Klimaklage: Viel Lärm um wenig

Der Internationale Gerichtshof hat ein aufsehenerregendes Gutachten erstellt, das die Pflichten im Kampf gegen den Klimawandel betont. Mit dem Richterspruch wird aber vor allem eines klar: Das Völkerrecht wird die Welt nicht retten.

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, Niederlande. Das Bild illustriert einen Kommentar über die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zu Klimaklagen.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, Niederlande. © Getty Images

Der 23. Juli 2025 war ein völkerrechtlich durchaus aufsehenerregender Tag: Der Internationale Gerichtshof hat nach über zwei Jahren das größte Gutachten-Verfahren seiner Geschichte abgeschlossen. Im April 2023 wurde er von der Generalversammlung angerufen, um zwei Fragen zu beantworten: Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen haben Staaten, um das Klima und andere relevante Bestandteile der Umwelt vor menschengemachten Ausstößen von Treibhausgasen und damit andere Länder sowie gegenwärtige und zukünftige Generationen zu schützen? Welche Konsequenzen haben Verletzungen dieser Verpflichtungen?

Treibende Kraft dahinter war die Republik Vanuatu, daher spricht man auch von der „Vanuatu ICJ Initiative“. ICJ (englisch ausgesprochen) ist die gängige Abkürzung für den „International Court of Justice“, also das wichtigste Gericht im Völkerrecht und dem System der Vereinten Nationen. Das einzige ihrer Hauptorgane, das nicht in New York liegt, sondern im niederländischen Den Haag, das deshalb auch gerne als „Stadt des Friedens“ bezeichnet wird. Hier fanden die beiden großen Friedenskonferenzen 1899 und 1907 statt, hier befindet sich auch der Internationale Schiedshof und schon der Vorgänger des Internationalen Gerichtshofs, der 1919, also unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, geschaffene Ständige Internationale Gerichtshof des Völkerbunds.

Vom Krieg zur Umwelt

Dass ein solches Gericht sich einmal mit der Umwelt befassen würde, hätte damals wohl niemand gedacht. Ganz abwegig war der Gedanke zwar nicht, jedenfalls im Nachhinein: Die Ursprünge des internationalen Umweltrechts, also dem Gedanken, beispielsweise Flüsse oder bestimmte Tierarten mit Verträgen und sonstigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu schützen, liegen im späten 19. Jahrhundert. Spätestens, wenn Wasser oder Lebewesen Grenzen überschreiten, konnte man nicht mehr von einer rein-innerstaatlichen Angelegenheit sprechen.

Und dennoch hat das Thema lange kaum jemanden interessiert. Zwar kam es 1941 zwischen den USA und Kanada zum ersten großen zwischenstaatlichen Gerichtsverfahren mit Umweltbezug. Damals ging es um eine Schmelzanlage in Kanada, die mit ihren (Rauch-)Ausstößen nicht gerade positive Auswirkungen auf die Wälder und Ernten von US-Landwirten und -besitzern hatte. Am Ende des (Rechts-)Streits betonte ein eigens eingerichtetes Schiedsgericht, dass kein Staat sein Gebiet auf eine Art und Weise verwenden (lassen) darf, die dem Gebiet eines anderen schadet: Sic utere tuo ut alienum non laedas, um es im besten Juristenlatein auszudrücken. Ein Grundsatz, der bis heute gilt.

Das war aber eine Ausnahme. Der Internationale Gerichtshof beschäftigte sich wie sein Vorgänger mit anderen Themen: Die Aufnahme in die UNO, Schäden an britischen Kriegsschiffen aufgrund von Minen im Korfu-Kanal, Grenzstreitigkeiten, der Schutz von UN-Diplomaten oder die Auslegung von Friedensverträgen.

Der große Fall: Das Gabčíkovo-Nagymaros Projekt

Das änderte sich erst in den 1990ern, konkret mit einem Rechtsstreit zwischen der Slowakei und Ungarn rund um ein gemeinsam geplantes Wasserkraftwerk auf der Donau. Da steckte viel drin, von der Rechtsnachfolge der Slowakei zu Verpflichtungen der Tschechoslowakei über den Übergang vom Sozialismus zu liberaler Marktwirtschaft bis hin zu nachhaltiger Entwicklung. Wer einen Staudamm bauen will, muss dabei eben (auch) die Umwelt schützen. Der Gerichtshof entschied, dass die Slowakei weiter an dem Projekt arbeiten und Ungarn nicht einfach so aussteigen durfte. Ganz gelöst ist die Sache allerdings bis heute nicht. Der Streit ist immer noch auf der Liste der anhängigen Gerichtsverfahren des Internationalen Gerichtshofs (und damit der älteste).

Gutachten sind keine Urteile

Damit machen wir einen großen Sprung ins Jahr 2025. Im Gegensatz zu einem Streitfall gibt es in Sachen Klimawandel hier kein verbindliches Urteil, was allein aufgrund der fehlenden Zuständigkeit nicht möglich gewesen wäre. Wenig denkbar, dass die USA, Indien, Russland oder Brasilien sich auf ein solches Verfahren einlassen würden. Ohne deren Zustimmung geht das aber nicht. Und die EU, um den fünften großen „Klimasünder“ zu nennen, ist kein Staat und kann daher nicht beim Internationalen Gerichtshof geklagt werden.

Das wusste die Republik Vanuatu natürlich. Daher wollte sie den Internationalen Gerichtshof um Auskunft, also um seine Rechtsmeinung bitten. Die aufgrund der enormen Bedeutung des Gerichts durchaus Gewicht hat. Aber eben nur so viel, wie die genannten Staaten und die EU ihr zumessen.

Das Gutachten in aller Kürze

Die Kernaussagen des Gerichtshofs wurden bereits zur Genüge diskutiert, abgesehen davon sind derartige Zusammenfassungen etwas, das ChatGPT und Co. mittlerweile recht gut hinbekommen. Daher nur kurz: Der Internationale Gerichtshof hat betont, dass die Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens zum Klimawandel verpflichtet sind, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und dabei zu kooperieren. Die Vertragsparteien des Pariser (Klima-)Abkommens müssen gemeinsam sicherstellen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Dazu kommen weitere Verpflichtungen zum Schutz von Wäldern, vor Trockenheit oder der Weltmeere, die sich aus anderen Abkommen wie jenem zum Seerecht, zur Biodiversität, zur Ozonschicht oder zur Wüstenbildung ergeben. Damit sagt der Gerichtshof nicht viel. Im Grunde genommen wiederholt er nur, was man ohnehin schon weiß bzw. was ohnehin in völkerrechtlichen Verträgen steht.

Staaten müssen bei Verletzungen Wiedergutmachung, Schadenersatz und Genugtuung leisten.

Und was gilt für Staaten, die diesen Verträgen nicht beigetreten sind? Auch sie müssen dem Internationalen Gerichtshof zufolge Umweltschäden verhindern, sowohl durch eigene Aktivitäten als auch von privaten Akteuren auf ihrem Gebiet, und müssen ebenfalls mit anderen Staaten kooperieren. Das betrifft in erster Linie die USA, die dem Pariser Abkommen unter Obama beigetreten sind, um unter Trump wieder auszusteigen, unter Biden wieder einzusteigen und es unter Trump II erneut zu verlassen.

Streitfrage Schadenersatz

Daneben hat der Internationale Gerichtshof die Frage nach den Konsequenzen damit beantwortet, dass Staaten die Verletzungen der eben genannten Verpflichtungen beenden und erforderlichenfalls Garantien abgeben müssen, dass es zu keinen Wiederholungen kommt. Außerdem, und das ist besonders wichtig, müssen sie Wiedergutmachung, Schadenersatz und Genugtuung leisten. Also zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, Geldzahlungen leisten oder auch Entschuldigungen abgeben oder verstärkt über die Gefahren des Klimawandels aufklären.

So, und hier liegt der Teufel im Detail: Zwar hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich grundsätzlich feststellen lässt, ob ein bestimmter Staat einen Anteil an Schäden hat, die durch den Klimawandel hervorgerufen wurden. Anders gesagt: Kein „Klimasünder“ ist alleine verantwortlich, aber manche eben mehr als andere. Aber gleichzeitig ist der Gerichtshof zurückgerudert und wollte bzw. konnte sich zu den Folgen einer Verletzung der staatlichen Pflichten in Bezug auf den Klimawandel nicht äußern. Es komme eben auf den Schaden und die konkrete Art des Rechtsbruchs an. Dazu ist ein Rechtsgutachten seinem Wesen nach zu allgemein.

Und ein solches Verfahren ist – jedenfalls vor dem Internationalen Gerichtshof – wie gesagt unrealistisch. Man darf sich fragen, ob ein Donald Trump oder ein Wladimir Putin sonderlich viel Interesse daran haben, sich aufgrund ihrer CO2-Bilanz vor einem bzw. dem UNO-Gericht gegenüber einem kleinen Staat wie eben Vanuatu zu verantworten. Wie der Internationale Gerichtshof selbst am Ende des Rechtsgutachtens betont, kann er seinem Wesen nach nur rechtliche Fragen beantworten. Aber der Klimawandel ist weniger ein rechtliches als ein „existenzielles Problem“, das „alle Lebensformen und die Gesundheit unseres Planeten bedroht“. Das Völkerrecht spielt dabei „eine wichtige, aber letztlich begrenzte Rolle“.

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