Warum die Fachkräfte fehlen
Vorübergehende Engpässe beim Personal kann der Markt gut ausgleichen, etwa durch höhere Löhne. Ein echter Fachkräftemängel ist weitaus schwieriger zu beheben. An der Arbeitszeit liegt es in der Regel nicht.
Auf den Punkt gebracht
- Marktkräfte. Die Mitarbeiterknappheit wird in vielen Branchen durch den Markt gelöst werden: mittels höherer Löhne, Automatisierung oder Konkurs.
- Datenlücke. Ob tatsächlich ein flächendeckender Fachkräftemangel besteht, ist nicht belegt. Es fehlen branchenspezifische Analysen.
- Ausbildungslücke. Der Bildungssektor bringt zu wenige Absolventen mit den geforderten Qualifikationen hervor. Auch an Deutschkenntnissen mangelt es.
- Sofortmaßnahmen. Mehr Kinderbetreuung und eine gezielte Rekrutierung von qualifizierten Fachkräften im Ausland würden den Arbeitsmarkt entlasten.
Aus ökonomischer Sicht ist die Ursache für eine Knappheit, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot. Auf funktionierenden Märkten ist der Preis das entscheidende Signal, das dieses Ungleichgewicht über kurz oder lang beseitigen sollte. Wenn etwa die Gastronomie zu gegebenen Löhnen kein Servicepersonal findet, gibt es drei Mechanismen, die den Arbeitsmarkt für Servicepersonal zurück ins Gleichgewicht bringen.
- Erstens: Die Betriebe arbeiten mit weniger Servicepersonal. Neben der herkömmlichen Selbstbedienung könnten Unternehmen mit Hilfe technologischer Innovationen etwa „Selfordering“ einführen. In einigen wenigen Restaurants sieht man bereits heute Roboterkellner bei ihrer Arbeit. Somit sinkt die Nachfrage nach Servicepersonal und der Arbeitsmarkt bewegt sich hin zu einem neuen Gleichgewicht.
- Zweitens: Die Arbeitgeber zahlen höhere Löhne oder verbessern die Arbeitsbedingungen. Das lockt unweigerlich mehr Bewerber an. Einerseits wird gelerntes Servicepersonal aus „fremden“ Branchen zurückkehren und andererseits werden sich mehr Menschen in den attraktiveren Berufen ausbilden lassen. Soweit es der Staat erlaubt, wird es auch Arbeitsmigration aus Regionen mit niedrigeren Löhnen geben – was den Lohndruck etwas senken würde. Unternehmen werden die höheren Kosten in Form von höheren Preisen für Speisen und Getränken an die Gäste abwälzen, zumindest solange die Kundschaft nicht ausbleibt.
- Drittens: Einige Anbieter verlassen den Markt. Nicht alle Betriebe werden es schaffen, mit weniger Personal zu arbeiten oder alternativ höhere Löhne in einem ausreichenden Ausmaß an die Konsumenten abzuwälzen, um wirtschaftlich überleben zu können. Diese „Bereinigung“ des Marktes reduziert die Nachfrage nach Servicepersonal hin zu einem neuen Gleichgewicht.
Gründe für den Fachkräftemangel
Die Pandemie hat zu einem signifikanten Rückgang der Arbeitsvolumen geführt. Während im Jahr 2019 in Summe alle unselbständig Beschäftigten noch 7.351 Millionen Stunden geleistet haben, sank dieser Wert im Jahr 2020 auf 5.543. Im Jahr 2021 gab es wieder einen leichten Zuwachs auf 5.862 Millionen Stunden. Für das Jahr 2022 liegen bis dato nur die Werte für das erste Quartal vor. Diese deuten auf eine geringfügige Anstieg im Vergleich zum Jahr 2021 hin.
Ist die Arbeitswoche zu kurz?
Dieser Anstieg ist vor allem auf Frauen zurückzuführen. Auffällig ist jedoch, dass im Vergleich zum Vorjahresquartal die Teilzeitquote um 1,9 Prozentpunkte gestiegen ist (Männer: +1,2 Prozentpunkte; Frauen: +2,6 Prozentpunkte). Ein abschließende Bewertung, ob es sich hier um eine Trendwende oder nur um Nachwehen der Pandemie handelt kann erst erfolgen, wenn die vollständigen Daten vorliegen.
Wie lang solche Anpassungsprozesse dauern, ist schwer zu vorherzusagen und hängt vor allem von den ursprünglichen Marktbedingungen ab. Hohe Inflation, wie wir sie derzeit erleben, erschwert den Anpassungsprozess, weil zusätzlich Unsicherheit in allen wirtschaftlichen Entscheidungen hinzukommt.
Kein neues Phänomen
Ein Studie des Institutes für Höhere Studien (IHS) aus dem Jahr 2015 kommt für 22 untersuchte Berufsgruppen zu dem Schluss, dass „in fünf Berufsgruppen eine Knappheit als wahrscheinlich und in weiteren drei Berufsgruppen als möglich eingeschätzt wird.“ Man kann daraus wohl auf keinen generellen Fachkräftemangel schließen. Dies stimmt auch mit Evidenz aus Deutschland überein. Die Bundesagentur für Arbeit konnte im Jahr 2017 auch keinen flächendeckenden Fachkräftemangel nachweisen, wohl jedoch Engpässe in einzelnen technischen Berufsfeldern sowie im Gesundheits- und Pflegebereich.
Zahlen & Fakten
Diese eher vagen Schlussfolgerungen sind sicher auch einer mangelhaften Datenlage und dem Fehlen treffsicherer Methodik geschuldet. Eine empirische Untersuchung von Mitarbeiterknappheit muss zwangsläufig auf Berufsgruppenebene erfolgen. Obwohl der Beruf als vergleichsweise einfacher Datenpunkt erscheint, ist diese Information typischerweise in großen Registerdatensätzen nicht vorhanden.
Das Problem der Messbarkeit
Weiters gibt es keine einzelne Kennzahl dafür, ob in einer Branche ein Arbeitskräftemangel besteht. Wie in der IHS-Studie müssen Forscher eine branchenspezifische Zusammenschau von mehreren Indikatoren zusammenstellen. So ist etwa ein interessanter, aber nur bedingt aussagekräftiger Indikator für einen Arbeitskräftemangel, wenn wenige Bewerber vielen offenen Stellen gegenüberstehen.
Ebenfalls informativ, aber kaum ausreichend ist die in einer Berufsgruppe durchschnittliche Anzahl an geleisteten Überstunden. Der vermutlich wichtigste Indikator ist der Lohn. Sind die Löhne in einer Branche vergleichsweise hoch oder überproportional gestiegen, so deutet dies auf einen derzeitigen Arbeitskräftemangel hin. Leider gibt es keinen wissenschaftlich anerkannten Ansatz, wie sich aus diesem Potpourri aus verschiedenen Indikatoren eine eindeutige Schlussfolgerung ziehen ließe.
Wenn der Staat versagt
Interessanterweise ist die Mehrzahl der Berufsgruppen, denen die IHS-Autoren einen wahrscheinlichen Arbeitskräftemangel attestieren, im öffentlichen Sektor oder in einem hoch regulierten Arbeitsmarkt angesiedelt. Konkret genannt werden hier Ärzte, Apotheker, Krankenpfleger und pflegeverwandte Berufe.
Wann immer der Staat in Märkte eingreift, können Verwerfungen entstehen, die das Preissignal verfälschen. Damit bleiben Ungleichgewichte länger bestehen. Das legt nahe, dass ineffiziente staatliche Interventionen in diesen Arbeitsmärkten für den Arbeitskräftemangel verantwortlich sind. Ob das in konkreten Fällen wie der Pflege zutrifft, bedürfte einer eingehenden Analyse. Die tagespolitischen Diskussionen rund um die Pflege zeigen aber, dass unterschiedliche Stakeholder mit der Regulierung dieser Märkte unzufrieden sind.
Pandemie als Verstärker
Die Klagen über eine Mitarbeiterknappheit sind seit der Pandemie öfter und lauter zu hören. Diese betreffen vor allem die Gastronomie, den Tourismus und die Luftfahrt. Diesen Branchen gemeinsam ist, dass deren Geschäftsmodell besonders von coronabedingten Schließungen betroffen war. In diesen Sparten gab es aber auch vor der Pandemie viele Klagen über niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Es kann sein, dass viele Arbeitnehmer in diesen Bereichen mit ihren Jobs auch vor der Pandemie nur am Rande zufrieden waren.
Ist der Tourismus noch zu retten?
Aufgrund von Corona wurden in diesen Bereichen überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer in Kurzarbeit geschickt oder gar entlassen. In der US-Luftfahrt gab es unter Piloten auch eine regelrechte (Früh)pensionierungswelle. Mit der andauernden Pandemie haben sich wohl viele Arbeitnehmer neu orientiert.
Jobs in diesen Branchen waren nie sonderlich attraktiv und sind in durch Corona noch auch unsicherer geworden. Viele suchten und fanden vermutlich Pandemie-festere Jobs mit einer Home Office-Option. Hinzu kommt, dass in der derzeitigen Situation mit Personalmangel die Arbeit noch anstrengender und noch weniger planbar ist. All das dürfte das Arbeitsangebot noch weiter reduziert haben.
Konsumenten zahlen drauf
Hingegen erreicht die Nachfrage nach Mitarbeitern seit der Öffnung dieser Geschäftszweige einen Höchststand. Die Flug- und Tourismusindustrie wurde durch den Steuerzahler finanziell durch die Krise getragen und hat danach ihr Flug- und Übernachtungsangebot großzügig geplant. Die Personalabteilungen haben anscheinend das Angebot an geeigneten Arbeitskräften zu optimistisch eingeschätzt. Die Konsumenten zahlen nun die Zeche.
Da es sich weitgehend um Branchen mit kaum regulierten Arbeitsmärkten handelt, welche teilweise auch international organisiert sind, sollten die drei erwähnten Marktmechanismen aber die Arbeitsmärkte über kurz oder lang wieder ins Gleichgewicht bringen. In den Medien liest man regelmäßig über geplante oder realisierte Arbeitskampfmaßnahmen, deren Ziel eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung der Löhne ist. Die Löhne sollten demnach nach oben gehen. Für Konsumenten bedeutet dies neben den derzeitigen Problemen rund um Urlaubsreisen in Zukunft wohl auch höhere Preise für Flugtickets, Hotelübernachtungen und Restaurantbesuche.
Falsche Ausbildung
Es scheint aber auch strukturelle Probleme in der „Kommunikation“ zwischen dem Ausbildungssektor und dem Arbeitsmarkt zu geben. Ein Vergleich der angebotenen und nachgefragten Qualifikationen macht klar, dass die österreichischen Betriebe stets mehr Arbeitnehmer mit (höheren) Qualifikationen suchen, es beim AMS aber immer mehr Arbeitsuchende ohne oder mit nur geringen Qualifikationen gibt.
Die Schule der enttäuschten Talente
Es ist nachvollziehbar, dass der öffentlich dominierte Bildungssektor nicht perfekt auf die zukünftigen Bedürfnisse eines sich immer schneller wandelnde Arbeitsmarkts reagieren kann. Es ist sehr bedauerlich, dass viele Lehrstellensuchende immer noch unzureichende Kenntnisse in Deutsch und Mathematik haben. Hier bräuchte es Reformen im Bildungswesen, die die Politik der Jugend seit Jahrzehnten schuldig ist. Ein gute Bildungspolitik heute ist die beste Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von morgen.
Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir relativ schnell unser Facharbeitskräftepotenzial erweitern könnten: Erstens durch vermehrte Arbeitsmigration von (Hoch-)Qualifizierten und zweitens über eine Reduktion der Teilzeitquote von Frauen.
Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, müssten wir eine ernst gemeinte Willkommenskultur aufbauen.
Österreich ist ein beliebtes Zielland für Arbeitsmigranten. Leider sind wir – etwa im Vergleich zu traditionellen Einwanderungsländern, aber auch der Schweiz – wenig erfolgreich in der Anwerbung von Arbeitnehmern mit höheren Qualifikationen. Politische Initiativen wie die Rot-Weiß-Rot-Karte haben es nicht geschafft, eine Trendumkehr einzuleiten. Um im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe zu bestehen, müssten wir bürokratische Hürden ab- und eine ernst gemeinte Willkommenskultur aufbauen.
Im Jahr 2019 waren 57 Prozent aller unselbständig beschäftigen Frauen in Teilzeit tätig. Unter Männern betrug die Teilzeitquote nur sechs Prozent. Kinder sind hier der entscheidende Faktor: Unter Frauen mit kleinen Kindern betrug die Teilzeitquote sogar fast 91 Prozent. Bei Männern hingegen ist die Teilzeitquote durch Kinder unberührt. Eine flächendeckende Versorgung mit Kinderbetreuung könnte helfen, die Arbeitsstunden von qualifizierten Frauen zu erhöhen. Hier schlummert ein riesiges Potenzial.
Conclusio
Die grassierende Personalknappheit belastet die Wirtschaft. Die Ursachen für den Fachkräftemangel sind jedoch vielfältig und von der jeweiligen Branche abhängig. Entsprechend spezifisch müssen auch die Lösungen für den jeweiligen Personalmangel sein. In Branchen, die wegen Sperren während der Pandemie durchgebeutelt wurden, werden Marktkräfte dafür sorgen, dass offene Stellen wieder besetzt werden können. Andere Branchen brauchen eine besser auf die Nachfrage abgestimmte Bildungspolitik. Der Ausbau von Kinderbetreuung und aktivere Anwerbung qualifizierter Mitarbeiter aus dem Ausland können für bestimmte Branchen Abhilfe schaffen. Eine Fokussierung auf die Arbeitszeit greift zu kurz.