Dann fertigen wir halt bei uns!

„Reshoring“ heißt das neue Zauberwort. Doch die angestrebte Rückabwicklung der Globalisierung ist gar nicht möglich. Und außerdem ist sie teuer.

Illustration von zwei Händen, die sich schützend um Fabriken legen. Die Fabriken mit Schloten und auch Hochhäuser stehen auf der Nordhalbkugel der Erde, wobei eine Teil von Nordafrika zu sehen ist.
Kann man die Globalisierung zurückdrehen und alles in Europa produzieren? © Andreas Leitner
×

Auf den Punkt gebracht

  • Global vernetzt. Rohstoffe, Komponenten, Fertigung – Produkte entstehen in globaler Arbeitsteilung, oft auf verschiedenen Kontinenten.
  • Protektionismus. Um ihre Märkte zu schützen und die Versorgung zu sichern, setzen viele Staaten wieder auf Schutzzölle.
  • Subventionen. Förderungen für Schlüsselindustrien führen zu einem Wettbewerb unter den Staaten. Wer zahlt, bekommt aber nicht automatisch Sicherheit.
  • Ursachenforschung. Die Ursache der verstreuten Produktion sind Spezialisierung und niedrige Kosten. Will man in Europa produzieren, werden Produkte teurer.

Zu Hause ist es doch am schönsten.“ Diesem Leitmotiv folgen Bestrebungen, systemrelevante Produktionsprozesse wieder im eigenen Land (oder wenigstens auf dem eigenen Kontinent) anzusiedeln. Die Lieferengpässe in der Pandemie verstärkten diesen Wunsch, aber eigentlich begann der Prozess schon vor Corona.

Politische Wirtschaft

Donald Trumps „America First“-Strategie inklusive des von ihm initiierten Handelskriegs mit China verfolgte das Ziel, den US-amerikanischen Wirtschaftsstandort im Vergleich zum wichtigsten geo-ökonomischen Rivalen zu stärken und Anreize für die Produktion in den USA zu schaffen.
Chinesische Produkte sollten durch Zölle verteuert und somit aus dem Markt verdrängt werden. Kollateralschäden für andere Handelspartner – etwa durch die Zollerhöhung auf europäischen Stahl – nahm der 45. Präsident der USA in Kauf.

Unter dem Schlagwort „Reshoring“ gewinnt die Idee, maßgebliche Produktionsprozesse nach Europa oder in die USA zurückzuholen, derzeit stark an Popularität. Dahinter steckt eine nachvollziehbare Überlegung: Lokale Erzeugung ist vor Krisen besser geschützt, weshalb die Versorgungssicherheit steigt. Ein Prozess der Deglobalisierung soll unsere Wirtschaft robuster und unabhängiger machen. So lauten die zen-tralen Argumente.

Erst denken, dann handeln

Doch wie so oft in wirtschaftspolitischen Debatten hält sich die Politik nicht lange mit der Ursachenforschung auf, sondern präsentiert zunächst eine Lösung. Warum Antibiotika, Gartenmöbel, Kühlschränke und E-Bikes nicht mehr in ausreichendem Ausmaß oder gar nicht mehr in Europa hergestellt werden, ist für die Politik meist irrelevant. Wichtig ist nur, dass sich dies ändern muss und zwar ganz schnell und möglichst einfach.

×

Zahlen & Fakten

Foto von jungen Männern, die um einen Comuter herumstehen und etwas besprechen. In dem Raum befinden sich viele Computer. Das Foto ist hier Teil eines Beitrag über Unternehmen, die nun nach Jahren der Globalisierung dazu gebracht werden sollen, dass sie in Europa produzieren.
August 1985 in Dresden: Der Mansfeld-Computer begründete das Sächsische Silicon Valley – nach einem Tief nach der deutschen Wiedervereinigung konnte sich der Standort wieder etwas erholen. Dresden ist einer der wenigen Standorte in Europa, wo Chips produziert werden. © Getty Images

Made in Europe?

Die Wahrscheinlichkeit, falsche oder wenig wirksame politische Maßnahmen zu ergreifen, wird jedoch größer, wenn man die Ursachen für das zu lösende Problem nicht verstanden hat. Es mag daher auch für die Politik lohnend sein, einen Blick in die Entwicklung der globalisierten und fragmentierten Weltwirtschaft zu werfen.

Als Ausgangspunkt kann hierzu die ökonomische Außenhandelstheorie nach David Ricardo zurate gezogen werden: Volkswirtschaften spezialisieren sich demnach auf die Produktion von Gütern, die sie relativ betrachtet am effizientesten herstellen können. Wesentliche Faktoren sind etwa die vorhandene Technologie sowie die Verfügbarkeit und Kosten der Arbeitskräfte. Die Fokussierung auf den komparativen Vorteil führt dazu, dass sich alle Volkswirtschaften auf gewisse Produkte spezialisieren. Andere Waren stellt man gar nicht oder kaum mehr selbst her.

Im Ergebnis werden alle relevanten Güter irgendwo auf der Welt produziert, allerdings eben nicht jedes Gut überall. Für die Konsumenten ist das ideal; sie können ihre Nachfrage nach allen gewünschten Produkten befriedigen – und zwar im Regelfall beim günstigsten Anbieter. Die Produzenten profitieren ebenfalls, weil sie den Weltmarkt bedienen können und nicht nur für die lokale Nachfrage produzieren. Durch die Ausweitung der Produktion auf eine größere Stückzahl können sogenannte Skalenerträge erzielt werden. Die verwendeten Maschinen sind besser ausgelastet, also sinken die Kosten.

Globale Arbeitsteilung

Das Phänomen lässt sich auch im eigenen Land beobachten: Nicht überall in Österreich wird etwa Bier gebraut oder Eisenerz abgebaut. Aber beides steht überall in Österreich zur Verfügung. In den letzten Jahrzehnten hat eine aktive und gleichzeitig liberale Handelspolitik die Kosten für den internationalen Handel sukzessive reduziert. Im Einklang mit der Außenhandelstheorie von David Ricardo führte dies zu einer Verlagerung von Produktionsprozessen aus den westlichen Industriestaaten in aufstrebende Entwicklungsländer.

×

Zahlen & Fakten

Olaf Scholz macht eine Daumen-hoch-Geste während er lächelnt auf einen Silizium-Wafer in den Händen von Gregg Lowe schaut.
Chips sind Chefsache: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolfspeed-CEO Gregg Lowe in Ensdorf im Saarland, wo mit staatlichen Förderungen eine Fabrik von Wolfsspeed entstehen soll. © Getty Images

Ohne China: Was würde das Smartphone kosten?

  • Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte den Technologieriesen Apple dafür kritisiert, dass dessen beliebte iPhones in China hergestellt würden, statt Arbeitsplätze in US-Fabriken zu schaffen. Auch Joe Biden will mit seinem „Buy American Act“ Fabriken in die USA zurückholen. Doch Apple eröffnete jüngst ein neues Werk in Indien. Die Produktion in den USA rentiert sich nicht. Was müssten Konsumenten für ein iPhone zahlen, das im Westen hergestellt wird?
  • Ob nun in Europa oder in den USA produziert würde, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Analysten ­haben mehrere Berechnungen an­gestellt: Ein iPhone „made in USA“ wäre im Handel doppelt so teuer, berechnete ein Experte von Creative Strategies. Forscher der Syracuse University schätzten die Mehrkosten auf 100 Dollar, als ein neues iPhone SE um 399 Dollar im Handel verkauft ­wurde. Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, ist eines sicher: Made in America oder Europe käme die Konsumenten teuer zu stehen.

Gerade bei der industriellen Produktion von standardisierten Produkten, für deren Herstellung viel Arbeitskraft benötigt wird, haben China und andere asiatische Volkswirtschaften einen klaren Kostenvorteil. Die europäische Industrie spezialisierte sich auf hochtechnologische und komplexere Produkte.

Die Fragmentierung von Wertschöpfungsketten wurde immer weiter vorangetrieben – stets mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern. Für die Produktion eines iPhone werden etwa Komponenten von Herstellern aus mehr als vierzig Ländern und allen sechs Kontinenten verarbeitet. Um Weiterentwicklung und Design der Geräte kümmerte sich lange Zeit der Westen.

Möchte man nun diese Entwicklung umkehren, globale Wertschöpfungsketten verkürzen und Produkte inklusive Komponenten wieder vermehrt lokal produzieren, so hätte dies weitreichende ökonomische Folgen: Natürlich könnte man Antibiotika, Fernseher oder Smartphones in Europa herstellen.

Aber wenn das zu niedrigen Kosten möglich wäre, hätte es nie eine Verlagerung der Produktion ins Ausland gegeben. Die Wirtschaft – und auch die Konsumenten – müsste also auf die Effizienzgewinne der Globalisierung verzichten. In einer Zeit von ohnehin schon hohen Inflationsraten würden solche Preissteigerungen die Realeinkommen der Bevölkerung weiter reduzieren.

Globalisierung im Rückwärtsgang

Gleichzeitig zeigen die erwähnten Beispiele, dass die Möglichkeit einer vollständigen Rückverlagerung an ressourcenbedingte Grenzen stößt. Greifen wir das Beispiel Smartphones noch einmal auf: Für die Herstellung von Mikroprozessoren oder Displays werden seltene Erden als Rohstoffe verarbeitet.

Diese Erden kommen ebenfalls in der Produktion von Batterien, Flachbildschirmen, Windanlagen und Elektroautos oder E-Bikes zum Einsatz. In Europa sind diese Rohstoffe zwar vorhanden, allerdings liegen die größten derzeit bekannten Vorkommen auf anderen Kontinenten. Bisher werden seltene Erden in Europa auch nicht zur industriellen Nutzung abgebaut.

Möchte man nun die Fertigung von Smartphones nach Europa rückverlagern, dann lässt sich das vielleicht für die Endmontage umsetzen. Die Vorleistungen müssen aber weiterhin importiert werden und sind somit wiederum von möglichen Störungen in globalen Lieferketten betroffen. Ähnliches gilt für die Tesla Gigafactory in Berlin-Brandenburg. Die Fabrik wurde mit hohen Subventionen und Vergünstigungen nach Deutschland geholt, kann jedoch nicht eigenständig produzieren.

Am Gängelband von Tesla

Der von China seit langem betriebene und jetzt von den USA angeheizte Subventionswettbewerb verkompliziert die Situation noch zusätzlich. Tesla hat beispielsweise im Februar dieses Jahres im Gegensatz zu früheren Plänen angekündigt, in der deutschen Gigafactory zwar Batterien herzustellen, die Zellproduktion aber hauptsächlich in den USA zu betreiben.

×

Zahlen & Fakten

Foto von identischen schwarzen Autos in drei Reihen von oben. Es handelt sich um Autos von Tesla, die In grünheide produziert werden. Da Tesla einerseits die Farbik ausbauen, anderrseits wichtige Komponenten lieber in den USA produziert, ist die Zukunft von Tesla am Standort umstritten. Das Bild ist Teil eines Beitrag über die Anreize für Unternehmen, damit sie in Europa produzieren.
Die ersten Teslas aus der Gigafactory in Grünheide in Berlin im März 2022. © Getty Images

Antriebslos in die Zukunft

Die steuerlichen Anreize für den Kauf von E-Autos in den USA hätten zu dieser Entscheidung geführt, hieß es. Laut dem „Inflation Reduction Act“ kommen die Käufer nur dann in den Genuss der steuerlichen Vorteile, wenn die Endmontage der Fahrzeuge in Nordamerika stattfindet. Für Tesla reicht dies offenkundig als Anlass, um die Zellproduktion auf der anderen Seite des Atlantiks zu betreiben.

Wie lange und in welchem Ausmaß der Konzern in Deutschland aktiv bleiben wird, hängt somit auch maßgeblich davon ab, wie es im internationalen Subventionswettbewerb weitergehen wird. Der Fall Tesla könnte zum Exempel werden: Wer Unternehmen ausschließlich mit Subventionen anlockt, hat keine Garantie, den Produktionsstandort langfristig zu erhalten. Das gilt genauso für den neuen Standort des Chip-Riesen Intel in Magdeburg, wo jeder Arbeitsplatz mit einer Million Euro subventioniert wird.

×

Conclusio

Schon seit dem 19. Jahrhundert hat sich eine globale Arbeitsteilung etabliert, Rohstoffe und Komponenten für Produkte europäischer Unternehmen kommen aus der ganzen Welt, produziert wurde bislang dort, wo die Kosten am niedrigsten waren; die Unternehmen profitierten zusätzlich von globalen Absatzmärkten und von der Spezialisierung. Der Versuch, diese Spezialisierung zurückzunehmen, ist kostspielig: Nicht nur europäische Staaten wie Deutschland subventionieren kritische Produktion, etwa von Mikrochips, sondern auch China und die USA. Unternehmen können sich Standortentscheidungen wieder bezahlen lassen – Versorgungssicherheit können sich Staaten und Konsumenten damit allerdings nicht kaufen.

Mehr Globalisierung

Unser Newsletter