Weg mit der Nuckelflasche!

Warum ausgerechnet die Kunst des Verzichts in der westlichen Welt eine Renaissance verdient hat.

Besucher drängen sich am 26. Juli 2017 in Palma de Mallorca, Spanien, am Strand entlang der Ballermann-Straße. Das Bild illustriert einen Artikel über übermäßigen Konsum und die Kunst des Verzichts.
Besucher drängen sich in Palma de Mallorca, Spanien, am Strand entlang der Ballermann-Straße. © Getty Images

In einer Epoche, in der offenkundig erwachsene Menschen sich nicht aus dem Haus trauen, ohne eine Nuckelflasche mit sich zu führen, in der Urlaubsreisen nach Mallorca ganz selbstverständlich mit einem Kredit bezahlt werden, um sie bei Bedarf augenblicklich antreten zu können, und ganze Staaten die vermeintlichen aktuellen Bedürfnisse ihrer wahlberechtigten Bevölkerung auf Pump finanzieren, in einem Zeitalter des ausgeprägten Sofortismus also, in dem jeder spontan auftretende Wunsch unverzüglich nach Befriedigung verlangt – in einer derartigen Epoche erscheint es völlig deplatziert, von einer ganzen Gesellschaft zu verlangen, die Kunst des Verzichts zu erlernen. Oder genauer gesagt: wieder zu erlernen.

Infantile Mentalität …

Doch genau das wird, ob wir es wollen oder nicht, in den kommenden Jahren in den meisten westlichen Gesellschaften notwendig sein, sorry, wenn ich die Partylaune störe. Dass wir zwar nicht immer als Individuen, wohl aber als Kollektiv weit über unsere Verhältnisse gelebt haben, ist nicht wahnsinnig schwer zu begreifen, da genügt ein Blick auf die aufgehäuften Schuldengebirge und die enormen Herausforderungen, vor denen der globale Westen steht.

Es sind Herausforderungen, die wir nicht werden bestehen können durch ein Beharren auf jene Wohlstandsverwahrlosung, die in den letzten Jahren um sich gegriffen hat und die sich nicht zuletzt eben in einem kollektiven Bedürfnis nach augenblicklicher Befriedigung manifestiert, wie es eigentlich sonst nur für kleine Kinder charakteristisch ist. Verzicht, nicht aus Not und Mangel, sondern aus Vernunft und zum langfristigen Erreichen übergeordneter Ziele, ist dieser infantilen Mentalität völlig fremd.

Verzicht ist eines der Fundamente unserer westlichen Zivilisation.

Dabei ist Verzicht eines der Fundamente unserer westlichen Zivilisation – der Verzicht der Eltern zugunsten ihrer Kinder, des Einzelnen zugunsten der Gemeinschaft, des Stärkeren zugunsten des Schwächeren. Ohne die Idee des klug angewandten freiwilligen Verzichts ist die westliche Welt, wie wir sie kennen, nicht vorstellbar. Und nein, damit ist nicht das dämliche „Degrowth“ mancher grüner Spinner gemeint, sondern ganz im Gegenteil Verzicht in der Gegenwart als Investition in eine bessere Zukunft. Es mag gestrig, altmodisch und verzopft klingen, aber zu einem Zeitpunkt, da der Westen und seine Lebensart – die beste, die je erdacht wurde – von außen wie auch von innen existenziell bedroht sind, ist ein wenig Rückbesinnung auf jene Werte empfehlenswert, die den Westen zum Westen gemacht haben.

… und erprobte Werte

Der scharfsinnige britische Intellektuelle, Autor und Publizist Douglas Murray hat jüngst gemeint, der Westen werde entweder zu seinen erprobten traditionellen Werten zurückkehren müssen, andere finden oder aber aufhören zu existieren. Da Letztgenanntes keine erstrebenswerte Alternative ist und das Zweite vor allem uns fremde Werte bedeuten würde, wäre vielleicht doch das mit den erprobten, aber teilweise verloren gegangenen Werten eine ganz brauchbare Idee. Die Idee des vernünftig angewandten heutigen Verzichts zugunsten der Zukunft – anstatt jetzigem Konsum zulasten der Zukunft und ihrer Bewohner – ist eine davon, die uns vielleicht ganz gut zu Gesicht stünde.

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