Die Gunst des Reisens

Ja, Tourismus kann eine schreckliche Plage sein. Nein, wir dürfen trotzdem nicht aufs Reisen verzichten.

Die Illustration zeigt den Schatten eines Flugzeugs auf einem leeren Strandabschnitt. Das Bild illustriert einen Kommentar über die Gunst des Reisens.
Weg vom Massentoruismus und hin zum individuellen Urlaub. © Getty Images

Reisen, man kann es leider nicht anders sagen, ist ganz schön in Verruf geraten. Die einen beklagen den Übertourismus, die anderen den vermeintlichen Schaden fürs Klima. Der Reisende wird solcherart zum Übeltäter, der gefälligst „Flugscham“ empfinden soll ob seines sinistren Treibens.

Was früher für viele der sommerliche Höhepunkt des Jahres war, ein Stück Unbeschwertheit und lockerer Heiterkeit am Strand der Oberen Adria, in Kroatien oder Griechenland, ist mittlerweile zum sozial problematischen Verhalten geworden, das einer Therapie bedarf. Die Tour mit dem Lastenfahrrad und einem Zelt aus wiederverwertbarer Biobaumwolle ins Waldviertel ist für den Geläuterten dann der höchstzulässige sommerliche Reise-Eskapismus.

Nicht das Reisen selbst ist das Problem

Nun, es stimmt ja, dass Horden von Touristen in den Innenstädten der europäischen Metropolen oder auf den Inseln des Mittelmeeres für deren Bewohner so angenehm sind wie ein hundertjähriges Hochwasser, und ein paar Airbnb-Wohnungen im eigenen Haus sind so erfreulich wie eine Home-Invasion um drei Uhr früh.

Zu viel Tourismus kann tatsächlich den Charakter einer biblischen Plage annehmen und deshalb dementsprechende Immunreaktionen bei den Bereisten hervorrufen.

Und trotzdem bin ich weiterhin der Meinung, dass die derzeit in bestimmten Milieus übliche Verunglimpfung des Reisens und des Reisenden einen enormen Verlust an Kultur und Zivilisation darstellt. Denn Reisen ist eine der wirksamsten und wunderbarsten Möglichkeiten, die Welt besser zu verstehen, sich selbst weiterzuentwickeln – und das Ganze, wenn es geschickt gemacht wird, noch dazu als herrlich hedonistische Erfahrung.

Die derzeit übliche Verunglimpfung des Reisens stellt einen enormen Verlust an Kultur und Zivilisation dar.

Es ist ja kein Zufall, dass die Wohlhabenden und Gebildeten seit jeher darauf geachtet haben, dass der Nachwuchs, sobald flügge geworden, zumindest für ein paar Monate die Welt bereist.

Deshalb ist nicht das Reisen selbst das Problem – ganz im Gegenteil –, sondern die Art und Weise, wie es oft, zu oft, betrieben wird: nicht individuell, sondern in Massen, nicht um Wissen und Bildung bemüht, sondern vulgär und prollig, nicht wertschätzend dem Fremden gegenüber, sondern billig und dementsprechend wertlos. Eine Art des Reisens, die sich zur traditionellen Kulturtechnik Reisen verhält wie ein fettiger Burger zu einer zart gebratenen Gänseleber aus dem Périgord.

Sparen kann man zu Hause wieder

Dabei ist es gar nicht so schwer, zivilisiert zu reisen. Man braucht dazu nur die Massen – also im Grunde alles über zwei Personen plus allfällige Kids – zu meiden, sich selbst zu organisieren, in den besten Häusern und Gaststätten abzusteigen, die man sich gerade noch leisten kann, sich mit den Sehenswürdigkeiten und Eigenheiten seines Reiseziels vertraut zu machen und im Übrigen offen zu sein für das Fremde, das Andere, das Neue.

Auch wenn das manchmal zu interkulturellen Missverständnissen führen kann – es zahlt sich aus. Ach ja, und im Zweifelsfall bitte eher zu viel Trinkgeld als zu wenig. Sparen kann man dann ja zu Hause wieder.

In diesem Sinne – lassen Sie sich das Reisen in diesem Sommer nicht von ein paar Spaßbremsen verderben, sondern genießen Sie es.

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