunlich wenig über die Tiefsee, über Ozeanströmungen, über die Entstehung des Lebens im Meer. Wenn es gelingt, diese Faszination und das Staunen über die Natur zu vermitteln, fällt es vielleicht auch leichter, die Dringlichkeit des Klimaproblems zu verstehen.

Was hat Sie zuletzt fasziniert?
In einer Studie las ich, dass bislang nur etwa 0,001 Prozent des Meeresbodens je direkt gesehen wurde – sei es mit Kameras oder direkt mit dem Auge. Dabei bedeckt der Ozean rund 70 Prozent der Erdoberfläche. Und trotzdem wissen wir bis heute erstaunlich wenig darüber, was dort unten eigentlich lebt – obwohl unser Leben ganz wesentlich von den Organismen im Ozean abhängt.
Über Thomas Frölicher

Thomas Frölicher ist Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern, wo er Mitdirektor des Physikalischen Instituts ist. Er studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich und promovierte in Physik an der Universität Bern. Er forschte mehrere Jahre an der Princeton University in den USA und als SNSF Ambizione Fellow an der ETH Zürich.
Seit 2017 leitet er die Gruppe für Ozeanmodellierung an der Universität Bern und ist Mitglied des Oeschger Zentrum für Klimaforschung. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Rolle des Ozeans im Klimasystem. Schwerpunkte seiner Forschung sind Extremereignisse sowie Kipppunkte im Ozean und ihre Auswirkungen auf Klima, Kohlenstoffkreislauf und Ökosysteme. Frölicher war einer der Hauptautoren des letzten Berichts des Weltklimarats IPCC. In einem Podcast hat Thomas Frölicher die Wirkung des Ozeans auf das Klima erklärt.
Über diese Serie
„Was beschäftigt Sie gerade?“ ist eine Interviewreihe des Pragmaticus, in der unsere Expertinnen und Experten von ihrer Forschung und allem, was sie beschäftigt, erzählen. Die Themen und der Umfang des Gesprächs sind offen.