Finnland, das Land der guten Lehrer

Die finnischen Schulen sind unter den besten in Europa, weil Lehrer dort nicht einfach nur unterrichten, sondern die Lehrpläne mitgestalten. Die Folge: Finnland führt nicht nur bei Bildung, sondern auch bei Innovation.

Illustration von einer Zeugnisübergabe seitens eines Schülers an eine Lehrerin
Zeugnisse für die Lehrkräfte statt für die Lernenden: Das gibt es selbst in Finnland (noch?) nicht. Lehrer und Lehrerinnen holen aber sehr wohl das Feedback ihrer Schüler ein. © Darja Eder
×

Auf den Punkt gebracht

  • Musterschüler. Finnland ist seit Jahren eines der europäischen Vorzeigeländer, wenn es um internationale Bildungserfolge – etwa in der PISA-Studie – geht.
  • Erfolgsgeheimnis. Die Finnen legen ein besonders hohes Augenmerk auf ihre Lehrerausbildung. Nur etwa jeder zehnte wird zum Studium zugelassen.
  • Allround-Talente. Finnlands Lehrkräfte beherrschen Fachwissen, müssen aber auch selber kreativ werden – und haben ein hohes Maß an Mitbestimmungsrecht.
  • Feedback. Universitäten und Schulen kommunizieren genauso offen miteinander wie Lehrkräfte, Eltern und Schüler. So kommt es gar nicht erst zu Stillstand.

Eine gute Ausbildung hat nicht nur einen hohen persönlichen Wert, sondern ist auch ein Gewinn für die Gesellschaft. Finnland wird oft als Vorbild für ein modernes Bildungssystem gesehen, haben die Schüler des Landes in internationalen standardisierten Tests doch meist die Nase vorn. Ein Erfolgsfaktor Finnlands? Der Wert, den das Land auf die Ausbildung qualifizierter Lehrer legt.

Mehr im Dossier Schule

Was unterscheidet die Lehrerausbildung in Finnland von anderen? Zunächst einmal ist sie kostenlos – aber die Zulassung zur Lehrerausbildung ist in Finnland höchst selektiv. Weniger als zehn Prozent der Bewerber werden auch für ein Grundschullehramtsstudium zugelassen. Zudem werden die angehenden Lehrer und Lehrerinnen nicht an gesonderten Fachhochschulen, sondern an traditionellen Forschungsuniversitäten ausgebildet – und das in Form fünfjähriger Masterstudiengänge. Kompetente Lehrer sind damit im ganzen Land verfügbar.

In Finnland sind Lehrer Reformer, nicht das Objekt oder die Zielscheibe von Reformen.

Nicht zuletzt wird der Lehrerberuf in Finnland durch sein hohes Maß an Autonomie attraktiv gemacht. In Finnland übernehmen die Lehrer die Verantwortung für den Bildungsprozess, erleichtern die Umsetzung von Neuerungen und nehmen eine besondere Rolle in der Gesellschaft ein: Sie sind Reformer, nicht das Objekt oder die Zielscheibe von Reformen.

Eigeninitiative und Autonomie

Das jüngste Beispiel dafür sind die 2016-2019 in Finnland durchgeführten Reformen der Lehrerausbildung. Normalerweise werden die Fähigkeiten, Kompetenzen und Werte, über die Lehrkräfte verfügen sollten, von einer kleinen Gruppe von Experten auf Ministerialebene ausgearbeitet und in nationalen Zielen zur Lehrerbildung festgeschrieben. Untersuchungen zu Bildungsreformen haben jedoch gezeigt, dass solche theoretischen Ansätze, die losgelöst von der Realität des Lehrerberufs sind, mit Problemen einhergehen – vor allem bei ihrer Umsetzung.

×

Zahlen & Fakten

Marlene Schiappa, französische Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter und den Kampf gegen Diskriminierung, am 12. Februar 2020 in der Franco Finnish High School mit Schülern während eines Kochkurses in Helsinki
Marlene Schiappa, französische Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter und den Kampf gegen Diskriminierung, besuchte im Februar 2020 die Franco-Finnish High School in Helsinki. © Getty Images

Der finnische Bildungserfolg

  • Bei der PISA-Studie 2018 belegte Finnland den weltweit 8. Rang – nach China, Singapur, Macau, Hongkong, Estland und Kanada.
  • In der Lesekompetenz erlangten die finnischen Schüler und Schülerinnen 520 Punkte, in Mathematik 507 Punkte und in den Naturwissenschaften 522 Punkte. Zum Vergleich: Der OECD-Durchschnitt lag bei 487 bzw. 489 Punkten.
  • 2016 wurde ein neues Entwicklungsprogramm für die Lehrerbildung in umfassender Zusammenarbeit mit fast 70 Vertretern verschiedener Interessengruppen – einschließlich Lehrer, Kommunen und Hochschulen – ausgearbeitet.
  • Das Ministerium für Bildung und Kultur hat seit 2017 fast 28 Millionen Euro an Zuschüssen für Projekte zur Entwicklung der Lehrerausbildung vergeben.
  • Finnland plant außerdem, im Rahmen des neuen Gesamtschulprogramms jeder der 2.500 Gesamtschulen im Land Tutoren zuzuweisen, die bestehende Lehrkräfte unterstützen sollen. Zwischen 2016 und 2018 haben 95 Prozent der Gemeinden ihre eigenen Team Teaching- und Tutoreninitiativen gestartet.

Dies gilt insbesondere für Finnland, wo das Bildungssystem stark dezentralisiert ist. Das erlaubt es Lehrern und Lehrerausbildern, bei ihrer Arbeit auf lokale Gegebenheiten und Ergebnisse der Bildungsforschung einzugehen. Lehrer, Schulen, Gemeinden und Universitäten genießen ein hohes Maß an Autonomie; so gibt es beispielsweise keine Inspektoren – die Lehrer bewerten ihren Unterricht selbst und besprechen diese Selbsteinschätzungen mit den Schulleitern. Es gibt auch keine Prüfungen – die Bewertung wird von den Lehrern vorgenommen. Darüber hinaus sind die Lehrer an der Ausarbeitung des lokalen Lehrplans beteiligt, Lernmaterialien und -umgebungen werden von ihnen selbst ausgewählt.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Entsprechend ist Finnland auch bei seinen Unterrichtsreformen einen anderen Weg gegangen. Statt die Reformen hierarchisch nach dem Top-Down-Prinzip durchzuführen, wurde die Planung auf kooperative Weise und von unten nach oben durchgeführt. Ein Forum aus 70 Experten, bestehend aus Vertretern von Universitäten, nationalen Verwaltungsstellen, Bildungsgewerkschaften und Studentenverbänden erarbeitete zusammen die größten Herausforderungen im Bildungswesen. Ein ähnlicher Ansatz wurde bei der Ausarbeitung der Lehrpläne auf nationaler Ebene verfolgt.

Grundlage der Ermittlungen bildeten die OECD-, PISA- und TALIS-Ergebnisse sowie die nationalen Monitoring-Berichte des finnischen Bildungsevaluierungszentrums Karvi. Die Experten diskutierten und identifizierten Probleme auf mehreren Ebenen:

  • Herausforderungen auf Schülerebene, wie z. B. eine Verschlechterung der Lernergebnisse;
  • Herausforderungen auf der Ebene der Lehrkräfte, wie z. B. mangelnde Zusammenarbeit und fehlende Innovationsorientierung;
  • Herausforderungen auf Klassenebene, z. B. multikulturelle Schulklassen;
  • Herausforderungen auf Schul- und Stadtebene, z. B. fehlende Möglichkeiten für die berufliche Weiterbildung von Lehrern;
  • Herausforderungen auf gesellschaftlicher Ebene, z. B. die Zahl der jungen Menschen, die ihre Ausbildung abbrechen oder aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.

Die daraus resultierende Strategie zielte darauf ab, diese Herausforderungen auf mehreren Ebenen zu bewältigen: Lehrkräfte sollten in erster Linie über eine breite und solide Wissensbasis verfügen, die fundierte Kenntnisse des jeweiligen Fachgebiets, der Pädagogik und der beruflichen Praxis umfasst. Forschungskompetenzen sind seit der Einführung der Master-Grundschullehrerausbildung in den 1970er Jahren ein fester Bestandteil der finnischen Lehrerausbildung. Dadurch konnten Pädagogen zu besseren Führungskräften werden, die sich aktiv an der Gestaltung von Maßnahmen zur Leistungsbewertung und lokaler Lehrpläne beteiligen.

Bei der Ausarbeitung dieser Lehrpläne wird von den Lehrern auch erwartet, dass sie eigene neue Ideen und pädagogische Innovationen entwickeln und zusammen mit anderen Pädagogen integrative Bildungsaktivitäten erarbeiten. Nicht zuletzt sollten die Lehrer ihr eigenes berufliches Lernen fördern und zur Entwicklung der Berufsgemeinschaft beitragen. Diese Ziele lassen sich nicht ohne Weiteres durch herkömmliche Lehrerstudiengänge erreichen. Sie erfordern vielmehr vielfältige Lernkontexte und -aktivitäten.

Auch Lehrer lernen nie aus

Natürlich war die Ausarbeitung eines Plans für eine bessere Lehrerausbildung nur der erste Schritt. Als Nächstes mussten die Ideen in der Praxis getestet werden. Zwischen 2017 und 2021 flossen 27 Millionen Euro an Ministeriumsgeldern in 31 Pilotprojekte, die gezielt die Zusammenarbeit zwischen Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften, Hochschulen und Schulen fördern und der Bildungsforschung neue Impulse geben sollten.

So zielte ein Projekt mit dem Titel „Einander unterstützen!“ (Tuetaan yhdessä!) darauf ab, die Praxis der Sonderpädagogik weiterzuentwickeln. Das multidisziplinäre Projekt wurde von allen finnischen Universitäten und unter Beteiligung mehrerer Gemeinden durchgeführt. Es gestaltete die pädagogische Beratung von Sonderschullehrern neu und legte einen besonderen Schwerpunkt auf die digitale Bildung zur Entwicklung einer integrativen und stärkenorientierten Pädagogik.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch an einer finnischen Schule 2018
Im September 2018 besuchte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Hiukkavaara-Future-School in Finnland. © Getty Images

Ein weiteres Pilotprojekt mit der Bezeichnung „Kreatives Fachwissen – Brückenschlag zwischen der Aus- und Weiterbildung von Lehrern“ entwickelte Modelle, die auf fächerübergreifendem oder transdisziplinärem Unterricht und lebenslangem Lernen von Lehrern basieren. Lehrerausbilder und Lehramtsstudenten wurden sowohl durch Universitäten als auch Schulen unterstützt, wobei sie sich auf hybride Lernumgebungen (die digitale und physische Umgebungen kombinieren) und Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen stützen konnten.

Jedes Pilotprojekt wurde durch Umfragen, Interviews und Analysen des 70-köpfigen Expertenforums begleitet und die Ergebnisse anschließend ausgewertet. Es wurde deutlich, dass die Gesamtstrategie zur Reform der Lehrerbildung eine Reihe von Stärken aufweist, insbesondere durch die Zusammenführung verschiedener Experten und Interessengruppen in einem Netzwerk von Reformern. Bei den meisten Pilotprojekten wurde festgestellt, dass sie einen starken Schwerpunkt auf Gemeinschaftsbildung und Zusammenarbeit legen. Im Bewertungsbericht wurden auch Herausforderungen für die künftige Umsetzung und weitere strategische Ziele benannt.

Der finnische Weg

Die finnische Lehrerausbildung setzt – genau wie jene in anderen erfolgreichen Bildungsländern, etwa Australien oder das Vereinigte Königreich – auf qualitativ hochwertiges Lehren und Lernen. Was Finnland jedoch von vielen anderen Ländern in der Lehrerausbildung unterscheidet, ist der Schwerpunkt auf akademische Orientierung, Forschungskompetenz und Zusammenarbeit.

Finnische Lehrer werden nicht nur darin geschult, neue Lösungen für den Unterricht zu entwickeln, sondern sie lernen auch, Lehrpläne mitzugestalten und aktiv das Feedback von Eltern, Schülern und anderen Bildungsexperten einzuholen. Finnische Lehrer genießen ein hohes Maß an Autonomie – aber im Gegenzug dazu tragen sie auch ein hohes Maß an Verantwortung: nicht nur dafür, wie sie ihre Schüler unterrichten, sondern auch wie sich selbst weiterbilden.

×

Conclusio

Von Finnland kann sich der Rest Europas einiges abschauen – nicht nur, wenn es um die Unterrichtsgestaltung geht. Auch die Lehrerausbildung im Land ist innovativ, vermittelt sie den angehenden Lehrkräften doch nicht nur pädagogische Fähigkeiten, sondern auch umfassendes Fachwissen und weitreichende Forschungskompetenzen. Diese Eigenschaften brauchen die finnischen Lehrer auch, denn sie sind dazu angehalten, aktiv an der Ausarbeitung von Lehrplänen, Unterrichtsinhalten und Lehrmethoden mitzuwirken. Dazu wird ihnen der nötige Freiraum geboten – und diese Selbstständigkeit macht sich mit einem Blick auf die PISA-Ergebnisse bezahlt. Österreich und Deutschland sollten Unterricht ähnlich schülernah denken und Bildungsziele nicht mehr nur allein in Bildungsministerien konzipieren. Lehrer brauchen Mitsprache, um guten Unterricht gestalten zu können.