Das Kreuz mit dem Stern
Die Idee, alle Geschlechter sprachlich explizit abbilden zu müssen, treibt absurde Blüten und wird von einer breiten Mehrheit abgelehnt. Zudem schadet sie den Frauen.
Das Binnen-I ist eine Erinnerung an das vorige Jahrhundert, manche lächeln, wenn sie ihm begegnen, so wie man lächelt, wenn man einen Citroën 2CV oder einen VW Käfer auf der Straße sieht. Und doch öffnete es das Tor zur heutigen Sprachhölle aus Verwirrungen und Verirrungen rund um Sternchen und Doppelpunkte.
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Niemand ist mitgemeint
Eine generische Sprachform macht keine Aussage über das Geschlecht, sie ist per definitionem geschlechtsübergreifend und verallgemeinernd. Niemand ist „mitgemeint“, sondern alle sind umfasst, das biologische Geschlecht spielt keine Rolle. Dennoch war und ist die Forderung nachvollziehbar, Sprache müsse die Veränderung der gesellschaftlichen Rolle der Frau abbilden.
Sprachen wandeln sich niemals in Richtung Unfug.
Josef Bayer
Abbilden ist freilich nicht dasselbe wie steuern. Sprache verändert sich von unten nach oben, vom Komplizierten zum Einfachen. „Mit natürlichem Sprachwandel hat Gendersprache nicht das Geringste zu tun, denn Sprachen wandeln sich niemals in Richtung Unfug“, skizziert Josef Bayer, emeritierter Professor für allgemeine und germanistische Linguistik, das Wesen des Genderns kurz und bündig in der „NZZ“.
Das Geschlecht wird zum Sprachakt
Indem man dem generischen Maskulinum sein generisches – alle umfassendes – Wesen absprach, schuf man erst jenes Problem, dessen Lösung nun mit allerlei Verrenkungen und Verhunzungen der Sprache gelingen soll. Und weil natürlich jetzt auch jene Menschen ihr Recht einfordern, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, wird es immer komplizierter.
Die Gendersprache, wie sie in unzähligen Leitlinien von Hochschulen, Universitäten und Behörden verordnet wird, soll das biologische Geschlecht zu Gunsten des sozialen überwinden. Und soziale Geschlechter gibt es sehr viel mehr als biologische. Der Beliebigkeit des Geschlechts folgt die Beliebigkeit der Sprache. Oder geht ihr voraus. Folgerichtig wird man nicht mehr als Mann oder Frau geboren, sondern „gelesen“ – und soll richtig adressiert werden, wenn keines von beidem passen will. Die Universität Wien empfiehlt daher: „Es sollte weder vom äußeren Erscheinungsbild noch vom Namen einer Person auf ein bestimmtes Geschlecht geschlossen werden.“ Sie schlägt für Massenaussendungen unter anderem „Lieb* Studierend*“ vor.
Kritische Mehrheit
Mit der Zahl der Geschlechter wächst die Zahl der neu geschaffenen Pronomen, mit denen über andere in der dritten Person gesprochen oder geschrieben wird. Im Leitfaden für geschlechtersensible Sprache verweist die Wiener Gleichbehandlungsanwaltschaft hierzu auf das „Nicht-binär-Wiki“ nibi.space, das eine Vielzahl „gebräuchlicher“ Pronomen aufzählt. Aus er/seine/ihm/ihn und dessen femininem Pendant wird dann zum Beispiel hen/hyn/ham/han: „Ich habe hyn Kleid gefunden.“
Zahlen & Fakten
Die Mehrheit der Österreicher lehnt diese Entwicklung ab, wie eine Pragmaticus-Umfrage zeigt. Nur 14 Prozent der Befragten finden Gendern gut oder sehr gut, ganze 80 Prozent geben an, dass mit dem Gendern übertrieben wird. In letzter Zeit reagieren Politik und Medien vermehrt auf diesen Umstand. Ein Aufruf von Wissenschaftlern gegen die Genderpraxis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland wurde von 921 Philologen und Linguisten sowie 4.584 anderen Personen unterzeichnet (Stand: 31. 8. 2023). Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfahl im Juli dieses Jahres, Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen nicht in das Amtliche Regelwerk aufzunehmen.
Das Pendel schwingt zurück
Bundesländer wie Niederösterreich und Sachsen-Anhalt verbannen Gendersternchen & Co aus Schulen und Behördentexten. In Kärnten musste ein Wörterbuch zurückgezogen werden, das als Handlungsanleitung für die Verwaltung gedacht war. Dass aus Polizist und Polizistin eine Polizeikraft und aus dem Bauer ein landwirtschaftlich Beschäftigter werden sollte, ging der Bevölkerung zu weit. Und im ORF und dem Westdeutschen Rundfunk nimmt man künftig Abstand vom Glottisschlag, der Sprechpause vor der weiblichen Wortendung. In der akademischen Welt blieb diese Entwicklung bislang ohne Folgen, die entsprechenden Leitfäden und Richtlinien sind einander zum Verwechseln ähnlich.
Der Verdrängung alles Weiblichen aus der Sprache folgt immer öfter die Verdrängung der Frauen aus den ihnen zugedachten Räumen.
Bis zu diesem Punkt bleibt das Thema auf der Ebene sprachlicher Ästhetik und Präzision. Doch der Verdrängung alles Weiblichen aus der Sprache folgt immer öfter die Verdrängung der Frauen aus den ihnen zugedachten Räumen. Ob Frauensport, Toiletten, Frauenhäuser oder Gefängnisse – Männer, die sich als Frauen identifizieren, fordern uneingeschränkten Zutritt.
Vor allem im angloamerikanischen Raum führen Trans-Aktivisten den Kulturkampf mit ungeheurer Schärfe. J. K. Rowling, Erfinderin von Harry Potter und selbst in erster Ehe Opfer von sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt, hat die Rechte von Trans-Personen immer unterstützt. Seit sie sich über einen Tweet lustig machte, in dem Frauen als „Personen, die menstruieren“, bezeichnet werden, gilt sie in der Szene als transphob. Ihre Bücher wurden verbrannt, Buchhandlungen boykottiert, sie erhält Morddrohungen. Ihr Vergehen: Sie empfindet eine Sprache, „die weibliche Menschen als ‚Menstruierende‘ und ‚Menschen mit Vulva‘ bezeichnet, als entmenschlichend und erniedrigend“.
Der Kulturkampf geht weiter
Der Sachbuch- und Hörspielautor Ingo Meyer hielt dazu in einem 2022 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichneten Text in der „Berliner Zeitung“ fest: „Sprache hat nicht die Aufgabe, von Dritten erwünschte Bedeutungen in unsere Köpfe zu pflanzen. Es gibt keine geschlechtergerechte Sprache. Es gibt überhaupt keine gerechte Sprache. Es liegt an uns, die vorhandene Sprache gerecht zu verwenden.“